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[Zum Zeugen gewandt:]

Dann bitte ich, die Frage noch einmal zu beantworten, ob tatsächlich keinerlei Pläne bestanden, die durch die Aufrüstung geschaffenen Waffen zu irgendwelchen Angriffskriegen oder sonstigen gewaltsamen Handlungen zu benutzen.

VON NEURATH: Das habe ich eben schon gesagt, ich brauche das nicht zu wiederholen.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Welche Gründe waren damals vorhanden, welche Tatsache, die Lage Deutschlands besonders bedrohlich erscheinen zu lassen?

VON NEURATH: Deutschland mußte damals das Gefühl haben, von seinen hochgerüsteten Nachbarn eingekreist zu werden. Rußland und Frankreich schlossen einen Beistandspakt ab, der nur als Militärallianz bezeichnet werden kann. Ein ähnlicher Vertrag Rußlands mit der Tschechoslowakei folgte unmittelbar. Rußland hatte den Friedensstand seines Heeres nach eigener Erklärung über die Hälfte erhöht. Wie hoch er tatsächlich war, ließ sich nicht genau feststellen. In Frankreich setzte unter der Führung Pétains die Bestrebung zu einer erheblichen Verstärkung der Armee ein. Die Tschechoslowakei hatte im Jahre 1934 bereits die zweijährige Dienstzeit eingeführt, und am 1. März 1935 erließ auch Frankreich ein neues Wehrgesetz, das gleichfalls die Dienstzeit erhöhte. Diese Gesamtentwicklung innerhalb weniger Monate konnte nur als eine unmittelbare Bedrohung empfunden werden, der Deutschland nicht mehr wehr- und tatenlos zusehen konnte.

Der daraufhin von Hitler gefaßte Entschluß, die Wehrpflicht wieder einzuführen und allmählich eine Armee von 36 Divisionen aufzustellen, war demgegenüber kein Akt, durch den sich die durch Allianzen miteinander verbundenen Nachbarländer im Ernst bedroht fühlen konnten.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Herr Präsident! Ich darf im Zusammenhang hiermit bitten, von folgenden, in meinem Dokumentenbuch überreichten Dokumenten amtlich Kenntnis zu nehmen: Nummer 87, ein Dokument über die Aufnahme der Sowjetunion in den Völkerbund, 18. September 1934, Dokumentenbuch III; dann Nummer 89, ebenfalls im Dokumentenbuch III, die Erklärung des Berichterstatters des Heeresausschusses der Französischen Kammer vom 23. November 1934 über die Entente mit Rußland; Nummer 91, Dokumentenbuch III, das russisch-französische Protokoll zu den Ostpaktverhandlungen vom 5. Dezember 1934; Dokument Nummer 92, Dokumentenbuch III...

M. DEBENEST: Ich möchte lediglich darauf hinweisen, daß wir von Dokument 89 noch keine Kenntnis haben konnten. Es ist uns also nicht möglich, dieses Dokument zu überprüfen und festzustellen, ob es erheblich ist oder nicht.

VORSITZENDER: Wenn Sie das Buch bekommen, so werden Sie Gelegenheit haben, gegen das Dokument Einspruch zu erheben. Dr. von Lüdinghausen will uns jetzt nur sagen, welche Dokumente er zur Unterstützung der Beweisführung vorlegen will. Er will diese Dokumente zum Beweis anbieten. Sobald Sie das Buch bekommen und die Dokumente geprüft haben, können Sie gegen die Zulässigkeit Einspruch erheben.

M. DEBENEST: Dieses Recht wollte ich mir eben vorbehalten und es dem Gerichtshof mitteilen.

VORSITZENDER: Ich stimme Ihnen bei.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Dann kommt Dokument Nummer 92 aus Dokumentenbuch III, der Aufruf des Präsidenten der Tschechoslowakischen Republik vom 28. Dezember 1934 an die Armee; Dokumentenbuch III, Nummer 96, französische Regierungserklärung vom 15. März 1935; Dokumentenbuch III, Nummer 79, ein Bericht des Tschechoslowakischen Gesandten in Paris, Osusky, vom 15. Juni 1934; dann Dokument Nummer 101, der französisch- russische Beistandspakt vom 2. Mai 1935; und Dokument Nummer 94, ein Auszug aus der Rede des französischen Ministerpräsidenten Flandin vom 5. Februar 1935 vor der Französischen Kammer. Ich darf bitten, von diesen Dokumenten amtlich Kenntnis zu nehmen.

Sollte nun der deutsche Entschluß zur Wiederaufrüstung bedeuten und den Sinn haben, daß hinfort Deutschland jede weitere Mitarbeit an internationalen Bestrebungen zur Begrenzung der allgemeinen Rüstung ablehnen wollte?

VON NEURATH: Nein, keineswegs. Eine englische Anfrage, ob Deutschland bereit sei, sich späterhin an allgemeinen Abrüstungsverhandlungen in der gleichen Art und im gleichen Umfange zu beteiligen, wie sie in dem sogenannten Londoner Kommuniqué vom Februar 1935 festgelegt worden waren, wurde sofort in bejahendem Sinne beantwortet, und zwar am 18. März, also zwei Tage nach der Einführung der Wehrpflicht. Die Botschaft in London wurde angewiesen, die Verhandlungen wieder aufzunehmen und insbesondere den Abschluß eines Abkommens zur Begrenzung der Flottenstärke anzuregen.

Hitler hielt im Mai 1935 eine Rede vor dem Reichstag, in der er einen konkreten deutschen Friedensplan entwickelte und sich unter besonderer Betonung des deutschen Friedenswillens erneut bereit erklärte, an jedem System internationaler Verträge zur Sicherung des Friedens teilzunehmen, auch an Kollektivabkommen. Zur Bedingung machte er nur, wie seit jeher, die Anerkennung der deutschen Gleichberechtigung. Hitler erklärte sich auch bereit, wieder in den Völkerbund einzutreten. Er wollte damit beweisen, daß Deutschland trotz des von ihm als bedrohlich empfundenen Abschlusses von Militärallianzen und der eigenen Wiederaufrüstung unabänderlich den Frieden wünsche.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Ich darf das Hohe Gericht bitten, hierzu folgende, in meinem Dokumentenbuch III befindliche Dokumente amtlich zur Kenntnis nehmen zu wollen: Nummer 95, die Antwort der Reichsregierung vom 15. Februar 1935 auf das sogenannte Londoner Kommuniqué; Nummer 97, Auszug aus dem Aufruf der Deutschen Reichsregierung vom 16. März 1935 zur Wiederherstellung der deutschen Wehrpflicht; Nummer 98, Kommuniqué vom 26. März 1935 über die Besprechung des englischen Außenministers Sir John Simon und des Lordsiegelbewahrers Eden mit der Deutschen Reichsregierung; Nummer 102, Kommuniqué vom 15. Mai 1935 über die Besprechung des Außenministers Laval in Moskau; Nummer 104, die Rede Hitlers vom 21. Mai 1935 über den russisch-französischen Pakt, und Nummer 105, die Note der Reichsregierung vom 25. Mai 1935 an die Signatarmächte des Locarno-Vertrags.