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[Zum Zeugen gewandt:]

Lassen wir jetzt die Frage Ihrer persönlichen Beteiligung an dieser...

VORSITZENDER: Ist es ein neues Dokument, Herr Justice Jackson?

JUSTICE JACKSON: Nein, es ist schon einmal angeboten worden.

VORSITZENDER: Es wurde schon einmal vorgelegt?

JUSTICE JACKSON: Wie mir gerade gesagt wird, habe ich mich geirrt, es ist doch ein neues Dokument. 892 ist eine neue Nummer.

[Zum Zeugen gewandt:]

Gehen wir jetzt von der Frage Ihrer persönlichen Beteiligung an diesem Programm...

VORSITZENDER: Können Sie uns sagen, was das für ein Dokument ist und woher es kommt? Ich sehe, es trägt die Nummer EC-60. Also muß es erbeutet worden sein. Aber...

JUSTICE JACKSON: Es ist eines der wirtschaftlichen Dokumente. Es ist sehr umfangreich.

VORSITZENDER: Können Sie uns sagen, was es ist oder wer es unterzeichnet hat? Anscheinend ist es sehr lang, nicht wahr?

JUSTICE JACKSON: Es ist ein langes Dokument und ist ein Bericht von dem Oberfeldkommandanten – Lille ist der Name, mit dem es unterzeichnet ist.

Kommen wir nun zu der Frage...

VORSITZENDER: Darf ich das Dokument einmal sehen? – Sehen Sie, Herr Justice Jackson, ich bin darauf aufmerksam gemacht worden, daß wir für das Protokoll nur den von Ihnen verlesenen Auszug haben. Wir haben weder Datum noch Unterschrift auf dem Dokument.

JUSTICE JACKSON: Ich habe lediglich seine Erinnerung aufgefrischt, um Tatsachen zu erfahren und habe das Dokument als solches eigentlich nicht angeboten. Sollten Sie es wünschen, Herr Vorsitzender, will ich mich gerne näher damit befassen, es ist aber viel unerhebliches Material darin.

VORSITZENDER: Wenn Sie nicht die Absicht haben, es anzubieten, brauchen wir uns ja nicht weiter damit aufzuhalten.

JUSTICE JACKSON: Ein großer Teil davon ist unerheblich.

VORSITZENDER: Ja.

JUSTICE JACKSON: Das Zitat ist hinreichend nachgeprüft.

VORSITZENDER: In diesem Falle können Sie sich auf das Dokument beziehen, ohne es zu benutzen. Dann braucht das Dokument keine Exhibit-Nummer zu bekommen.

JUSTICE JACKSON: [zum Zeugen gewandt] Wenden wir uns jetzt von der Frage Ihrer persönlichen Teilnahme an diesen Dingen zu den Fragen, die im zweiten Teil Ihres direkten Verhörs behandelt worden sind. Ich möchte Sie fragen, was Sie über den Vorschlag, das Genfer Abkommen zu kündigen, gesagt haben.

Sie haben gestern ausgesagt, daß der Vorschlag gemacht worden war, aus der Genfer Konvention auszutreten. Würden Sie uns bitte sagen, wer diesen Vorschlag machte?

SPEER: Dieser Vorschlag ging, wie ich gestern bereits aussagte, von Dr. Goebbels aus, und zwar nach dem Luftangriff auf Dresden. Aber Goebbels und auch Ley hatten bereits früher schon – ab Herbst 1944 – öfter Gespräche darüber geführt, daß man eben den Krieg mit allen Mitteln verschärfen müsse, so daß ich den Eindruck hatte, daß Goebbels nur den Angriff auf Dresden zum Anlaß nahm und die Erregung, die darüber bestand, um einen Austritt aus der Genfer Konvention zu erreichen.

JUSTICE JACKSON: Wurde damals der Vorschlag gemacht, daß man zum Giftgaskrieg übergehen solle?

Wurde ein derartiger Vorschlag damals gemacht?

