[Das Gericht vertagt sich bis 14.00 Uhr.]
Nachmittagssitzung.
[Der Angeklagte Speer im Zeugenstand.]
VORSITZENDER: Der Gerichtshof möchte von den Verteidigern hören, welche Vorkehrungen sie hinsichtlich der Zeiteinteilung für ihre Plädoyers getroffen haben.
DR. NELTE: Ich möchte zunächst zu dieser Frage klarstellen, daß die Verteidiger, mit denen das Gericht in einer früheren geschlossenen Sitzung die Frage der Plädoyers besprochen hatte, hierüber der Gesamtverteidigung nicht allgemein berichtet hatten, weil sie den Eindruck hatten, das Tribunal werde der Verteidigung keinerlei Beschränkung auferlegen. Ich persönlich hatte, als ich den Einspruch einlegte, von diesen Besprechungen keine Kenntnis, wie ich namens der Kollegen erklären darf, die früher mit Ihnen Rücksprache genommen hatten.
Gemäß der Anregung des Tribunals haben nun die Verteidiger der einzelnen Angeklagten den in der Sitzung vom 13. Juni 1946 verkündeten Beschluß besprochen, und ich unterbreite dem Gericht das Ergebnis dieser Beratungen, wobei ich eine gewisse Einschränkung bezüglich einiger Kollegen machen muß, die zum Teil nicht anwesend sind und zum Teil in Bezug auf die Schätzung anderer Ansicht sind.
Die Verteidiger glauben, daß die Entscheidung über die Gestaltung und Dauer des Plädoyers in diesem außergewöhnlichen Prozeß allein dem pflichtgemäßen Ermessen des einzelnen Verteidigers unterworfen sein kann, unbeschadet des allgemein anerkannten Rechtes des Tribunals, im Rahmen der Verhandlungsleitung gegen einen eventuellen Mißbrauch der Redefreiheit einzuschreiten. Ferner glauben sie, daß es aus dieser grundsätzlichen Erwägung und gemäß der vor internationalen Gerichten geübten Praxis vom Tribunal verstanden und gebilligt wird, wenn die Verteidiger Bedenken gegen eine prophylaktische Einschränkung der Redefreiheit geltend machen, da ein Mißbrauch nicht ohne weiteres unterstellt werden darf. Dieser grundsätzlichen Stellungnahme entspricht aber selbstverständlich die Bereitschaft der Verteidiger, den Richtlinien des Tribunals und seinen Wünschen zu entsprechen, soweit dies mit der richtig verstandenen Wahrnehmung der Verteidigung im Einzelfall zu vereinbaren ist. Unter diesem Gesichtspunkt sind die einzelnen Verteidiger aufgefordert worden, eine Selbstschätzung der Dauer ihres voraussichtlichen mündlichen Vortrags vorzunehmen. Das Ergebnis dieser Selbstschätzung ist so ausgefallen, daß in Beachtung der Selbstdisziplin der Verteidiger und unter Berücksichtigung der Wünsche des Hohen Tribunals eine Gesamtdauer von etwa 20 vollen Verhandlungstagen herauskommt.
VORSITZENDER: Dr. Nelte! Der Gerichtshof hat die Verteidiger ersucht, sich über die richtige Einteilung der 14 Tage untereinander zu einigen.
DR. NELTE: Ich glaube, Herr Präsident, daß die soeben vorgetragene Erklärung zum Ausdruck bringt, daß es unmöglich erscheint, den Grundsatz anzunehmen. Wenn das Tribunal diese 14 vollen Verhandlungstage als einen undiskutablen Zeitraum betrachtet, wird die Gesamtverteidigung sich diesem Beschluß fügen. Es wird aber, soviel ich glaube, unmöglich sein, unter solchen Umständen eine Einigung innerhalb der Verteidiger zu erzielen, und es besteht die hohe Gefahr, daß die an späteren Stellen stehenden Verteidiger in eine gewisse Zeitnot geraten werden.
VORSITZENDER: Ja, das kann der Gerichtshof sicherlich vollkommen verstehen, daß 14 Tage... daß Sie und Ihre Kollegen 14 Tage für zu wenig halten. Der Gerichtshof hat jedoch darum gebeten, eine Einteilung dieser Zeit vorzunehmen, und in Ihrem Vortrag haben Sie in keiner Weise angedeutet, daß überhaupt eine solche Einteilung vorgenommen worden ist, weder von den 14 Tagen noch von den von Ihnen vorgeschlagenen 20 Tagen.
