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[Zum Zeugen gewandt:]

Wie war nun Ihre weitere Politik nach dem ziemlich brüsken Abbruch der Verhandlungen durch die französische Note?

VON NEURATH: Von unserer Seite wurde zunächst versucht, durch Verhandlungen mit den einzelnen Mächten die praktische Anerkennung der Gleichberechtigung und allgemeinen Verständigung mit allen Völkern zu einem dauerhaften, wirklichen Friedenszustand zu bringen. Ich habe auch damals den deutschen Missionen im Ausland den Auftrag gegeben, dahingehend Gespräche mit den betreffenden Regierungen aufzunehmen.

Hitler hatte, um die Verhandlungen wieder in Fluß zu bringen, sich entschlossen, eine Einladung von Mussolini anzunehmen, ihn zu einer freundschaftlichen Aussprache in Venedig zu treffen. Der Zweck dieser Zusammenkunft war, wie Mussolini sich später äußerte, den Versuch zu machen, die Wolken zu zerstreuen, die den politischen Horizont Europas verdunkelten. Wenige Tage nach seiner Rückkehr von Venedig hat dann Hitler eine große Rede gehalten, in der er den Friedenswillen Deutschlands erneut bekräftigte.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Herr Präsident! Ich darf hierzu auf mein Dokument Nummer 80 im Dokumentenbuch III verweisen, das einen Auszug aus dieser Rede Hitlers in Gera am 17. Juni 1934 enthält, natürlich nur den außenpolitisch interessanten Teil.

Wenn Herr Präsident jetzt abbrechen wollen...

VORSITZENDER: Dr. von Lüdinghausen! Der Gerichtshof hofft, daß, wenn Sie am Montag weitergehen, Sie diese politische Geschichte, die natürlich jedem bekannt ist, der sie miterlebt hat und besonders dem Gerichtshof, der sie hier wiederholt gehört hat, nicht so ausführlich behandeln werden.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Ich werde mich bemühen, Herr Präsident.

[Das Gericht vertagt sich bis

24. Juni 1946, 10.00 Uhr.]

Einhundertzweiundsechzigster Tag.

Montag, 24. Juni 1946.

Vormittagssitzung.

[Der Angeklagte von Neurath im Zeugenstand.]

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Herr von Neurath! Es ist mir zugetragen worden, beziehungsweise ich habe es auch im Rundfunk gehört, daß gestern offenbar ein Irrtum unterlaufen ist, vielleicht infolge nicht ganz verständlicher Übertragung, hinsichtlich Ihrer Tätigkeit zwischen 1903 und 1914. Vielleicht können Sie das noch einmal wiederholen, denn ich habe auch das Gefühl, als wenn vom Herrn Vorsitzenden da etwas falsch verstanden worden ist von Ihrer Aussage.

VON NEURATH: Es handelt sich wohl nur um meinen Aufenthalt in London:

Ich war von 1903 bis 1907 in London und nachher wieder im Auswärtigen Amt in Berlin.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: So wollen wir dann fortfahren in der Zeit der Darstellung Ihrer Politik als Außenminister. Ich möchte folgende Frage an Sie richten:

Die Anklage sieht in der Tatsache, daß während Ihrer Amtszeit als Außenminister im Frühjahr 1935 die allgemeine Wiederaufrüstung begann, die allgemeine Wehrpflicht wieder eingeführt und die Luftwaffe geschaffen wurde, einen Beweis für Ihre Mitschuld an der behaupteten Verschwörung gegen den Frieden. Wollen Sie sich dazu äußern?

VON NEURATH: Ich möchte zunächst betonen, daß von irgendwelchen Kriegsplänen in Deutschland in diesem Jahre und in den folgenden Jahren überhaupt keine Rede war. Ich bin auch vollkommen überzeugt, daß damals weder Hitler selbst noch seine nächste Umgebung irgendwelche Angriffspläne auch nur erwogen haben, was an sich möglich gewesen wäre, auch ohne daß ich davon Kenntnis erhalten hätte. In der Tatsache der Aufrüstung allein liegt noch keine Bedrohung des Friedens, wenn man nicht entschlossen ist, von den neugeschaffenen Waffen einen anderen als nur defensiven Gebrauch zu machen. An einem solchen Entschluß und auch an den Vorbereitungen dazu fehlte es aber damals durchaus. Genau der gleiche Vorwurf der planmäßigen Vorbereitung eines Angriffskrieges würde im übrigen auch sämtliche Nachbarstaaten Deutschlands treffen, die genau so aufrüsteten...

VORSITZENDER: Einen Augenblick bitte, Dr. von Lüdinghausen; das ist doch Argumentation und kein Beweisvortrag.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Herr Präsident! Ich muß aber von ihm noch hören, wie sich ihm die Dinge dargestellt haben. Ich kann ja Entschlüsse zu Taten nur entlasten, wenn ich darlege...

VORSITZENDER: Nein, wir wollen keine Argumente in der Beweisführung hören. Es gehört zur Beweisführung, wenn er sagt, daß damals keine Pläne für Offensivhandlungen gefaßt worden sind. Es ist aber jedoch Argumentation, wenn er sagt, daß die Wiederaufrüstung nicht notwendigerweise eine Angriffstätigkeit mit sich bringt. Wir wollen jetzt keine Argumentationen hören.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Ja.