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[Pause von 10 Minuten.]

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Herr von Neurath! Ich hatte Ihnen vor der Pause dieses Zitat vorgehalten aus Ihrer Rede vom 29. August 1937 und hatte Sie gefragt, ob Sie noch eine Erklärung dazu abgeben wollen.

VON NEURATH: Ich sollte meinen, daß die Ausführungen dieser Rede genau das Gegenteil von dem sind und beweisen, was die Anklage daraus machte; denn man kann wohl kaum überzeugender den friedlichen Charakter meiner Politik darstellen, wie ich es in dieser Rede getan habe.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Die Anklage hat Ihnen dann weiter vorgehalten – als Beweis für ihre Behauptung, daß die gesamte von Ihnen geführte Politik als das Brechen nur eines Vertrags zu einer Zeit zusammengefaßt werden können – folgende Sätze, die Sie in Ihrer Rede vom 30. Oktober 1937 vor der Akademie für Deutsches Recht gesagt haben. Sie lauten:1

»Aus der Erkenntnis dieser elementaren Tatsache heraus hat das Reichskabinett stets zugunsten dessen Fürsprache eingelegt, daß jedes konkrete internationale Problem mit den Methoden, die dafür geeignet sind, zu behandeln und es nicht unnötig mit anderen Problemen zu verschmelzen, und dadurch zu komplizieren, und solange Probleme nur zwischen zwei Mächten betroffen sind, den Weg für eine sofortige Verständigung zwischen diesen beiden Mächten zu wählen. Wir sind in der Lage festzustellen, daß diese Methode sich selbst als gut erwiesen hat, nicht nur im deutschen Interesse, sondern auch im allgemeinen Interesse.«

Was haben Sie dazu zu sagen, zu diesem Vorwurf?

VON NEURATH: Dieses Zitat ist zunächst einmal völlig aus dem Zusammenhang gerissen. Die ganze Rede enthielt eine Darlegung der Gründe, aus denen ich und damit die deutsche Politik den Abschluß von zweiseitigen Vertragen für vorteilhafter hielt im Sinne des Friedens als sogenannte Kollektiv-Verträge; und aus dieser Tendenz heraus nur ist der zitierte Passus zu verstehen.

Ich bitte Sie daher, den zitierten Passus in seinem Zusammenhang dem Gericht vorzutragen.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Ich habe diese Rede Herrn von Neuraths über Völkerrecht und Völkerbund, die er am 30. Oktober 1937 vor der Akademie für Deutsches Recht gehalten hat, unter Nummer 128 meinem Dokumentenbuch Nummer IV beigefügt und möchte mit Erlaubnis des Gerichts den bezüglichen Abschnitt ganz verlesen, aus dem sich dann ergeben wird, daß das von der Anklage ausgewählte Zitat nicht den Sinn hat, den ihm die Anklage unterlegt. Es heißt hier nämlich:

»Ich bin überzeugt, daß sich die gleichen oder ähnlichen Bedenken auch in anderen Fällen ergeben würden, in denen man ein so schematisches Gebilde wie ein unbedingt gegenseitiges Beistandssystem für eine mehr oder weniger große Gruppe von Staaten einführen wollte...

Solche Projekte werden im günstigen Falle, wenn sie nämlich wirklich von allen Teilnehmern...«

VORSITZENDER: Genügt es nicht, sich auf dieses Dokument zu beziehen? Der Angeklagte hat gerade gesagt, daß die Rede die Gründe enthält, warum er zweiseitige Verträge für besser durchführbar hielt als allgemeine Verträge. Er hat das gesagt. Das Dokument bestätigt es scheinbar auch. Können Sie nicht auf das Dokument verweisen, ohne die Worte zu verlesen?

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Ich las dies, weil es aus dem Zusammenhang gerissen war und ich glaube, es dem Gericht im Zusammenhang vorbringen zu dürfen. Aber wenn das Gericht es vorzieht, es selbst zu lesen, werde ich auf das Zitat verzichten.

VORSITZENDER: Es scheint mir nichts Wesentliches hinzuzufügen. Es sind gerade die Worte, deren Sinn der Angeklagte eben erklärt hat.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Ich habe den einen Satz weggelassen, weil er mir überflüssig schien. Aber es ergibt sich aus dem Zusammenhang der ganzen Rede, und, wie gesagt, wenn das Gericht es vorzieht, die Rede, soweit ich sie vorgelegt habe, im Zusammenhang zu lesen, werde ich mich damit begnügen.