DR. NELTE: Der Zeitraum von 20 Tagen ist dadurch zustande gekommen, daß die einzelnen Verteidiger die präsumtive Dauer ihrer Vorträge angegeben haben. Es wäre also durchaus möglich zu sagen, daß, wenn das Tribunal die Dauer von 20 Tagen bewilligt, auch die Lösung dieser Dauer der Einzelvorträge bekanntgegeben werden kann. Es ist aber praktisch unmöglich, bei einer Gesamtdauer von 14 Tagen eine Verteilung vorzunehmen. Sie können versichert sein, Herr Präsident, wir haben alle gewissenhaft geprüft und auch überlegt, in welcher Weise eine Aufteilung einzelner Komplexe zwischen den einzelnen Verteidigern möglich ist. Aber die Gesamtdauer von etwa 20 Tagen scheint uns, ohne daß damit ein Maximum oder Minimum angegeben werden soll, als unbedingt nötig für eine Verteilung. Es kann durchaus möglich sein, Herr Präsident, daß sich im Verlaufe der Vorträge...
VORSITZENDER: Dr. Nelte! Wie ich schon betont habe, wollte der Gerichtshof Ihre Zeiteinteilung wissen. Wahrscheinlich haben Sie schon eine derartige Verteilung für insgesamt 20 Tage, die Ihrer Ansicht nach benötigt werden, vorgenommen. Falls Sie eine derartige Verteilung vorgenommen haben, so bitten wir Sie, sie dem Gerichtshof zu zeigen. Wenn Sie noch keine gemacht haben, dann würde der Gerichtshof gerne von jedem einzelnen Verteidiger wissen, wieviel Zeit er seiner Ansicht nach benötigen wird. Wenn Sie schon eine Liste haben, scheint es dem Gerichtshof, daß Sie diese einreichen sollten.
DR. NELTE: Es liegen diese Angaben vor, und sie werden dem Tribunal überreicht. Es liegen Angaben hierüber vor, jedoch haben einzelne Kollegen erklärt, daß diese ihre Angaben nur unter der Voraussetzung gelten, daß eine ganz bestimmte Anzahl von Tagen nur bewilligt werden sollte. Das ist der Standpunkt, von dem ich vorhin sagte, daß er in gewisser Beziehung abweichend ist. Wir alle waren aber der Meinung, daß der Beschluß des Gerichts nur eine Anregung sei und nicht ein Maximum, das zur Aufteilung kommen sollte.
Ich hoffe, Herr Präsident, daß auch Ihre jetzigen Worte so aufzufassen sind, daß das Tribunal noch darüber beraten wird, ob es nicht die vorgesehene Zeit von 14 Tagen entsprechend unserer für notwendig gehaltenen Zeit erhöhen wird.
VORSITZENDER: Was der Gerichtshof wünscht, ist eine Aufteilung der Zeit unter die einzelnen Verteidiger. Darum hat der Gerichtshof gebeten, und das ist es, was er verlangt. Wir bitten Sie, uns diese Zeiteinteilung entweder jetzt schriftlich zu übergeben, oder wir werden Sie, jeden einzelnen von Ihnen, bitten, uns anzugeben, wieviel Zeit er für sein Plädoyer in Anspruch zu nehmen gedenkt.
DR. NELTE: Ich glaube, im Namen meiner Kollegen sprechen zu dürfen, daß wir dem Gericht schriftlich den Plan der Selbstschätzung einreichen.
VORSITZENDER: Dr. Nelte! Der Gerichtshof ist der Ansicht, daß er diese Einteilung gerne jetzt gleich haben würde. Die Verteidiger sind vorgestern, glaube ich, benachrichtigt worden, daß der Gerichtshof heute um 2.00 Uhr eine Antwort auf die Frage der Zeiteinteilung haben wollte, und wir würden sie jetzt gern hören.
DR. NELTE: Dann kann ich nur darum bitten, jeden der einzelnen Verteidiger darüber zu befragen, da ich naturgemäß nicht aus dem Kopf sagen kann, wie der einzelne das früher geschätzt hat.