SPEER: Es gab... Ich habe nicht unmittelbar, also aus direkter Wahrnehmung, feststellen können, daß ein Gaskrieg eröffnet werden sollte, aber ich wußte von verschiedenen Mitarbeitern von Ley und auch von Goebbels, daß diese die Frage des Einsatzes unserer beiden neuen Kampfgase, Tabun und Sarin, haben wollten. Sie glaubten, daß diese beiden Gase eine besondere Wirkung ausüben würden, und sie waren tatsächlich von einer furchtbaren Wirkung. Diese Wahrnehmungen machten wir bereits im Herbst 1944, wie sich die Situation sehr verschärft hatte, und sie machte verschiedenen Leuten große Sorge.

JUSTICE JACKSON: Wollen Sie uns etwas über die Gase erzählen, über ihre Herstellung, ihre Wirkung und ihre Eigenschaften und über die Vorbereitungen, die für den Gaskrieg gemacht wurden?

SPEER: Das kann ich im einzelnen nicht sagen, ich bin da zu wenig Fachmann, ich weiß nur, daß diese Gase, diese beiden, von einer ganz außerordentlichen Wirkung waren, daß sie auch wirkten... daß keine Gasmaske, also kein Gasschutz dagegen irgendwie vorhanden war nach unserer Kenntnis, so daß also die Soldaten sich gegen dieses Gas in keiner Weise hätten schützen können. Wir hatten für diese Gasfabrikation etwa drei Fabriken, die alle unzerstört waren und die bis November 1944 in vollem Betrieb waren. Als die Gerüchte über die Möglichkeit der Anwendung von Gas zu uns kamen, habe ich im November 1944 die Gasproduktion stillgelegt. Ich habe sie dadurch stillgelegt, daß ich die sogenannte Vorproduktion, also die chemischen Zulieferungen für diese Gasproduktion, sperrte. Nach den Feststellungen der alliierten Behörden ist tatsächlich ab Ende Dezember/Anfang Januar dann dadurch die Gasproduktion bei uns ausgelaufen, das heißt also zum Stillstand gekommen. Ich habe zunächst versucht, durch ein Schreiben an Hitler, das noch vorliegt, vom Oktober 1944, auf legalem Wege die Genehmigung zu der Stillegung dieser Gasfabriken zu bekommen, und zwar mit der Begründung, daß für die Fliegerangriffe die Vorprodukte – es war in der Hauptsache Zian – auch für andere Zwecke notwendig gebraucht würden. Ich erhielt darauf von Hitler den Bescheid, daß auf jeden Fall die Gasproduktion weiterlaufen müßte und gab aber dann von mir aus die Weisung, daß die Vorprodukte nicht weiter ausgeliefert würden.

JUSTICE JACKSON: Können Sie andere Leute nennen, die auch für den Gaskrieg eintraten?

SPEER: Es war von der militärischen Seite bestimmt kein Mensch für Gaskrieg. Die... alle vernünftigen militärischen Leute lehnten den Gaskrieg ab, da er ja ein heller Wahnsinn war, denn bei der Luftüberlegenheit, die Sie hatten, mußte ja in kurzer Zeit dann über die deutschen Städte, die völlig schutzlos waren, eine furchtbare Katastrophe kommen.

JUSTICE JACKSON: Gehörten nicht diejenigen, die für den Gaskrieg waren, zu dem politischen Kreis um Hitler?

SPEER: Aus einem bestimmten Kreis der politischen Leute, der eng umgrenzt war. Das war in der Hauptsache Bormann, Ley und Goebbels. Das waren immer dieselben drei, die mit allen Mitteln eine Verschärfung des Kampfes erreichen wollten, und bestimmt gehörte ein Mann wie Fegelein auch zu einer derartigen Gruppe. Von Himmler möchte ich es gar nicht so exakt behaupten, denn Himmler war damals etwas abgesetzt von Hitler, dadurch, daß er sich den Luxus erlaubte, eine Heeresgruppe zu leiten, obwohl er davon nichts verstand.

JUSTICE JACKSON: Eines von diesen Gasen war doch das Gas, welches Sie gegen diejenigen anzuwenden beabsichtigten, die es ihrerseits gegen andere anwenden wollten, und ich nehme an, daß Ihr Grund dafür...

SPEER: Ja, ich muß auch offen sagen, daß der Grund zu diesen Plänen aus der Sorge kam, daß unter Umständen eine Anwendung von Gas kam und daß die Ideenverbindung, dann dieses Gas selbst anzuwenden, den ganzen Plan von mir hervorrief.

