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[Zum Zeugen gewandt:]

Am 7. März 1936 erfolgte nun als Antwort auf diese Ratifikation des Vertrags der Einmarsch der deutschen Truppenverbände in die entmilitarisierte Rheinlandzone. Welche Erwägungen hatte die deutsche Staatsführung zu diesem doch immerhin recht schwerwiegenden Schritt bestimmt, denn gerade bei der bisherigen freundlichen Einstellung der französischen Politik mußte doch die Gefahr naheliegen, daß die Westmächte sich dieses Mal nicht mehr mit papierenen Protesten und den Völkerbundsresolutionen begnügen, sondern mit Waffengewalt gegen diese nach ihrer Ansicht einseitige Aufhebung von Verträgen vorgehen...

VORSITZENDER: Dr. von Lüdinghausen! Ist das eine Frage oder eine Erklärung?

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Eine Frage. Ich fing an, ich möchte gern wissen, wie sich die Regierung damals dazu eingestellt hat. Denn wenn ich hierzu etwas sagen darf, diese Erläuterungen zur Begründung der damaligen Entschlüsse muß ich ja aus dem Munde des Angeklagten hören, denn wenn ich sie nun nachher im Plädoyer...

VORSITZENDER: Sie haben eine Reihe von Tatsachen festgestellt. Es ist nicht Ihre Aufgabe, Tatsachen festzustellen; Sie müssen den Zeugen danach fragen.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Das will ich auch nicht. Ich will ja von dem Zeugen wissen, welche Erwägungen zu dem Entschluß geführt haben.

[Zum Zeugen gewandt:]

Wollen Sie uns nun näher schildern, welche Erwägungen es waren, die damals von Ihnen angestellt wurden?

VON NEURATH: Ich habe bereits in meinen vorangegangenen Antworten dargelegt, warum wir in dem französisch-russischen Pakt und in dem übrigen Verhalten der französischen Politik die stärkste Bedrohung seitens Frankreichs erblicken mußten; denn, daß diese Anhäufung von Macht in der französischen Hand durch seine verschiedenen Beistandspakte sich nur gegen Deutschland richten konnte, war unzweifelhaft. Es gab auf der ganzen Welt kein anderes Land, welches dafür in Frage kam. Im Falle kriegerischer Verwicklungen, mit deren Möglichkeit angesichts der ganzen Situation von einer verantwortungsvollen Staatsführung gerechnet werden mußte, lagen aber infolge der Entmilitarisierung des Rheinlandes die Westgrenzen Deutschlands vollkommen offen da; das war nicht nur eine diskriminierende, sondern eine auch die deutsche Sicherheit am meisten bedrohende Bestimmung des Versailler Vertrags. Sie war aber hinfällig geworden durch den am 11. Dezember 1932 erfolgten Beschluß der fünf Mächte in Genf.

VORSITZENDER: Herr Dr. von Lüdinghausen! Der Gerichtshof ist der Meinung, daß das alles Argumentation ist. Wenn irgendwelche Tatsachen bestehen hinsichtlich dessen, was die Deutsche Regierung damals nach dem französisch-russischen Pakt und vor dem Einmarsch in das Rheinland getan hat, dann kann der Zeuge uns diese Tatsachen geben; dies jedoch ist reine Argumentation, und der Gerichtshof ist sich darüber sehr wohl im klaren. Diese Tatsachen brauchen nicht wiederholt zu werden, vor allem nicht während des Beweisvortrags.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Ich wollte nur, Herr Präsident, vermeiden, daß, wenn ich nachher in meinem Plädoyer diese Begründung gebe, mir vorgehalten werden konnte, daß das meine Ansicht war. Sondern mir liegt daran zu zeigen, daß damals diese Erwägungen...

VORSITZENDER: Dr. von Lüdinghausen! Das ist eine falsche Auffassung. Wir hören jetzt die Beweisführung. Wenn wir Sie hören werden, dann werden wir Argumentation hören, und wir sind bereit, jegliche Argumentierungen von Ihnen zu hören.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Eben das will ich vermeiden, daß es nachher heißt, diese Argumentierung stammt von mir, denn diese Argumentierungen stammen vom Angeklagten.

VORSITZENDER: Ich will Sie darauf hinweisen, daß es Aufgabe des Anwalts ist zu argumentieren und Aufgabe des Gerichtshofs, sich diese Argumentierung anzuhören. Es ist jedoch nicht unsere Aufgabe, Argumente im Laufe des Beweisvortrags anzuhören.