VORSITZENDER: Sie hätten es zwar aufschreiben lassen können, aber wenn Sie es nicht schriftlich haben, dann können Sie sich sicher nicht mehr daran erinnern. Vielleicht sagen Sie uns zunächst, wie lange Sie benötigen.
DR. NELTE: Ich habe vorgesehen sieben Stunden. Der Kollege Horn sagt mir soeben... Horn für Ribbentrop sagt sechs Stunden.
VORSITZENDER: Wir werden jeden Verteidiger der Reihe nach fragen.
Ja, Dr. Stahmer?
DR. OTTO STAHMER, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN GÖRING: Sieben Stunden.
VORSITZENDER: Dr. Sauter?
DR. MARTIN HORN, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN VON RIBBENTROP: Darf ich für Dr. Siemers und Dr. Kranzbühler bitten, je acht Stunden in Rechnung zu stellen.
DR. SAUTER: Für den Fall Funk sechs Stunden und für den Fall von Schirach sechs Stunden.
DR. SERVATIUS: Servatius für Sauckel fünf Stunden...
VORSITZENDER: Einen Augenblick bitte; so schnell kann ich nicht schreiben. Für wen hatte Dr. Horn gesprochen? Für Dr. Siemers und für wen noch? Und wieviel Stunden braucht er?
DR. HORN: Dr. Siemers und Dr. Kranzbühler je acht Stunden.
DR. SERVATIUS: Servatius für Sauckel fünf Stunden.
DR. KAUFFMANN: Kauffmann für Kaltenbrunner etwa vier bis fünf Stunden.
DR. HANNS MARX, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN STREICHER: Dr. Marx für Streicher vier Stunden.
DR. SEIDL: Dr. Seidl für Heß und Frank zusammen elf Stunden.
DR. OTTO PANNENBECKER, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN FRICK: Pannerebecker für Frick fünf Stunden.
Ich erinnere mich nach der Liste, Bergold für Bormann drei Stunden. Herr Bergold ist nicht hier, ich erinnere mich, daß drei Stunden auf der Liste standen.
DR. RUDOLF DIX, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN SCHACHT: Dix für Schacht fünf Stunden.
PROFESSOR DR. FRANZ EXNER, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN JODL: Exner für Jodl fünf Stunden.
DR. KUBUSCHOK: Für Papen etwa fünf Stunden.
DR. STEINBAUER: Dr. Steinbauer für Dr. Seyß-Inquart fünf Stunden.
DR. FLÄCHSNER: Flächsner für Speer vier Stunden.
DR. VON LÜDINGHAUSEN: Dr. von Lüdinghausen...
Für mich selbst, Herr Präsident, acht Stunden; für Herrn Professor Jahrreiss, der ja vor Beginn aller Plädoyers einen gewissen technischen Komplex behandeln wird, vier Stunden.
VORSITZENDER: Worüber spricht Professor Jahrreiss?
DR. VON LÜDINGHAUSEN: Ober etwas, das vom Gericht gebilligt wurde, nämlich, daß der Komplex »Völkerrechtliche Bestimmungen« von ihm behandelt wird.
DR. SEIDL: Der Verteidiger des Angeklagten Rosenberg hat erklärt, acht Stunden zu benötigen.
DR. FRITZ: Herr Präsident! Ich bitte zu berücksichtigen, daß der Fall Fritzsche noch nicht verhandelt worden ist, und ich kann noch keine Auskunft geben; mit dieser Einschränkung glaube ich etwa vier Stunden.
VORSITZENDER: Jetzt möchte der Gerichtshof vor allem wissen, Dr. Nelte, ob die Verteidiger ihre Plädoyers erst niederschreiben und dann verlesen wollen.
DR. NELTE: Soviel ich unterrichtet bin, werden sämtliche Verteidiger ihre Reden vorher niederschreiben. Ob sie sie im Wortlaut vollständig verlesen wollen oder ob sie Teile daraus verlesen, oder Teile davon vorlegen, das steht noch dahin.
VORSITZENDER: Haben die Verteidiger sich überlegt, ob sie die Reden zum Übersetzen einreichen wollen? Denn es wäre, wie der Gerichtshof schon angedeutet hat, viel bequemer, wenn die Mitglieder des Gerichtshofs, die nicht deutsch lesen, eine solche Übersetzung vor sich hätten. Es würde nicht nur dem Gerichtshof viel helfen, sondern auch den Angeklagten selbst, wenn sie das täten.
