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[Pause von 10 Minuten.]

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Angeklagter! Hat der Gerichtshof anzunehmen, daß Sie im allgemeinen gegen die antisemitische Bewegung und Propaganda gewesen sind?

VON PAPEN: Ich habe die Frage nicht ganz verstanden.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich wiederhole: Soll der Gerichtshof annehmen, daß Sie im allgemeinen gegen die antisemitische Aktion und Propaganda gewesen sind?

VON PAPEN: Im Gegenteil, es war mein Ziel, mein Wunsch und das ganze Programm meiner Arbeit, zu einem Zusammenschluß, zu einem Zusammenfinden beider Länder, soviel wie möglich beizutragen, weil es ja der große Wunsch der deutschen Nation war.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich glaube nicht, daß Sie meine Frage richtig verstanden haben. Ich will sie wiederholen: Ich komme nun zu den Juden.

VON PAPEN: Ah, zu den Juden?

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja. Nun lassen Sie mich wiederholen: Soll der Gerichtshof annehmen, daß Sie allgemein gegen die antisemitische Bewegung und Propaganda gewesen sind?

VON PAPEN: Ja. Ich habe ja dem Gericht auseinandergesetzt meine grundsätzliche Einstellung zur Rassenfrage und zur Frage der Beseitigung von Überfremdungseinflüssen in gewissen kulturellen Gebieten des öffentlichen Lebens; zwei ganz verschiedene Fragen.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja, ich verstehe. Wollen Sie sich nun das Dokument 3319-PS ansehen, Beweisstück GB-287.

Euer Lordschaft! Es beginnt auf Seite 48 im Dokumentenbuch 11a, Seite 44 bis 45 im deutschen Buch.

[Zum Zeugen gewandt:]

Die Stelle, auf die ich Sie verweise, Angeklagter, ist auf Seite 58 und 59. Dies ist ein Teil aus einem vertraulichen Bericht über die Arbeitstagung der Judenreferenten der deutschen Missionen in Europa, und zwar vom 3. und 4. April 1944. Ich möchte, daß Sie sich Seite 44 der deutschen Fassung ansehen. Dort und auch Seite 58 des englischen Textes befindet sich der Beitrag eines gewissen Herrn Posemann aus der Türkei zu dieser Besprechung. Gehörte er zu Ihrer Behörde? Sagen Sie uns das bitte, ja oder nein?

VON PAPEN: Ich darf Ihnen vielleicht sagen, wer Herr Posemann ist. Herr Posemann...

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich sagte Ihnen, Sie sollen nur sagen, ob er Mitglied Ihrer Botschaft war oder nicht. Was war er sonst? Das möchte ich wissen.

VON PAPEN: Nein, keineswegs. Herr Posemann war ein deutscher Buchhändler, der sich in Ankara niedergelassen hatte. Er war keineswegs Mitglied meiner Botschaft.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich verstehe. Jedenfalls war er ein Referent des Deutschen Auswärtigen Amtes bei Besprechung dieser Frage. Hören Sie nur zu, was er sagt:

»Anfang vergangenen Jahres habe die Türkische Regierung einen Schlag gegen das Judentum in Verbindung mit Versuch zur Lösung des Minderheitenproblems durchgeführt. Bei Durchführung dieser Aktion sei sehr rigoros vorgegangen worden: Vermutungen alliierter Kreise, daß es sich um einseitige antijüdische Maßnahmen handle, seien von der Türkei mit Hinweis auf gleichzeitige Maßnahmen gegen die Minderheiten zurückgewiesen worden. Immerhin habe die Türkei weitere Maßnahmen zur Lösung des Minderheitenproblems und damit der Judenfrage zurückgestellt. Daher müsse auch eine von uns gesteuerte antijüdische Propaganda im gegenwärtigen Augenblick unbedingt unterbleiben, da dies unerwünscht und eine Belastung für die türkische gegenwärtige Außenpolitik wäre. Abgesehen von Karikaturen und Witzbüchern über Juden seien in der Türkei keine antijüdischen Schriften vorhanden. Erste Ansatzpunkte einer Erkenntnis der Größe der internationalen Judenherrschaft sei in der Übersetzung der ›Protokolle der Weisen von Zion‹ und des Buches von Ford ›Der internationale Jude‹ zu sehen. Der Absatz dieser Broschüren und deren Verbreitung seien von der Botschaft gefördert worden. Zunächst sei nur eine Arbeit in diesem engen Rahmen möglich, da, wie bereits betont, eine sichtbare deutschgesteuerte antijüdische Propaganda für uns ungünstige Komplikationen hervorrufen könne.«

Nun, glauben Sie an die »Protokolle der Weisen von Zion«? Halten Sie es für ein echtes und authentisches Werk?

VON PAPEN: Keineswegs, nein.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Warum wurde dann der Vertrieb dieser Broschüre von der Deutschen Botschaft gefördert?

VON PAPEN: Ich darf vielleicht dem Gericht eine kurze Erklärung abgeben über den ganzen Zusammenhang dieser Tagung. Diese Tagung war vom Auswärtigen Amt einberufen worden, und zwar sollten an ihr teilnehmen die Referenten der Botschaften und Gesandtschaften, welche eigens angestellt waren für die Bearbeitung des jüdischen Problems. Bei meiner Botschaft gab es einen solchen Bearbeiter nicht, weil ich das immer abgelehnt habe. Infolgedessen hatte die Partei von sich aus den Buchhändler Posemann mit dieser Aufgabe betraut und ihn zu dieser Konferenz entsandt. Wenn Herr Posemann hier feststellt, daß die Botschaft die genannten Propagandabroschüren verbreitet habe, dann befindet er sich in einem großen Irrtum. Denn erstens würde die Türkische Regierung eine solche Verbreitung niemals zugelassen haben, und zweitens können Sie sich heute überzeugen, Sir David, daß diese Broschüren alle noch im Keller meiner Botschaft in Ankara liegen.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie sagen also, daß diese Aussage, die in der Konferenz im Auswärtigen Amt gemacht wurde, falsch ist?