JUSTICE JACKSON: Und Ihre Gründe waren wahrscheinlich dieselben wie die des Militärs; mit anderen Worten, Sie fürchteten, daß Deutschland dabei den kürzeren ziehen würde, wenn es zu einem derartigen Krieg schreiten würde. Das war es doch, was dem Militär Sorgen machte?

SPEER: Nein, nicht nur das, sondern in dieser Phase des Krieges war es ganz klar, daß auf keinen Fall internationale Verbrechen begangen werden durften, die dann nach dem verlorenen Krieg das deutsche Volk belasten würden. Das war an sich das Entscheidende.

JUSTICE JACKSON: Wie verhielt es sich nun mit den Bomben, die, nachdem der Krieg offensichtlich schon verloren war, noch immer täglich auf England abgefeuert wurden. Wer war denn dafür?

SPEER: Sie meinen die Raketen?

JUSTICE JACKSON: Jawohl.

SPEER: Die Raketen waren für uns produktionstechnisch eine sehr kostspielige Angelegenheit, und ihre Wirkung war im Verhältnis zu dem Aufwand eine minimale. Infolgedessen hatten wir kein großes Interesse daran, diese Sache in größerem Umfange zu fertigen. Derjenige, der es am meisten forderte, war in diesem Falle Himmler, der einen Obergruppenführer Kammler damit beauftragt hatte, das Verschießen dieser Raketen nach England vorzunehmen. In den Kreisen des Heeres war man derselben Meinung wie ich, nämlich, daß diese Raketen zu teuer sind, und auch in den Kreisen der Luftwaffe war man ähnlicher Meinung, weil mit einer Rakete... mit dem Aufwand einer Rakete hätte ich etwa einen Jäger bauen können. Es ist klar, daß es viel besser für uns gewesen wäre, wenn wir uns diesen Unsinn nicht geleistet hätten.

JUSTICE JACKSON: Kommen wir noch einmal auf die Eigenschaften dieses Gases zurück. War nicht eine seiner Eigenschaften, daß es ganz besonders hohe Temperaturen erzeugte? Erzeugte es nicht bei seiner Explosion eine so hohe Temperatur, so daß kein Schutzmittel dagegen wirksam war?

SPEER: Nein. Das ist ein Irrtum. Es ist so, daß normale Gase verdunsten bei der normalen Lufttemperatur. Dieses Gas verdunstete erst bei sehr hohen Temperaturen, und diese sehr hohen Temperaturen wurden erst dann ausgelöst, wenn eine Explosion dazu kam. Also wenn der Sprengstoff explodiert, entsteht ja bekanntlich eine sehr hohe Temperatur, dann verdunstete das Gas. Dann wurde der feste Stoff zu Gas. Aber die Wirkung hatte mit der Temperatur nichts zu tun.

JUSTICE JACKSON: Wurden nicht Ihres Wissens mit diesen Gasen Experimente durchgeführt?

SPEER: Das kann ich nicht sagen. Sicher wurden Experimente damit durchgeführt.

JUSTICE JACKSON: Wer leitete diese Experimente?

SPEER: Das war die Entwicklungsabteilung im Oberkommando des Heeres im Heereswaffenamt meiner Kenntnis nach. Ich kann es nicht ganz genau sagen.

JUSTICE JACKSON: Und gewisse Experimente und Forschungen wurden auch in der Atomenergie durchgeführt, nicht wahr?

SPEER: Wir waren leider nicht so weit, denn dadurch, daß die besten Kräfte, die wir in der Atomforschung hatten, nach Amerika auswanderten, wurden wir in der Atomforschung sehr stark zurückgeworfen, und wir waren an sich noch ein bis zwei Jahre davon entfernt, um vielleicht eine Atomzertrümmerung bekommen zu können.

JUSTICE JACKSON: Die Politik, Leute zu vertreiben, die mit Deutschland nicht einverstanden waren, hat keine gute Dividende gebracht, nicht wahr?

SPEER: Das hatte für uns gerade auf diesem Gebiet einen ganz entscheidenden Nachteil.

