HOME

<< Zurück
|
Vorwärts >>

[Das Gericht vertagt sich bis 14.00 Uhr.]

Nachmittagssitzung.

VORSITZENDER: Sind Sie fertig, Sir David?

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft! Ich bin fertig.

VORSITZENDER: Will noch einer der Herren Anklagevertreter ein Kreuzverhör vornehmen?

[Keine Antwort.]

Dr. Kubuschok?

DR. KUBUSCHOK: Sie sind im gestrigen Kreuzverhör darauf hingewiesen worden, daß im Bericht an Hitler vom 27. Juli 1935 – britisches Dokumentenbuch 11a, Seite 79 – Sie darauf hinweisen, daß nach gerichtlichen Feststellungen führende reichsdeutsche Persönlichkeiten an den Gewaltmethoden im Juli 1934 in Österreich beteiligt gewesen seien. Sie haben in diesem Zusammenhang den Namen Habicht erwähnt. Ich möchte über die Persönlichkeit des Habicht einigen Aufschluß erhalten. Ist Habicht Reichsdeutscher gewesen?

VON PAPEN: Habicht war Reichsdeutscher und hatte seinen Sitz in München. Er war Landesinspekteur der gesamten Nationalsozialistischen Partei in Österreich. Das muß man folgendermaßen verstehen:

Die österreichische Partei hatte in Österreich selbst einen Gauleiter; aber von München, von der Reichsparteileitung aus, wurde die österreichische Partei durch einen besonders hierfür eingesetzten Landesleiter, Landesinspekteur Habicht, geleitet. Da diesem Mann die gesamte österreichische Partei unterstand, so war seine Stellung in der Partei selbstverständlich als führend zu bezeichnen. Man kann ihn also nicht als einen »liaison officer« bezeichnen, sondern als eine »führende reichsdeutsche Persönlichkeit«.

DR. KUBUSCHOK: Es sind Ihnen gestern im Kreuzverhör verschiedene Briefe vorgelegt worden, die Sie in der Zeit vom 4. bis 17. Juli 1934 an Hitler geschrieben haben. Diese Briefe bedürfen eines näheren Eingehens. Was war der Zweck der Briefe?

VON PAPEN: Ich bin dankbar, daß ich nochmals auf die Korrespondenz eingehen kann. Man muß die Situation betrachten, die damals vorlag. Bose erschossen, drei Mitarbeiter verhaftet, eine äußerst erregte Stimmung, und jeder, der irgendwie in Opposition gestanden hat, steht jetzt im Verdacht, mit dieser SA- Revolte in Verbindung zu stehen – etwa eine Stimmung wie nach dem 20. Juli 1944. Es muß daher erreicht werden als erstes Ziel, durch ein gerichtliches Verfahren sowohl den Fall Bose wie auch die anderen Fälle zu klären. Das verlange ich in meinem ersten Schreiben vom 4. Juli. Diese Rehabilitierung verlange ich auch in weiteren Briefen. Aber die Voraussetzung ist, daß zunächst mal festgestellt wird, daß wir nicht mit den SA-Verschwörern in irgendeinem Zusammenhang stehen.

DR. KUBUSCHOK: In den Briefen versichern Sie Hitler Ihrer Treue und Loyalität. Ist diese Form nicht erstaunlich nach den Vorgängen des 30. Juni?

VON PAPEN: Es mag den Außenstehenden erstaunlich erscheinen, aber nicht dem, der die hysterische Stimmung jener Tage kennt, denn damals wurde jeder, der überhaupt in Opposition gestanden oder der Kritik am System geübt hatte, zu einem Mitverschwörer gestempelt. Daher fand ich es angezeigt, durch eine derartige Briefform festzustellen, daß ich und die Vizekanzlei mit dieser Verschwörung nichts zu tun hatten.

DR. KUBUSCHOK: Der Herr Vertreter der Anklage entnimmt den Briefen lediglich den Wunsch nach Rehabilitierung Ihrer eigenen Person. Was haben Sie hierzu zu sagen?

VON PAPEN: Ich bitte das Hohe Gericht, diese Briefe zu betrachten. Darin ist festzustellen, daß ich immer wieder darauf hingewiesen habe, auch meine Mitarbeiter müssen unbedingt rehabilitiert werden. In dem Briefe vom 12. Juli, Seite 3, erkläre ich, daß die Ehre meiner eigenen Beamten auch meine eigene Ehre sei, und immer wieder wird von mir Aufklärung des Falles Bose gefordert.

DR. KUBUSCHOK: Was glaubten Sie, durch das von Ihnen vorgeschlagene Gerichtsverfahren erreichen zu können?

VON PAPEN: Ein Gerichtsverfahren hätte zweierlei Wirkung gehabt: Einmal wäre die Nichtbeteiligung am Putsche festgestellt worden, und daraus hätte sich zwangsläufig ergeben, daß die Verhaftung meiner Mitarbeiter und die Tötung Boses ein Willkürakt war, ein Akt, für den die Verantwortlichen zu bestrafen waren.