VON PAPEN: Ja.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie sagen, daß Sie nichts damit zu tun hatten. Das ist Ihre Antwort?

Ich möchte Sie nun einiges über die katholische Kirche fragen. Sie erinnern sich doch an die Fuldaer Erklärung der deutschen Bischöfe?

VON PAPEN: Ja.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ist es richtig, daß die Erklärung abgegeben wurde auf Grund einer Versicherung Hitlers am 23. März 1933 über seine guten Absichten der Kirche gegenüber. Erinnern Sie sich, daß Hitler so eine Erklärung abgegeben hat?

VON PAPEN: Nicht nur am 23., auch in der Regierungserklärung hat Hitler sich ausdrücklich auf den Boden gestellt, daß die beiden christlichen Konfessionen die Basis jeder Politik sein müßten.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun, das war wiederum – wenigstens teilweise – das Ergebnis einer Erklärung, die Sie in der Kabinettssatzung vom 15. März 1933 abgegeben haben, als Sie betonten, wie richtig es sei, den politischen Katholizismus in den neuen Staat einzubauen. Das ist doch eine richtige Schilderung der Tatsachen, nicht wahr? So haben sich doch die Dinge abgespielt?

VON PAPEN: Durchaus, Sir David.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja.

VON PAPEN: Ich habe mir alle Mühe gegeben, Hitler zu veranlassen, dieses christliche Fundament in seiner Politik festzulegen in feierlichen Vereinbarungen, und ich glaube, ich habe dem Gericht ausgeführt, daß ich mir wirklich alle Mühe gegeben habe, dieses Programm durchzuführen.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich bitte Sie, noch einmal Dokumentenbuch 11a anzusehen, und zwar Seite 96, es ist 78 der deutschen Fassung, Dokument 2248-PS, es ist Ihr Bericht an Hitler vom 27. Juli 1935. In diesem Bericht gebrauchen Sie die folgenden Worte: »... Die geschickte Hand, die den politischen Katholizismus ausschaltet und doch das christliche Fundament Deutschlands nicht antastet...«

Es steht auf Seite 99 des englischen Textes, Seite 86 des deutschen Textes, Euer Lordschaft; es ist der erste Absatz auf Seite 99:

»Eine besondere Bedeutung kommt den kulturellen Problemen zu. Die Art und Weise, wie sich Deutschland mit den politisch-religiösen Schwierigkeiten auseinandersetzt, die geschickte Hand, die den politischen Katholizismus ausschaltet und doch das christliche Fundament Deutschlands nicht antastet, wird nicht nur entscheidende Rückwirkung auf England oder auf das katholische Polen haben. Man kann vielmehr sagen, daß die Lösung der deutsch-österreichischen Frage damit steht oder fällt.«

Nun, ich möchte, daß Sie jetzt diesen Bericht an Hitler vom Juli 1935, also über zwei Jahre nach Abschluß des Konkordats, im Gedächtnis behalten: »... Die geschickte Hand, die den politischen Katholizismus ausschaltet und doch das christliche Fundament Deutschlands nicht antastet...« Ihr Verteidiger hat nun eine Stelle aus der feierlichen Ansprache Seiner Heiligkeit des Papstes zitiert. Ich möchte nur, daß Sie sich diese ansehen und dem Gerichtshof sagen, ob Sie mit der Stelle übereinstimmen, die nach der Stelle kommt, die Dr. Kubuschok zitiert hat.

Euer Lordschaft! Es ist ein neues Dokument, nein – Verzeihung – es ist ein altes Dokument, 3268-PS, Beweisstück US-356.

Euer Lordschaft, Sie werden sich erinnern, daß Dr. Kubuschok in diesem Dokumentenbuch eine Stelle aus der Ansprache des Papstes zitiert hat. Ich habe einige Exemplare davon.

Nach dieser Stelle nun, die Dr. Kubuschok zitiert hat, daß das Konkordat weiter Unannehmlichkeiten verhindert hat, fährt Seine Heiligkeit fort:

»Der Kampf gegen die Kirche wurde tatsächlich immer härter. Die Auflösung katholischer Organisationen, die fortschreitende Unterdrückung blühender katholischer Schulen, sowohl öffentlicher wie privater; die zwangsweise Entfremdung der Jugend von Heim und Kirche; der Druck auf das Gewissen der Bürger, besonders der Staatsbeamten; die systematische Verunglimpfung durch raffinierte, fest geleitete Propaganda, der Kirche, der Geistlichkeit, der Gläubigen, der kirchlichen Institutionen, des Unterrichts und der Geschichte; die Schließung, Auflösung und Beschlagnahme religiöser Gebäude und anderer geistlicher Institutionen; die vollständige Unterdrückung der katholischen Presse und Verlagshäuser.«

Stimmen Sie mit Seiner Heiligkeit darin überein, daß das eine richtige Darstellung des Vorgehens des Deutschen Reiches gegenüber der katholischen Kirche ist?