DR. NELTE: Diese Frage ist noch nicht entschieden; sie war Gegenstand der Besprechung, aber es konnte bisher noch kein endgültiges Ergebnis erzielt werden. Wir glauben, daß auch die Zeit, die jetzt sehr eilt, es vielleicht unmöglich macht, die Manuskripte in alle vier Sprachen zu übersetzen.
VORSITZENDER: Die Verteidiger haben doch wohl keinen Zweifel, daß die zur Übersetzung eingereichten Plädoyers niemandem gezeigt werden, bevor sie tatsächlich gehalten werden. Sie werden weder dem Gerichtshof noch der Anklagebehörde, noch sonst jemandem vor der Verlesung gegeben werden, so daß sie absolut vertraulich bleiben, bis sie gehalten werden. Außerdem wird höchstwahrscheinlich eine große Anzahl der Plädoyers dadurch verzögert werden, daß andere Verteidiger ihre Plädoyers vorher halten, und dadurch wird in diesen 14 Tagen oder in der längeren Zeitspanne, wenn diese zugebilligt wird, viel Zeit vorhanden sein, um die Übersetzung dieser Plädoyers zu ermöglichen, und die Verteidiger werden verstehen, daß, wenn ihre Reden niedergeschrieben werden, sie genau – oder mindestens fast genau – abschätzen können, wie lange die Verlesung der Reden dauern wird.
Hier ist noch ein Punkt, auf den ich Ihre Aufmerksamkeit lenken möchte.
Da es 20 oder 21 Angeklagte gibt und natürlich eine ganze Reihe von Fragen alle betreffen, scheint es dem Gerichtshof zweckmäßig, daß den Verteidigern daher Gelegenheit gegeben wird, einige dieser Fragen untereinander aufzuteilen, damit nicht jeder sich mit Gegenständen befaßt, die schon vorher behandelt wurden, genau so wie sie bei der Beweisführung nicht immer wieder hätten vorgebracht werden sollen. Ich weiß nicht, ob die Verteidiger dies genügend in Betracht gezogen haben, als sie ihre Zeitschätzungen machten.
Auf jeden Fall hofft der Gerichtshof, daß die Verteidiger diese drei Punkte berücksichtigen werden: Erstens, ob sie ihre Plädoyers zur Übersetzung einreichen können, um dem Gerichtshof dadurch zu helfen; zweitens, ob sie imstande sein werden, wenn sie ihre Plädoyers niedergeschrieben haben, deren Zeitdauer genau festzustellen, und drittens, ob sie die Fragenkomplexe nicht unter sich so aufteilen können, daß wir nicht immer wieder dasselbe anhören müssen.
Ich weiß nicht, ob die Anklagebehörde den Wunsch hat, irgend etwas zu sagen. Der Gerichtshof hat gesagt – glaube ich – daß wir auf Grund der Anordnung bezüglich der Zeiteinschränkung annehmen, daß die Anklagebehörde nur drei Tage in Anspruch nehmen wird. Es wäre ganz gut, wenn wir von der Anklagebehörde hören könnten, ob diese Schätzung genau ist.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja, Euer Lordschaft, die Anklagebehörde verlangt nicht mehr als diese drei Tage. Es könnte möglicherweise noch weniger sein, aber auf keinen Fall mehr als drei Tage.
JUSTICE JACKSON: Herr Vorsitzender! Ich möchte Sie auf folgendes aufmerksam machen: Ich hoffe nicht, daß man von uns erwartet, daß wir 20 Tage Plädoyers über unsere Vervielfältigungsmaschinen laufen lassen. Wir können einfach eine derartige Last nicht auf uns nehmen. Ich glaube, es ist... Ein amerikanischer Bürger muß seinen Fall vor dem Obersten Gericht des Landes in einer Stunde vortragen; und sogar die Mandanten der Verteidigung haben sich offen über die Länge der verlangten Zeit lustig gemacht. Es ist wirklich übertrieben, für diesen Fall so viel Zeit zu bewilligen, und ich muß dagegen Einspruch erheben, daß man uns zumutet, diese 20 Tage Plädoyers zu vervielfältigen; das ist wirklich unmöglich.
VORSITZENDER: Der Gerichtshof würde gerne wissen, ob die Anklagebehörde beabsichtigt, uns – wenn sie ihre Plädoyers hält – Abschriften davon zukommen zu lassen?
