[Zum Zeugen gewandt:]
Wollen Sie ihn verlesen?
SPEER: Ich zitiere:
»Als ich Ihnen am 18. März meine Schrift übergab, war ich der festen Überzeugung, daß die Folgerungen, die ich aus der gegenwärtigen Lage zur Erhaltung unserer Volkskraft zog, unbedingt Ihre Billigung finden werden. Denn Sie hatten selbst einmal festgelegt, daß es Aufgabe der Staatsführung ist, ein Volk bei einem verlorenen Krieg vor einem heroischen Ende zu bewahren.
Sie machten mir jedoch am Abend Ausführungen, aus denen – wenn ich Sie nicht mißverstanden habe – klar und eindeutig hervorgeht: Wenn der Krieg verloren geht, wird auch das Volk verloren sein. Dieses Schicksal ist unabwendbar. Es sei nicht notwendig, auf die Grundlagen, die das Volk zu seinem primitivsten Weiterleben braucht, Rücksicht zu nehmen. Im Gegenteil sei es besser, selbst diese Dinge zu zerstören. Denn das Volk hätte sich als das schwächere erwiesen und dem stärkeren Ostvolk gehöre dann ausschließlich die Zukunft. Was nach dem Kampf übrigbleibe, seien ohnehin nur die Minderwertigen; denn die Guten seien gefallen.«
Ich zitiere weiter:
»Nach diesen Worten war ich zutiefst erschüttert. Und als ich einen Tag später den Zerstörungsbefehl und kurz danach den scharfen Räumungsbefehl las, sah ich darin die ersten Schritte zur Ausführung dieser Absichten....«
DR. FLÄCHSNER: Ich darf hierzu bemerken, ich reiche als Speer-Dokument den Zerstörungsbefehl Hitlers vom 19. März 1945 ein, das Gericht findet ihn auf Seite 73 des französischen und Seite 76 des englischen Textes des Dokumentenbuches.
Ich reiche ferner ein den Durchführungsbefehl für Verkehr und Nachrichtenwesen auf Seite 78 des englischen Textes, Seite 75 des französischen Textes, als Speer-Exhibit Nummer 26.
Und dann den Zerstörungs- und Räumungsbefehl Bormanns vom 23. März 1945, der sich in meinem Dokumentenbuch auf Seite 102 befindet. Das letztere Schriftstück trägt die Bezeichnung Speer-Exhibit Nummer 27.
Herr Speer! Da es sich um einen Befehl mit Fachausdrücken handelt, wollen Sie bitte deren Inhalt kurz zusammenfassend dem Gericht wiedergeben?
VORSITZENDER: Sie sagten, der letzte sei auf Seite 102 des zweiten Bandes, in meiner Kopie ist das ein Dokument des Generals Guderian vom 15. Dezember 1944.
DR. FLÄCHSNER: Nein, Herr Präsident, ich bitte vielmals um Verzeihung, ich habe mich versehen, es ist nicht Seite 102, sondern Seite 93 und 94. Ich bitte um Entschuldigung, ich habe das Dokument auch erst heute bekommen.
Herr Speer! Wollen Sie diese Befehle kurz erläutern?
SPEER: Ich kann kurz zusammenfassen. Den Gauleitern war damit befohlen die Zerstörung aller Industrieanlagen, aller wichtigen Elektrizitäts-, Wasser- und Gaswerke und so weiter, aber auch der Lebensmittel- und Bekleidungslager. Ich war mit meinem Weisungsrecht durch diesen Befehl ausdrücklich ausgeschaltet, und alle meine Weisungen zur Erhaltung der Industrie waren aufgehoben.
Die militärischen Stellen hatten befohlen: die Zerstörung aller Brücken, darüber hinaus auch der gesamten Bahnanlagen, der Postanlagen, der Nachrichtenanlagen in der Reichsbahn; aber auch der Wasserstraßen, aller Schiffe, aller Waggons und aller Lokomotiven.
Das Ziel war, wie in einem der Erlasse steht, das Schaffen einer Verkehrswüste.
Durch den Erlaß Bormanns sollte die Bevölkerung in das Innere des Reiches abtransportiert werden, und zwar sowohl im Westen wie im Osten. Hierzu sollten auch die ausländischen Arbeiter und die Kriegsgefangenen gehören. Diese Millionen von Menschen sollten im Fußmarsch auf die Wanderschaft geschickt werden. Eine Versorgung zur Sicherung ihrer Existenz war nicht getroffen und konnte bei dieser Lage auch nicht getroffen werden.
Die Durchführung dieser Befehle mußte eine unvorstellbare Hungerkatastrophe zur Folge haben. Dazu ging am 19. März 1945 ein scharfer Befehl Hitlers an alle Heeresgruppen und an alle Gauleiter heraus, daß der Kampf ohne Rücksicht auf die eigene Bevölkerung zu führen sei.
Mit der Durchführung dieser Befehle Hitlers wäre sein Wort vom 18. März in Erfüllung gegangen: Es sei »nicht notwendig, auf die Grundlagen, die das Volk zu seinem primitivsten Weiterleben braucht, Rücksicht zu nehmen, im Gegenteil sei es besser, selbst diese Dinge zu zerstören«. Bei der Disziplin, die in Deutschland bezüglich jeden Befehls – ganz gleich welchen Inhalts – geübt wurde, war seine Durchführung zu erwarten. Diese Befehle galten auch für die Gebiete, die dem Großdeutschen Reich angegliedert waren.