VON PAPEN: Vollkommen.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich möchte nun, daß Sie sich auch die Enzyklika »Mit brennender Sorge« ansehen, Dokument 3280-PS. Sie werden es auf Seite 40 des Dokumentenbuches 11 finden – Verzeihung – Seite 47, Euer Lordschaft. Ich sagte Seite 40: Es ist Seite 40 des deutschen Textes.

Sie werden bemerken, daß das ziemlich früh ist, am 14. März 1937, vier Jahre nach dem Konkordat, und er sagt im zweiten Satz am Anfang:

»Er enthüllt Machenschaften, die von Anfang an kein anderes Ziel kannten als den Vernichtungskampf. In die Furchen, in die Wir den Samen aufrichtigen Friedens zu pflanzen bemüht waren, streuten andere – wie der inimicus homo der Hl. Schrift... – die Unkrautkeime des Mißtrauens, des Unfriedens, des Hasses, der Verunglimpfung, der heimlichen und offenen, aus tausend Quellen gespeisten und mit allen Mitteln arbeitenden grundsätzlichen Feindschaft gegen Christus und Seine Kirche. Ihnen und nur ihnen sowie ihren stillen und lauten Schildhaltern fällt die Verantwortung dafür zu, daß statt des Regenbogens des Friedens am Horizont Deutschlands die Wetterwolke zersetzender Religionskämpfe sichtbar ist.«

Nun, Angeklagter, ich möchte, daß Sie dem Gerichtshof sagen, ob Sie darin mit ihm übereinstimmen?

VON PAPEN: Ja.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wenn Sie mit diesen Erklärungen übereinstimmen, die das Haupt der Kirche abgegeben hat, wie konnten Sie es fertig bringen, zwei Jahre nach dem Konkordat an Hitler zu schreiben, und zwar im Juli 1935, daß er den »politischen Katholizismus ausgeschaltet hat, ohne damit die christlichen Fundamente Deutschlands anzutasten«? Es war doch absolut unrichtig, nicht wahr, daß Hitler und die Nazis das christliche Fundament Deutschlands nicht angetastet hatten. Sie hatten es doch entwurzelt und waren dabei, es zu zerstören?

VON PAPEN: Sie verwechseln, Sir David; dies sind zwei vollkommen verschiedene Dinge; der politische Katholizismus...

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich möchte Sie nicht unterbrechen, Angeklagter, aber ich habe mich doch ganz klar ausgedrückt. Was ich Ihnen vorhalte, ist nicht die Beseitigung des politischen Katholizismus. Ich spreche augenblicklich nicht über Ihre Beziehungen zu Monsignore Kaas. Ich spreche von Ihrer anderen Erklärung, daß das geschah, ohne das christliche Fundament Deutschlands anzutasten. Was ich Ihnen vorhalte, ist, was Seine Heiligkeit sagte, daß die christlichen Fundamente Deutschlands zerstört wurden. Im Augenblick kümmert es mich nicht, welche Meinung Monsignore Kaas damals von Ihnen oder Sie von Monsignore Kaas hatten, die kenne ich ja.

VON PAPEN: Lassen Sie es mich nun Ihnen darlegen. Der Kampf gegen die Kirche und ihre Institutionen, gegen die sich Seine Heiligkeit der Papst in seiner Enzyklika aus dem Jahre 1937 und 1945 wendet und in der er sich bewußt war über die zunehmende Verschärfung der Lage während des Krieges – alle diese Dinge waren ein Angriff auf das christliche Fundament Deutschlands, ein Angriff, den ich stets auf das schärfste verurteilt habe. Aber das hat gar nichts zu tun mit der von mir geforderten oder erhofften Beseitigung des sogenannten politischen Katholizismus; das sind zwei völlig verschiedene Dinge. Es ist vielleicht schwer, daß Sie das verstehen, weil Sie nicht in den deutschen Verhältnissen zu Hause sind.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Bitte glauben Sie mir, Angeklagter, daß ich mich lange mit den Schwierigkeiten zwischen Ihnen und Monsignore Kaas beschäftigt habe. Ich werde sie dem Gerichtshof nicht vortragen, denn sie sind nicht wichtig. Ich anerkenne es und sehe es auch ein – allerdings nicht so gut wie Sie –, aber ich erkenne die Lage des politischen Katholizismus, und ich frage Sie nicht weiter danach. Ich befrage Sie über Ihre Erklärung. Warum haben Sie Hitler erklärt, daß er das christliche Fundament Deutschlands nicht angetastet habe? Das möchte ich wissen. Sie mußten doch gewußt haben 1935, daß das nicht wahr war.

VON PAPEN: Aber Sir David, Sie verdrehen ja vollkommen was in diesem Bericht steht. Ich sage ja Hitler, daß das christliche Fundament Deutschlands nicht angetastet werden darf, das steht noch heute in diesem Bericht doch drin:

»Man soll den politischen Katholizismus ausschalten, ohne das christliche Fundament Deutschlands anzutasten.«

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Aber Sie sehen doch, wie es beginnt. Sie sagen, daß »... eine geschickte Hand, die... ausschaltet, ohne anzutasten...«

Ich will Ihnen etwas ins Gedächtnis zurückrufen. Haben Sie nicht in Ihrem Verhör ausgesagt, daß ihre Schwierigkeiten oder ein Teil ihrer Schwierigkeiten im Sommer 1934, bevor Sie die Marburger Rede gehalten haben, auf die Nichterfüllung des Konkordats zurückzuführen war, daß es, nachdem es mit Zustimmung Hitlers unterzeichnet war, »nur als Fetzen Papier behandelt wurde und ich nichts dagegen tun konnte«. Dann kam die Verfolgung der Kirche und auch der Juden zur selben Zeit, das war die Zeit in den Jahren 1933/1934. War das Ihre Ansicht im Jahre 1934, daß »nicht nur das Konkordat wie ein Fetzen Papier behandelt worden war, sondern daß auch die Verfolgung der Kirchen und Juden stattfand«?

