[Zum Zeugen gewandt:]
Hatten diese deutschen Bemühungen und die deutsche Verhandlungsbereitschaft Erfolg?
VON NEURATH: Ja, indem es durch sie zum Abschluß des ersten und einzigen effektiv gewordenen, Abkommens zur Begrenzung der Rüstung kam – und zwar auf der Grundlage der deutschen Vorschläge – durch die Unterzeichnung des englisch-deutschen Flottenabkommens im Juni 1935. Natürlich wäre mir eine erfolgreiche Verhandlung allgemeiner Rüstungsbegrenzungsvorschläge zwischen allen Staaten noch lieber gewesen. Immerhin wurde dieses Abkommen eines nur zweiseitigen Vertrags als erster Schritt auf diesem Wege von uns lebhaft begrüßt. Es zeigte sich zugleich, daß mindestens England sich von dem Völkerbundsbeschluß distanzierte, wonach Deutschland durch seine Wiederaufrüstung den Vertrag von Versailles gebrochen habe. Der deutsche Schritt wurde damit als begründet anerkannt.
DR. VON LÜDINGHAUSEN: Ich darf im Zusammenhang hiermit das Gericht bitten, von zwei Dokumenten aus meinem Dokumentenbuch III amtlich Kenntnis zu nehmen. Das eine ist Nummer 106, eine Erklärung des Ersten Lords der englischen Admiralität Sir Bolton Eyres Monsell im englischen Rundfunk am 19. Juni 1935; das zweite ist Nummer 119, ein Auszug aus der Erklärung des Parlamentssekretärs der Admiralität, Shakespeare, im Unterhaus anläßlich der Ratifikation des Londoner Flottenabkommens am 20. Juli 1936.
[Zum Zeugen gewandt:]
Blieb nun die deutsche Aktivität in der Abrüstungsfrage auf das deutsch-englische Flottenabkommen beschränkt?
VON NEURATH: Nein. Die vielfach betonte Bereitschaft zur positiven Mitarbeit an der Rüstungsbegrenzung kam weiter in Verhandlungen über allgemeine Abrüstung in der Luft zum Ausdruck. Hitler hatte von vorneherein schon im Jahre 1933 die Wichtigkeit gerade dieses Punktes für die Erhaltung des Friedens zum Ausdruck gebracht. Deutschland war zu jeder Begrenzung und auch zur vollständigen Abschaffung der Luftrüstung bereit, falls die Gegenseitigkeit gewahrt blieb. Die Anregungen dazu fanden zunächst aber nur in England Resonanz. Die Schwierigkeit bestand darin, auch Frankreich zur Teilnahme an den Verhandlungen zu bewegen. Dies gelang auf Grund von Bemühungen Englands erst nach drei Monaten. Frankreich stellte aber Bedingungen, die einen erfolgreichen Fortgang dieser Verhandlungen praktisch unmöglich machten. Danach sollten, ungeachtet eines allgemeinen Abkommens, das alle europäischen Staaten umfaßte, auch besondere bilaterale Verträge erlaubt sein. Außerdem sollte die Fortsetzung der Verhandlungen über die Luftrüstung von der über den Ostpakt abhängig gemacht werden. An diesem Ostpakt konnte sich Deutschland nicht beteiligen, da es damit völlig unübersichtliche Bündnisverpflichtungen militärischer Art hätte eingehen müssen. Hierdurch und durch den Ausbruch des italienisch-abessinischen Krieges, durch den die Differenzen innerhalb der Westmächte offen zutage traten, gerieten die Verhandlungen ins Stocken.
DR. VON LÜDINGHAUSEN: Im März 1936, also ein Jahr später, erfolgte dann die Wiederbesetzung des Rheinlandes durch deutsche Truppen. Die Anklage sieht hierin einen Bruch des Locarno-Vertrags und einen weiteren Beweis für Ihre Mitverantwortlichkeit an der von der Anklage behaupteten Verschwörung gegen den Frieden. Wollen Sie sich bitte auch dazu äußern?
VON NEURATH: Diese Behauptung ist völlig unrichtig. Ein Entschluß oder ein Plan zur Führung eines Angriffskrieges war damals ebensowenig vorhanden wie ein Jahr zuvor. Die Wiederherstellung der vollen Souveränität in allen Teilen des Reiches hatte zunächst überhaupt keine militärische, sondern lediglich eine politische Bedeutung. Die Besetzung der Rheinlande wurde überhaupt nur mit einer einzigen Division durchgeführt und hatte schon dadurch einen rein symbolischen Charakter. Es war klar, daß sich ein großes und tüchtiges Volk nicht für alle Zeiten mit einer so einschneidenden Beschränkung seiner Souveränität abfinden konnte, wie dies durch den Versailler Vertrag geschehen war. Es handelte sich also einfach um eine dynamische Entwicklung, der sich auch die Führung der deutschen Außenpolitik nicht zu widersetzen vermochte.
DR. VON LÜDINGHAUSEN: Erfolgte nun die Wiederbesetzung des Rheinlandes nach einem Plan, der bereits längere Zeit vorher festgelegt war, oder kam der Entschluß spontan?
VON NEURATH: Er war einer jener plötzlichen Entschlüsse Hitlers, der innerhalb weniger Tage ausgeführt werden sollte.
DR. VON LÜDINGHAUSEN: Welches waren denn nun die Ereignisse, die den unmittelbaren Anlaß zu diesem Entschluß bildeten?
VON NEURATH: Am 16. Januar 1936 kündigte der französische Außenminister Laval an, daß er den russisch-französischen Pakt nach seiner Rückkehr aus Genf der Französischen Kammer zur Ratifikation vorlegen werde. Es nützte auch nichts, daß Hitler in einem Interview mit dem Berichterstatter der angesehenen französischen Zeitung »Paris Midi«, Herrn de Jouvenel, den Versuch unternahm, unter Hinweis auf die Gefahren dieses Paktes Frankreich noch einmal die Hand zu einer ehrlichen und dauernden Verständigung zwischen den beiden Völkern darzureichen. Dieses Interview hatte ich allerdings vorher mit Hitler eingehend besprochen, und ich bekam dabei die feste Überzeugung, daß er es mit seinem Wunsch nach einer endgültigen Versöhnung der beiden Völker absolut ernst meine. Aber auch dieser Versuch war umsonst. Und ebensowenig vermochte die starke Opposition gegen den Pakt von seiten weiter Kreise in dem französischen Volk, die unter Führung der »Union nationale des Combattants« stand, und im Parlament selbst die Französische Regierung davon abzuhalten, den Pakt ratifizieren zu lassen. Die Votierung fand am 27. Februar 1936 in der Französischen Kammer statt.
DR. VON LÜDINGHAUSEN: Ich darf das Gericht bitten, folgende zwei Dokumente aus meinem Dokumentenbuch Nummer IV amtlich zur Kenntnis zu nehmen. Das erste, Nummer 108, ist das Interview des Führers Hitler mit dem Korrespondenten des »Paris Midi«, M. de Jouvenel, vom 21. Februar 1936; das zweite ist Nummer 107, ein Auszug aus der Rede des Abgeordneten Montigny in der Französischen Kammer über den Sowjet-Pakt vom 13. Februar 1936.