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Was das Schlußplädoyer des Herrn Generalstaatsanwalts betrifft, so erwarten wir selbstverständlich und hoffen auch, dem Gerichtshof Abschriften der Rede vorzulegen.
VORSITZENDER: Auch die Übersetzungen?
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja, das wird auch gemacht. Euer Lordschaft, ich dachte gerade darüber nach – vielleicht bin ich zu optimistisch – daß Dr. Nelte gesagt hat, das Übersetzen würde viel Zeit in Anspruch nehmen. Was die Übersetzung ins Englische anlangt, so weiß ich, daß unsere eigenen Übersetzer neulich Reden von 76 Tagen an einem Tag übersetzt haben. Darum hoffe ich, daß Dr. Nelte in dieser Hinsicht vielleicht doch ein wenig zu pessimistisch ist.
VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird über diesen Punkt beraten. Jetzt können wir das Kreuzverhör fortsetzen.
JUSTICE JACKSON: Ich glaube, Herr Vorsitzender, daß die zum Beweis vorliegenden Photographien nicht sehr verständlich sind, wenn das Protokoll keine Beschreibung dazu gibt. Ich werde diese kurz verlesen. Es ist eine Beschreibung der Folterkammern, die in dem Lager für ausländische Arbeiter auf dem zu Panzerbau 4 gehörigen Terrain und in dem schmutzigen und vernachlässigten Russenlager benutzt wurden. Letztere haben wir besichtigt und sagen unter Eid folgendes darüber aus:
»Die Photographie A zeigt einen Eisenschrank, der von der Firma Krupp speziell hergestellt worden ist, um russische Zivilarbeiter in einem Maße zu foltern, das man unmöglich mit Worten beschreiben kann. In einem Fach des Schrankes, in dem kaum ein Mann lange Zeit geradestehen kann – die Höhe ist 1,52 m, die Breite und Tiefe je 40 bis 50 cm – wurden sehr oft Männer wie Frauen für längere Zeit eingesperrt, oft sogar zu zweien in einem Fach, mit Füßen getreten und hineingepreßt.«
Die Russen... ich will den Rest davon nicht verlesen.
»Bild B zeigt denselben Schrank, wie er abgesperrt aussieht.
Bild C zeigt den Schrank offen...
Im Bild D sehen wir das Lager, das vom Kruppschen Direktorium als Wohnraum für die russischen Zivilarbeiter bestimmt wurde. Die Breite der einzelnen Zimmer war 2 bis 2,5 m, die Länge etwa 5 m, die Höhe 2 m. In jedem Raum waren bis zu 16 Personen in Doppelbet ten untergebracht...« (Dokument US-897)
Das genügt meiner Ansicht nach.
VORSITZENDER: Einen Augenblick, Herr Justice Jackson, ich finde, Sie sollten die letzten drei Zeilen des zweiten Absatzes lesen. Es beginnt: »Oben in dem Schrank...«
JUSTICE JACKSON: Ach ja, Verzeihung.
»Oben in dem Schrank befinden sich siebartig einige Luftlöcher, durch die man im eiskalten Winter kaltes Wasser auf die bedauernswerten Opfer geschüttet hat.«
VORSITZENDER: Ich finde, Sie sollten auch die letzten drei Zeilen des vorletzten Absatzes verlesen in Anbetracht dessen, was der Angeklagte über den Beweis gesagt hat.
JUSTICE JACKSON:
»Wir legen noch zwei Briefe bei, die der Lagerführer Löwenkamp aus dem Gefängnis herausgeschmuggelt hat, um den Unterzeichneten Höfer zu beeinflussen, günstig für ihn auszusagen.«
Und vielleicht sollte ich auch den Schluß lesen:
»Der Unterzeichnete Dahm...« – einer der Unterzeichner – »hat persönlich gesehen, daß in der Neujahrsnacht 1945 drei russische Zivilarbeiter, nachdem sie zuerst geschlagen worden waren, in den Schrank – in ein Fach zwei – eingesperrt wurden. Zwei von den Russen mußten die ganze Neujahrsnacht darin bleiben, und es wurde sogar noch kaltes Wasser über die Leute gegos sen.«
Ich möchte noch hinzufügen, daß wir über 100 verschiedene Erklärungen und Affidavits in Händen haben, die sich alle mit der Untersuchung dieses Lagers befassen. Ich möchte sie nicht alle anbieten, da ich finde, daß sie kumulativ sind.
