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[Zum Zeugen gewandt:]

Es kam nun im Hauptausschuß der Abrüstungskonferenz wieder zu weiteren Verhandlungen, und zwar im Winter 1933 bis 1934. Können Sie uns den Verlauf kurz schildern? Er ist wichtig für die späteren Ereignisse.

VON NEURATH: Den Verhandlungen wurde damals ein französischer Plan zugrundegelegt vom 14. November 1932. Dieser Plan sah überraschenderweise die Umwandlung der Berufsheere in Heere mit kurzer Dienstzeit vor, denn nach der von dem französischen Vertreter damals vorgetragenen Ansicht könnten nur noch Heere mit kurzer Dienstzeit als Defensivheere angesehen werden, während stehende Heere aus Berufssoldaten offensiven Charakter hätten. Dieser Standpunkt Frankreichs war völlig neu und nicht nur das gerade Gegenteil von dem bisherigen Standpunkt Frankreichs, sondern auch eine Abkehr von den im Versailler Vertrag für die Abrüstung Deutschlands zugrundegelegten Bestimmungen. Das bedeutete nun für Deutschland, und auf dieses war es offensichtlich gemünzt, die Abschaffung seines stehenden Heeres von 100000 Mann, außerdem aber gab Frankreich mit diesem neuen Plan zu erkennen, daß es seinerseits nicht abzurüsten gewillt war. Das wurde durch eine Erklärung des französischen Vertreters Paul-Boncour in der Sitzung vom 8. Februar 1933 bekräftigt. Den gleichen Standpunkt vertrat Frankreich auch bei den folgenden Beratungen über das von England vorgelegte sogenannte Arbeitsprogramm vom 30. Januar 1933, mit welchem England eine Beschleunigung der Verhandlungen der Konferenz bezweckte, Dieser Versuch der Beschleunigung, der auf eine Vermittlung zu den divergierenden Tendenzen der Mächte abzielte, scheiterte an dem starren Verhalten Frankreichs. Es wurde dann durch eine Änderung des Programms versucht, über diese Schwierigkeiten hinwegzukommen, und zwar wurde damals zunächst über die Frage der Heeresstärken debattiert.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Ich darf hierzu vorlegen beziehungsweise das Gericht bitten, Kenntnis zu nehmen von meinem Dokument Nummer 49 in meinem Dokumentenbuch II. Es enthält Auszüge aus dem englischen Arbeitsprogramm vom 30. Januar 1933; ferner von meinen Dokumenten Nummer 46 und Nummer 47, ebenfalls im Dokumentenbuch II. Sie enthalten Auszüge aus dem französischen Plan über die Vereinheitlichung der kontinental-europäischen Heeressysteme, und schließlich Nummer 47 meines Dokumentenbuches II. Es enthält Auszüge aus der Rede des Herrn von Neurath in der Sitzung der Völkerbundsversammlung vom 7. Dezember 1932, worin sich diese Verhandlungen bis dahin abspiegeln.

[Zum Zeugen gewandt:]

Wie war nun das Verhalten der Abrüstungskonferenz in der Frage der Behandlung der Abrüstung an sich, also der Herabsetzung der Heeresstärke?

VON NEURATH: Ich muß mich bei diesen Ausführungen weitgehend auf Notizen verlassen. Es ist mir nicht möglich, alle diese Einzelheiten, Anträge und Formulierungen im Kopfe zu haben. Es ist eine Materie, die so ins Detail geht, daß ich das nur auf Grund von Notizen machen kann.

VORSITZENDER: Dr. von Lüdinghausen! Wir sind schon den ganzen Morgen mit dem Verhör beschäftigt und sind noch nicht zum Jahre 1933 angelangt. Der Gerichtshof denkt, daß Sie viel zu sehr ins einzelne gehen. Wie ich bereits klargemacht habe, ist ein großer Teil davon ein Versuch zu zeigen, daß der Versailler Vertrag ungerecht war, und das ist ja unerheblich.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Herr Vorsitzender! Wenn ich folgendermaßen antworten darf: Ich möchte nicht die Ungerechtigkeit des Versailler Vertrages hervorheben, sondern ich muß...

VORSITZENDER: Gut, Dr. von Lüdinghausen, fahren Sie bitte fort. Wir sind der Meinung, daß Sie in diesen Sachen auf zu große Einzelheiten eingehen.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Gut.

Was geschah denn nun, um die Verhandlungen wieder in Fluß zu bringen, Herr von Neurath? Da legte doch am 16. März der englische Ministerpräsident einen neuen Plan vor, und wie äußerte sich nun die ganze Einstellung der Westmächte...

VORSITZENDER: Wir haben mit dem Abrüstungsprogramm nichts zu tun.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Herr Präsident! Ich muß doch zeigen, wie die ganze Grundstimmung war, um näher zu erklären, aus welchen Motiven heraus der uns zum Vorwurf gemachte Austritt aus dem Völkerbund resultiert und begründet ist, denn es folgt ja nun im Herbst 1933 der Austritt Deutschlands...