Ich habe nun in offener Weise durch Reisen in die zunächst gefährdeten Gebiete und durch Rücksprache mit meinen Mitarbeitern versucht, die Durchführung dieser Befehle zu verhindern. Ich habe angeordnet, daß der noch vorhandene Sprengstoff im Ruhrgebiet in den Kohlenschächten versenkt wurde, daß die Sprengstoffvorräte, die auf den Baustellen waren, verborgen wurden.
Wir haben Maschinenpistolen an die wichtigsten Werke verteilt, damit sie sich gegen die Zerstörungen wehren können. Das klingt alles etwas übertrieben, aber es war damals die Situation so, daß, wenn ein Gauleiter gewagt hätte, im Ruhrgebiet an die Kohlenbergwerke zu gehen und dort nur eine Maschinenpistole zur Verfügung stand, dann wäre geschossen worden.
Ich versuchte, die örtlichen Befehlshaber der Heeresgruppen von der Unsinnigkeit der ihnen übertragenen Brückensprengungen zu überzeugen, und weiter konnte ich durch Rücksprache mit den örtlichen Stellen die befohlenen Evakuierungen zum größten Teil verhindern. Hier hat auch der Staatssekretär in der Parteikanzlei, Klopfer, ein Verdienst dadurch, daß er Räumungsbefehle an die Gauleiter zum großen Teil aufhielt.
Als ich von der Reise zurückkehrte, wurde ich sofort zu Hitler bestellt. Es war am 29. März 1945. Ich hatte mich mit Absicht so offen seinen Befehlen widersetzt und mit vielen seiner Gauleiter über den verlorenen Krieg gesprochen, daß ihm meine Widersetzlichkeit bekanntwerden mußte. Es sind Zeugen aus dieser Zeit vorhanden, die wissen, daß ich auch das erreichen wollte.
Ich wollte ihn nicht hinter seinem Rücken betrügen. Ich wollte ihn vor die Alternative stellen. Er erklärte mir zu Beginn der Besprechung, er habe von Bormann Berichte, daß ich den Krieg als verloren ansähe und mich offen gegen sein Verbot ausgesprochen habe. Er verlangte von mir eine Erklärung, daß ich den Krieg nicht als verloren ansähe. Ich erklärte ihm: »Der Krieg ist verloren.« Er gab mir 24 Stunden Bedenkzeit. In dieser Zeit entstand der Brief, der aus dem Auszug zitiert wurde und der in vollem Wortlaut dem Gericht übergeben wurde.
Nach dieser Bedenkzeit wollte ich ihm den Brief als Antwort abgeben. Er verweigerte mir die Annahme. Ich erklärte ihm darauf, daß er mit mir auch in der Zukunft rechnen könne und erreichte dadurch, daß er mir den Vollzug der Zerstörungen wieder übertrug.
DR. FLÄCHSNER: Ich darf hierzu auch den Befehl Hitlers vom 30. März 1945, den das Gericht auf Seite 83 des englischen Textes und auf Seite 79 des französischen Textes des Dokumentenbuches findet, als Exhibit Nummer 28 einreichen.
Was haben Sie auf Grund dieses neuen Befehls veranlaßt?
SPEER: Der Text war von mir aufgesetzt, und er gab mir die Möglichkeiten, die befohlenen Zerstörungen zu umgehen. Ich gab sofort einen Befehl heraus, der alle meine alten Befehle zur Schonung der Industrie wieder in Kraft setzte. Ich verzichtete dabei darauf, diesen neuen Erlaß von mir Hitler zur Genehmigung vorzulegen, obwohl er sich das in seinem Befehl ausdrücklich vorbehalten hatte.
Entgegen der Zusage, die ich ihm machte, daß ich bedingungslos hinter ihm stehe, fuhr ich bereits am nächsten Tag zu Seyß-Inquart, der es hier ausgesagt hat, und zu zwei Gauleitern, um auch diesen zu erklären, daß der Krieg verloren sei, und mit ihnen die Konsequenzen zu besprechen.
Ich fand dabei bei Seyß-Inquart großes Verständnis. Sowohl mein Erlaß zur Verhinderung der Zerstörungen wie auch meine Besprechungen waren gegen meine Zusicherung, die ich Hitler am 29. März gegeben hatte. Ich hielt das für meine selbstverständliche Pflicht.
DR. FLÄCHSNER: Ich überreiche als Speer-Exhibit 29 die Durchführungsbestimmungen Speers vom 30. März zu dem vorerwähnten Befehl. Das ist im deutschen und französischen Text des Dokumentenbuches auf Seite 81, im englischen Dokumentenbuch auf Seite 85.
SPEER: Trotzdem blieben die Befehle zur Zerstörung der Brücken weiter in Kraft, und man kann die Folgen davon überall in Deutschland, Österreich, Polen und so weiter sehen. Ich unternahm zahlreiche Frontreisen und hatte viele Besprechungen mit den Befehlshabern der Fronttruppen hierüber, und vielleicht wurde dadurch die eine oder andere Erleichterung erreicht. Schließlich erreichte ich bei dem Chef der Nachrichtentruppen am 3. April 1945, daß er wenigstens durch einen neuen Befehl die Zerstörung der Nachrichtenanlagen, der Post, der Reichsbahn und der Rundfunksender verbot.