JUSTICE JACKSON: Man hat mir einen gewissen Bericht über ein Experiment, das in der Nähe von Auschwitz durchgeführt wurde, ausgehändigt, und ich möchte wissen, ob Sie davon gehört haben oder etwas davon wußten. Der Zweck dieses Experimentes war, ein schnelles und wirksames Mittel zu entdecken, mit dem man Menschen, ohne sich weiter – wie man es bisher getan hatte – mit Erschießen, Vergasen oder Verbrennen anstrengen zu müssen, auf dem schnellsten Wege vernichten konnte. Wie man mir mitgeteilt hat, wurde das Experiment in folgender Form durchgeführt:

In einem kleinen provisorischen Dorf, das für diesen Zweck vorübergehend aufgebaut wurde, brachte man 20000 Juden unter. Mit Hilfe dieses neu erfundenen Zerstörungsstoffes wurden diese 20000 Menschen fast augenblicklich vernichtet, und zwar derartig, daß auch nicht das geringste von ihnen übrig blieb. Die Explosion erzeugte eine Temperatur von 400 bis 500 Grad Celsius und zerstörte die Leute derartig, daß sie überhaupt keine Spuren hinterließen.

SPEER: Nein, das halte ich auch für absolut unwahrscheinlich. Wenn wir in der Vorbereitung ein derartiges Kampfmittel gehabt hätten, das wäre mir nicht unbekannt geblieben. Wir haben aber ein derartiges Kampfmittel nicht gehabt, denn es ist klar, daß auf dem Gebiet des chemischen Krieges ja auf beiden Seiten versucht wurde, alle Kampfmittel zu erforschen, die überhaupt nur möglich waren, weil man ja nicht wußte, welcher Teil mit dem chemischen Krieg anfängt.

JUSTICE JACKSON: Die Meldungen über neue Geheimwaffen waren also übertrieben und dienten nur dem Zweck, das deutsche Volk weiter zum Krieg anzuhalten?

SPEER: Das war in der Hauptsache in der letzten Phase des Krieges so. Ab August... ich bin ab Juni, Juli 1944 sehr oft an die Front gefahren und habe ungefähr 40 Frontdivisionen in ihren Abschnitten besucht und habe dabei feststellen müssen, daß man der Truppe genau so wie dem deutschen Volk Hoffnungen machte, daß eine neue Waffe käme oder überhaupt neue Waffen kämen, und zwar Wunderwaffen kämen, die ohne den Einsatz des Soldaten, ohne soldatischen Einsatz den Sieg dann garantieren würden. In diesem Glauben lag dann auch das Geheimnis dafür, daß in Deutschland viele Menschen ihr Leben ließen, obwohl sie nach allen Vernunftsgründen sich selbst überlegten, daß der Krieg zu Ende ist. Aber sie glaubten, daß in kurzer Zeit diese neue Waffe kommen würde. Ich habe darüber sowohl an Hitler geschrieben und habe auch in verschiedenen Reden, sogar vor den Propagandaleitern von Goebbels, versucht, diesem Glauben entgegenzuwirken. Es wurde mir sowohl von Hitler wie auch von Goebbels erklärt, daß dies keine Propaganda wäre, die von ihnen gemacht würde, sondern daß das ein Glaube wäre, der im Volke entstanden sei. Ich habe erst hier auf der Anklagebank von Fritzsche gehört, daß diese Propaganda systematisch über irgendwelche Kanäle in das Volk gebracht wurde, und zwar von einem SS-Standartenführer Berg. Mir ist daraufhin vieles klar geworden; denn dieser Berg war als Vertreter des Propagandaministeriums des öfteren in Sitzungen, in großen Tagungen meines Ministeriums anwesend, weil er Artikel über diese Tagungen schrieb. Er hörte dort von unseren zukünftigen Sachen und hat nun diese Kenntnis dazu verwandt, um sie mit viel Phantasie in das Volk zu bringen.

JUSTICE JACKSON: Wann erkannte man denn, daß der Krieg verloren war? Ihre Einstellung war offenbar, daß Sie eine gewisse Verantwortung dafür fühlten, daß Deutschland so wenig zerstört wie nur möglich davonkam. Ist das nicht eine richtige Darstellung Ihres Standpunktes?

