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[Zum Zeugen gewandt:]

Wie war nun, um auf Ihre außenpolitischen Gedanken, Ideen und Prinzipien zu kommen, Ihre Einstellung zum Versailler Vertrag und zum Völkerbund?

VON NEURATH: In den unsinnigen und unmöglichen Bestimmungen des Versailler Vertrages, durch welchen die Wirtschaft der ganzen Welt in Unordnung gebracht wurde, sind die Wurzeln des Nationalsozialismus und damit auch die Ursache des zweiten Weltkrieges zu suchen. Indem man diesen Vertrag mit dem Völkerbund verband und ihn gewissermaßen zum Hüter der Bestimmungen des Vertrages bestellte, wurde sein ursprünglicher Zweck, nämlich der der Völkerversöhnung und der Friedenserhaltung illusorisch. Zwar war in dem Statut die Möglichkeit der Revision vorgesehen. Von dieser Möglichkeit hat aber die Völkerbundsversammlung keinen Gebrauch gemacht. Nachdem sich die Vereinigten Staaten von der Teilnahme zurückgezogen hatten und auch Rußland und später auch Japan außerhalb standen, bestand dieser sogenannte Völkerbund in seiner überragenden Mehrheit nur aus einer Versammlung von Interessenten zur Erhaltung des Status quo, und zwar des Status quo, wie er durch den Versailler Vertrag geschaffen war. Anstatt nun die im Laufe der Zeit immer wieder auftauchenden Spannungen zu beseitigen, ging das Bestreben dieser Versammlung dahin, an dem bestehenden Zustand nichts ändern zu lassen. Daß sich dies ein großes und ehrliebendes Volk, das durch den Versailler Vertrag diskriminiert war, auf die Dauer nicht gefallen lassen werde, das konnte jeder etwas weiterblickende Staatsmann erkennen. Und es war, und zwar nicht nur in Deutschland, immer darauf hingewiesen worden, daß dies zu einem bösen Ende führen müsse, aber in Genf, dem Tummelplatz redegewandter, eitler Politiker, war man dagegen taub.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Es ist unbestreitbar eine geschichtliche Tatsache, daß die deutsche Außenpolitik unter allen Regierungen, die der von Hitler vorausgingen, bestrebt gewesen war, die Änderung des Versailler Vertrages, allerdings ausschließlich mit Friedensmitteln, zu erreichen. War diese Politik auch diejenige Hindenburgs, oder wäre Hindenburg etwa für eine andere Lösung, für eine gewaltsame, kriegerische Lösung zu haben gewesen?

VON NEURATH: Nein, keinesfalls. Und zwar auch dann nicht, wenn Deutschland die militärischen Mittel dazu gehabt hätte. Er sagte mir immer wieder, ein neuer Krieg müsse auf alle Fälle vermieden werden.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Herr Präsident! Ich darf kurz verweisen und zur amtlichen Kenntnisnahme bitten auf einen Auszug aus einer Rede des Grafen Bernstorff, des Vertreters Deutschlands im Völkerbund, vom 25. September 1928. Sie befindet sich als Nummer 34 in meinem Dokumentenbuch II; die Übersetzung liegt allerdings noch nicht vor, sie wird aber nachgereicht, ich hoffe am Montag.

Ferner nehme ich Bezug – und darf um Kenntnisnahme bitten – auf einen Auszug aus der Rede des damaligen Reichskanzlers Brüning in Kiel vom 19. Mai 1931 – es ist dies Nummer 36 meines Dokumentenbuches Nummer II – ferner noch auf einen Auszug aus der Rede des damaligen Reichsaußenministers Curtius, des Nachfolgers und Freundes des kurz vorher verstorbenen Reichskanzlers Stresemann, die Curtius vor der Völkerbundsversammlung hielt.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft! Ich habe Herrn von Lüdinghausen gesagt, daß ich den Band II erhalten habe. Ich weiß nicht, ob der Gerichtshof die englische Übersetzung vor sich hat.

VORSITZENDER: Nein, ich glaube nicht, daß wir sie haben. Sir David, hat sich die Anklagebehörde mit der Erheblichkeit und Zulässigkeit dieses Dokuments einverstanden erklärt?

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft! Wir werden kurze Auszüge, wie sie bisher verlesen worden sind, nicht beanstanden. Euer Lordschaft wissen, daß ich den Stand, den die Anklagebehörde in Bezug auf den Versailler Vertrag einnimmt, schon dargelegt habe; aber solange diese Dinge innerhalb von vernünftigen Grenzen als Einleitung vorgetragen werden, werde ich keinen formellen Einspruch erheben.

VORSITZENDER: Herr von Lüdinghausen! Der Gerichtshof hat verschiedentlich verfügt, daß Dokumente, die die angebliche Ungerechtigkeit des Versailler Vertrages beweisen sollen, nicht als Beweismittel angeboten werden können. Da die Anklagebehörde diese Haltung einnimmt, wird der Gerichtshof diese Dokumente lediglich als historische ansehen, aber sonst sind sie unerheblich. Die Frage ist nur, ob die Angeklagten versucht haben, den Versailler Vertrag mit Gewalt zu beseitigen. Wir haben hier nichts mit dessen Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit zu tun.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Nein, Herr Präsident, ich habe es nicht aus dem Grunde vorgelegt, um eine Kritik an dem Versailler Vertrag zu üben, sondern um den Nachweis zu führen, daß auch die früheren Regierungen mit friedlichen Mitteln dieselben Ziele verfolgt haben, die mein Mandant später als Reichsaußenminister auch verfolgte, daß sich also auch unter seiner Leitung keinerlei Änderung in der Tendenz und den Zielen der deutschen Außenpolitik zu den Westmächten einstellte. Das war der Grund... keine Kritik an sich.

VORSITZENDER: Ich weiß, Dr. von Lüdinghausen, aber der Beweis, den der Angeklagte bisher geführt hat, war eine Kritik an der Ungerechtigkeit des Versailler Vertrages.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Ja, das war seine allgemeine Einleitung, aber mir lag jetzt daran, nur die Kontinuität der Politik darzulegen.