Schließlich gab ich am 5. April sechs OKW-Befehle unter dem Namen des Generals Winter heraus, der hier als Zeuge war. Durch diese Befehle sollte die Erhaltung wichtiger Bahnlinien erreicht werden. Die Befehle sind noch vorhanden.
Ich gab diese Befehle über meine Befehlswege und über die der Reichsbahn heraus. Bei dem Befehlsdurcheinander, das in dieser Zeit herrschte, mußten derartige Befehle, zu denen ich nicht ermächtigt war, sie zu geben, wenigstens eine verwirrende Wirkung haben.
DR. FLÄCHSNER: Herr Speer! Es sind eine Reihe weiterer Versuche von Ihnen, den Krieg abzukürzen, in der Presse bekanntgeworden. Können Sie diesen Komplex, was dort in der Presse angedeutet worden ist, hier kurz zusammengefaßt, dem Gericht schildern?
SPEER: Ich möchte mich mit den Dingen, die nicht gelungen sind, nicht zu lange aufhalten. Ich habe mehrmals versucht, Himmler und andere aus der Regierung auszuschalten und sie zu zwingen, sich für ihre Tätigkeit zu verantworten. Zur Durchführung dieser und anderer Pläne hatten sich mir acht Frontoffiziere angeschlossen, die alle hohe Auszeichnungen hatten. Unter ihnen waren die zwei bekanntesten Flieger Deutschlands, Galland und Baumbach. Der Staatssekretär im Propagandaministerium ermöglichte mir am 9. April, kurz über alle deutschen Sender zu sprechen. Es waren alle Vorbereitungen getroffen. Goebbels hörte im letzten Augenblick davon und verlangte die Genehmigung des Textes durch Hitler, dem ich einen stark abgeänderten Text vorlegte. Er verbot auch diesen stark abgeänderten Text.
Am 21. April 1945 hatte ich die Möglichkeit, im Hamburger Funkhaus zunächst eine Rede auf Schallplatten zu sprechen. Diese sollte als Anweisung für die Schlußphase gesendet werden. Die aufnehmenden Beamten verlangten aber, daß die Rede erst nach dem Tode Hitlers und damit nach dem Erlöschen ihres Eides gesandt wird.
Ich hatte weiter Verbindung mit dem Chef des Stabes einer Heeresgruppe im Osten, der Heeresgruppe Weichsel. Wir waren uns darüber im klaren, daß ein Kampf um Berlin nicht stattfinden darf, daß die Armeen entgegen dem Befehl an Berlin vorbeimarschieren sollen. Zunächst ist dieser Befehl auch durchgeführt worden. Danach waren von Hitler verschiedene Beauftragte nach außerhalb von Berlin geschickt worden mit Sondervollmachten, denen es gelang, einige Divisionen nach Berlin hereinzuführen. Aber die ursprüngliche Absicht, ganze Armeen nach Berlin zu führen, ist dadurch nicht durchgeführt worden. Der Chef des Stabes, mit dem ich diese Besprechungen hatte, war General Kinzler.
DR. FLÄCHSNER: Hatten denn diese Bestrebungen Anfang April und später überhaupt noch einen Sinn?
SPEER: Ja. Wir rechneten mit einer längeren Dauer des Krieges, denn auch Churchill prophezeite damals das Kriegsende auf Juli 1945.
DR. FLÄCHSNER: Sie haben erklärt und hier geschildert, wie sehr Sie sich für die Erhaltung der Fabriken und anderer Wirtschaftsanlagen eingesetzt haben. Haben Sie sich für die ausländischen Arbeiter auch eingesetzt?
SPEER: Meine Verantwortung lag auf dem Gebiet der industriellen Anlagen. Ich fühlte mich daher in erster Linie verpflichtet, mein Aufgabengebiet unzerstört zu übergeben. Trotzdem sollten verschiedene meiner Bemühungen auch den ausländischen Arbeitskräften zugute kommen. Einmal waren die ausländischen Arbeiter und Kriegsgefangenen durch meine Sicherung der Ernährung der letzten Phase bestimmt auch mit die Nutznießer.
Zweitens habe ich bei örtlichen Besprechungen zur Verhinderung von Sprengungen im Gegensatz zu den vorhandenen Evakuierungsbefehlen der Partei darauf eingewirkt, daß die Ausländer und Kriegsgefangenen an Ort und Stelle bleiben. Derartige Besprechungen haben im Saargebiet am 18. März und im Ruhrgebiet am 28. März zum Beispiel stattgefunden. Anfang März machte ich den Vorschlag, 500000 Ausländer aus dem Reich in die Gebiete zurückzuführen, die noch in unserem Besitz waren, also die Holländer nach Holland und die Tschechen nach der Tschechoslowakei. Jedoch lehnte die Reichsbahn die Verantwortung für diese Transporte ab, da das Verkehrssystem bereits so zerstört war, daß dieser Plan nicht mehr durchführbar war. Schließlich habe ich sowohl mit meiner beabsichtigten Rede vom 9. April über die deutschen Sender wie auch bei der versuchten Hamburger Rede auf die Pflichten hingewiesen, die wir den Ausländern, Kriegsgefangenen und auch den Häftlingen aus den Konzentrationslagern gegenüber in dieser letzten Phase haben.