SPEER: Ja. Ich habe aber dieses Gefühl nicht nur für das deutsche Volk gehabt, sondern ich war mir darüber im klaren, daß man auch vermeiden muß, daß Zerstörungen in den besetzten Gebieten stattfanden. Das war mir genau so wichtig aus einem ganz realen Grunde, weil ich mir überlegte, daß ja nach dem Kriege diese ganzen Zerstörungen nicht mehr uns zur Last gelegt würden, sondern der nachfolgenden Regierung oder dem deutschen Volk.

JUSTICE JACKSON: In diesem Punkt waren Sie also anderer Ansicht als diejenigen, die den Krieg bis zum bitteren Ende führen wollten, indem Sie Deutschland die Möglichkeit geben wollten, wieder aufzuleben. Stimmt das nicht? Während Hitler der Ansicht war, wenn er nicht leben könnte, dann wäre es ihm gleichgültig, was aus Deutschland würde.

SPEER: Das ist richtig. Und ich hätte diese Aussage hier vor Gericht nicht gewagt zu machen, wenn ich nicht durch die Dokumente es hätte beweisen können, weil eine derartige Aussage etwas so Ungeheuerliches ist. Aber der Brief, den ich an Hitler am 29. März schrieb und in dem ich ihm das bestätigt habe, zeigt ja, daß er das selbst ausgesprochen hat.

JUSTICE JACKSON: Dazu möchte ich bemerken, daß sein Standpunkt weiter nichts Neues für uns war. In fast allen Ländern war man ja davon überzeugt, daß Hitler so dachte.

Waren Sie damals anwesend, als Hitler Görings Telegramm bekam, in dem er vorschlug, er, Göring, wolle die Führung übernehmen?

SPEER: Ich flog am 23. April nach Berlin, um mich dort von verschiedenen meiner Mitarbeiter zu verabschieden und – wie ich offen sagen möchte – um mich nach allem, was geschehen war, Hitler zur Verfügung zu stellen. Das klingt vielleicht hier etwas seltsam, aber die widerstreitenden Gefühle bei mir über das, was ich gegen ihn tun wollte und über seine ganze Handlungsweise, waren... ich hatte noch keinen klaren Grund, innerlich klare Basis in meinem Verhältnis zu ihm, und daher flog ich zu ihm hin. Ich wußte nicht, ob er etwas von meinen Sachen wußte. Ich wußte auch nicht, ob er mir befehlen würde, in Berlin zu bleiben. Ich hatte aber den Eindruck, daß es eine Verpflichtung ist, nicht feige davonzulaufen, sondern sich noch einmal zu stellen. An diesem Tage kam das Telegramm von Göring an Hitler an. Dieses Telegramm... nicht an Hitler, sondern von Göring an Ribbentrop an... dieses Telegramm wurde ihm von Bormann vorgelegt.

JUSTICE JACKSON: Hitler vorgelegt?

SPEER: Wurde Hitler vorgelegt, ja.

JUSTICE JACKSON: Was sagte Hitler dazu?

SPEER: Hitler war außerordentlich erregt über den Inhalt dieses Telegramms und äußerte sich in einer sehr klaren Weise über Göring. Er erklärte, er wüßte seit langem, daß Göring versagt hätte, daß er korrupt sei und daß er ein Morphinist sei. Ich war darüber außerordentlich erschüttert. Denn ich fand, daß, wenn das Staatsoberhaupt diese Kenntnis seit langem hat, es dann von dem Staatsoberhaupt nicht zu verantworten war, daß er diesen Mann an seinem Posten ließ, von dem das Leben unzähliger Menschen abhing. Es war aber bezeichnend für die Einstellung, die Hitler zum Gesamtproblem hatte, daß er dann anschließend sagte: »Aber die Kapitulationsverhandlungen, die kann er trotzdem machen.«

JUSTICE JACKSON: Sagte er etwas darüber, warum er ihm die Kapitulationsverhandlungen überlassen wollte?

SPEER: Nein. Er sagte es in einem wegwerfenden Sinne, er sagte: »Das ist ja dann sowieso gleichgültig, wer das macht.« Es kam daraus seine Mißachtung dem deutschen Volk gegenüber zum Ausdruck.