Herr von Neurath! Die Anklage hat unter Nummer L-150, US-65, eine Notiz des damaligen Amerikanischen Botschafters in Paris, Bullitt, über seine Unterhaltung mit Ihnen im Mai 1936 vorgelegt und folgert aus dieser – es ist Seite 8 des englischen Trialbriefes –, daß Sie als Außenminister an der Planung von Angriffen gegen Österreich und die Tschechoslowakei beteiligt waren. Wollen Sie sich bitte zu diesem, Ihnen ja auch bekannten Dokument und dieser Anklage äußern.

VON NEURATH: Die Besetzung des Rheinlandes hatte naturgemäß in den Kabinetten und in der Öffentlichkeit und unter den Signatarmächten von Versailles zunächst Unruhe hervorgerufen. Besonders war dies bei Frankreich und der Tschechoslowakei der Fall. Es war deshalb selbstverständlich für die Führung einer deutschen, vernünftigen Außenpolitik, daß man diese Unruhe sich legen lassen müßte, um die Welt zu überzeugen, daß Deutschland keine aggressiven Pläne damit verfolge, sondern nur die Wiederherstellung seiner vollen Souveränität im Reichsgebiet. Die Errichtung von Befestigungen sollte auch nur dazu dienen, die Versuchung für die hochaufgerüsteten Nachbarn zu vermindern, bei jeder ihnen passend erscheinenden Gelegenheit in das offenliegende deutsche Reichsgebiet einzumarschieren, nachdem es trotz andauernder Bemühungen und Verhandlungen nicht gelungen war, sie zur Einhaltung der im Versailler Vertrag übernommenen Verpflichtung zur Abrüstung zu bewegen.

Wie ich schon ausgeführt habe, haben speziell Frankreich und die Tschechoslowakei, anstatt abzurüsten, dauernd weitergerüstet und durch Abschluß von Verträgen mit Sowjetrußland ihre militärische Übermacht verstärkt.

Dies habe ich bei der Unterredung mit Herrn Bullitt zum Ausdruck bringen wollen, als ich sagte, wir würden vorerst keine weiteren diplomatischen Aktionen unternehmen, und ich hoffte auch dadurch, das heißt durch die Erschwerung etwaiger militärischer Angriffe, Frankreich und die Tschechoslowakei zur Änderung ihrer deutschfeindlichen Politik zu veranlassen und ein besseres Verhältnis zu diesen beiden Ländern im Interesse der Erhaltung des Friedens herbeizuführen. Diese meine Hoffnung und Ansicht ergibt sich ganz klar aus dem letzten Absatz des Bullittschen Berichtes, dem übrigens Herr Bullitt selbst durchaus zustimmt.

Was sodann die Bemerkung über die Politik Englands auf Seite 2, Absatz 2 des Berichtes anbelangt, so war England damals bemüht, eine Annäherung Deutschlands an Italien, mit dem es wegen der Abessinien-Frage in eine gefährliche Spannung gekommen war, zu verhindern. Diese Annäherung glaubte das Foreign Office durch die Zusicherung vereiteln zu können, daß es die Aufgabe seines Widerstandes gegen die Anschlußbewegung in Deutschland und Österreich zu erkennen gab. Diesen Widerstand teilte damals nämlich Mussolini noch voll und ganz. Die Erkenntnis dieser durchsichtigen Absicht Englands war eines der Motive zum Abschluß des deutsch- österreichischen Vertrags vom 11. Juli 1936. Die von mir angedeutete und erwartete englische Erklärung ist dann im November 1937 beim Besuch des Lord Halifax in Berlin mit dem gleichen Ziele erfolgt. Lord Halifax erklärte mir damals – und ich habe mir diesen Ausspruch wörtlich gemerkt:

Ich zitiere in englisch:

»People in England would never understand why they should go to war only because two German countries wish to unite.«

(»Die Leute in England würden niemals verstehen, warum sie zum Kriege schreiten sollten, nur weil zwei deutsche Länder sich vereinigen wollen.«)

Gleichzeitig allerdings hat das Foreign Office in einer im Wortlaut bekanntgewordenen Weisung an den Englischen Gesandten in Wien auch die österreichische Regierung unter Zusicherung der vollen Unterstützung Englands zum äußersten Widerstand gegen die Anschlußbewegung auffordern lassen.

