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[Pause von 10 Minuten.]

DR. FLÄCHSNER: Herr Speer! Wollen Sie dem Gericht bitte schildern, welche Umstände der Durchführung Ihrer Absichten entgegenstanden?

SPEER: Ich schildere Einzelheiten nur sehr ungern, weil derartige Dinge immer etwas Unsympathisches haben und tue es nur, weil es das Gericht wünscht.

DR. FLÄCHSNER: Bitte.

SPEER: Hitler hatte in dieser Zeit oft nach der militärischen Lage in seinem Bunker Besprechungen mit Ley, Goebbels und Bormann, die ihm damals besonders nahestanden, weil sie seinen Kurs der Radikalität unterstützten und mitmachten. Es war seit dem 20. Juli auch den engsten Mitarbeitern von Hitler nicht mehr möglich, diesen Bunker zu betreten, ohne daß die Taschen, die Aktentasche von der SS auf Sprengstoff untersucht wurden. Ich kannte als Architekt diesen Bunker genau. Dieser hatte eine Frischluftanlage, ähnlich wie sie hier auch eingebaut ist im Saale. Es war nicht schwer möglich, in die Ansaugöffnung der Frischluftanlage, die im Garten der Reichskanzlei war, das Gas zu bringen. Es mußte sich dann in kurzer Zeit durch diese Anlage im gesamten Raum, im gesamten Bunker verteilen. Ich habe daraufhin Mitte Februar 1945 den mir besonders nahestehenden Leiter meines Hauptausschusses Munition, Stahl, zu mir kommen lassen und habe ihm, da ich mit ihm bei den Zerstörungen schon eng zusammengearbeitet hatte, offen meine Absicht gesagt, wie aus seiner Zeugenaussage hervorgeht, und habe ihn gebeten, mir aus der Munitionsfertigung dieses moderne Giftgas zu besorgen. Er erkundigte sich bei einem seiner Mitarbeiter namens Oberstleutnant Soika vom Heereswaffenamt, wie man an dieses Giftgas herankommen kann und dabei stellte sich heraus, daß dieses neue Giftgas nur wirksam wird, wenn es zur Explosion gebracht wird, da dann die hohen Temperaturen erreicht werden, die zur Vergasung notwendig sind. – Ich weiß nicht, ob das zu sehr ins Detail geht.

Eine Explosion war aber nicht möglich, da diese Frischluftanlage aus dünnen Blechen bestand und durch die Explosion dieses Blech zerrissen worden wäre. Ich hatte daraufhin Besprechungen mit dem Obermonteur der Reichskanzlei, Hänschel, ab Mitte März 1945, und erreichte durch diese Gespräche, daß der Gasschutzfilter nicht mehr dauernd eingeschaltet war. Damit hätte ich eine normale Gassorte verwenden können. Natürlich hat Hänschel keine Kenntnis davon bekommen, warum ich diese Gespräche mit ihm führte. Als ich soweit war, besichtigte ich mit diesem Hänschel die Ansaugöffnung im Garten der Reichskanzlei und mußte dort feststellen, daß kurz vorher auf persönlichen Befehl Hitlers auf diese Ansaugöffnung ein vier Meter hoher Kamin gemauert war. Das ist heute noch dort festzustellen. Damit war die Durchführung dieses Planes nicht mehr möglich.

DR. FLÄCHSNER: Ich komme nun zu einem anderen Punkt, Herr Speer. Sie haben hier die Aussagen der Zeugen Riecke und Milch gehört. Sie haben bereits ausgesagt über Ihre Tätigkeit ab Mitte Februar 1945, die Sie für die Sicherung der Ernährung vorgenommen hätten. Was haben Sie hierzu zu sagen, über Ihre Tätigkeit in dieser Richtung?

SPEER: Ich kann ganz kurz hier sagen, daß die Vorzugsernährung, die ich schließlich durchgeführt habe, damals zu dem Zwecke gemacht wurde, um planmäßig vom Krieg auf den Frieden umzuschalten, und zwar auf Kosten der Rüstung, die ja von mir persönlich vertreten war. Es sind eine Unmenge Maßnahmen, die wir getroffen haben. Es würde zu weit führen, wenn sie hier aufgeführt würden. Die Erlasse sind alle noch erhalten. Es handelte sich darum, im Gegensatz zur offiziellen Politik dafür zu sorgen, daß die Städte kurz vor ihrer Besetzung mit Nahrungsmitteln genügend versorgt sind oder daß bei der Verkehrskatastrophe alle Maßnahmen getroffen werden, um die Ernte 1945 durch rechtzeitigen Transport des Saatgutes sicherzustellen, was gerade damals die brennendste Frage überhaupt war. Wenn das Saatgut einige Wochen zu spät gekommen wäre, wäre die Ernte sehr schlecht geworden. Diese Maßnahmen hatten natürlich für die Rüstung unmittelbar nachteilige Folgen, die nicht abmeßbar sind. Aber jedenfalls konnte die Rüstung aus ihren Reserven nur noch bis Mitte März etwa eine Produktion aufrechterhalten. Von da ab war keine nennenswerte Rüstungsproduktion mehr vorhanden. Das kommt daher, weil wir nur noch etwa 20 bis 30 Prozent des Verkehrsvolumens zur Verfügung hatten und bedingte eine Bevorzugung der Ernährungstransporte vor den Rüstungstransporten. Damit waren die Rüstungstransporte praktisch ausgeschaltet.