DR. FLÄCHSNER: Ich darf hierzu, Herr Präsident, auf Seite 88 des englischen Textes des Dokumentenbuches, Seite 84 des französischen Textes, verweisen. Ich überreiche dieses Dokument als Speer-Exhibit Nummer 30.
Herr Speer! Sie haben nun hier geschildert, wie sehr Sie in der letzten Zeit des Krieges im Gegensatz zu Hitler und seiner Politik standen. Warum sind Sie nicht zurückgetreten?
SPEER: Ich hätte dreimal die Möglichkeit gehabt, zurückzutreten. Einmal im April 1944, als meine Autorität stark eingeschränkt war, das zweitemal im September 1944, als Bormann und Goebbels dafür waren, daß ich ausscheide; das drittemal hat Hitler selbst am 29. März 1945 von mir verlangt, daß ich auf Dauerurlaub gehe, was einem Rücktritt gleichkam. Ich lehnte diese Möglichkeiten ab, denn ich hielt es ab Juli 1944 für meine Pflicht, auf meinem Posten zu bleiben.
DR. FLÄCHSNER: Es ist hier ausgesagt worden, die letzte Phase des Krieges, also etwa ab Januar 1945, sei unter dem Gesichtspunkt berechtigt gewesen, da man dem Volke unnötige Opfer ersparen wollte. Waren Sie derselben Meinung?
SPEER: Nein. Es wurde gesagt, eine militärische Abschirmung nach dem Osten wäre notwendig gewesen, um die Flüchtlinge zu bergen. In Wirklichkeit wurde bis Mitte April 1945 der Hauptteil unserer letzten Reserven an Panzern und Munition für den Kampf gegen den Westen eingesetzt. Die taktische Grundlinie war also eine andere, als sie hätte sein müssen, wenn der Kampf für die Ziele geführt worden wäre, die hier festgestellt wurden. Auch die Zerstörung der Brücken im Westen, die Zerstörungsbefehle gegen die Lebensbasis des Volkes, besagen das Gegenteil. Die Opfer, die auf beiden Seiten ab Januar 1945 gebracht wurden, waren sinnlos. Die Toten dieser Periode werden den Verantwortlichen für die Fortsetzung des Kampfes, Adolf Hitler, ebenso anklagen, wie die zerstörten Städte, die in dieser letzten Phase noch ungeheure Kulturwerte verlieren mußten und in denen zahlreiche Wohnungen der Zerstörung anheimfielen. Viele der Schwierigkeiten, unter denen das deutsche Volk heute zu leiden hat, sind auf die rücksichtslose Zerstörung der Brücken, der Verkehrsanlagen, der Waggons, Lokomotiven und Schiffe zurückzuführen. Das deutsche Volk hat bis zum Schluß Adolf Hitler die Treue gehalten. Er hat es wissentlich verraten. Er hat versucht, es endgültig in den Abgrund zu stürzen. Erst ab 1. Mai 1945 hat Dönitz mit Vernunft zu handeln versucht; es war zu spät.
DR. FLÄCHSNER: Ich habe eine letzte Frage:
Konnten Sie Ihre Handlungen in den letzten Monaten des Krieges mit Ihrem Eid und mit dem Begriff der Treue gegenüber Adolf Hitler vereinbaren?
SPEER: Es gibt eine Treue, die jeder unbedingt zu halten hat, und das ist die dem eigenen Volk gegenüber. Diese Verpflichtung steht über allem. Wenn ich an führender Stelle stehe und wenn ich dabei sehe, daß gegen die Interessen des Volkes in dieser Weise gehandelt wird, dann bin auch ich verpflichtet zu handeln. Daß Hitler dem Volke nicht mehr die Treue hielt, mußte jedem intelligenten Menschen seiner Umgebung klar sein, und zwar spätestens ab Januar oder Februar 1945. Hitler hat seine Berufung einst vom Volke erhalten. Er hatte kein Recht, mit seinem Schicksal auch das Schicksal des Volkes zu verspielen. Ich habe daher meine selbstverständliche Pflicht als Deutscher erfüllt. Es ist mir nicht alles gelungen; ich freue mich aber, daß ich mit meiner Tätigkeit den Arbeitern in den besetzten Gebieten und in Deutschland noch einen Dienst erweisen konnte.
DR. FLÄCHSNER: Herr Präsident! Ich bin am Ende meiner Befragung des Angeklagten Speer.
Ich darf dem Gericht vielleicht noch einen Hinweis geben, daß sich zu den Themen, die den Gegenstand der heutigen Nachmittagssitzung gebildet haben, die Zeugen Kehrl mit ihren Fragebogen 10 und 12, Zeuge Rohland unter 5, 6 und 8, der Zeuge Schieber unter 25, der Zeuge Guderian unter 1 bis 3, 7 bis 9 und zu Punkt 6 geäußert haben; der von Speer genannte Zeuge Stahl unter Punkt 1 und 2 seiner Aussage und die Zeugin Kempf unter Nummer 10 ihrer Aussage.