Ich werde mich mit einem weiteren Dokument begnügen, und zwar D-313, das US-901 wird. Es ist die eidesstattliche Erklärung eines Doktors.
VORSITZENDER: Herr Justice Jackson! War dieses Lager, von dem Sie sprechen, ein Konzentrationslager?
JUSTICE JACKSON: Soweit ich verstanden habe, handelte es sich um ein Kriegsgefangenen- und Arbeitslager. Es gab sowohl Arbeitslager wie auch Kriegsgefangenenlager in Essen. Ich hatte nicht angenommen, daß es sich um ein Konzentrationslager handelte, gebe aber zu, daß sie manchmal ziemlich schwer zu unterscheiden sind.
Nun zu dem Dokument:
»Ich, der Unterzeichnete, Dr. Apolinary Gotowicki, Arzt der polnischen Armee, kam am 3. Januar 1941 in deutsche Gefangenschaft und war dort bis zum Einmarsch der Amerikaner. Ich gab den polnischen, russischen und französischen Kriegsgefangenen medizinische Hilfe, welche an verschiedenen Stellen der Kruppbetriebe zur Arbeit gezwungen waren. Ich besuchte per sönlich das russische Kriegsgefangenenlager in der Raumastraße in Essen, welches eine Besatzung hatte von ungefähr 1800 Mann. In diesem Lager waren in einem großen Saal, der normalerweise 200 Mann beherbergen konnte, etwa 300 bis 400 Menschen zusammengewürfelt untergebracht, dazu in einer katastrophalen Art, so daß keine sanitäre Behandlung möglich war. Der Boden bestand aus Zement, die Strohsäcke, die zum Schlafen dienten, waren verwanzt und verlaust. Auch an kalten Tagen waren die Räume nie geheizt, und es erschien mir als Arzt menschenunwürdig, in welcher Lage die Leute sich befanden. Es war auch unmöglich, diese Räume sauber zu halten, weil bei dieser Überfüllung die Menschen kaum Platz fanden, sich in normaler Art zu bewegen. Täglich wurden mir bis zu 10 Personen vorgeführt, die den Körper mit blauen Flecken überdeckt hatten auf Grund des dauernden Schlagens mit Gummischläuchen, Stahlruten oder Stöcken. Die Leute wälzten sich oft vor Schmerzen, ohne daß ich die Möglichkeit hatte, auch nur eine kleine medizinische Hilfe den Leuten zuteil werden zu lassen. Trotzdem ich protestierte, Beschwerden einlegte und oft vorstellig wurde, war es mir nicht möglich, die Leute zu schützen oder dafür zu sorgen, daß sie mal einen Tag von der Arbeit befreit wurden. Es war für mich schwer mitanzusehen, wie man solche schwerleidende Menschen an die schweren Arbeiten heranziehen konnte. Ich habe persönlich unter Gefahr Herren von der Kruppschen Verwaltung aufgesucht, ebenso Herren vom Kruppschen Direktorium, um Abhilfe zu schaffen. Es war mir strengstens verboten, weil die Lager von der SS und Gestapo verwaltet wurden, und nach den bekannten Richtlinien mußte ich schweigen, weil ich persönlich dadurch in ein KZ-Lager hätte kommen können. Ich habe unzählige Male mein eigenes Brot mitgebracht, welches auch für mich alleine sehr knapp war, um es den Gefangenen zu geben, soweit es mir eben möglich war. Die Zustände wurden von Beginn, nämlich vom Jahre 1941 an, nicht besser, sondern verschlechterten sich laufend. Die Kost bestand aus einer Wassersuppe, welche schmutzig und sandig war, und oft mußten die Kriegsgefangenen auch Kohl, welcher faul war und schon stank, zu sich nehmen. Ich konnte täglich Leute bemerken, die infolge Hunger oder Mißhandlungen dahinkrepierten. Oft lagen Tote zwei bis drei Tage auf ihren Strohsäcken, bis ihre Körper derart gestunken halben, daß Mitgefangene sie nach draußen brachten und irgendwo an einer Stelle verscharrten. Die Schüsseln, aus denen die Leute aßen, benutzten sie auch als Toilette, weil sie zu müde waren und vor Hunger zu ermattet, um überhaupt von ihren Pritschen aufstehen zu können und zu laufen. Um 3 Uhr