[Zum Zeugen gewandt:]
Sagen Sie uns, warum Sie das Telegramm über die Zerstörung von Industriebetrieben an die Gauleiter gesandt haben.
SPEER: Das ging einmal... das ging nicht nur an die Gauleiter allein, sondern das ging an meine Beauftragten und an die Gauleiter. Die Gauleiter mußten deswegen unterrichtet werden, weil sie unter Umständen von sich aus Zerstörungen befohlen hätten, und da die Gauleiter mir nicht unterstanden, mußte ich dieses Fernschreiben von mir entworfen an Bormann schicken, dem die Gauleiter unterstanden und mußte es von Bormann an die Gauleiter gehen lassen.
STAATSJUSTIZRAT RAGINSKY: Sie haben ausgesagt, daß Ley, Goebbels und Bormann Anhänger der Hitlerschen Politik der »Verbrannten Erde« waren. Hat denn keiner von den hier auf der Anklagebank Sitzenden Hitler in dieser Politik unterstützt?
SPEER: Meiner Erinnerung nach war niemand von denen, die auf der Anklagebank sind, für die »Verbrannte-Erde«-Politik. Im Gegenteil, zum Beispiel Funk war einer derjenigen, der sich auch sehr scharf dagegen gewandt hat.
STAATSJUSTIZRAT RAGINSKY: Diese Politik wurde nur von denjenigen unterstützt, die jetzt tot sind.
SPEER: Ja, deswegen werden sie wahrscheinlich sich auch getötet haben, weil sie für diese Politik waren und andere Sachen gemacht haben.
STAATSJUSTIZRAT RAGINSKY: Ihr Verteidiger hat dem Gerichtshof verschiedene Briefe vom März 1945 vorgelegt, die an Hitler gerichtet waren. Sagen Sie uns, haben Sie nach diesen Briefen das Vertrauen zu Hitler verloren?
SPEER: Ich hatte ja gestern bereits gesagt, daß es sehr scharfe Auseinandersetzungen danach gab und daß Hitler haben wollte, daß ich auf Urlaub gehe, auf Dauerurlaub gehe, das heißt also praktisch, aus dem Amt entlassen werde. Aber ich wollte nicht.
STAATSJUSTIZRAT RAGINSKY: Das habe ich bereits gehört. Trotzdem hat Hitler gerade Sie am 30. März 1945 mit der totalen Zerstörung der Industrieanlagen beauftragt.
SPEER: Ja. Es war so. Ich war zuständig für die Zerstörung oder Nichtzerstörung der Industrien in Deutschland bis zum 19. März 1945. Dann hat durch einen Erlaß Hitlers, der auch vorgelegt wurde, mir Hitler diese Vollmacht, die Zerstörung selbst durchzuführen, genommen und durch den Erlaß Hitlers vom 30. März 1945, der von mir entworfen war, habe ich das Recht, Zerstörungen durchzuführen, wieder bekommen. Aber die Hauptsache ist ja die... Ich habe ja auch die Befehle von mir vorgelegt, die auf Grund dieser Vollmacht, die Zerstörungen durchzuführen, ergangen sind, und aus denen geht ja klar hervor, daß ich verboten habe, daß Zerstörungen durchgeführt werden. Damit war ja der Zweck erreicht. Es ist nicht entscheidend, wie der Erlaß Hitlers aussieht, sondern wie mein Durchführungserlaß aussieht. Der ist auch bei den Dokumenten.
STAATSJUSTIZRAT RAGINSKY: Hat Hitler Sie nach Empfang dieser Briefe nicht als einen Mann betrachtet, der ihm Widerstand leistete?
SPEER: Hitler hat damals gesagt in der Besprechung, die ich mit ihm hatte, daß er auf mich weder aus innen- noch außenpolitischen Gründen verzichten könnte. Das war seine Begründung. Ich glaube, daß er in seinem Vertrauen zu mir bereits damals etwas erschüttert war, denn er hat ja in seinem Testament einen anderen ernannt als Nachfolger.
STAATSJUSTIZRAT RAGINSKY: Und die letzte Frage. Im April 1945 haben Sie im Studio des Hamburger Senders eine Rede verfaßt, die Sie halten wollten, wenn Berlin fallen sollte. In dieser vorbereiteten Rede, die nicht gehalten wurde, traten Sie für das Verbot der Werwolf-Organisation und so weiter ein. Sagen Sie, wer war der Leiter der Werwolf-Organisation?
SPEER: Den Werwolf leitete der Reichsleiter Bormann.
STAATSJUSTIZRAT RAGINSKY: Und wer noch außer Bormann?
SPEER: Nein, es war Bormann, denn, soweit ich unterrichtet bin – ich kann es nicht ganz genau sagen –, war der Werwolf eine Organisation, die Bormann unterstellt war.