VON PAPEN: Ich weiß nicht, aus welchem Dokument Sie zitieren momentan, Sir David.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich zitiere von Ihrem Verhör vom 19. September 1945 morgens.

VON PAPEN: Ja, natürlich, es war meine Ansicht, als ich die Marburger Rede hielt, daß gegen alle diese Dinge vom Staat verstoßen wurde, sonst hätte ich ja diese Rede nicht gehalten. Aber in dieser Rede, Sir David, habe ich nochmals ausdrücklich betont, daß kein europäischer abendländischer Staat bestehen kann ohne das christliche Fundament, und daß wir uns selbst aus der Reihe der christlichen Völker und aus unserer Mission in Europa ausschalten, wenn wir auf unsere christliche Basis verzichten. Deutlicher kann ich es doch nicht sagen. Und ich werde Ihnen vielleicht noch etwas anderes sagen zum politischen Katholizismus. Sie haben bei...

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Machen Sie es, wie Sie wollen. Ich wollte vermeiden, daß der Gerichtshof mit all dem belastet wird, was zwischen Ihnen und Monsignore Kaas vorging, denn Sie beide haben ja sich sehr harter Worte bedient, und es würde nicht gut klingen, wenn ich es jetzt wiederholen wollte. Wenn Sie auf diese Dinge eingehen wollen, dann können Sie es tun, aber beginnen Sie damit nur, wenn Sie müssen.

VON PAPEN: Ich empfinde diesen Vorwurf, den Sie mir machen, als einen der ungeheuerlichsten, weil er gegen meine ganze Auffassung verstößt.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Angeklagter! Sie erinnern sich doch, daß Sie dem Gerichtshof vor der Pause mitgeteilt haben, daß Sie, als Sie nach Österreich kamen, Kardinal Innitzer Hitler vorgestellt haben. Sie erinnern sich der Erklärung, auf welche Herr Dr. Kubuschok hinwies, daß Kardinal Innitzer in einer Rundfunkansprache von Rom aus klarmachte, daß er die Nazi-Herrschaft in Österreich nur unter gewissen Bedingungen annehme. Erinnern Sie sich daran?

VON PAPEN: Jawohl.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich möchte nur, daß Sie sich ansehen, was mit Kardinal Innitzer geschehen ist.

Es ist ein neues Dokument, Euer Lordschaft, D-903, das GB-508 wird. Es ist eine eidesstattliche Erklärung eines Geistlichen namens Dr. Weinbacher, die ich erst am 7. Juni aus Wien erhalten habe.

Nun, Sie werden sehen, was dieser Geistliche sagt – ich nehme jedenfalls an, daß es ein Geistlicher ist – der Sekretär des Erzbischofs im Domkapitel. Wollen wir es uns nun ansehen?

»Am 8. Oktober 1938« – etwas mehr also als sechs Monate nachdem Sie eine Zusammenkunft zwischen Kardinal Innitzer und Hitler zustandegebracht hatten – »ereignete sich ein schwerer Überfall jugendlicher Demonstranten auf das erzbischöfliche Palais in Wien. Ich habe ihn miterlebt und kann ihn deshalb aus eigener Anschauung schildern.«

Dann beschreibt er, wie sie Fensterscheiben eingeschlagen und das Tor erbrochen haben. Die Priester nahmen den Erzbischof in ein rückwärtiges Zimmer und versteckten ihn dort. Sie brachten den Kardinal im Matrikelarchiv in Sicherheit und schlossen die eiserne Türe hinter ihm und

»... dann nehmen wir zwei Priester, die wir uns einer Menge von Eindringlingen gegenüber sehen, Aufstellung vor der Türe der Hauskapelle des Kardinals, um wenigstens hier eine Zerstörung zu verhindern.«

Euer Lordschaft, das ist etwa zehn Zeilen von unten.

»Kurz nachdem wir bei der Kapelle angelangt sind, stürmen schon die Eindringlinge in die Räume des Kardinals, an die die Kapelle angrenzt. Gleich bei der Türe wehren wir sie ab, Holzstücke fliegen in die Kapelle herein, ich erhalte einen Stoß, daß ich stürze, doch können wir den Eintritt in die Kapelle verwehren. Die Demonstranten sind Jugendliche im Alter von 14 bis 25 Jahren, etwa 100 an der Zahl. Nachdem wir den ersten Trupp abgewehrt haben, öffnen wir den Tabernakel und konsumieren die hl. Hostien, um das Allerheiligste vor Verunehrung zu schützen. Aber schon stürzen neue Eindringlinge heran, die wir abwehren. Inzwischen geht in den übrigen Räumen eine Zerstörungswut, die nicht zu beschreiben ist, gegen alle Einrichtung vor sich. Mit den Messingstangen, die den Teppich im Stiegenhaus halten, zerschlagen die Burschen Tische und Stühle, Lüster und wertvolle Bilder, besonders alle Kreuze.«

Dann beschreibt er, wie die Spiegeltüren der Kapelle und so weiter eingeschlagen werden. Und dann war großer Tumult, als der Kardinal entdeckt wurde. Dieser Geistliche selbst wurde von ungefähr sechs Leuten aus der Kapelle herausgezogen und durch das Nebenzimmer an das Fenster hingeschleppt mit Rufen: »Den Hund schmeißen wir beim Fenster aussi!«

Endlich kam die Polizei, und Sie werden sehen, was diese als gebührende Wiedergutmachung ansah.

