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[Zum Zeugen gewandt:]

Es kam nun Mitte April 1934 zu einem sehr wichtigen Ereignis. Wollen Sie dazu vielleicht etwas sagen, denn diese Erklärung, diese Note, bildete eine völlige Schwenkung, eine Änderung, in der europäischen Politik.

VON NEURATH: In dieser Note Frankreichs... das war eine französische Note, diese Note war gerichtet an die Englische Regierung als Antwort auf eine englische Anfrage und auf eine deutsche Denkschrift vom 13. März 1934, worin über die Fortsetzung der Verhandlungen gesprochen worden war. Das Nähere darüber ist eben in dieser vorhin zitierten Rede vor der Berliner Presse enthalten. Aber damit, mit dieser französischen Note, waren die Bemühungen, in der Abrüstungsfrage zu einem Ergebnis zu kommen, wiederum am »Nein« der Französischen Regierung gescheitert.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Ich darf hierzu verweisen auf verschiedene Dokumente, die ich vorgelegt habe in meinem Dokumentenbuch Nummer III: Nummer 66, Auszug aus einer Rede des Grafen Broqueville, des belgischen Ministerpräsidenten, vom März 1934; einen Auszug aus dem Tagebuch des Botschafters Dodd, Nummer 63, dann Nummer 70, einen Auszug aus der eben erwähnten Note der Französischen Regierung an die Englische Regierung vom 17. April 1934; die Rede des Außenministers von Neurath, des Angeklagten, vor Vertretern der Berliner Presse, in der er zu dieser französischen Note Stellung nimmt, ist Nummer 74 meines Dokumentenbuches. Schließlich noch ein Auszug aus der Rede des amerikanischen Bevollmächtigten in der Abrüstungskonferenz, Norman Davis, vom 29. Mai 1934.

[Zum Zeugen gewandt:]

Worin äußerte sich der nun eben von mir angedeutete Umschwung in der europäischen Politik?

VORSITZENDER: Haben Sie die Nummer dazu angegeben?

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Die letzte, Herr Präsident?

VORSITZENDER: Ja.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Nummer 76.

VORSITZENDER: Ja, fahren Sie fort.

VON NEURATH: Ich glaube, ehe ich diese Frage beantworte, darf ich vielleicht doch noch auf eine andere Sache eingehen.

Die Anklage hält mir eine Rede Hitlers vor vom 23. September 1939, eine Rede, die er an die Oberbefehlshaber des Heeres gerichtet hat und in der er sich über die politischen und organisatorischen Maßnahmen äußerte, die dem Krieg vorangegangen waren.

VORSITZENDER: Sagten Sie, es war am 23. September?

VON NEURATH: 23. September 1939. Die Anklage sieht in der Erwähnung des Austritts aus dem Völkerbund und der Abrüstungskonferenz ein Zeichen für die schon damals vorhandenen Angriffsabsichten und macht mir das zum Vorwurf.

Wie ich schon mehrfach betont habe, war bis zum Jahre 1937 von irgendwelchen Angriffsabsichten oder Vorbereitungen eines Angriffskrieges überhaupt niemals die Rede gewesen. Hitler hat die von der Anklage erwähnte Rede sechs Jahre nach diesen Vorgängen und anderthalb Jahre nach meinem Rücktritt als Außenminister gehalten. Es ist klar, daß sich bei einem Mann wie Hitler diese Vorgänge in einem solchen Moment, nämlich nach der siegreichen Beendigung des Polenkriegs, anders malten, als sie tatsächlich gewesen waren. Man kann aber diese Vorgänge genau so wenig nachher, also vor dem Datum dieser Rede beurteilen – wie die deutsche Außenpolitik heute überhaupt – sondern muß sie unter dem Gesichtspunkt betrachten, unter dem sie seinerzeit stattgefunden hat.

Ich will nun auf die mir gestellte Frage antworten. Meiner Ansicht nach lägen die Gründe zunächst mehr oder weniger in der Tatsache, daß sich im Laufe der vorausgegangenen diplomatischen Verhandlungen gezeigt hatte, daß England und Italien nicht mehr bedingungslos hinter Frankreich standen und nicht mehr gewillt waren, den strikt ablehnenden Standpunkt Frankreichs in der Frage der Gleichberechtigung Deutschlands noch länger zu teilen. Den gleichen Standpunkt nahmen übrigens auch die neutralen Staaten, Dänemark, Spanien, Norwegen; Schweden und die Schweiz ein, in einer an die Abrüstungskonferenz gerichteten Note vom 14. April 1934. Frankreich fürchtete also damals offenbar, isoliert zu werden und damit in die Gefahr zu geraten, seine Verweigerung jeglicher Abrüstung seiner Armee nicht mehr aufrechterhalten zu können. Ich selbst habe zu dieser Haltung Frankreichs vom deutschen Standpunkt aus in meiner, ich glaube, schon erwähnten Rede vor der deutschen Presse am 27. April 1934 eingehend Stellung genommen.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Worin äußerten sich nun die weiteren Folgen dieser Note Frankreichs vom 17. April in seinen eigenen außenpolitischen Verhalten?

VON NEURATH: Bereits wenige Tage nach dieser Note trat der damalige französische Außenminister Louis Barthou eine Reise nach dem Osten, nämlich nach Warschau und Prag, an. Wie sich alsbald herausstellte, bezweckte diese Reise, in Polen und in der Tschechoslowakei, das Terrain für eine Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen diesen Ländern und den übrigen Ländern der sogenannten »Kleinen Entente« und der Sowjetunion vorzubereiten und damit auch der Einbeziehung Rußlands als Mitspieler in die europäische Politik den Weg zu ebnen.

Die Bemühungen Barthous waren erfolgreich. Sowohl Polen, wie die Tschechoslowakei und Rumänien nahmen die diplomatischen Beziehungen mit Rußland wieder auf, und Barthou konnte auf einer zweiten Reise die Zustimmung aller Staaten der Kleinen Entente zu dem von Frankreich und Rußland vorgeschlagenen Ostpakt erreichen.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Wurden nicht gleichzeitig auch Verhandlungen über einen Ostpakt eingeleitet, die sich später auch als ein gegen Deutschland gerichtetes Instrument darstellten?

VON NEURATH: Jawohl, das habe ich eben erwähnt. Es wurde ein Ostpakt ausgearbeitet und vorgelegt, den wir an sich im Grundprinzip auch angenommen haben, aber der dann nachher scheiterte, weil wir Verpflichtungen übernehmen sollten, die wir nicht einhalten konnten, nämlich eine Beistandverpflichtung für alle Fälle in Konflikten, die etwa zwischen den östlichen Völkern auftreten sollten. Dazu waren wir ja gar nicht in der Lage. Daran scheiterte dann der Ostpakt.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Ich darf zu den oben gemachten Ausführungen verweisen auf drei Dokumente meines Dokumentenbuches Nummer III: Nummer 72, ein amtliches Kommuniqué über die Warschauer Besprechungen des französischen Außenministers vom 24. April 1934; Nummer 73, ein amtliches Kommuniqué über die Prager Besprechungen des französischen Außenministers vom 27. April 1934; und ein Auszug aus der Rede des französischen Außenministers vom 30. Mai 1934, Nummer 77.