morgens wurden sie geweckt. Die gleiche Schüssel wurde auch zum Waschen gebraucht und später wieder zum Essen. Die Art und Weise war allgemein bekannt. Trotzdem war es mir unmöglich, irgendwelche auch nur elementare Hilfe oder Erleichterung zu schaffen, um diese Epidemien, Krankheiten und Verhungertenfälle aus dem Wege zu räumen. Von einer medizinischen Hilfe an den Gefangenen kann keine Rede sein; ich selbst habe nie medizinische Mittel be kommen. Ich habe allein im Jahre 1941 in medizinischer Hinsicht für die Leute sorgen müssen, und es ist selbstverständlich, daß es mir als einzigstem Menschen unmöglich war, für diese vielen Menschen zu sorgen, noch dazu, daß ich kaum medizinische Mittel zur Verfügung hatte. Bei einer Anzahl von 1800 Menschen, welche täglich zu mir kamen und weinten und klagten, konnte ich mir keinen Rat schaffen. Ich bin selbst täglich oft zusammengebrochen, und trotzdem mußte ich alles alleine auf mich nehmen und zusehen, wie die Leute verreckten und dahinscheiden mußten. Es wurde auch nie ein Report gemacht, auf welche Art und Weise die Kriegsgefangenen zu Tode gekommen waren. Ich habe selbst mit meinen eigenen Augen die russischen Kriegsgefangenen von der Arbeit bei Krupp zurückkommen sehen, wie sie zusammenbrachen auf dem Marsch und wie sie teilweise auf Karren gefahren oder von Kameraden getragen wurden. Auf solch eine Art und Weise kamen die Leute dann wieder in ihre Lager zurück. Die Arbeit, die sie leisten mußten, war sehr schwer und gefahrvoll, und viele Fälle ereigneten sich, in denen sich die Leute in die Finger, Hände oder Beine geschnitten hatten. Die Unfälle waren sehr schwer, und die Leute kamen zu mir und baten um medizinische Hilfe. Aber mir war es nicht einmal möglich, sie einen oder zwei Tage von der Arbeit fernzuhalten, obwohl ich bei dem Vorstand von Krupp oft vorstellig wurde und um eine Bewilligung dazu bat. Ende des Jahres 1941 schieden täglich 2 Mann vom Leben, und im Jahre 1942 erhöhten sich die Todesfälle auf 3-4 Mann. Ich war Herrn Dr. May unterstellt, und manchmal gelang es mir auch, daß er bei schweren Klagen mit ins Lager kam und die furchtbaren Zustände sah, aber auch Herrn Dr. May war es nicht möglich, von der medizinischen Stelle der Wehrmacht oder der Firma Krupp medizinische Hilfe oder eine Besserung der Behandlung, andere Bedingungen oder Besserung der Kost zu erreichen.
Ich war auch Zeuge bei einer Unterhaltung mit russischen Frauen, welche mir persönlich erzählten, daß sie in den Kruppschen Betrieben arbeiteten und daß sie täglich auf barbarische Art und Weise geschlagen würden. Das Essen bestand auch hier aus einer Wassersuppe, die schmutzig und ungenießbar war und deren furchtbaren Geruch man schon von weitem bemerken konnte. Die Kleidung war zerlumpt und zerfetzt, an den Füßen trugen sie Fußlappen und Holzschuhe. Ihre Behandlung war, wie ich feststellen konnte, die gleiche, die man den russischen Kriegsgefangenen zuteil werden ließ. Schlagen war an der Tagesordnung. Die Zustände dauerten jahrelang, vom Beginn bis zum Eintreffen der amerikanischen Truppen. Die Leute mußten immer in einer furchtbaren Angst leben, und es war für sie eine große Gefahr, irgendwo jemandem die Zustände zu schildern, die in ihren Lagern herrschten. Die Richtlinien, die sie bekamen, waren so, daß sie sofort hätten kaltgestellt werden können, wenn irgend jemand von der Wache, der SS oder Gestapo etwas davon gemerkt hätte. Mir war es als Arzt möglich, näher mit den Leuten zu sprechen; sie hatten Vertrauen zu mir und wußten, daß ich als Pole sie niemals an jemanden verraten hätte. Unter schrift: Dr. Apolinary Gotowicki.«