Aus dem Bullittschen Bericht geht übrigens auch noch hervor, daß ich gesagt habe, Hitlers größter Wunsch sei eine wirkliche Verständigung mit Frankreich. Im übrigen habe ich Herrn Bullitt, wie er selbst gleich am Anfang erklärt, auch noch gesagt, daß die Deutsche Regierung alles tun werde, um einen Aufstand der Nationalsozialisten in Österreich zu verhindern.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Ich bitte, diese Notizen des Herrn Bullitt als Nummer 15 in meinem Dokumentenbuch, Seite 60, den letzten Satz, ganz besonders zur Kenntnis nehmen zu wollen, damit ich mir im Interesse der Zeitersparnis die Zitierung dieses Absatzes versagen kann. Es ist, wie gesagt, Dokumentenbuch I, Neurath Nummer 15, Seite 60, letzter Absatz.

Wie war nun Ihre eigene Einstellung und Ansicht über die seitens Deutschland gegenüber der Tschechoslowakei zu verfolgende Politik?

VON NEURATH: Die tschechische Politik uns gegenüber war seit jeher durch ein starkes Mißtrauen charakterisiert, das sich zum Teil aus der geographischen Lage des Landes, zwischen Deutschland und Österreich, zum Teil aus den Nationalitäten-Gegensätzen innerhalb des Landes ergab. Diese waren stark durch Ressentiments bestimmt. Die Einbeziehung in das französisch-russische Militär- und Freundschaftsabkommen trug natürlich nicht dazu bei, dieses Verhältnis enger zu gestalten. Ich habe als Reichsaußenminister gleichwohl immer auf eine Verbesserung des politischen Verhältnisses hingearbeitet und auch auf eine Ausbreitung unserer wirtschaftlichen Beziehungen, deren Bedeutung ja auf der Hand lag. Ich habe dabei Gewaltmaßnahmen oder gar eine militärische Besetzung ebensowenig in Betracht gezogen wie gegenüber allen anderen Nachbarstaaten.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Wie war nun Ihre Einstellung zur sudetendeutschen Frage?

VON NEURATH: Da möchte ich etwas weiter ausholen. Den im Sudetenland geschlossen vorhandenen Deutschen wurde bei den Friedensverhandlungen im Jahre 1919 bei ihrer Zuteilung zum Tschechoslowakischen Staat die Autonomie nach dem Muster der Schweizer Kantone zugesichert, wie dies Mr. Lloyd George im Unterhaus 1940 ausdrücklich erklärt hat. Die sudetendeutsche Delegation hatte damals, ebenso wie Österreich, den Anschluß an das Reich gefordert. Die Zusage der Gewährung der Autonomie wurde von seiten der Tschechischen Regierung nicht eingehalten. Statt dessen setzte sofort eine heftige Tschechisierungspolitik ein. Den Deutschen wurde der Gebrauch der deutschen Sprache vor dem Gericht, bei den Verwaltungsbehörden et cetera unter Strafenandrohung verboten. Alle Beschwerden...

VORSITZENDER: Dr. von Lüdinghausen! Kann der Angeklagte sich nicht der Zeit zuwenden, mit der wir uns befassen müssen, nämlich 1938, und uns sagen, welches damals seine Politik war, ohne uns vorher all die Ereignisse um 1919 zu erzählen?

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Ich wollte nur gewisse Grundlagen geben, aus denen seine Politik ersichtlich ist. Aber wenn das Gericht es nicht als nötig erachtet und es vielleicht als bekannt unterstellt, werde ich mich mit dem, was er bisher gesagt hat, begnügen.

Herr von Neurath! Wie war Ihr dienstliches und persönliches Verhältnis zu Hitler während Ihrer Zeit als Außenminister?

