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[Zum Zeugen gewandt:]

Was waren nun die außenpolitischen Folgen der Wiederbesetzung des Rheinlandes?

VON NEURATH: Ich glaube, mit Rücksicht auf die Wünsche des Herrn Präsidenten des Gerichts will ich dazu keine Ausführungen machen.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Was haben die Westmächte getan, haben sie irgendwelche politischen oder diplomatischen Schritte unternommen?

VON NEURATH: Außenminister Eden hat im Unterhaus erklärt, daß das Vorgehen Deutschlands keine feindselige Drohung in sich schließe und hat im übrigen eine loyale Prüfung der deutschen Friedensvorschläge zugesagt.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Ich möchte hierzu vorlegen und das Gericht um Kenntnisnahme bitten, die folgenden in meinem Dokumentenbuch Nummer IV enthaltenen Dokumente Nummer 125 – Auszüge aus einem Vortrag des amerikanischen Unterstaatssekretärs Welles über den Versailler Vertrag und Europa am 7. Juli 1937; Dokument Nummer 120 – Auszug aus einem Dekret der Volkskommissare Rußlands über die Herabsetzung des Dienstpflichtalters; Nummer 117 ein Bericht des Tschechoslowakischen Gesandten im Haag vom 21. April 1936.

[Zum Zeugen gewandt:]

Haben nun, Herr von Neurath, Ihre – beziehungsweise die des Auswärtigen Amtes – weiteren Schritte und Versuche für eine friedliche Verständigung mit den übrigen europäischen Mächten aufgehört, oder sind sie fortgesetzt worden?

VON NEURATH: Diese Bemühungen wurden dauernd fortgesetzt. Die nächste Gelegenheit dazu ergab sich in unserem Verhältnis zu Österreich. Die Entwicklung dieses Verhältnisses seit dem Jahre 1933 ist vor Gericht hier bereits eingehend erörtert worden. Ich möchte aber immerhin ganz besonders betonen, daß mein Standpunkt über unser Verhältnis zu Österreich von Anfang an bis zum Schluß unverändert dahin ging, daß ich zwar eine enge wirtschaftliche Verbindung, etwa in der Form einer Zollunion zwischen den beiden Ländern und eine gleichgerichtete Außenpolitik auf Grund von Staatsverträgen und enger Fühlungnahme der beiden Regierungen wünschte, daß ich aber die volle Unabhängigkeit Österreichs unter allen Umständen gewahrt wissen wollte.

Ich war deshalb stets ein ausgesprochener Gegner jedweder Einmischung in die inneren politischen Verhältnisse Österreichs und lehnte daher auch jede Unterstützung der österreichischen Nationalsozialisten durch die deutschen Nationalsozialisten im Kampfe der ersteren gegen Dollfuß und Schuschnigg entschieden ab, und ich bin deswegen dauernd bei Hitler vorstellig geworden.

Daß ich die Ermordung von Dollfuß sowohl vom moralischen wie politischen Gesichtspunkt aus auf das schärfste verurteilte und daß mit diesem Morde das von mir geleitete Auswärtige Amt nicht das geringste zu tun hatte, wie kürzlich von der Anklage behauptet wurde, brauche ich nicht weiter zu versichern. Daß aber auch Hitler dem Morde völlig fern stand, kann ich aus den mehrfachen Äußerungen, die er zu mir gemacht hat, nur bestätigen. Die Tat war von österreichischen Nationalsozialisten, die teilweise viel radikaler waren als die deutschen, begangen worden.

Im übrigen wird diese meine Meinung am besten dadurch bewiesen, daß ich, als kurz nach dem Mord an Dollfuß der Deutsche Gesandte in Wien, Herr Rieth, ohne mein Wissen bei der österreichischen Regierung freies Geleit für eine Anzahl am Mord beteiligter Personen nach Deutschland erwirkte, diesen sofort aus Wien abberief und ihn aus dem Auswärtigen Dienst entließ. Ebenso war ich, wie übrigens auch eine Reihe anderer Minister, ein Gegner der deutscherseits gegen Österreich verhängten Reisesperre.