DR. FLÄCHSNER: Konnten die Maßnahmen, die ja doch eine öffentliche Auflehnung gegen die offiziellen Kriegspläne des Widerstandes bis zum letzten waren, in breitem Umfange durchgeführt werden; fanden sich denn überhaupt Leute dazu bereit, solche Maßnahmen, wie Sie sie vorschlugen, zu billigen und in die Wirklichkeit umzusetzen?

SPEER: Alle diese Maßnahmen waren gar nicht so schwer und gar nicht so gefährlich, als wie man sie sich vielleicht vorstellen würde. Denn in dieser Zeit ab Januar, 1945 konnte man jede vernünftige Maßnahme in Deutschland gegen die offizielle Politik durchführen. Jeder vernünftige Mann begrüßte derartige Maßnahmen und war zufrieden, wenn nur einer dafür die Verantwortung übernahm. Alle diese Besprechungen fanden in größerem Kreis von Fachleuten statt. Jeder der Beteiligten wußte, ohne daß es ausgesprochen wurde, was diese Befehle bedeuten. Ich hatte in dieser Zeit auch für ähnliche andere Maßnahmen einen sehr engen Kontakt mit den Staatssekretären des Verkehrsministeriums, des Ernährungsministeriums, des Propagandaministeriums und später sogar mit dem Staatssekretär der Parteikanzlei, also mit Bormann selbst. Sie waren alte Parteigenossen und taten trotzdem in diesem Augenblick ihre Pflicht dem Volk gegenüber in anderer Weise, wie das viele der führenden Leute der Partei taten. Ich unterrichtete sie laufend – gegen das Verbot Hitlers – über die Entwicklung der militärischen Lage, und so konnten wir gemeinsam vieles tun, um die wahnsinnigen Befehle dieser Zeit aufzuhalten.

DR. FLÄCHSNER: Auf welchem Gebiet nahmen Sie denn die Fortsetzung des Krieges als eine Gefährdung der weiten Öffentlichkeit des deutschen Volkes an?

SPEER: Mitte März 1945 setzten sich die gegnerischen Truppen wieder in Bewegung. Es war nun ganz klar, daß in kurzer Zeit die Gebiete, die noch nicht besetzt waren, besetzt werden mußten. Dazu gehörten auch Gebiete in Polnisch-Oberschlesien und andere außerhalb der Grenzen des Altreiches. Die befohlene Zerstörung aller Brücken bei Rückzügen war an sich die größte Gefahr, denn eine von Pionieren gesprengte Brücke ist viel schwerer wieder herzustellen, als eine durch Fliegerangriff beschädigte Brücke. Eine planmäßige Zerstörung der Brücken aber ist in einem modernen Staate mit der Vernichtung des ganzen Lebens gleichzusetzen. Außerdem aber wurden ab Ende Januar von den radikalen Parteikreisen Forderungen nach Zerstörung der Industrie erhoben, und Hitler war derselben Meinung. Ich ließ daher im Februar 1945 die Produktion und die Auslieferung von den sogenannten Industrie-Sprengstoffen einstellen. Damit sollten sich die Vorräte an Sprengstoffen in den Bergwerken und in privater Hand verringern. Dieser Befehl wurde auch durchgeführt, wie ein Zeuge von mir aussagt. Mitte März versuchten Guderian und ich erneut, die befohlenen Zerstörungen von Brücken auf ein Mindestmaß herabzusetzen. Hitler wurde ein Befehl vorgelegt; dieser lehnte ihn scharf ab und verlangte im Gegenteil verschärfte Befehle zur Sprengung aller Brücken. Er ließ gleichzeitig – und zwar am 18. März 1945 – acht Offiziere erschießen, weil sie bei der Zerstörung einer Brücke ihre Pflicht nicht erfüllt hatten und brachte diese Tatsache im Wehrmachtsbericht zur Kenntnis, um vor zukünftigen Fällen zu warnen. Dadurch war es außerordentlich schwer, die Befehle zur Brückenzerstörung zu umgehen. Ich übergab trotz des bestehenden Verbots am 18. März 1945 eine neue Denkschrift, deren Inhalt sehr eindeutig war und mit der ich ihm keine Ausreden über seine geplanten Maßnahmen mehr lassen wollte. Sie wurde zahlreichen seiner Mitarbeiter zur Kenntnis gebracht.