»Zunächst kommt ein Polizeioberstleutnant und entschuldigt sich, dann erscheint ein Vertreter der Geheimen Staatspolizei und drückt mit einem Aber sein Bedauern aus, die Polizisten hätten kein Animo einzuschreiten.

Inzwischen hatten andere Demonstranten einen Angriff auf das Haus der Dompfarre, Stefansplatz 3, unternommen und dort den Domkuraten Krawarik aus dem Fenster in den Hof geworfen. Mit einem beiderseitigen Oberschenkelbruch lag dieser Priester bis Februar im Krankenhaus.«

Nun möchte ich, daß Sie sich den vorletzten Absatz ansehen:

»Daß die Demonstration nicht jugendlicher Übermut oder ein Ausfluß der Erbitterung war, sondern ein wohldurchdachter und von den offiziellen Stellen gewußter Plan war, geht klar aus der Rede des Gauleiters Bürckel hervor, der am 13. Oktober auf dem Heldenplatz den Kardinal in der tiefstehendsten Art als den Schuldigen hinstellte.«

Nun, Herr von Papen! Sie hatten eine große Verantwortung gegenüber dem Kardinal Innitzer, nicht wahr? Sie hatten ihn Hitler vorgestellt. Sie mußten durch die Verzweigungen und Verbindungen der katholischen Kirche von diesem Anschlag auf das Haus des Kardinals sechs Monate nach dem Anschluß gehört haben. Sie mußten doch davon gehört haben?

VON PAPEN: Gehört davon später, ja, ja.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Welche Proteste haben Sie erhoben, als Sie von diesem schändlichen Angriff auf Hauptwürdenträger der Kirche erfuhren, bei dem ein Domkurat aus dem Fenster geworfen wurde und beide Oberschenkel brach, die Kapelle entweiht und Kruzifixe zerbrochen wurden. Welche Proteste haben Sie dagegen erhoben?

VON PAPEN: Ich möchte Sie daran erinnern, Sir David, daß ich seit einem halben Jahr, mehr als einem halben Jahr, aus dem Dienst ausgeschieden war, daß ich mit diesen Sachen überhaupt nichts mehr zu tun hatte und daß selbstverständlich die Einzelheiten dieses Vorfalls ja in höchstem Maße bedauerlich und ja verbrecherische Überfälle waren. Aber die Einzelheiten haben in der deutschen Presse nicht gestanden, so daß ich sie wahrscheinlich hier zum ersten Male in dieser Form sehe. Lassen Sie mich folgendes noch sagen...

VORSITZENDER: Aber, Angeklagter, Sie haben nicht auf die Frage geantwortet. Die Frage war, was für Proteste Sie dagegen erhoben haben.

VON PAPEN: Ich habe keine Proteste gemacht, ich war ja damals in keiner offiziellen Funktion mehr, ich war ja ein Privatmann, und ich habe öffentlich über diese Dinge damals nur das erfahren, was die deutschen Zeitungen darüber bringen durften.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Aber, Angeklagter, Sie haben uns doch erzählt, daß Sie einer der führenden Katholiken Deutschlands waren. Sie wollen doch dem Gerichtshof nicht erzählen, daß es in der katholischen Kirche nicht jeder Bischof in Deutschland und wahrscheinlich auch jeder Pfarrer wußte, daß diese abscheuliche und entwürdigende Beleidigung einem Fürsten der Kirche in seinem eigenen Hause in Wien zugefügt worden war. Das muß sich doch in der ganzen Kirche im Laufe weniger Tage herumgesprochen haben.

VON PAPEN: Das ist durchaus möglich, Sir David. Aber verlangen Sie denn von mir als Privatmann, irgendeine Aktion zu machen? Was sollte ich denn tun? Das Gericht hat nicht Kenntnis genommen von der Unterhaltung, die auf meine Veranlassung zwischen Kardinal Innitzer und Hitler zustande gekommen ist. Sie haben sie zum ersten Male heute erwähnt hier.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Das ist gerade der Grund, weshalb ich Ihnen diesen Vorfall vorhalte, da Sie ja für das Zustandekommen der Zusammenkunft zwischen Kardinal Innitzer und Hitler im März 1938 verantwortlich waren. Als nun seine Eminenz im Oktober angegriffen wurde, dächte ich – obschon es mir kaum zusteht, meine Gedanken zu äußern – dächte ich, daß Sie sich vielleicht die Mühe genommen hätten, bei Hitler zu protestieren. Was Sie jedoch tun ist, daß Sie innerhalb von sechs Monaten, also im April 1939, eine andere Stellung unter Hitler annehmen.

Ich frage Sie nun, warum haben Sie nicht Protest erhoben? Sie hätten doch an Hitler schreiben können. Der Angeklagte Göring hat doch seine großen religiösen Interessen zum Ausdruck gebracht. Eine ganze Anzahl von den Angeklagten hat gesagt, daß sie große religiöse Sympathien hätten. Warum konnten Sie sich nicht mit ihnen in Verbindung setzen?

VON PAPEN: Weil ich im Herbst 1938 mich von sämtlichen politischen Geschäften zurückgezogen habe und auf dem Lande gelebt habe und mich überhaupt nicht um die politischen Angelegenheiten mehr gekümmert habe. Aber vielleicht darf ich sagen, warum und weshalb ich die Besprechung mit dem Kardinal Innitzer veranlaßt habe.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nein, das ist nicht der Punkt, der mich im Moment interessiert, die Besprechung vom 15. März. Mich interessiert nur die Tatsache, daß dies geschah, daß Sie davon wußten und keinen Protest erhoben haben.