Ich begrüßte aber durchaus die im Jahre 1935 einsetzenden und von Herrn von Papen mit Erfolg durchgeführten Bestrebungen nach einer Verständigung mit Österreich und habe auch in diesem Sinne immer auf Hitler eingewirkt. Über die Verhandlungen des Herrn von Papen in Wien in dieser Zeit bin ich allerdings nur mangelhaft informiert, da Herr von Papen mir nicht unterstand, vielmehr seine Befehle direkt von Hitler erhielt. Von einer Reihe von Briefen, die Herr von Papen an Hitler geschrieben hat, habe ich zum Beispiel erst hier in der Verhandlung etwas erfahren.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Ich darf hierzu zwei Stellen zitieren, und zwar die eine aus einem Brief Herrn von Neuraths an den damaligen Leiter der politischen Abteilung des Außenministeriums vom 28. Juli 1934, Nummer 84 meines Dokumentenbuches III, Seite 227, in dem es mit Bezug auf die damaligen Verhältnisse heißt:

»Die österreichischen Ereignisse sind ja in ihrer Entwicklung noch nicht abzusehen; die akute Gefahr für uns scheint mir aber dank des raschen Handelns abgewendet. Allerdings hieße es jetzt große Zurückhaltung üben, und in dieser Richtung habe ich den Reichskanzler gestern bearbeitet. Ich fand volles Verständnis.«

Weiter darf ich eine Stelle zitieren aus dem von mir bereits vorgelegten Affidavit des Landesbischofs Dr. Wurm, Nummer 1 meines Dokumentenbuches I, wo es auf Seite 3 wörtlich heißt:

»Insbesondere erinnere ich mich seiner...« – Herrn von Neuraths – »... scharfen Verurteilung der Vorgänge in Wien, bei denen der Bundeskanzler Dollfuß ermordet wurde, und der Person, deren sich Hitler bei der Agitation in Österreich bediente.«

Ich darf ferner noch verweisen in diesem Zusammenhang auf ein Dokument, das bereits von Herrn Seyß-Inquart, beziehungsweise seinem Verteidiger unter Nummer S.-I. 32 vorgelegt worden ist und das ein Interview des damaligen Staatskanzlers Dr. Renner vom 3. April 1938 enthält. Ich habe es vorsichtshalber noch einmal auch in meinem Dokumentenbuch unter Nummer 130, Dokumentenbuch Nummer IV, vorgelegt.

Herr von Neurath! Es ist Ihnen bekannt, daß die Anklage Ihnen vorwirft, daß der im Zuge dieser Bestrebungen des Herrn von Papen am 11. Juli 1936 zustande gekommene Vertrag zwischen Deutschland und Österreich, wie er hier ja bereits eingehend erörtert worden ist, in betrügerischer Absicht, das heißt zu dem Zwecke, Österreich in Sicherheit zu wiegen und dadurch seine spätere Einverleibung in das Reich vorzubereiten, abgeschlossen worden sei. Wollen auch Sie sich bitte zu diesem Punkt äußern?

VON NEURATH: Diese Unterstellung der Anklage ist eine glatte Unwahrheit. Ich habe diesen Vertrag in Wirklichkeit ehrlich und freudig begrüßt, denn er entsprach ja in jeder Hinsicht meinem Standpunkt, und ich sah auch darin das beste Mittel, um zu einer Bereinigung des unnatürlichen Zwistes zu kommen, und deshalb habe ich an seinem Zustandekommen nach Kräften mitgewirkt.

Im übrigen ist die Behauptung der Anklage ja auch schon durch die hier abgegebenen Erklärungen des früheren Außenministers Dr. Guido Schmidt widerlegt. Der Vertrag hatte aber zu meiner Genugtuung auch eine besondere außenpolitische Bedeutung. Durch diesen Vertrag, in dem die Selbständigkeit Österreichs deutscherseits eindeutig festgelegt und anerkannt wurde, wurde der bis dahin einen europäischen Gefahrenherd bildende deutsch-österreichische Zwist beseitigt.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Herr Vorsitzender! Ich habe hierzu aus meinem Dokumentenbuch Nummer IV unter Nummer 118 dieses Abkommen zwischen Deutschland-Österreich vom 11. Juli 1936 beigefügt und bitte meinerseits amtlich davon Kenntnis zu nehmen.