Es stehen noch aus und werden nach Eingang nachgereicht werden: Der Fragebogen des Zeugen Malzacher und der Fragebogen, auf den die Verteidigung besonderes Gewicht legen muß, das ist die Aussage des Zeugen von Poser, weil dieser der Verbindungsoffizier des Generalstabs des Heeres des Ministeriums Speer gewesen ist. Weiterhin steht noch aus der Fragebogen betreffend General Buhle, der Chef des Heeresstabes war, und des Oberst Baumbach, der Kommandeur eines Kampfgeschwaders war. Die anderen Dokumente werde ich nach Abschluß des Schlußverhörs des Angeklagten Speer dem Gericht unterbreiten.
VORSITZENDER: Wünschen noch andere der Herren Verteidiger Fragen zu stellen?
DR. SERVATIUS: Herr Zeuge! Waren bei den Verhandlungen, die Sauckel im Jahre 1943/1944 mit Laval in Paris führte, Vertreter Ihrer Dienststelle anwesend und haben die Forderungen Sauckels unterstützt?
SPEER: Es waren bei diesen Besprechungen zum Teil Vertreter meiner Dienststellen anwesend. Diese waren zu dem Zweck anwesend, um die Sperrbetriebe zu schützen und dafür zu sorgen, daß keine Einbrüche in die Fertigungsinteressen passieren, die von mir zum Schutze vorgesehen waren.
DR. SERVATIUS: Diese Vertreter haben also die Forderungen Sauckels nicht unterstützt, sondern dagegen gesprochen?
SPEER: Es war nicht die Aufgabe dieser Vertreter, für oder gegen die Forderungen Sauckels zu sprechen, denn Sauckel hat seine Forderungen in so bestimmter Weise erhoben, daß es für einen kleinen Mitarbeiter nicht möglich war, sich für oder gegen diese Forderungen in irgendeiner Form zu äußern. Das wäre eine Aufgabe gewesen, die ich selbst hätte durchführen müssen.
DR. SERVATIUS: Die Vertreter haben also keinerlei Aufgabe erfüllt?
SPEER: Die Vertreter von mir waren die Vertreter der Rüstung, der schweren Rüstungs- und Kriegsproduktion in den besetzten Gebieten und haben als solche ihre Spezialaufgabe gehabt.
DR. SERVATIUS: Herr Zeuge! Haben Sie im Jahre 1943 selbständig, ohne Sauckel hinzuzuziehen, 50000 französische OT-Arbeiter ins Ruhrgebiet gebracht?
SPEER: Das stimmt. Nach dem Angriff auf die Möhne-Talsperre und die Eder-Talsperre im AprilMai 1943 fuhr ich dorthin und habe in dieser Zeit angeordnet, daß eine Einsatzgruppe der Organisation Todt diese Wiederherstellung übernehmen soll. Ich habe das deswegen gemacht, weil ich das Baugerät, die Baumaschinen, im technischen Stab gleich dazu haben wollte. Diese Einsatzgruppe hat zunächst, ohne mich zu befragen, gleich die französischen Arbeiter mitgebracht. Das hatte für uns im Westen einen ungeheueren Rückschlag gebracht, weil daraufhin die Arbeitskräfte an den Baustellen im Atlantikwall, die sich bis dahin vor dem Zugriff Sauckels sicher fühlten...
DR. SERVATIUS: Herr Zeuge! Es interessiert nicht, was dort gemacht wurden ist, sondern es interessiert mich nur, daß diese 50000 OT-Arbeiter – ohne Einverständnis mit Sauckel – von Ihnen selbst hingebracht worden sind. Das haben Sie bejaht.
SPEER: Das ist richtig, ja.
DR. SERVATIUS: Sauckel war für die Regelung der Arbeitszeiten in den Betrieben verantwortlich. Ist Ihnen bekannt, daß die zehnstündige Arbeitszeit von Goebbels später, als Reichsbevollmächtigter für den Totalen Krieg, angeordnet wurde, und zwar für Deutsche und Ausländer gleichmäßig?
SPEER: Das dürfte stimmen. Es ist mir nicht mehr unmittelbar in Erinnerung, aber ich nehme an, daß das stimmt.
DR. SERVATIUS: Sie haben dann erklärt, daß die Genfer Konvention nicht auf die Sowjet-Kriegsgefangenen und auf die italienischen Zivilinternierten angewandt worden sei?
SPEER: Ja.
DR. SERVATIUS: Wissen Sie, daß die Genfer Konvention, trotzdem sie nicht für die Sowjetgefangenen anerkannt wurde, inhaltlich aber angewandt wurde, und daß entsprechende Befehle vorlagen?
SPEER: Ich kann Ihnen darauf keine Auskunft geben, denn das war zu sehr Detail, das haben meine Dienststellen unmittelbar erledigt. Ich würde Ihnen das gerne bestätigen.
DR. SERVATIUS: Ich werde dem Gericht dann ein Dokument vorlegen, wo das darin erklärt ist.
Ist Ihnen bekannt, daß die italienischen Zivilinternierten, also die aus der italienischen Wehrmacht kamen, in ein freies Arbeitsverhältnis überführt waren und deswegen der Konvention nicht unterfielen?
SPEER: Ja, das stimmt, und zwar wurde das auf Veranlassung von Sauckel gemacht.
DR. SERVATIUS: Die Verantwortung für die Ausführung der Anordnungen Sauekels in den Betrieben trugen die Betriebsführer. Das ist richtig?
SPEER: Soweit sie durchführbar waren.