STAATSJUSTIZRAT RAGINSKY: Selbstverständlich. Wenn Bormann noch am Leben wäre, dann wäre Himmler der Leiter dieser Organisation gewesen. Eine andere Antwort habe ich von Ihnen auch nicht erwartet.
Ich habe keine weiteren Fragen mehr.
VORSITZENDER: Dr. Servatius! Haben Sie noch etwas zu fragen, was sich aus dem Kreuzverhör ergibt?
DR. SERVATIUS: Ich habe nur wenige Fragen zu dem Kreuzverhör.
Herr Zeuge! Sie haben erklärt, daß nach Fliegerangriffen Mängel, die in den Betrieben aufgetreten seien, von Ihnen weitergemeldet worden seien an die DAF oder auch an Sauckel. Das ist doch richtig?
SPEER: Nein, nicht ganz in dieser Form. Ich wurde gefragt, ob ich gelegentlich Berichte über derartige Zustände bekommen hätte, und ich habe gesagt: Ja. Und ich habe diese an Sauckel oder an die DAF weitergegeben, weil sie dafür zuständig waren.
DR. SERVATIUS: Was war der Inhalt dieser Berichte, die an Sauckel gingen?
SPEER: Ich habe ja, soviel ich weiß, bei dem Verhör schon gesagt, daß ich mich nicht daran präzis erinnere, daß ich derartige Berichte bekommen habe. Die Frage war ja auch nur eine theoretische: Was hätte ich getan, wenn derartige Berichte gekommen wären. Und ich dachte, es sind bestimmt Berichte gekommen, aber ich kann mich an den Inhalt im einzelnen nicht mehr erinnern.
DR. SERVATIUS: Was sollte dann Sauckel unternehmen?
SPEER: Sauckel konnte gegen die Fliegerangriffe auch nichts unternehmen.
DR. SERVATIUS: Wenn Sie ihm die Berichte zuleiteten, dann sollte es doch den Sinn haben, daß er Hilfe brachte?
SPEER: Ja, oder daß er als der Zuständige über die Zustände auf seinem Arbeitsgebiet präzise unterrichtet ist, wenn er auch keine Hilfe bringen konnte.
DR. SERVATIUS: Sein Arbeitsgebiet war Vermittlung von Arbeitskräften.
SPEER: Nein, es waren auch die Arbeitsbedingungen.
DR. SERVATIUS: Die Arbeitsbedingungen konnten nur gebessert werden durch Materiallieferungen, durch Lieferungen von Ernährung und derartige Sachen.
SPEER: Selbstverständlich. Aber letzten Endes war der Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz für die Arbeitsbedingungen zuständig. Das geht aus dem Erlaß hervor, den Göring unterschrieben hat. Daß natürlich, um die Arbeitsbedingungen einwandfrei für die Arbeitskräfte zu machen, wieder andere Behörden weiter zuständig waren, das ist ganz klar.
DR. SERVATIUS: Es handelte sich doch aber nicht darum, eine Anordnung zu erlassen, sondern um praktische Hilfe?
SPEER: Die praktische Hilfe nach Fliegerangriffen wurde auch nicht von der Zentralinstanz gemacht, das war unmöglich, weil die Verkehrsbedingungen, meistens die Telephonverbindungen, abgeschnitten waren, sondern das wurde örtlich geregelt.
DR. SERVATIUS: Also konnte Sauckel nicht helfen?
SPEER: Er nicht in seiner Person, aber örtlich hatte er seine unteren Instanzen, die dann mit eingeschaltet waren in diese Arbeit.
DR. SERVATIUS: Für irgendwelches Material mußte er sich an Sie wenden, denn alles war für die Rüstung beschlagnahmt?
SPEER: Soweit Baumaterial in Frage kommt, konnte er das Baumaterial nur von mir bekommen, und er hat an sich auch in größeren Mengen dieses Baumaterial zur Verfügung gestellt bekommen. Ich möchte hier auch sagen, das hat nicht Sauckel zur Verfügung gestellt bekommen, sondern, soviel ich weiß, im allgemeinen die Deutsche Arbeitsfront, die an sich ja die Lagerbetreuung tatsächlich durchführte.
DR. SERVATIUS: Was waren die betreuenden Dienststellen? Waren Sie nicht die betreuende Dienststelle für die Betriebe?
SPEER: Nicht in dem Sinne, wie Sie es verstehen. Sie möchten gerne die Antwort von mir haben, daß ich die Betreuung für die Arbeitsbedingungen hatte.
VORSITZENDER: Der Gerichtshof ist der Ansicht, Dr. Servatius, daß wir das alles mit dem Zeugen bereits besprochen haben.