JUSTICE JACKSON: Das heißt, seine Haltung war folgende: Da doch nichts mehr zu retten sei, solle Göring es ausbaden. Ist das eine wahrheitsgetreue Darstellung seiner Haltung?

SPEER: Das war mein Eindruck.

JUSTICE JACKSON: Diese Politik, Deutschland, nachdem der Krieg verloren war, ins Verderben zu jagen, belastete Sie schließlich dermaßen, daß Sie an verschiedenen Komplotten teilnahmen, um die Leute zu beseitigen, die verantwortlich für das waren, was Sie als die Vernichtung Ihres Landes ansahen?

SPEER: Ja. Ich möchte aber dazu...

JUSTICE JACKSON: Es gab noch mehr Komplotte als die, von denen Sie uns erzählt haben, nicht wahr?

SPEER: Es war in dieser Zeit außerordentlich einfach, ein Komplott zu machen. Man konnte fast jeden Mann auf der Straße ansprechen und ihm sagen, wie die Lage ist, und dann sagte er, das ist ja ein heller Wahnsinn, und er stellte sich, wenn er etwas Mut hatte, zur Verfügung. Ich hatte leider keinen Apparat hinter mir, keinen Apparat zur Verfügung, den ich kommandieren konnte, der, hätte etwas Ähnliches machen müssen. Dadurch war ich darauf angewiesen, durch persönliche Gespräche mich mit den verschiedensten Leuten in Verbindung zu setzen. Aber ich möchte sagen, es ist nicht so gefährlich gewesen, wie es hier aussieht, denn an sich... es waren vielleicht... die Unvernünftigen, die es noch gab, waren vielleicht einige Dutzend. Die übrigen 80 Millionen waren sehr vernünftig, sowie sie gewußt haben, um was es geht.

JUSTICE JACKSON: Vielleicht fühlten Sie sich dafür verantwortlich, 80 Millionen Menschen so völlig dem Führerprinzip ausgeliefert zu haben? Wurde Ihnen das bewußt, oder kommt es Ihnen erst heute, wo Sie darauf zurückblicken, klar zum Bewußtsein?

SPEER: Kann diese Frage nicht noch einmal gestellt werden, ich verstehe den Sinn noch nicht ganz?

JUSTICE JACKSON: Es gab 80 Millionen vernünftiger Menschen, die der Vernichtung entgegengingen. Ein Dutzend Menschen genügten, um sie ins Verderben zu jagen, und niemand war in der Lage, ihnen Einhalt zu gebieten. Ich frage Sie nun, ob Sie sich nicht für die Einführung des Führerprinzips in Deutschland, wie es Göring uns so schön beschrieben hat, verantwortlich fühlten?

SPEER: Ich persönlich habe mich ja dadurch, daß ich Minister wurde, im Februar 1942 diesem Führerprinzip zur Verfügung gestellt. Ich habe allerdings in meiner Organisation bald erkannt, daß dieses Führerprinzip ungeheure Fehler hat und habe versucht, es abzuschwächen. Aber das, was... aber die ungeheure Gefahr, die in diesem autoritären System liegt, wurde eigentlich erst richtig klar in dem Moment, in dem es dem Ende entgegenging. In diesem Moment konnte man sehen, was das Prinzip bedeutet, daß jeder Befehl ohne jede Kritik durchzuführen sei. Alles das, was hier im Prozeß vorkam an Befehlen, die ohne jede Rücksicht durchgeführt wurden, hat sich letzten Endes in der Durchführung der Zerstörungsbefehle bei den Brücken im eigenen Lande als ein Fehler oder als eine Schlußfolge dieses autoritären Systems erwiesen. Das autoritäre System hat sich... oder soll ich so sagen: Es ist durch das autoritäre... durch den Abschluß des autoritären Systems ist erwiesen worden, welche ungeheuren Gefahren in einem derartigen System an sich liegen, ganz abgesehen von der Person Hitlers. Die Verbindung von Hitler und von diesem System haben dann diese ungeheuren Katastrophen über die Welt gebracht.

JUSTICE JACKSON: Hitler ist ja nun tot – ich vermute, daß Sie das auch annehmen – und wir sollten dem Teufel geben, was des Teufels ist. Stimmt es nicht, daß es in Hitlers Umgebung außer Ihnen vielleicht sogar niemanden gab, der den Mut hatte, ihm ins Gesicht zu sagen, daß der Krieg verloren sei?