VORSITZENDER: Es wird doch nicht gegen Neurath der Vorwurf erhoben, daß er Deutschland beeinflußt hat, aus dem Völkerbund auszutreten.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Doch, es ist so:

Ich kann ja nur den Austritt aus dem Völkerbund erklären aus vorausgegangenen Ereignissen. Ich kann ja nicht mit drei Worten sagen, das und das ist der Grund, sondern ich muß doch entwickeln, wie sich allmählich eine Atmosphäre ergeben hat, die der Deutschen Regierung nichts anderes übrig ließ, als aus der Abrüstungskonferenz und dem Völkerbund auszutreten, denn aus ihm erklärt sich dann später der uns zum Vorwurf gemachte Entschluß der Deutschen Regierung, wieder aufzurüsten. Es sind in der Geschichte, in der Politik ja doch Ereignisse, Entschlüsse, Handlungen immer die Folge dessen, was vorausgegangen ist. Es handelt sich ja hier bei der Entwicklung der politischen Verhältnisse um eine mehrjährige Entwicklungszeit, nicht um ein spontanes Ereignis, nicht um einen spontanen Entschluß. Ich kann ja nicht, wie bei einem militärischen Befehl, sagen, dieser Befehl hatte seinen Grund in einem Befehl der anderen Seite, sondern ich muß schildern, wie es sich im Laufe der Verhandlungen...

VORSITZENDER: Dr. von Lüdinghausen! Wir brauchen ja all diese Erklärungen nicht. Wir wollen nur, daß Sie fortfahren. Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß Sie bereits den ganzen Vormittag in Anspruch genommen haben, und wir sind noch nicht bis 1933 gekommen.

VON NEURATH: Herr Präsident! Ich will versuchen, ganz kurz bis zu diesem Zeitpunkt, dem Austritt aus dem Völkerbund und der Abrüstungskonferenz zu kommen. Die Verhandlungen zogen sich, wie ich sagte, das ganze Jahr, den Sommer 1933, hin. Im Herbst war wieder eine Abrüstungskonferenz-Sitzung, in der so ziemlich immer wieder über das gleiche Thema debattiert wurde. Das Ergebnis dieser Konferenz war nun, daß die Abrüstung definitiv von den Westmächten abgelehnt wurde, und das war der Grund, weshalb wir dann aus der Abrüstungskonferenz zunächst ausgetreten sind, da wir dort eine nützliche Arbeit nicht mehr für möglich hielten. Anschließend daran sind wir auch aus dem Völkerbund ausgetreten, dessen Versagen wir auf den verschiedensten Gebieten erlebt hatten.

Das ist nun also nur ganz kurz bis zum Punkt des Austritts aus dem Völkerbund. Die Gründe, die uns damals dazu veranlaßt haben, habe ich ausdrücklich in einer Rede dargelegt, die vielleicht mein Verteidiger angeben kann.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Von welchem Datum meinen Sie denn, Herr von Neurath?

VON NEURATH: Oktober 1933, 16. Oktober, ich habe das Datum hier. 16. Oktober 1933 vor der ausländischen Presse. In dieser Rede habe ich ausgeführt, daß der Austritt aus Abrüstungskonferenzen und Völkerbund keineswegs bedeutet, daß Deutschland nunmehr überhaupt nicht an irgendwelche Verhandlungen oder Diskussionen mit den übrigen, insbesondere mit den Westmächten teilnehmen wolle.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Herr Präsident! Diese Rede ist der Auszug; sie ist Nummer 59 in meinem Dokumentenbuch; da es im Grunde genommen dasselbe ist, nur ausführlicher als das, was Herr von Neurath gesagt hat, bin ich bereit, auf die eigentlich beabsichtigte Verlesung dieses Auszuges zu verzichten.

Ich darf aber in diesem Zusammenhang pflichtgemäß auf die Dokumente aufmerksam machen, die ich zu dieser ganzen, jetzt ziemlich übersprungenen Zeitspanne vorgelegt habe, damit aus ihnen ein Bild wenigstens vorhanden ist, wie sich allmählich die Dinge bis Mitte Oktober zugespitzt haben. Ich darf in dieser Beziehung hinweisen auf das Dokument Nummer 56, eine Rede Herrn von Neuraths vor der ausländischen Presse; dann auf den Aufruf Hitlers an das deutsche Volk, Nummer 58; auf das eben zitierte Dokument Nummer 59; auf das deutsche Memorandum über die Rüstungs- und Gleichberechtigungsfrage vom 18. Dezember 1933, Dokumentenbuch Nummer 61; dann im Dokumentenbuch Nummer 62 ein Interview Herrn von Neuraths mit dem Berliner Vertreter der New York Times am 29. Dezember 1933; die deutsche Antwort auf die französische Denkschrift vom 1. Januar 1934, Nummer 64 meines Dokumentenbuches III; die deutsche. Denkschrift vom 13. März 1934, Nummer 67; die Rede des Präsidenten der Abrüstungskonferenz, Sir Nevile Henderson vom 10. April 1934, Nummer 68; und schließlich das Aide-mémoire der Deutschen Reichsregierung zum englischen Abrüstungs-Memorandum vom 16. April, Nummer 69.

Ich höre soeben, daß ich einen falschen Vornamen gesagt habe: Arthur Henderson.