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[Zum Zeugen gewandt:]

Welche Konsequenz zogen Sie nun aus dieser Erkenntnis, die Sie auf Grund der Ansprache bekommen hatten?

VON NEURATH: Etwa zwei Tage nach dieser Ansprache ging ich zum Generaloberst von Fritsch, der bei der Ansprache ja zugegen gewesen war, und zusammen mit ihm und dem Generalstabschef, General Beck, besprach ich mit ihnen, was wir etwa unternehmen könnten, um Hitler umzustimmen. Wir kamen überein, daß zunächst der Generaloberst von Fritsch, der in den Tagen darauf ohnehin einen Vortrag bei Hitler hatte, ihm alle militärischen Gründe auseinandersetzen sollte, die gegen diese Politik sprechen. Ich wollte ihm dann die politischen Gründe darlegen. Leider konnte ich aber Hitler, der bald darauf nach dem Obersalzberg abreiste und mich vor seiner Abreise nicht mehr empfangen konnte oder wollte, erst am 14. oder 15. Januar sprechen. Hierbei versuchte ich ihm klarzumachen, daß seine Politik zum Weltkrieg führen müsse und daß ich das nicht mitmache. Viele seiner Pläne könne man auf friedlichem Wege, allerdings etwas langsamer, lösen. Er erklärte mir darauf, er habe keine Zeit mehr. Ich machte ihn auf das Risiko des Krieges und auf die ernsten Mahnungen der Generale aufmerksam. Ich erinnerte ihn an seine Rede im Reichstag von 1933, in dem er selbst jeden neuen Krieg als einen Wahnsinn bezeichnet habe, und so weiter. Als er trotzdem bei seiner Auffassung blieb, erklärte ich, dann müsse er sich einen anderen Außenminister suchen, ich mache mich nicht zum Mitschuldigen einer solchen Politik. Hitler lehnte zunächst mein Abschiedsgesuch ab, ich blieb aber dabei, und am 4. Februar erteilte er mir den Abschied ohne weitere Kommentare.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Hatten Sie den Eindruck, Herr von Neurath, daß Hitler sich nur ungern dazu entschloß, Ihnen diesen Abschied zu bewilligen oder daß Sie mit Ihrem Rücktrittsgesuch seinen eigenen Wünschen entgegengekommen waren?

VON NEURATH: Ich glaube eher letzteres. Hitler dürfte schon länger den Wunsch gehabt haben, die Führung der Außenpolitik...

VORSITZENDER: Das ist kein Beweismittel. Sie können nicht darüber aussagen, was Ihrer Meinung nach ein anderer Mensch dachte.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Sie wurden gleichzeitig nach Ihrem Rücktritt als Außenminister zum Präsidenten des neugeschaffenen Geheimen Kabinettsrates ernannt.

Was bedeutete diese Ernennung?

VON NEURATH: Wie der Zeuge Göring bereits hier ausgesagt hat, ist die Einrichtung des Geheimen Kabinettsrates nur zu dem Zwecke erfolgt, den Wandel in der Führung der deutschen Außenpolitik und die Veränderung auf militärischer Seite zu verdecken. Durch mehrere weitere Zeugenaussagen ist übrigens die Tatsache festgestellt, daß dieser Geheime Kabinettsrat niemals einberufen worden ist. Es kommt noch hinzu, daß praktisch eine Einwirkungsmöglichkeit überhaupt nicht gegeben gewesen wäre, da nach meinem Abschied am 4. Februar ich von jeden außenpolitischen Nachrichten abgeschnitten war.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Sie behielten nun nach Ihrem Ausscheiden als Außenminister zwar Ihren Titel als Reichsminister. Waren Sie aber noch Mitglied des Reichskabinetts oder nicht?

VON NEURATH: Nein. Abgesehen davon, daß meines Wissens damals das Reichskabinett überhaupt nicht mehr in Funktion trat, weil es keine Sitzungen mehr in der Reichsregierung gab, war der Titel »Reichsminister« eben nur noch eine reine Form, hinter der keinerlei Zuständigkeit mehr stand, kein Ressort. Ich erhielt daher im Gegensatz zu den Mitgliedern der Reichsregierung keine gesetzlichen Vorlagen mehr zur Unterzeichnung vorgelegt.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Die Anklage behauptet nun, Sie hätten im März 1938, während der Abwesenheit Ribbentrops, diesen als Außenminister vertreten. Sie folgert dies aus der Eintragung in das Tagebuch des Generaloberst Jodl: »Neurath übernimmt inzwischen das Außenamt.« Wollen Sie sich bitte dazu äußern?