VON NEURATH: Persönlich stand ich in keinerlei näheren Beziehungen zu Hitler, gehörte auch nicht zu seinem engeren Kreise. Zu Anfang hatte ich sehr häufig Unterhaltungen mit ihm über außenpolitische Fragen, und er erwies sich im allgemeinen meinen Argumenten gegenüber durchaus zugänglich. Das änderte sich im Laufe der Zeit in dem Maße, in dem andere Organisationen, namentlich die Partei, sich mit Außenpolitik beschäftigten und mit ihren Plänen und Informationen an Hitler herankamen. Dies war besonders der Fall bei dem sogenannten Büro Ribbentrops. Ribbentrop wurde immer mehr zum persönlichen Berater Hitlers in außenpolitischen Fragen und gewann bei ihm zunehmenden Einfluß. Es war häufig schwierig, Hitler von den ihm von dieser Seite vorgelegten Ideen abzubringen. Die deutsche Außenpolitik wurde auf diese Weise in gewisser Beziehung zweigleisig. Das Auswärtige Amt hatte nicht nur in Berlin, sondern auch bei seinen Vertretungen im Auslande später dauernd mit Schwierigkeiten zu kämpfen, die durch die Arbeitsmethoden und die Informationsquellen Ribbentrops hervorgerufen wurden. Ich selbst habe mich immer gegen eine Einflußnahme von den Parteistellen auf die Außenpolitik gewandt und insbesondere gegen eine unmittelbare Behandlung wichtiger Fragen durch Ribbentrop und gegen seine offizielle Einschaltung in die Außenpolitik gewehrt, soweit diese nicht meiner Kontrolle entzogen waren. Aus diesem Grunde habe ich auch mehrfach meinen Rücktritt angeboten und erreichte daraufhin jeweils für einige Zeit, daß Hitler von der von ihm vorgesehenen Art der Einschaltung Ribbentrops Abstand nahm.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Ich lege hierzu vor und bitte das Gericht, davon Kenntnis zu nehmen den Ausschnitt aus einem Artikel der amerikanischen Zeitung »Time« vom 10. April 1933 unter Nummer 9 meines Dokumentenbuches I, Seite 44. Ferner nehme ich Bezug und bitte das Gericht...

VORSITZENDER: Der Gerichtshof ist nicht der Ansicht, daß bloße Zeitungsartikel oder Kommentare als Beweismittel geeignet sind.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Ich habe ferner vorgelegt in meinem Dokumentenbuch I unter Nummer 17 einen Auszug aus dem bekannten Buch des früheren Englischen Botschafters in Berlin, Henderson, »Failure of a Mission« und verweise das Gericht darauf mit der Bitte, besondere Kenntnis davon zu nehmen, damit ich es nicht zu verlesen brauche, auf Absatz 2, Seite 69.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof entscheidet, daß dieses Dokument – der Artikel aus der Zeitung »Time« – zugelassen werden kann, aber es ist nicht notwendig, sich darauf zu beziehen.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Danke sehr; es ist dies Dokument Nummer 9, Herr Präsident.

VORSITZENDER: Ja, ich weiß, daß es Dokument Nummer 9 ist; ich sagte, es wird zugelassen.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Danke sehr.

Ich darf dann schließlich noch vorlegen und die Aufmerksamkeit des Gerichts auf Dokument Nummer 16 lenken, welches ein Abschiedsgesuch des Angeklagten von Neurath an Hitler enthält vom 27. Juli 1936, anläßlich der beabsichtigten Ernennung des Herrn von Ribbentrop zum Staatssekretär. Ich brauche es hier nicht zu verlesen, ich möchte aber die Aufmerksamkeit des Gerichts außer auf seinen Inhalt auch auf die Art der Anrede und des Schlusses dieses Briefes hinweisen. Die Anrede lautet lediglich: »Sehr geehrter Herr Reichskanzler!« und die Unterschrift: »Ihr sehr ergebener von Neurath!« Ich tue es deshalb, weil ja sehr oft Vorwürfe darüber gemacht worden sind seitens der Anklage, daß Floskeln gebraucht worden wären bei Briefen an Hitler, die den üblichen Rahmen selbstverständlicher Höflichkeitsbezeugungen überstiegen haben. Solche sind von Herrn von Neurath nie gebraucht worden.

Ich verweise ferner auf das Dokument Nummer 14 meines Dokumentenbuches I, das ebenfalls ein Abschiedsgesuch enthält vom 25. Oktober 1935 und bitte auch von diesem amtlich Kenntnis nehmen zu wollen,

Herr von Neurath! Sind nun nicht auch neben Ihrer offiziellen Politik von anderen Stellen selbständige Handlungen vorgenommen, Verträge unterzeichnet worden, an denen Sie nicht mitgewirkt haben?