Herr von Neurath! Sie haben aber außer der Bereinigung der österreichischen Frage in den Jahren vor 1937 auch Verhandlungen mit osteuropäischen Staaten geführt, und ich möchte Ihnen hierzu vorhalten, daß in dem Affidavit des amerikanischen Generalkonsuls Messersmith, das von der Anklagebehörde als Exhibit Nummer US-68, 2385-PS, vorgelegt worden ist, behauptet wird, daß diese Verhandlungen den Zweck gehabt hätten, diese Südoststaaten zu einer Zustimmung zu der von Deutschland beabsichtigten Zerstörung und Aufteilung der Tschechoslowakei und sogar zu einer aktiven Teilnahme an dieser zu bewegen und daß Sie zu diesem Zweck im Zuge dieser Verhandlungen diesen Staaten sogar versprochen hätten, beziehungsweise hätten versprechen lassen, daß sie dafür Teile der Tschechoslowakei, ja sogar österreichische Gebiete als Belohnung erhalten würden. Wollen Sie sich bitte auch dazu äußern?

VON NEURATH: Diese Behauptungen des Herrn Messersmith sind von Anfang bis zum Ende reine Erfindungen und Hirngespinste. Es ist nicht ein wahres Wort an ihnen. Ich kann überhaupt dieses Affidavit nur als eine Phantasie bezeichnen. Es ist schon nicht wahr, daß Herr Messersmith, wie er behauptet, eng mit mir befreundet gewesen sei. Ich habe Herrn Messersmith einige Male bei größeren Veranstaltungen gesehen. Ich habe mich schwer gehütet, mich mit ihm in ein politisches Gespräch einzulassen, weil mir bekannt war, daß er in seinen Berichten und sonstigen Äußerungen über Gespräche, die er mit Diplomaten gehabt hatte, einen der Wahrheit keineswegs immer entsprechenden Sinn zu geben pflegte. Sein Affidavit enthält ja auch bezeichnenderweise kaum genaue Angaben über die Quellen, aus denen er seine Weisheiten geschöpft haben will.

Meine Verhandlung mit den Südoststaaten, wie auch meine persönlichen Reisen in ihre Hauptstädte, hatten in Wahrheit einzig und allein den Zweck, die bestehenden wirtschaftlichen Beziehungen zu vertiefen und damit den beiderseitigen Handel und Warenaustausch zu fördern. Außerdem wollte ich mich über die auf dem Balkan ja immer schwer zu übersehenden politischen Verhältnisse selbst orientieren.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Ich habe in meinem Dokumentenbuch Nummer II unter Nummer 30, Seite 87, einen kurzen Auszug aus einem anderen Affidavit des Herrn Messersmith vom 29. August 1945 vorgelegt. Es ist bereits von der Anklage gleichfalls unter US-750, 2386-PS, allerdings in einem anderen Zusammenhang vorgelegt worden. Ich möchte aber aus diesem Auszug folgende Stelle zitieren; sie befindet sich auf Seite 87 meines Dokumentenbuches II und lautet:

»Während der Jahre 1933-1934 wurde das deutsche Auswärtige Amt von der Nazi-Regierung zum größten Teil mit den konservativen Beamten der alten Richtung beibehalten. So blieb die Lage im allgemeinen während des Zeitabschnittes, in dem Baron von Neurath Außenminister war. Nachdem von Ribbentrop Chef des Auswärtigen Amtes geworden war, veränderte sich allerdings die Lage in Bezug auf die politischen Beamten nach und nach. Während Neuraths Amtsführung war das deutsche Auswärtige Amt nicht gleichgeschaltet worden, und man kann Neurath und seine Helfer kaum für die Handlungen der deutschen Außenpolitik während dieser Periode tadeln, obwohl sein Verbleiben im Amt seine Zustimmung zu den Nationalsozialisten anzudeuten scheinen. Für dieses Verhalten könnte von Neurath in seiner Verteidigung leicht patriotische Motive als Beweggrund anführen.«

Ich habe dann noch zu diesen Reisen in dieser Politik des Angeklagten im Südosten die drei Kommuniqués über den Besuch Herrn von Neuraths in Belgrad, Sofia und Budapest im Juni 1937 unter Nummer 122, 123, 124 meines Dokumentenbuches IV, vorgelegt und bitte das Gericht, von diesen Kenntnis zu nehmen.