DR. SERVATIUS: Sie haben gesagt, daß, wenn die Durchführbarkeit infolge besonderer Ereignisse – wie Fliegerangriffe – nicht möglich war, daß dann die Obersten Reichsbehörden sich der Sache hätten annehmen müssen?
SPEER: Ja.
DR. SERVATIUS: Welche Reichsbehörden sind das?
SPEER: Der Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz.
DR. SERVATIUS: Das wäre Sauckel?
SPEER: Ja, und die Deutsche Arbeitsfront, die ja für die Unterbringung und für die Arbeitsbedingungen verantwortlich war.
DR. SERVATIUS: Welcher Apparat stand denn Sauckel zur Verfügung, um diese Mißstände abzustellen. Es handelt sich dann doch um praktische Hilfe?
SPEER: Nein. Sie haben mich da nicht richtig verstanden. Die Katastrophenzustände waren Zustände, die durch höhere Gewalt herbeigeführt waren. Kein Mensch konnte diese beseitigen, auch mit dem besten Willen nicht, weil ja jeden Tag neue Fliegerangriffe kamen. Aber es ist nicht möglich, daß – wie Sauckel hier ausgesagt hat – der Betriebsführer auch dafür die Verantwortung trägt, daß diese Zustände nicht abgestellt werden konnten. Ich wollte es so zu verstehen geben, daß bei derartigen Notständen eben die Führung insgesamt sich zusammensetzen muß und sagen muß, ob es noch ein Zustand ist, der tragbar ist oder nicht, und dabei hatte Sauckel die besondere Verpflichtung, als der Berichtende und als der Veranlassende für derartige Sitzungen aufzutreten.
DR. SERVATIUS: Wem gegenüber sollte er denn auftreten?
SPEER: Dem Führer gegenüber.
DR. SERVATIUS: Herr Zeuge! Sie haben Ihren eigenen Verwaltungsapparat hier erklärt und gesagt, daß Sie ein Gegner einer bürokratischen Verwaltung seien. Sie haben die Selbstverwaltung der Betriebe eingeführt, und zwar hatten Sie in der fachlichen Seite Ringe gebildet, darüber Ausschüsse; diese wurden von Ihnen gelenkt.
SPEER: Ja.
DR. SERVATIUS: Und es war eine geschlossene Verwaltung, in der von außen andere Behörden nicht eindringen konnten?
SPEER: Ja, das hätte ich mir verbeten.
DR. SERVATIUS: Dann waren Sie ja eigentlich der Vertreter der Betriebe nach oben.
SPEER: Nur für die technische Aufgabe, wie ich hier ausgeführt habe.
DR. SERVATIUS: Sie beschränkten sich auf die technischen Aufgaben?
SPEER: Dann wäre ich ja der Verantwortliche gewesen für die Ernährungszustände oder für Gesundheitszustände oder für zufällige Polizeiangelegenheiten. Das war mir ja nicht zumutbar, dann hätte man mir einen anderen Posten auch geben müssen.
DR. SERVATIUS: Herr Zeuge! Haben Sie sich nicht vorhin darauf berufen, daß Sie gerade in der Ernährung Anordnungen getroffen hätten, die den Arbeitern zugute gekommen wären, und bestätigen Sie damit nicht meine Auffassung, daß Sie die gesamte Verantwortung für dieses Gebiet trugen?
SPEER: Keineswegs. Ich glaube, daß ich diese Handlungen der letzten Zeit im Rahmen der Gesamtverantwortung getan habe und nicht in der Einzelverantwortung.
DR. SERVATIUS: Herr Zeuge! Sie haben dann von der Verantwortung der Gauleiter als Reichsverteidigungskommissare gesprochen in Bezug auf die Rüstungsindustrie. Können Sie denn diese Verantwortung einmal näher erklären, denn ich habe das nicht verstanden.
SPEER: Seit 1942 hat sich in zunehmendem Maße die Verantwortlichkeit auf die Gauleiter als Reichsverteidigungskommissare verlagert. Das war das Bestreben von Bormann in der Hauptsache,...
DR. SERVATIUS: Was waren deren Aufgaben?
SPEER: Einen Moment bitte.... der eine Zusammenfassung aller staatlichen und parteilichen Gewalten bei den Gauleitern anstrebte. Dieser Zustand der Zusammenfassung war ab 1943 fast vollständig erreicht. Die einzige Ausnahme, die noch bestand, waren meine Rüstungsdienststellen, die sogenannten Rüstungsinspektionen. Diese waren – da sie früher im OKW waren – militärische Dienststellen, die mit Offizieren besetzt waren, und das gestattete es mir, außerhalb der Macht der Gauleiter zu verbleiben. Aber der Gauleiter war die umfassende Stelle in seinem Gau, und er hat sich die Rechte zu Befehlen genommen, falls er sie nicht hatte. Es ist ja bei uns so gewesen, wie Sie auch wissen, daß es nicht so entscheidend war, wer die Vollmachten hatte, sondern wer sich das Recht herausnahm, Befehle zu erteilen. In diesem Falle haben die meisten Gauleiter sich alle Rechte herausgenommen, und dadurch waren sie die verantwortliche, zusammenfassende Behörde.
DR. SERVATIUS: Was verstehen Sie unter zusammenfassender Behörde?