VON NEURATH: Ja, das war zum Beispiel der Fall bei der sogenannten Berlin-Rom-Tokio-Politik. Hitler verfolgte diesen Plan hartnäckig und wurde darin von Ribbentrop unterstützt. Ich habe diese Politik abgelehnt, da ich sie für schädlich und zum Teil für phantastisch hielt; ich hatte meinen Mitarbeitern die Ausführung verweigert.

Ribbentrop hat daraufhin die Verhandlungen in seiner Eigenschaft als Botschafter in besonderer Mission unabhängig weitergeführt und im Auftrage Hitlers den sogenannten Antikominternpakt abgeschlossen. Der Pakt trägt aus diesem Grunde die Unterschrift Ribbentrops und nicht meine, obwohl ich damals noch Außenminister war und den Vertrag an sich hätte unterzeichnen müssen.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Wir kommen nun zur Wende der Politik. Herr von Neurath, wann ist Ihnen bekanntgeworden, daß Hitlers außenpolitische Pläne vor allem über die Erringung der deutschen Gleichberechtigung auf friedlichem Wege hinausgingen und die Führung von Kriegen, die Anwendung von Gewalt, in den Kreis Ihrer Erwägungen zogen?

VON NEURATH: Das war zum erstenmal der Fall anläßlich der hier oft erwähnten Ansprache Hitlers an die Oberbefehlshaber der Wehrmachtsteile vom 5. November 1937, bei der ich zugegen war. Die Aufzeichnung über den Inhalt dieser Ansprache ist allerdings zunächst, wie sich hier ergeben hat, aus dem sogenannten Hoßbach-Protokoll, fünf Tage nach der Ansprache im Auszug aus einer zwei- oder dreistündigen Rede aus dem Gedächtnis gemacht worden.

Wenn diese von Hitler in dieser langen Rede vorgetragenen Pläne auch keinen konkreten Inhalt hatten und verschiedene Möglichkeiten zuließen, war doch für mich zu erkennen, daß die Gesamttendenz seiner Pläne aggressiver Natur waren. Diese Ansprache Hitlers hat mich aufs äußerste erschüttert, da damit der bisher von mir konsequent verfolgte und mit nur friedlichen Mitteln betriebene Kurs unserer Außenpolitik die Basis verloren hatte. Es war selbstverständlich, daß ich die Verantwortung für eine solche Politik nicht tragen konnte.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Ich darf im Zusammenhang hiermit Bezug nehmen auf das von mir bereits erwähnte Affidavit der Baronin Ritter, Nummer 3 meines Dokumentenbuches I und darf hierzu aus diesem einen Absatz von Ziffer 17 meines Dokumentenbuches zitieren, der mir doch so wichtig erscheint, daß ich das Gericht bitten möchte, mir die Zitierung dieses Absatzes zu gestatten. Ich zitiere:

»Als Herr von Neurath aus den Darlegungen Hitlers am 5. November 1937 zum ersten Male erkennen mußte, daß dieser seine politischen Ziele durch Gewaltanwendung gegenüber den Nachbarstaaten erreichen wollte, erschütterte ihn dies seelisch so stark, daß er mehrere schwere Herzattacken erlitt. Er sprach darüber eingehend mit uns bei seinem Besuch zu Neujahr 1938, und wir fanden ihn seelisch wie physisch sehr mitgenommen. Er war vor allem sehr betroffen davon, daß Hitler es in der Zwischenzeit abgelehnt hatte, ihn zu empfangen und sah unter diesen Umständen keine Möglichkeit, diesen von seinen Plänen abzubringen, die er aufs schärfste verurteilte. ›Es ist furchtbar, die Rolle der Kassandra zu spielen‹, sagte er oft. Er erklärte kategorisch, daß er diese Politik unter keinen Umständen mitmachen könnte und daraus unverzüglich die Konsequenzen ziehen würde. Er ging von diesem Entschluß auch nicht ab als Hitler ihm am 2. Februar 1938, seinem 65. Geburtstag, erklärte, ihn als Außenminister nicht entbehren zu können. Er sprach darüber am gleichen Abend bei einem Glückwunschtelephongespräch mit uns.«