DR. KUBUSCHOK: Im Brief vom 14. Juli begrüßen Sie die Rechtfertigungsrede Hitlers vor dem Reichstag am 13. Juli. Was haben Sie hierzu zu sagen?

VON PAPEN: Ich darf bitten, den Text dieses Briefes zu betrachten. Ich begrüße darin die Niederschlagung der beabsichtigten zweiten Revolution. Darin ist noch keinesfalls eine Anerkennung der Gewaltakte zu sehen, die gegen Personen außerhalb des Kreises der Revolution begangen worden sind. Ferner ist folgendes zu bedenken: Die Ereignisse des 30. Juni zerfielen in zwei Teile, einmal: Hitler selbst hatte sich gegen die revoltierende SA gewandt. Daß eine derartige Revolte tatsächlich geplant war, das ist uns allen glaubhaft erschienen, denn die Gerüchte von einer zweiten Revolution gingen seit Wochen durch das Land. In Marburg habe ich bereits darauf hingewiesen. Die Revolte der SA-Führer, die praktisch eine Macht darstellten, konnte als eine Staatsgefahr angesehen werden, und die Exekutionen hatten sich gegen SA-Führer gerichtet, die besonders bekannt waren und deren Namen mit den Ausschreitungen von 1933 verbunden waren.

Der zweite Teil der Aktion hatte sich gegen Persönlichkeiten gerichtet außerhalb dieses Kreises. Langsam sickerten die einzelnen Fälle durch. Die Berechtigung zum Einschreiten gegen diese Persönlichkeiten wurde teilweise damit begründet, daß die Betroffenen in irgendeiner Verbindung mit den SA-Führern gestanden hätten und daß sie teilweise Widerstand geleistet hätten. Das mußte aufgeklärt werden; denn hier konnte auf ein Staatsnotrecht verwiesen werden, und hier konnte nicht von einem ordentlichen gerichtlichen Verfahren abgewichen werden. Daher mein Brief an Hitler vom 12. Juli, in dem ich ihn zu bestimmen suche, von dem ordentlichen Rechtswege nicht abzugehen. Ich warne ihn, sich mit diesen Vorgängen zu identifizieren, und ich verlange von ihm, wiederum Bezug nehmend auf den Fall Bose, dessen Rehabilitierung und das Gerichtsverfahren.

VORSITZENDER: Dr. Kubuschok! Die Briefe liegen uns vor.

DR. KUBUSCHOK: Ja, der Zweck des jetzigen Verhörs dient dazu, die Sachlage zu klären und die Form der Briefe zu erklären. Ich glaube aber, der Angeklagte hat schon so viel gesagt, daß wir jetzt zu einer weiteren Frage übergehen können.

Ihr Brief vom 17. Juli ist ohne Höflichkeitsformel unterschrieben und weicht auch in der übrigen Form von den anderen Briefen ab. Wie ist dies zu erklären?

VON PAPEN: Am 17. Juli mußte ich meine Versuche als gescheitert ansehen, eine gerichtliche Klärung zu erlangen. Nicht einmal meine Akten hatte ich zurückbekommen. Deshalb gebe ich es auf, weiter zu verhandeln, und es besteht kein Grund mehr, meine Demission auch nach außenhin bekanntzugeben.

DR. KUBUSCHOK: Zurückzustellen, meinen Sie.

Ich komme noch einmal auf ein Dokument zurück, das am heutigen Tage von der Englischen Anklage in Bezug genommen worden ist. Es handelt sich um Dokument 2248-PS, im englischen Dokumentenbuch 11a, Seite 99. Der Herr Vertreter der Englischen Anklage hat sich bemüht, von dem Angeklagten eine Aufklärung zu erhalten. Ich glaube, daß hier sprachliche Schwierigkeiten in der Übersetzung und überhaupt im Ausdruck die Verständigung erschwert haben. Ich werde den fraglichen Satz noch einmal verlesen und den Angeklagten bitten, eine Erklärung für diesen Satz abzugeben. Ich zitiere von Seite 99 des englischen Textes, zweiter Absatz von oben: »Die Art und Weise, wie sich Deutschland mit den...«

VORSITZENDER: Dr. Kubuschok! Darüber haben wir schon eine lange Erklärung gehört.

DR. KUBUSCHOK: Herr Präsident! Die Erklärung hat darunter gelitten, daß der Angeklagte die Übersetzung nicht richtig verstanden hat, beziehungsweise, daß der englische Herr Anklagevertreter den Angeklagten nicht richtig verstanden hat. Es ist nämlich die Form des deutschen Textes nicht sehr klar zu verstehen. Der Angeklagte wird hier eine Aufklärung sehr leicht schaffen können. Die Aufklärung geht soweit...

VORSITZENDER: Schon gut, fahren Sie fort.