VON NEURATH: Ich darf dazu vielleicht noch eine Sache anführen:

Im Laufe des Winters 1936 hatten wir durch unseren militärischen Nachrichtendienst in Erfahrung gebracht, daß der französische Generalstab bereits einen militärischen Plan für einen Einmarsch nach Deutschland ausgearbeitet hatte, und zwar sollte dieser Einmarsch über das Rheinland, entlang der sogenannten Mainlinie, nach der Tschechoslowakei zur Vereinigung mit dem russischen Bundesgenossen geführt werden.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Ich will mich dann auf Grund dessen, was der Herr Vorsitzende gesagt hat, mit der Beweisführung beziehungsweise mit Ihren Erwägungen zufriedengeben und mir vorbehalten, diese im Plädoyer zu bringen. Und ich möchte deswegen jetzt, nur noch die eine Frage stellen: Lag in dem Entschluß zur Wiederbesetzung des Rheinlandes damals irgendeine aggressive Absicht für den Augenblick oder für spätere Zeiten?

VON NEURATH: Nein, unter gar keinen Umständen. Die Wiederbesetzung hatte, wie aus meinen Ausführungen hervorgeht, rein defensiven Charakter und sollte auch keinen anderen haben. Durch die Besetzung mit so schwachen Kräften wie einer Division, war ja klar ersichtlich, daß es eine rein symbolische Handlung war, wie hier auch von militärischer Seite ausgesagt wurde: wie zum Beispiel der Zeuge Milch hier erklärt hat, war die Luftwaffe überhaupt nicht beteiligt und hatte erst zwei oder drei Tage vorher von der ganzen Aktion erfahren. Daß aber auch kein Angriffsplan für die Zukunft zugrunde lag, ergibt sich aus der Tatsache, daß die Deutsche Regierung auf Anregung Englands sich unter dem 12. März 1936 von sich aus sofort verpflichtete, bis zu einer gütlichen Verständigung mit den Westmächten, insbesondere mit Frankreich, die Garnisonen des Rheinlandes nicht zu erhöhen und die Truppen nicht näher als geschehen an die Grenzen heranzuführen, unter der Voraussetzung allerdings, daß von Frankreich dasselbe geschehe. Frankreich behauptete, dieses Angebot nicht annehmen zu sollen. Sodann aber hatte Deutschland in dem Memorandum vom 7. März 1936 an die Signatarmächte von Locarno, das hier von der Anklagebehörde bereits vorgelegt worden ist, nicht nur festumrissene Vorschläge für eine Verständigung mit Frankreich, Belgien und den übrigen Locarnomächten gemacht, sondern auch seine Bereitwilligkeit erklärt, einen allgemeinen Luftpakt zur Vermeidung der Gefahr plötzlicher Luftangriffe abzuschließen und außerdem wieder in den Völkerbund einzutreten. In einer Rede im Reichstag vom 7. März 1936 hat Hitler die Gründe für die Wiederbesetzung der Rheinlande vor aller Welt dargelegt. Auch diese Rede und das Memorandum hatte ich mit Hitler vorher eingehend durchgesprochen, und ich kann nur wiederholen, daß auch nicht der geringste Verdacht bei mir aufkommen konnte, daß Hitler es nicht ehrlich meine und etwa seine wahren, auf Krieg gerichteten Ansichten vor der Welt zu verbergen wünsche. Ich bin auch heute noch der festen Überzeugung, daß Hitler damals an keinen Krieg dachte. Daß mir selbst ein solcher Gedanke fern lag, brauche ich nicht zu betonen. Ich habe im Gegenteil die Wiederherstellung der Souveränität über das ganze deutsche Reichsgebiet als einen Schritt zum Frieden und zur Verständigung angesehen. Im übrigen...

VORSITZENDER: Wir wollen damit weiterkommen, Dr. von Lüdinghausen. Sie erlauben dem Angeklagten, sehr, sehr lange Reden zu halten; das ist nicht das Ziel des Beweisvortrags.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Ich möchte dann hierzu vorlegen verschiedene Dokumente, beziehungsweise das Gericht bitten, von folgenden Dokumenten in meinem Dokumentenbuch Nummer IV amtlich Kenntnis zu nehmen: Zunächst Nummer 109, Memorandum der Reichsregierung an die Signatarmächte des Locarno-Vertrags vom 7. März 1936; die amtliche Erklärung der Deutschen Reichsregierung vom 12. März 1936, Nummer 112, Nummer 113, die Mitteilung des Deutschen Botschafters in London an den englischen Außenminister Eden vom 12. März 1936 und Nummer 116 eine Denkschrift der Deutschen Reichsregierung vom 31. März 1936, die durch den damaligen Außerordentlichen Botschafter Deutschlands in London, Herrn von Ribbentrop, der Englischen Regierung überreicht worden war.