Darf ich Ihnen vielleicht einmal vorhalten: Der Gauleiter hatte als Reichsverteidigungskommissar lediglich die Aufgabe, die Dienststelle zusammenzufassen, wenn eine Entscheidung im Gau erforderlich war. Als Beispiel: Nach einem Fliegerangriff Beseitigung der Schäden, Errichtung eines neuen Werkes, Ankauf der Grundstücke, um die verschiedenen Stellen an einen Tisch zu bringen. Aber Befehls- und Entscheidungsbefugnis hatte er nicht. Ist das richtig?
SPEER: Nein. Ich würde Ihnen empfehlen, mit einigen Gauleitern zu sprechen, die Ihnen sagen, wie es war.
DR. SERVATIUS: Ich lasse dann die Frage fallen. Ich werde das Gesetz vorlegen. Herr Zeuge, Sie haben dann gesagt, zu einer gewissen Zeit sei ein Überschuß an Arbeitskräften in Deutschland gewesen. War das darauf zurückzuführen, daß Sauckel zuviel ausländische Arbeiter nach Deutschland geholt hatte?
SPEER: Es kann hier ein Irrtum sein. Mein Verteidiger hat auf zwei Dokumente hingewiesen, nach denen in der Zeit vom April 1942 bis April 1943 Sauckel mehr Arbeitskräfte in die Rüstung geliefert hatte, als wie die Rüstung gefordert hat. Ich weiß nicht, ob Sie das meinen, die Stelle.
DR. SERVATIUS: Ich habe nur in Erinnerung, daß Sie gesagt haben, es wären mehr Arbeitskräfte dagewesen als erforderlich waren.
SPEER: Ja.
DR. SERVATIUS: Sie wollen also nicht sagen, daß dies herbeigeführt sei dadurch, daß Sauckel zu viele Arbeitskräfte aus dem Ausland gebracht habe?
SPEER: Nein. Ich wollte damit nur beweisen, daß auch nach der Meinung Sauckels damals er nicht die Arbeitskräfte für mich... nicht durch die Forderung nach der Spitze getrieben wurde, die Arbeitskräfte von Frankreich und so weiter nach Deutschland zu bringen. Denn wenn er in einem Bericht an Hitler feststellt, daß er mehr Arbeitskräfte in die Rüstung geschafft hat, als wie ich gefordert habe – und das geht aus dem Schreiben hervor –, dann ist ja klar, daß er mehr getan hat, als ich von ihm gefordert habe. Es ist in der Tat anders gewesen. In der Tat hat er diese Arbeitskräfte nicht gestellt, und wir haben uns furchtbar gestritten, weil ich der Meinung war, daß er viel weniger gestellt hatte, und er hatte eine große Meldung an Hitler gemacht. Aber nun hier im Prozeß gilt das Dokument.
DR. SERVATIUS: Sie haben jetzt ja auch darauf hingewiesen, daß eine Streitfrage zwischen Ihnen und Sauckel war, ob in Deutschland hinreichende Arbeitsreserven vorhanden gewesen seien, und wenn ich Sie recht verstanden habe, haben Sie gesagt, daß, wenn man die Arbeitskräfte so herangezogen hätte, wie dies England und die Sowjetunion getan hatte, man dann überhaupt keine ausländischen Arbeitskräfte nötig gehabt hätte. Ist das richtig?
SPEER: Das habe ich nicht gesagt.
DR. SERVATIUS: Wie ist dann dies zu verstehen?
SPEER: Ich habe ja auch klar genug ausgeführt, daß ich die Arbeitseinsatzpolitik Sauckels aus den besetzten Gebieten nach Deutschland richtiggefunden habe. Ich habe hier nicht irgendwie versucht, mich vor dieser Verantwortung hier zu drücken. Aber es waren große Reserven an deutschen Arbeitskräften vorhanden. Und auch das ist wieder nur ein Beweis dafür, daß ich nicht für die Spitze der Forderung verantwortlich bin; etwas anderes wollte ich damit nicht beweisen.
DR. SERVATIUS: Sind Ihnen dann die gesetzlichen Bestimmungen bekannt, wonach die deutschen Frauen und die Jugendlichen in ganz erheblichem Umfange eingesetzt wurden?
SPEER: Ja.
DR. SERVATIUS: Wissen Sie auch, daß die Frauen der Offiziere und hohen Beamten ebenfalls in Fabriken arbeiteten?
SPEER: Ja, ab August 1944.
DR. SERVATIUS: Wo befanden sich dann noch diese Arbeitsreserven, von denen Sie sprechen?
SPEER: Ja. Ich sprach ja von der Zeit des Jahres 1943. Im Jahre 1943 forderte ich in der Zentralen Planung, daß die deutschen Arbeiterreserven eingesetzt werden und auch im Jahre 1944, in der Besprechung bei Hitler vom 4. Januar nochmal dasselbe. Sauckel hat damals festgestellt, und das geht aus seiner Rede vom 1. März 1944 hervor, die hier im Dokument eingereicht ist, daß es keine Reserven mehr an deutschen Arbeitskräften gäbe.
DR. SERVATIUS: Jawohl.