Nun will ich auf einen anderen Punkt kommen. Dr. Kubuschok kann, wenn er wünscht, es später behandeln.

Angeklagter, Sie haben gehört, daß eine Anzahl Ihrer Mitangeklagten als Zeugen ausgesagt haben, sie hätten von den schrecklichen Unterdrückungsmaßnahmen, die in Deutschland getroffen worden waren, nichts gewußt. Sie wußten doch von diesen Unterdrückungsmaßnahmen? Sie wußten von der Tätigkeit der Gestapo, von den Konzentrationslagern, und später wußten Sie auch von der Vernichtung der Juden, nicht wahr?

VON PAPEN: Ich habe darüber nur soviel gewußt, daß in diesen Konzentrationslagern im Jahre 1933 und 1934 politische Gegner untergebracht waren. Ich habe sehr häufig gegen die Methoden der Konzentrationslager Vorstellungen erhoben. Ich habe in verschiedenen Fällen Leute aus diesen Lagern befreit; aber es ist mir zu jener Zeit nicht bekannt gewesen, daß auch Morde in diesen Lagern vorgekommen sind.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wir wollen einmal näher darauf eingehen. Es wird gut sein, ein konkretes Beispiel anzuführen.

VON PAPEN: Ja.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie erinnern sich, daß anfangs 1935 Ihr Sekretär, Herr von Tschirschky, von Wien nach Berlin zurückbeordert wurde, um von der Gestapo vernommen zu werden. Erinnern Sie sich daran?

VON PAPEN: Jawohl.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Und Sie erinnern sich, daß er sich weigerte, hinzugehen und Ihnen einen eingehenden Bericht über seine Gründe, nicht zu gehen, übersandte? Erinnern Sie sich daran?

VON PAPEN: Ja.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wir wollen den Bericht nur ganz kurz ansehen.

Es ist das Dokument D-685, Euer Lordschaft, das GB-509 wird. Euer Lordschaft finden es auf Seite 87 des Dokumentenbuches 11a, Seite 60 des deutschen Dokumentenbuches.

Auf Seite 87 finden Sie Herrn von Tschirschkys eigenhändigen Brief an Sie, in dem er am Ende des zweiten Absatzes sagt:

»Ich bin nicht in der Lage,... der Aufforderung der Gestapo, in Berlin zur Vernehmung zu erscheinen, nachzukommen.«

Und dann sagt er, daß – um seine eigenen Worte zu gebrauchen – »daß nicht nur der menschlich begreifliche Wunsch der Lebenssicherung« ihn zu diesem Entschluß bewogen hat, und er legt einen Bericht bei über das, was ihm am 30. Juni geschehen war, wodurch er auf die schwarze Liste der Gestapo gekommen sei. Erinnern Sie sich daran?

VON PAPEN: Jawohl.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Und um den Anfang zusammenzufassen, der beinahe komisch wäre, wenn nicht so ein schrecklicher Zustand geschildert würde; Ihr Sekretär, Herr von Tschirschky, wurde zur gleichen Zeit von zwei Gruppen von konkurrierenden Polizisten aus dem Reich – ich glaube, der Kriminalpolizei und der Gestapo – verhaftet. Es bestand große Gefahr für Herrn von Tschirschky und einige Polizisten, erschossen zu werden, bevor sie sich entscheiden konnten, wer ihn in Haft nehmen sollte.

Ich möchte, daß Sie nun zu der Stelle kommen, wo er verhaftet wird. Es ist auf Seite 65 der deutschen Übersetzung und Seite 89 der englischen Übersetzung, Euer Lordschaft.

Sie sehen, Angeklagter, es ist – glaube ich –, nachdem die Gestapo diesen Kampf um den Mord gewonnen und sich der Person des Herrn von Tschirschky bemächtigt hatte. Euer Lordschaft, es ist auf der Mitte der Seite 89:

Es wird ihm mitgeteilt, daß die andere Polizeigruppe der Gestapo folgt, und er sagt:

»... und die Fahrt ging in das Gebäude der Gestapo in der Prinz-Albrecht-Straße, durch einen Hof zu einem hinteren Eingang. Dort entstand wieder ein Wortwechsel zwischen den beiden Gruppen von Kriminalbeamten. Ich griff wieder in die Debatte ein und schlug als Weg zur Klärung des Mißverständnisses vor, daß je ein Herr der verschiedenen Gruppen zu einer hier im Hause be findlichen höheren Instanz ginge und entscheiden ließe, was zu geschehen hätte. Zu der Bewachung von mir und den beiden anderen Herren ständen ja dann noch drei Kriminalbeamte und vier SS-Männer zur Verfügung. Dieser Weg wurde eingeschlagen, die Herren kamen schließlich zurück, erklärten, das Mißverständnis habe sich aufgeklärt, wir könnten jetzt abtransportiert werden. Worauf wir auf einem längeren Wege durch das Gebäude ins Kellergeschoß gebracht wurden von drei SS-Männern ohne Begleitung des Kriminalbeamten. Dort wurden wir ohne jeden Kommentar abgeliefert und erhielten die Anordnung von den dort diensttuenden SS-Männern, uns auf eine in einem Gang an der Wand stehende Bank zu setzen. Es wurde uns zunächst untersagt, miteinander zu reden, und so verbrachte ich einige Stunden auf der Bank sitzend. Nähere Ausführungen über während dieser Stunden sich dort unten abspielende Ereignisse würden zu weit führen. Ich möchte mich daher wiederum nur auf den Fall der Erschießung einer sehr bekannten Persönlichkeit beschränken, von der in der Öffentlichkeit behauptet wird, sie habe Selbstmord begangen.