Herr von Neurath! Die Anklage versucht, Ihnen aus Ihrer Rede vom 29. August 1937, die Sie auf einer Kundgebung der Auslandsdeutschen in Stuttgart gehalten haben, einen Vorwurf machen zu wollen, indem sie in einer Äußerung von Ihnen in dieser Rede aggressive Tendenzen Ihrer Politik erblickt. Sie zitiert von dieser Rede wörtlich folgende angeblich von Ihnen gebrachten Sätze:

»Die Einheit des heroischen nationalen Willens, der durch die Nationalsozialisten mit beispiellosem Elan geschaffen wurde, hat eine Außenpolitik ermöglicht, durch die die Bestimmungen des Versailler Diktates gesprengt, die Wehrfreiheit wiedergewonnen und die Souveränität im ganzen Staatsgebilde wieder hergestellt wurde. Wir sind wieder Herr im eigenen Hause geworden und haben uns die Machtmittel geschaffen, dies auch in aller Zukunft zu bleiben. Wir haben mit unseren außenpolitischen Aktionen niemandem etwas genommen. Die Welt sollte aus den Taten und Worten Hitlers ersehen, daß es keine aggressiven Gelüste sind.«

Ich möchte darauf hinweisen, daß diese Sätze nur in größerem Zusammenhang zu verstehen sind und möchte daher die Erlaubnis des Gerichts erbitten, diesen Wortlaut kurz im Zusammenhang vorzulesen. Dieser Auszug aus der Rede wird von mir im Dokumentenbuch IV unter Nummer 126 vorgelegt. Ich zitiere:

»Wir sind überhaupt wieder Herr im eigenen Hause geworden. Wir haben uns die Machtmittel geschaffen, daß nun auch in aller...«

VORSITZENDER: Sie haben das eben verlesen, Sie haben es schon einmal vorgelesen.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Ich will nur den Zwischensatz einfügen.

VORSITZENDER: Sie können natürlich alles vorlesen, was erheblich ist und was ausgelassen wurde.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Das Zitat, das ich bringe, lautet:

»... diese Haltung des neuen Deutschlands ist in Wahrheit das stärkste Bollwerk für die Sicherung des Friedens und wird sich in einer unruhig bewegten Umwelt immer mehr als ein solches erweisen. Gerade weil wir die Gefahr bestimmter zersetzender Tendenzen, wie sie sich in Europa geltend zu machen suchen, erkannt haben, suchen wir nicht nach dem Trennenden, sondern nach dem Verbindenden zwischen den Staaten und Völkern. Wir denken nicht an politische Isolierung, wir erstreben eine politische Zusammenarbeit der Regierungen, eine Zusammenarbeit, die, wenn sie Erfolg haben soll, allerdings nicht auf theoretischen Kollektivitätsideen, sondern auf der lebendigen Realität beruhen und sich den konkreten Aufgaben der Gegenwart zuwenden muß. Mit Genugtuung können wir feststellen, daß wir in der Verfolgung einer solchen realen Friedenspolitik Hand in Hand mit dem uns befreundeten Italien gehen. Das rechtfertigt die Hoffnung, daß wir auch mit den anderen Regierungen zu einer freundschaftlichen Verständigung über die wichtigen aktuellen Fragen der Außenpolitik gelangen.«

Haben Sie, Herr von Neurath, zu dem noch etwas zu sagen?

VORSITZENDER: Ich denke, das würde ein günstiger Zeitpunkt für eine Unterbrechung sein.