DR. SERVATIUS: Herr Präsident! Ich glaube, über diese Frage ist noch nicht gesprochen worden. Es ist gestern die Rede gewesen von der Selbstverwaltung. Es ist ein zweiter Instanzenzug da zur Betreuung der Betriebe über die Rüstungskommission und Rüstungsinspektion, und es ist eine dritte Möglichkeit, die der Zeuge Speer hat, in Verbindung zu treten mit den Betrieben durch die Arbeitseinsatz-Ingenieure. Ich wollte dazu eine Frage noch an ihn richten.
SPEER: Ja. Ich kläre es gerne auf.
DR. SERVATIUS: Hatten Sie nicht durch die Arbeitseinsatz-Ingenieure allein die Möglichkeit, eine Besserung zu schaffen in den Betrieben, und hatten Sie den unmittelbaren Einblick?
SPEER: Ich muß dann die Aufgabe der Arbeits-Ingenieure umschreiben. Sie ist folgende: Die Arbeitseinsatz-Ingenieure hatten eine Ingenieuraufgabe, das geht ja aus dem Titel hervor.
DR. SERVATIUS: Sie war auf diese Ingenieuraufgabe beschränkt?
SPEER: Ja.
DR. SERVATIUS: Dann habe ich keine Frage mehr.
DR. FLÄCHSNER: Herr Präsident! Ich habe mit Rücksicht auf das Kreuzverhör nur zwei Fragen.
Die eine ist: Herr Speer, ich nehme noch einmal Bezug auf die Antwort, die Sie Herrn Oberrichter Jackson am Schluß des Kreuzverhörs gegeben haben. Wollen Sie zur Klarstellung sagen: Wollten Sie mit der Übernahme einer Gesamtverantwortung eine strafrechtliche, meßbare Schuld oder Mitverantwortlichkeit anerkennen, oder wollten Sie eine historische Verantwortung vor dem eigenen Volk und der Geschichte damit statuieren?
SPEER: Das ist eine sehr schwer zu beantwortende Frage. Eigentlich eine Frage, die wahrscheinlich das Gericht beantworten wird in seinem Urteil. Ich wollte damit nur zum Ausdruck bringen, daß es auch in einem autoritären System eine Gesamtverantwortung der Führenden geben muß und daß es ausgeschlossen ist, nach der Katastrophe sich der Gesamtverantwortung zu entziehen, denn wenn der Krieg gewonnen worden wäre, hätte wahrscheinlich die Führung auch Anspruch darauf genommen, daß sie gesamtverantwortlich gewesen wäre. Aber inwieweit das nun strafrechtlich ist oder moralisch ist, das kann ich nicht entscheiden, das wollte ich auch nicht entscheiden.
DR. FLÄCHSNER: Danke. Dann sind Ihnen von der Amerikanischen Anklage eine Reihe von Dokumenten vorgelegt worden über Vorgänge, die im wesentlichen, ich glaube sogar ausschließlich, nur die Firma Krupp betrafen. Sie haben ja hier schon ausgesagt, daß Sie von den Vorgängen selbst keine Kenntnis hatten, wenn ich Sie richtig verstanden habe?
SPEER: Den Detail-Einblick hatte ich nicht, wie es notwendig ist, um diese Dokumente im einzelnen beurteilen zu können.
DR. FLÄCHSNER: Herr Präsident! Ich habe dann keine weiteren Fragen. Ich muß nur nur vorbehalten, darüber noch eine Entscheidung zu treffen, ob, soweit diese eidesstattlichen Versicherungen zur Belastung meines Klienten vorgetragen sind – das ist mir nicht ganz klar geworden –, die Person, die diese Affidavits abgegeben hat, eventuell ins Kreuzverhör zu laden ist. Das tut mir sehr leid, aber das muß ich eventuell tun. Es sind ja Vorgänge, von denen ich vorher noch gar keine Kenntnis hatte, daß sie hier eingeführt werden würden. Dann, Herr Präsident, ich hätte fünf Minuten, dann wäre ich mit meinem Urkundenbeweis fertig.
VORSITZENDER: Dr. Flächsner! Wenn Sie bezüglich dieser Affidavits irgendeinen Zeugen im Kreuzverhör vernehmen wollen, so müssen Sie dafür einen schriftlichen Antrag stellen, und zwar bald. Ich glaube, ich irre mich nicht, wenn ich sage, daß nur noch zwei von den anderen Angeklagten zu verhören sind, und wenn der Antrag nicht bald eingereicht wird, so wird es nicht möglich sein, die Zeugen zu finden oder sie rechtzeitig hierher zu bringen.
Sie sagen, daß Sie in fünf Minuten fertig sein können?