Die Persönlichkeit wurde in Begleitung dreier SS-Männer hereingebracht, an uns vorbeigeführt; Führer des Trupps war ein SS-Hauptsturmführer, klein, schwarz, mit Armeepistole in der Hand und in den zu unserem Gang parallel laufenden, vor den Zellen liegenden Gang gebracht. Ich hörte Kommandos: ›Türen bewachen‹, die Tür von unserem Gang in den anderen Gang wurde geschlossen, es fielen 5 Schüsse und sofort nach den Schüssen kam der Hauptsturmführer mit der noch rauchenden Pistole in der Hand aus der Tür wieder heraus, vor sich hinsagend: ›Das Schwein wäre erledigt.‹ In dem ganzen Raum herrschte fieberhafte Aufregung, man hörte erschreckte Rufe und Schreie aus den Zellen. Ein wachhabender SS-Mann, ein verhältnismäßig noch junger Bursche, war so erregt, daß er anscheinend die Gesamtsituation vergaß und mir bedeutete – mit den Fingern illustrierend –, daß der Betreffende durch drei Schüsse in die Schläfe und zwei in den Hinterkopf erledigt worden sei.«

Sie hatten doch eine ziemlich gute Vorstellung von den SS- und Gestapomethoden, nachdem Sie diesen Bericht von Tschirschky erhalten haben?

VON PAPEN: Ja, und Sie sehen ja auch, daß ich diesen Bericht...

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sagen Sie uns, bevor wir von diesem erbaulichen Auszug, den ich eben verlesen habe, auf etwas anderes übergehen, wer war denn diese wohlbekannte Persönlichkeit, die angeblich Selbstmord verübt haben soll, in Wirklichkeit aber mit drei Schüssen in die Schläfe und zwei Schüssen in den Hinterkopf ermordet wurde. Wer war diese bekannte Persönlichkeit?

VON PAPEN: Ich kann es nicht sagen, ich weiß es nicht.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie wollen behaupten, daß Herr von Tschirschky noch mehrere Monate zu Ihrem Stab gehörte und Ihnen nie gesagt hat, wer diese Persönlichkeit war?

VON PAPEN: Ich kann mich nicht erinnern, Sir David, daß er mit mir diese Sache erörtert hätte. Ich mag es auch vergessen haben. Jedenfalls eine von den Persönlichkeiten, die am 30. Juni umgekommen sind.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Einen Moment, Sie sagen, Sie mögen es auch vergessen haben. Meinen Sie, daß so schreckliche Begebenheiten wie diese Ihnen so geläufig waren, daß Sie sich nicht einmal an den Vorfall erinnern können, bei dem eine bekannte Persönlichkeit, die angeblich Selbstmord begangen hat, erschossen wurde? Denken Sie noch einmal darüber nach. Können Sie dem Gerichtshof wirklich nicht sagen, wer dieser Unglückliche war?

VON PAPEN: Wenn ich mich entsinnen würde, würde ich es gern tun. Ich habe keinen Grund, es zu verschweigen.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wir wollen nun dem Gerichtshof zeigen, wie Sie diesen Bericht an Hitler weitergeleitet haben. Sie haben doch angenommen, daß Herr von Tschirschky die Wahrheit sprach, nicht wahr, das sagten Sie doch?

VON PAPEN: Ja.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft, es ist Seite 86 des englischen Textes und Seite 58 des deutschen Dokumentenbuches, Angeklagter.

VORSITZENDER: Sir David! Wollen Sie untersuchen, was mit dem Mann geschehen ist, der den Bericht erstattet hat?

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich bitte um Entschuldigung. Ich werde das klären, Euer Lordschaft.

Angeklagter! Ehe wir darüber sprechen, was geschah, als er den Bericht erstattete; Herr von Tschirschky selbst wurde, glaube ich, in ein Konzentrationslager gebracht, sein Kopf wurde kahl geschoren und später, nach einer gewissen Zeit, wurde er entlassen und trat wieder in Ihre Dienste und verblieb in Ihren Diensten bis Februar 1935. Stimmt das, Angeklagter?

VON PAPEN: Ganz recht, jawohl.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft! Das ist die Geschichte bis zum Februar 1935. Dann wurde er gebeten, sich bei der Gestapo zu melden, und dann kam es zu dieser Korrespondenz.

Sie sehen Ihren Brief an Hitler vom 5. Februar, Dokument D-684, Beweisstück GB-510, in welchem Sie sagen:

»Wie gestern telegraphisch gemeldet, habe ich Herrn von Tschirschky die Ordre vom 2. ds. Mts. übermittelt mit der wiederholten Aufforderung, sich zum Termin der Gestapo am 5. Februar zu stellen.

Er hat mir alsdann die dienstliche Meldung gemacht, daß er der Ladung nicht Folge leisten werde, weil er überzeugt sei, daß er auf die eine oder andere Weise umgebracht werden solle. Die Gründe für seine Weigerung wird er in einem Bericht zusammenfassen, den ich nach Erhalt sofort vorlegen werde.