SPEER: Das ist mit Einschränkung richtig. Es gab unter den militärischen Führern viele, die für ihren Spezialsektor Hitler sehr klar sagten, wie die Lage ist. Viele Oberbefehlshaber der Heeresgruppen haben die katastrophale Entwicklung ihm klar gesagt, und es gab darüber oft harte Auseinandersetzungen, auch in der Lagebesprechung. Auch Männer wie Guderian und auch wie Jodl haben oft in meiner Gegenwart über ihren Sektor klar berichtet, und Hitler mußte daraus erkennen, wie die Gesamtlage war. Aber ich habe nicht feststellen können, daß die eigentlich Verantwortlichen um Hitler zu ihm hingegangen sind und ihm gesagt haben: »Der Krieg ist verloren.« Ich habe auch nicht erlebt, daß diese Verantwortlichen versucht haben, untereinander Verbindung aufzunehmen, um zu einem gemeinsamen Schritt bei Hitler zu kommen. Ich habe dies von meiner Seite aus, mit einigen Ausnahmen, auch nicht versucht, weil es zwecklos gewesen wäre, denn Hitler hatte in dieser Phase alle diese engeren Mitarbeiter so sehr eingeschüchtert, daß sie ohne jeden Willen waren.

JUSTICE JACKSON: Dann nehmen wir den zweiten, der uns gesagt hat, er wäre dafür gewesen, daß man bis zum Schluß weiterkämpfe. Waren Sie bei einer Unterhaltung zwischen Göring und General Galland anwesend, in der es in der Hauptsache darum ging, daß Göring Galland verbot, über das Unglück, das über Deutschland hereinbrach, zu berichten?

SPEER: Nein, das ist nicht in dieser Form richtig. Es war ein anderes Gespräch.

JUSTICE JACKSON: Gut, dann erzählen Sie uns bitte über die Unterredung zwischen General Galland und Göring, soweit Sie etwas darüber wissen.

SPEER: Das war im Führerhauptquartier in Ostpreußen vor dem Zuge Görings. Galland hatte an Hitler gemeldet, daß die feindlichen Jagdflugzeuge die Bomberverbände bereits bis in die Gegend von Lüttich begleiten und daß zu erwarten sei, daß diese Bomberverbände in der Zukunft in einer bedeutend größeren Entfernung von den Jagdflugzeugen begleitet würden. Göring nahm nach der Lagebesprechung bei Hitler sich Galland vor und sagte ihm zunächst erregt, daß das nicht den Tatsachen entsprechen konnte. Die Jäger könnten nicht bis Lüttich mitfliegen, und er sagte dabei, aus seiner Erfahrung als alter Jagdflieger wüßte er das genau. Galland gab darauf zur Antwort, daß die Flugzeuge ja abgeschossen wurden, die Jagdflugzeuge, und daß sie am Boden liegen bei Lüttich. Das wollte Göring nicht wahr haben. Galland war ein sehr offener Mann, der sehr klar seine Meinung Göring gegenüber sagte und sich von seiner Erregung nicht beeinflussen ließ. Schließlich hat Göring Galland als Oberbefehlshaber der Luftwaffe ausdrücklich verboten, über diese Angelegenheit noch weiter eine Meldung zu machen. Es sei unmöglich, daß die feindlichen Jagdflugzeuge so tief nach Deutschland eindringen könnten, und er, also er befehle ihm, daß er das als richtig anzunehmen habe. Ich habe mich dann anschließend mit Galland noch darüber unterhalten, und Galland ist dann auch später als General der Jagdflieger von Göring abgesetzt worden. Galland hatte zu diesem Zeitpunkt die Jagdflieger in Deutschland unter sich. Er war der General aller Jagdflieger innerhalb des Oberkommandos der Luftwaffe.

VORSITZENDER: Wann war das?

JUSTICE JACKSON: Das wollte ich gerade fragen.

SPEER: Das dürfte Ende 1943 gewesen sein.

VORSITZENDER: Machen wir jetzt eine Pause, Justice Jackson?