DR. FLÄCHSNER: Das Gericht findet diese Denkschrift (Exhibit Speer 23) im Auszug auf Seite 69 des englischen Textes des Dokumentenbuches.

Bitte, fahren Sie fort.

SPEER: Ich zitiere hier aus der Denkschrift etwas länger. Das ist Seite 69, Herr Präsident.

»Die feindliche Luftwaffe hat weiter mit Schwerpunkt die Verkehrsanlagen angegriffen. Dadurch sind die Wirtschaftstransporte erheblich abgesunken... Es ist daher in 4-8 Wochen mit dem endgültigen Zusammenbruch der deutschen Wirtschaft mit Sicherheit zu rechnen... Nach diesem Zusammenbruch kann der Krieg auch militärisch nicht fortgesetzt werden... Wir in der Führung haben die Verpflichtung, dem Volk in den schweren Stunden, die es erwarten muß, zu helfen. Wir haben uns dabei nüchtern – ohne Rücksicht auf unser Schicksal – die Frage vorzulegen, wie dies auch für eine fernere Zukunft geschehen kann. Wenn der Gegner das Volk und seine Lebensbasis zerstören will, dann soll er dieses Werk selbst durchführen. Wir müssen alles tun, um dem Volk, wenn vielleicht auch in primitivsten Formen, bis zuletzt seine Lebensbasis zu erhalten.«

Es folgen dann einige Forderungen von mir. Ich fasse sie kurz zusammen. Ich zitiere:

»Es muß sichergestellt werden, daß, wenn der Kampf weiter in das Reichsgebiet vorgetragen wird, niemand berechtigt ist, Industrieanlagen, Kohlenbergwerke, Elektrizitätswerke und andere Versorgungsanlagen, sowie Verkehrsanlagen, Binnenschiffahrtsstraßen usw. zu zerstören... Mit einer Sprengung der Brücken in vorgesehenem Ausmaß würden die Verkehrsanlagen nachhaltiger zerstört, als dies die Fliegerangriffe der letzten Jahre vermochten. Ihre Zerstörung bedeutet die Beseitigung jeder weiteren Lebensmöglichkeit des deutschen Vol kes.«

Ich zitiere noch kurz den Schluß der Denkschrift:

»Wir haben kein Recht dazu, in diesem Stadium des Krieges von uns aus Zerstörungen vorzunehmen, die das Leben des Volkes treffen könnten. Wenn die Gegner dieses Volk, das in einmaliger Tapferkeit gekämpft hat, zerstören wollen, so soll ihnen diese geschichtliche Schande ausschließlich zufallen. Wir haben die Verpflichtung, dem Volk alle Möglichkeiten zu lassen, die ihm in fernerer Zukunft wieder einen neuen Aufbau sichern könnte.«

Damit war klar genug ausgesprochen, was Hitler ohnehin wissen mußte; denn es gehörte wirklich nicht viel wirtschaftliche Einsicht dazu, um sich über die Folgen derartiger Zerstörungen für die weitere Zukunft des Volkes klar zu werden.

Hitler hat bei der Übergabe der Denkschrift deren Inhalt bereits gekannt, da ich sie mit einigen seiner Mitarbeiter durchgesprochen hatte. Daher sind seine Äußerungen hierzu bezeichnend für die Einstellung dieser grundsätzlichen Frage.

Ich hätte den schweren Vorwurf, daß er die Absicht hatte, das deutsche Volk mit in den Abgrund zu ziehen, hier nicht erhoben, wenn ich nicht in einem Schreiben vom 29, März 1945 seine Äußerungen darüber bestätigt hätte.

VORSITZENDER: Meinen Sie Mai oder März?

SPEER: März 1945, Herr Vorsitzender.

DR. FLÄCHSNER: Herr Präsident! Sie werden dieses Dokument auf Seite 75 des englischen Textes des Dokumentenbuches finden. Es ist auf Seite 72 des französischen Textes. Ich überreiche es als Exhibit Nummer 24. Es ist das Schreiben Speers an Hitler vom 29. März 1945.

Bitte, fahren Sie fort.

VORSITZENDER: Sollten Sie diesen Brief nicht verlesen?

DR. FLÄCHSNER: Ja, er möchte ihn selbst verlesen.