DR. FLÄCHSNER: Ja.
VORSITZENDER: Dann sollten Sie es vielleicht besser jetzt tun. Aber, Herr Dr. Flächsner, zuerst will der Gerichtshof dem Zeugen eine oder zwei Fragen vorlegen.
MR. BIDDLE: Angeklagter! Sie haben davon gesprochen, daß die Gefangenen aus den westlichen Staaten nicht in der Kriegsindustrie und bei der Herstellung von Munition verwandt wurden. Erinnern Sie sich hieran?
SPEER: Ja.
MR. BIDDLE: Hat es diesbezügliche Anordnungen gegeben?
SPEER: Ja.
MR. BIDDLE: Es hat diesbezügliche Anordnungen gegeben?
SPEER: Das habe ich aus meiner Kenntnis gesagt, die nicht präzise zu sein braucht.
Ich habe mich nur erinnert an Gespräche, die ich mit Keitel hatte über die Verwendung in Einzelfällen, und in diesen Einzelfällen hat es Keitel abgelehnt. Sonst habe ich keine Kenntnis davon gehabt.
MR. BIDDLE: Sie haben niemals Anordnungen gesehen, die diesen Unterschied machten?
SPEER: Nein.
MR. BIDDLE: Und wie verhielt es sich mit den Zivilpersonen aus nichtbesetzten Gebieten? Ich nehme an, daß sie in den Kriegsindustrien verwendet wurden, oder nicht?
SPEER: Die werden... Die ausländischen Arbeiter wurden ohne Rücksicht auf irgendein Abkommen beschäftigt.
MR. BIDDLE: Das ist es, was ich wissen wollte.
Nun weiter, Sie sagten, daß die Konzentrationslager einen schlechten Ruf hatten. Ich glaube, dies waren Ihre Worte: »einen schlechten Ruf«. Ist das richtig?
SPEER: Ja.
MR. BIDDLE: Was meinen Sie mit dem Ausdruck »einen schlechten Ruf«? Was für einen Ruf und weshalb?
SPEER: Das ist schlecht zu definieren. Es ist... in Deutschland wußte man, daß ein Konzentrations... daß ein Aufenthalt in einem Konzentrationslager eine unangenehme Angelegenheit ist, und diese Kenntnis hatte ich auch. Aber ich hatte keine Einzelkenntnisse.
MR. BIDDLE: Auch wenn Sie die Einzelheiten nicht kannten, so ist doch »unangenehm« ein bißchen milde ausgedrückt? Waren die Lager nicht dafür bekannt, daß dort Gewalt und körperliche Züchtigungen angewandt wurden; war das nicht der Ruf, den Sie meinen? Ist es nicht wirklich richtiger, das zu sagen?
SPEER: Nein. Das ist nach der Kenntnis, die wir hatten, etwas zu weitgehend. Ich hatte auch angenommen, daß in Einzelfällen Mißhandlungen vorkommen, aber ich habe nicht angenommen, daß das zur Regel gehören könnte; das war mir unbekannt.
MR. BIDDLE: Wußten Sie nicht, daß Gewalt oder körperliche Züchtigung angewandt wurden, um die Vorschriften durchzusetzen, wenn die Internierten sie nicht befolgten?
SPEER: Nein, das habe ich nicht in dieser Form gewußt. Ich wurde... Ich muß hier sagen, ich wurde in der Zeit, in der ich Minister war, so seltsam das klingt, über das Schicksal der Häftlinge in den Konzentrationslagern beruhigter, als ich war, bevor ich Minister war, weil mir in der Zeit – in meiner Ministerzeit – von offiziellen Stellen immer nur Gutes und Beruhigendes über die Konzentrationslager gesagt wurde; es wurde gesagt, die Ernährung wird verbessert und so weiter und so weiter.
MR. BIDDLE: Nur noch eine Frage. Was Sie am Schluß über die Verantwortung aller Führer für gewisse allgemeine Grundsätze, gewisse große Dinge, gesagt haben, hat mich sehr interessiert. Können Sie mir irgendeines dieser Dinge nennen? Was meinten Sie damit? Welche Grundsätze meinten Sie? Meinten Sie die Fortsetzung des Krieges zum Beispiel?
SPEER: Ich finde, so eine grundsätzliche Angelegenheit wie der Beginn des Krieges oder das Ende des Krieges zum Beispiel. Ich finde...
MR. BIDDLE: Sie finden also, daß der Beginn oder das Ende des Krieges grundsätzliche Angelegenheiten wären, wofür die Führer verantwortlich gewesen seien?
SPEER: Ja.
MR. BIDDLE: Danke schön.
VORSITZENDER: Der Angeklagte kann auf die Anklagebank zurückkehren.