Ich habe Herrn von Tschirschky, den ich bereits für den Verlauf des Verfahrens vom Dienste suspendiert hatte, gestern endgültig seiner Dienststellung enthoben. Es ist selbstverständlich, daß ich sämtliche Beziehungen dienstlicher Natur abbrechen werde, sobald morgen die Übergabe von Akten etc. stattgefunden hat.«

Dann sagen Sie, daß Sie Herrn von Neurath gedrahtet haben und Tschirschky krankheitshalber beurlaubt haben. Sodann sehen Sie sich den letzten Abschnitt an:

»Nachdem ich wiederholt gebeten hatte, daß Herrn von Tschirschky Gelegenheit gegeben werde, sich vor dem ordentlichen Richter von den gegen ihn erhobenen Vorwürfen zu reinigen, muß ich es natürlich in höchstem Maße bedauern, daß die Angelegenheit nun diesen Ausgang nimmt. Ich habe nichts unversucht gelassen, um Herrn von Tschirschky zu veranlassen, auch den ihm angewiesenen Weg der Vernehmung durch die Gestapo zu gehen.«

Angeklagter! Ist es richtig, daß Sie nichts unversucht gelassen haben, um diesen Mann Ihres Stabes in den Tod zu senden, um von der Gestapo ermordet zu werden?

VON PAPEN: Ich glaube, es würde fair sein, Sir David, das Hohe Gericht auf die anderen Briefe hinzuweisen, aus denen hervorgeht, daß ich wiederholt, nicht nur einmal, Hitler gebeten habe, die Angelegenheit Tschirschky in einem ordentlichen Gerichtsverfahren untersuchen zu lassen.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Das ist ganz richtig. Darauf wurde in diesem Brief Bezug genommen.

VON PAPEN: Natürlich, aber lassen Sie mich zu Ende sprechen.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ganz richtig.

VON PAPEN: Nachdem das abgelehnt war und der Führer nicht darauf einging, ein ordentliches Gerichtsverfahren zu machen, hat er mich wissen lassen – Hitler –, daß er persönlich sich dafür einsetzen wird, die persönliche Verantwortung übernimmt, daß Herrn von Tschirschky nichts geschehen wird, wenn er durch die Gestapo vernommen wird. Das finden Sie in diesen Briefen. Der Führer hat ihm eine außerordentliche Sicherheit versprochen, falls er der Vernehmung durch die Gestapo folgt. Infolgedessen, nachdem das ordentliche Gerichtsverfahren abgelehnt war und Hitler zugesagt hat, daß Herrn von Tschirschky nichts geschehen soll, habe ich Herrn von Tschirschky gebeten, sich dieser Vernehmung zu unterziehen, denn die Anklage gegen ihn mußte ja irgendwie aufgeklärt werden. Aber ich glaube...

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wollen Sie noch einmal Ihren Brief vom 31. Januar ansehen, den Sie...

VORSITZENDER: Sir David! Ich glaube, daß Sie irgendwann den ganzen Brief vom 5. Februar, den Sie eben besprechen, vorlesen sollten.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Gewiß, Euer Lordschaft, ich will es tun. Ich bitte um Entschuldigung. Euer Lordschaft, ich will nichts auslassen. Ich versuchte nur, die Angelegenheit abzukürzen, doch werde ich alles verlesen, was Euer Lordschaft wünschen.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof sollte den ganzen Brief vor sich haben. Sie haben bei den Worten »heutigen Kurier zurückgereicht« in der Mitte aufgehört, und zwar mit Bezug auf seine Abmeldung.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Jawohl, Herr Vorsitzender. Mit Bezug auf die Meldung seiner Abmeldung an die österreichische Regierung:

»Bezüglich der Abmeldung bei der Österreichischen Regierung befürchte ich, daß, wenn ich ihn unvermittelt morgen abmelden werde, der Fall die öffentliche Dis kussion beschäftigen wird. Ich glaube, daß man diesen Skandal vermeiden sollte und deshalb Herrn von Tschirschky der Öffentlichkeit gegenüber zunächst krankheitshalber beurlauben, um ihn dann abzumelden.

Ich werde auf den Fall Tschirschky und seine Zusammenhänge mit anderen, hier in Wien spielenden Angelegenheiten der Gestapo noch in einem ausführlichen Bericht zurückkommen.«

Ich danke Euerer Lordschaft!

VORSITZENDER: Sie haben dann nach den Worten »Gestapo zu gehen« im nächsten Absatz aufgehört.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Jawohl. Ich will die ganze Sache nochmals verlesen: »Nachdem ich wiederholt gebeten hatte...«

VORSITZENDER: Nein, Sie haben das bereits bis zu den Worten »Gestapo zu gehen« verlesen, aber nicht weiter.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE:

»Wenn er jedoch bei dem Entschluß bleibt, sich der Vernehmung zu entziehen, obwohl ihm bekannt ist, daß dies den Ruin seiner gesellschaftlichen und materiellen Stellung für sich und die Familie bedeutet, und wenn er mir die Erklärung abgegeben hat, daß er auch in der Emigration niemals etwas tun werde, was dem Führer oder dem Lande schaden könne, so habe ich nur den Wunsch hinzuzufügen, daß alles vermieden werden möchte, was die Angelegenheit zu einem öffentlichen Skandal stempeln würde.«

Ich danke Euerer Lordschaft!

Nun, Angeklagter, Sie haben fünf Tage zuvor, am 31. Januar, Hitler zugesagt – Euer Lordschaft, dies ist Seite 84 des englischen Dokumentenbuches und Seite 55 unten und Seite 56 oben im deutschen Text:

»Herr von Tschirschky, den ich übrigens zunächst von seinem Dienst dispensiert habe, hat nun aus mehreren Quellen, die er – und leider auch ich – für glaubwürdig halte, erfahren, daß einige, der Geheimen Staatspolizei angehörenden Persönlichkeiten schon seit längerer Zeit planen, ihn unschädlich zu machen.«

Euer Lordschaft, dieses Dokument D-683 wird Beweisstück GB-511.