SPEER: Aber er hat gleichzeitig hier ausgesagt, daß es ihm gelungen ist, im Jahre 1944 2000000 Arbeitskräfte aus Deutschland noch zu mobilisieren, und das hielt er im Januar 1944 bei einer Besprechung mit Hitler für völlig unmöglich. Er hat also hier selbst den Beweis geführt, daß zu einem Zeitpunkt, an dem ich den Einsatz der inländischen Arbeitskräfte wollte, er diese Tatsachen nicht für gegeben hielt, aber daß er nachher durch die Verhältnisse gezwungen war, diese inländischen Arbeitskräfte zu mobilisieren, daß also meine Feststellung damals richtig war.
DR. SERVATIUS: Herr Zeuge! Diese 2000000 Arbeitskräfte, von denen Sie sprechen, waren das in der Industrie verwendbare Arbeitskräfte?
SPEER: Natürlich.
DR. SERVATIUS: Die sind eingesetzt worden unmittelbar als Facharbeiter in der Industrie?
SPEER: Die mußten erst angelernt werden.
DR. SERVATIUS: Mußten sie nicht auch zuerst durch komplizierte Umstellung von einem Betrieb zum anderen freigemacht werden?
SPEER: Nur zum Teil, da wir die Möglichkeit hatten, sie in der feinmechanischen Industrie und anderen Arbeiten einzustellen und dann, das weiß jeder, der sich in der Industrie von Amerika und England auskennt, sind diese neuen Werkzeugmaschinen durchaus geeignet, auch von Frauen bedient zu werden, auch für schwere Arbeit.
VORSITZENDER: Dr. Servatius! Der Gerichtshof ist an all diesen Einzelheiten nicht interessiert.
DR. SERVATIUS: Herr Präsident! An der Grundfrage habe ich ein großes Interesse, denn wenn die Arbeitskräfte in überflüssiger Weise beschafft worden sind aus dem Ausland, und infolgedessen keine staatliche Notwendigkeit bestand, dann ist das für die völkerrechtliche Betrachtung der Frage, ob Arbeitskräfte geholt werden können, von großer Bedeutung. Das wollte ich aufklären.
Ich habe noch zwei Fragen, vielleicht kann ich sie noch stellen.
VORSITZENDER: Ja, Sie können noch zwei weitere Fragen stellen, aber nicht über diese Einzelheiten.
DR. SERVATIUS: Nein, über andere Punkte.
Herr Zeuge! Sie haben erklärt, daß Ihr Versuch, sich Sauckel zu unterstellen, nicht gelungen sei. Haben Sie nun diese Unterstellung nicht praktisch dadurch erreicht, daß in der Mittelinstanz die Gauarbeitsämter Sauckels das zu befolgen hatten, was Ihre Rüstungskommissionen anordneten?
SPEER: Nein, das ist eine Sache, die muß ich länger ausführen. Wenn Sie die Erklärung haben wollen...
DR. SERVATIUS: Sie sagen ja: Nein...
SPEER: Ja, aber es handelt sich um dem Gericht völlig neue Begriffe, die man erst erläutern müßte. Wenn Ihnen aber ein »Nein« ausreichend ist...
DR. SERVATIUS: Längere Ausführungen sind nicht nötig, denn wenn Sie klar sagen »Nein«, dann ist es ja klargestellt.
Herr Zeuge! Eine letzte Frage: Sie haben gesagt, daß Sauckel die Arbeitsverteilungsfragen in seinem Arbeitsstab entschieden habe?
SPEER: Ja.
DR. SERVATIUS: Er selbst sagt, daß ja doch auch Entscheidungen durch den Führer getroffen wurden. Ist da nicht zu unterscheiden zwischen den großen Programmforderungen, wo man sich über die Verteilung der Arbeitskräfte über einen großen Zeitraum unterhielt und zwischen der Verteilung, die laufend geschah, je nachdem das Programm erfüllt wurde?
SPEER: Nach meiner Erinnerung und auch nach dem Durchlesen der erhaltenen Führerprotokolle meiner Besprechungen sind hier zwei Phasen zu unterscheiden. Die erste ist etwa bis Oktober 1942; in dieser fanden öfters gemeinsame Besprechungen bei Sauckel statt, bei denen ich auch anwesend war. In diesen Besprechungen wurde die Verteilung der Arbeitskräfte für die nächsten Monate im Detail besprochen. Nach diesem Zeitpunkt haben bei Hitler in meiner Gegenwart keine Besprechungen mehr stattgefunden, die ins Detail gingen. Mir sind lediglich bekannt die Besprechungen vom Januar 1944; dann war noch eine Besprechung im April oder im Mai 1944, die hier noch nicht erwähnt wurde. Aber in diesen Besprechungen wurde nur global gesprochen, und die Einzelverteilung wurde nach den Richtlinien, wie Sauckel sagt, durchgeführt.
DR. SERVATIUS: Das ist gerade das, was ich sagen will. Es waren globale, es waren Programmforderungen, wo grundsätzlich entschieden wurde: Es sind 2000000 Arbeiter aus dem Ausland zu beschaffen, und die spätere Verteilung erfolgte dann bei Sauckel.
SPEER: Richtig, ich kann auch bestätigen, was Sauckel aussagte, daß er seine Aufträge immer sich von Hitler geben ließ für die besetzten Gebiete, da er ja die Autorität von Hitler brauchte, um sich in den besetzten Gebieten durchzusetzen.
DR. SERVATIUS: Ich habe dann keine Fragen mehr.
VORSITZENDER: Der Gerichtshof vertagt sich.