DR. KUBUSCHOK:

»Die Art und Weise, wie sich Deutschland mit den politisch-religiösen Schwierigkeiten auseinandersetzt, die geschickte Hand, die den politischen Katholizismus ausschaltet und doch das christliche Fundament Deutsch lands nicht antastet, wird nicht nur entscheidende Rückwirkung auf England...«

und so weiter dann.

Bitte, erklären Sie den Sinn des soeben verlesenen Satzes.

VON PAPEN: Ja, ich habe damit Hitler sagen wollen: »Du mußt mit geschickter Hand zwar den politischen Katholizismus ausschalten, aber das religiöse Fundament darf unter keinen Umständen angetastet werden.« Von der geschickten Lösung dieser Frage...

VORSITZENDER: Hier handelt es sich gar nicht um Übersetzung. Die Stelle ist wörtlich so vorgelesen worden, wie sie uns vorliegt. Sir David Maxwell-Fyfe hat sie dem Angeklagten vorgelesen, und der Angeklagte hat darauf immer wieder Sir David die gleiche Antwort gegeben.

DR. KUBUSCHOK: Herr Präsident! Darf ich auf folgendes hinweisen: Der ganze Satz steht in der Zeitform des Futurum, der ganze Satz...

VORSITZENDER: Es ist uns eben von dem Dolmetscher wörtlich vorgelesen worden genau in denselben Worten wie in dem Buche, das uns vorliegt und in den Worten, die Sir David dem Angeklagten vorgehalten hat. Es gibt da überhaupt keine Frage von abweichenden Zeitformen.

DR. KUBUSCHOK: Herr Präsident! Es ist hier eine besondere sprachliche Schwierigkeit, weil nämlich in den ersten Worten »auseinandersetzen« und »ausschalten« das Präsens gebraucht wird im Zusammenhang mit dem späteren Futurum »wird«, und da ist nach deutschem Sprachgebrauch das Präsens auch als Futurum aufzufassen. Nach Ansicht des Herrn englischen Anklagevertreters waren die Worte »auseinandersetzen« und »ausschalten« als Vergangenheit aufzufassen, und das sind die Differenzen.

VORSITZENDER: Das ist nur ein Streit um Worte, um die Worte, die in dem Schriftstück vorkommen.

DR. KUBUSCHOK: Ja. Jetzt noch eine letzte Frage an den Zeugen: Es ist vorhin von der Rücksprache des Kardinals Innitzer bei Hitler in Wien die Rede gewesen. Was veranlaßte Sie dazu, diese Zusammenkunft Hitlers mit Kardinal Innitzer zu arrangieren?

VON PAPEN: Mit dem Einmarsch in Österreich und dem Anschluß Österreichs an das Reich, hatte Hitler ein katholisches Land Deutschland angeschlossen, und das Problem, das zu lösen war, war, dieses Land auch innerlich zu gewinnen. Das war nur möglich, wenn Hitler auf der religiösen Basis anerkannte, welche Rechte der Katholizismus in diesem Lande hatte. Und aus diesem Grunde habe ich eine Besprechung zwischen dem Kardinal Innitzer und Hitler herbeigeführt, um sicherzustellen, daß Hitler in der Zukunft in Österreich eine Politik führen werde, die auf christlicher Basis stand.

Mit der Herbeiführung dieser Unterredung glaubte ich, Österreich einen letzten Dienst leisten zu können. Das war der Grund.

DR. KUBUSCHOK: Ich beende damit das Verhör.

VORSITZENDER: Ich möchte noch zwei oder drei Fragen an Sie stellen.

Wann haben Sie zum erstenmal von der Ermordung von Juden gehört?

VON PAPEN: Ich glaube, Mylord, daß das im Kriege gewesen ist.

VORSITZENDER: Der Krieg hat doch sechs Jahre gedauert. Wann während des Krieges haben Sie das gehört?

VON PAPEN: Das kann ich mit Sicherheit nicht angeben, Mylord, auf meinen Eid, wann es gewesen ist.

VORSITZENDER: Können Sie das nicht genauer angeben?

VON PAPEN: Nein; unsere allgemeine Kenntnis war die, daß die Juden in Lager nach Polen abtransportiert werden; aber von einer vorsätzlichen Extermination der Juden, wie wir sie hier gehört haben, ist uns nichts bekannt gewesen.

VORSITZENDER: Was wissen Sie über den Zeugen Marchionini, dessen eidesstattliche Versicherung Ihr Anwalt vorgelegt hat. Was wissen Sie über ihn?

VON PAPEN: Marchionini, Mylord, ist ein sehr bekannter Professor, der in Ankara im Musterkrankenhaus angestellt ist und der auch der Arzt meiner Familie war.

VORSITZENDER: Haben Sie Ihre Dokumentenbücher vor sich?

VON PAPEN: Nein.

VORSITZENDER: Kann der Angeklagte Band 3 bekommen?