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[Zum Zeugen gewandt:]

Haben Sie sich nun leichten Herzens entschlossen, diesem Ruf Hindenburgs zu entsprechen und diesen schweren Posten, in der damaligen Zeit doppelt schweren Posten, zu übernehmen?

VON NEURATH: Nein, keineswegs. Ich hatte keinerlei Lust, den damaligen Posten des Außenministers zu übernehmen. Ich war gern auf meinem Botschafterposten in London, hatte dort bei der Regierung und bei der königlichen Familie eine gute Stellung und hoffte deshalb, den beiden Ländern England und Deutschland noch nützlich sein zu können. Aber an dem Appell Hindenburgs konnte ich ja nicht ohne weiteres vorübergehen. Aber auch dann entschied ich mich erst, nachdem ich mit ihm eine längere mündliche Aussprache gehabt hatte, indem ich meine Ziele und meine Auffassung über die deutsche Außenpolitik dargelegt und mich seiner Unterstützung bei der friedlichen Entwicklung und der Mittel zur Erreichung der Gleichberechtigung Deutschlands, der Stärkung seiner Position im Rate der Nationen und der Gewinnung der Souveränität über das deutsche Reichsgebiet versichert hatte.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Ich darf hierzu auf das bereits zitierte Affidavit des früheren Gesandten Prüfer verweisen, das sich als Nummer 4 in meinem Dokumentenbuch befindet, und ich darf hieraus den Absatz Nummer 7 zitieren, in dem die Berufung des Angeklagten durch Hindenburg behandelt wird. Es ist dies in meinem deutschen Dokumentenbuch Seite 27.

»Es war in den Kreisen der oberen Beamten des Auswärtigen Amtes eine bekannte Tatsache, daß Hindenburg, als er Hitler zum Reichskanzler machte, daran geradezu die Bedingung geknüpft hatte, daß Neurath als Außenminister im Amte blieb. Baron Neurath hatte sich, als er es 1932 übernahm, keineswegs zu diesem Amte gedrängt. Vielmehr hatte er bereits 1929, als Hindenburg ihm das Ressort angetragen hatte, es mit der Begründung abgelehnt, daß er sich, ohne einer Partei zuzugehören, in einem parlamentarisch regierten Staate ohne Parteirückhalt für die Übernahme eines Ministeriums nicht für geeignet halte. Erst als dann der von Neurath besonders verehrte Reichspräsident von Hindenburg im Jahre 1932 sein erstes sogenanntes Präsidialkabinett berief, ließ Neurath seine Bedenken fallen und trat als Außenminister in dieses Kabinett ein.«

[Zum Zeugen gewandt:]

Wie war nun damals die Beurteilung der innenpolitischen Lage für Sie?

VON NEURATH: Die Entwicklung der Parteiverhältnisse im Jahre 1932 hatte sich so weit zugespitzt, daß auch nach meiner Ansicht nur zwei Möglichkeiten bestanden; entweder eine Beteiligung der zahlenmäßig sehr stark gewordenen Nationalsozialistischen Partei an der Regierung oder, bei Ablehnung dieses Verlangens, der Bürgerkrieg. Die Einzelheiten über das Zustandekommen der Regierung im Jahre 1933 und das Zurmachtkommen Hitlers hat der Angeklagte von Papen ja eingehend dargelegt.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Wie war nun Ihr eigenes Urteil und Ihre Einstellung zu Hitler, zum Nationalsozialismus im allgemeinen und zu den nationalsozialistischen Ideen, und vor allen Dingen zur Partei demgemäß.

VON NEURATH: Hitler kannte ich persönlich nicht. Die Methoden der Partei in ihrem Kampf um die Macht im Staate verabscheute ich. Die Ideen im einzelnen waren mir nicht bekannt. Einige davon, namentlich auf sozialem Gebiet, schienen mir gut, andere hielt ich für Revolutionserscheinungen, die sich allmählich abschleifen würden, wie ich das ja bei der Revolution in Deutschland im Jahre 1918 und dann nachher in Italien bei der faschistischen Revolution auch erlebt hatte. Im ganzen stand ich ihnen aber ablehnend gegenüber. Ich hielt jedenfalls damals eine entscheidende Rolle Hitlers und der Nationalsozialistischen Partei in der deutschen Politik oder ihre alleinige Führung durch Hitler für falsch und nicht im Interesse Deutschlands, ganz besonders nicht im Interesse der deutschen Außenpolitik.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Ich darf hierzu noch eine Stelle aus dem vorerwähnten Affidavit des Botschafters Prüfer zitieren, Nummer 4 meines Dokumentenbuches, die sich auf Seite 28 befindet und die interessant ist insofern, als es sich ja bei Prüfer um einen Beamten seines Ministeriums handelt.

»Baron Neurath war nicht Nationalsozialist. Er hatte auf Grund von Herkommen und Tradition eine entschiedene Abneigung gegen die nationalsozialistische Doktrin, soweit sie radikale und gewaltsame Maximen enthielt. Diese Abneigung, aus der er keinen Hehl machte, bezog sich besonders auf Exzesse der Parteiorgane gegenüber Andersdenkenden, und vor allem gegenüber Juden und Menschen mit jüdischen Blutmischungen, dann aber auch auf die allgemeine Ingerenz der Nationalsozialistischen Partei in jede Lebensäußerung des deutschen Volkes und Staates, mit anderen Worten auf den Totalitätsanspruch, das Führerprinzip, kurz gesagt die Diktatur. Freiherr von Neurath hat sich namentlich in den Jahren 1936 bis Anfang 1938, als ich ihn in meiner Eigenschaft als Leiter der Budget- und Personalabteilung sehr häufig sah, oft zu mir und zu anderen in meiner Gegenwart unmißverständlich darüber geäußert, wie sehr ihn die immer extremer werdende Entwicklung in der deutschen Innen- und Außenpolitik mit Sorge und Widerwillen erfüllte.«

Herr Präsident! Ich darf dann das Gericht bitten, amtlich Kenntnis zu nehmen von dem Fragebogen des Grafen Schwerin-Krosigk, des früheren Reichsfinanzministers, das sich in meinem Dokumentenbuch unter Nummer 25 befindet.