VON NEURATH: Ich war nach meiner Entlassung ab 4. Februar ganz aus dem Verkehr, auch mit meinen früheren Kollegen, ausgeschieden, hatte mich ganz zurückgezogen, war aber noch in Berlin. Am 11. März 1938, am Spätnachmittag, rief mich plötzlich Hitler in meiner Wohnung an und bat mich, zu ihm zu kommen. In dem Vorzimmer traf ich, außer Herrn von Papen, den General von Brauchitsch und eine Reihe von anderen höheren Beamten und Offizieren der nächsten Umgebung. Außerdem war Göring im Zimmer mit Hitler zusammen, als ich dort eintrat. Hitler teilte mir mit, daß nun der Anschluß Österreichs eine Tatsache sei und daß deutsche Truppen in der Nacht vom 11. auf den 12. die Grenze überschreiten würden. Auf meinen Einwand, ob denn das hätte sein müssen, setzte er mir die Gründe auseinander, warum er nicht länger warten wolle. Er frug mich, was jetzt seitens des Außenamtes zu geschehen hätte, da der Außenminister in London abwesend sei. Ich erklärte ihm, rein formell werden wir wahrscheinlich Proteste bekommen, die dann zu beantworten seien. Außerdem müßte unsererseits eine Mitteilung an die Mächte gemacht werden und so weiter; keine formellen Verhandlungen. Ferner sagte ich ihm, er solle aber sofort den Außenminister aus London zurückrufen. Dem widersprach nun Göring. Schließlich bat mich Hitler, ich möchte dem Staatssekretär des Auswärtigen Amtes seine mir eben gemachten Mitteilungen übermitteln, damit das Auswärtige Amt im Bilde sei. Am 12. März vormittags hatte ich den Auftrag Hitlers mit seiner Darstellung des Ablaufes der Ereignisse dem Staatssekretär mitgeteilt, der der amtliche Vertreter Ribbentrops war.

Göring wurde von Hitler für die Dauer seiner Abwesenheit zu seinem Stellvertreter ernannt. Diesen verständigte ich am 12. März persönlich von dem Eingang des an mich gerichteten Schreibens des Englischen Botschafters mit dem Protest Englands gegen die Besetzung Österreichs und sagte ihm, das Auswärtige Amt werde eine Antwortnote vorlegen.

Als der Entwurf vorlag, teilte ich dies und den Inhalt Göring telephonisch mit. Dieser als Stellvertreter Hitlers bat mich, die Antwort an seiner Stelle zu unterzeichnen, da das Schreiben der Englischen Botschaft an mich gerichtet gewesen sei. Das hat Göring als Zeuge hier bereits ausgesagt. Daher aber auch die Wendung in dem Schreiben »im Namen der Reichsregierung«.

Ich bat dann Göring wiederholt, er solle Ribbentrop aus London zurückrufen und ihn informieren. Aus dem Telephongespräch Göring-Ribbentrop, das hier ja auch bereits vorgetragen wurde, geht hervor, daß Göring das getan hat. Die Erklärung, weshalb die englische Note an mich gerichtet war, habe ich erst hier bekommen durch die Aussage von Göring, daß er selbst dem Englischen Botschafter am 11. abends bei einer Gesellschaft gesagt hat, er vertrete Hitler während seiner Abwesenheit, und Hitler habe mich gebeten, ihm eventuell mit meinem außenpolitischen Rat zur Verfügung zu stehen. Die Eintragung in dem Tagebuch von Jodl, die ich hier erfahren habe, die nebenbei bemerkt merkwürdigerweise am 10. März, wo ich noch gar nicht in Erscheinung getreten war, datiert ist, dürfte wohl lediglich auf die Tatsache zurückzuführen sein, daß jemand mich am 11. März in der Reichskanzlei gesehen hat. Jedenfalls habe ich keinerlei andere Tätigkeit als Vertreter Ribbentrops ausgeübt.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Sie haben ja auch nicht datiert vom Auswärtigen Amt, mit der Firma des Auswärtigen Amtes.

VON NEURATH: Die Tatsache, daß ich da ein Papier mit dem Überdruck »Präsident des Geheimen Kabinettsrates« benützt habe, das ich in einem Zimmer der Reichskanzlei als einziges Zeichen, daß es dieses sagenhafte Institut gegeben hat, gefunden habe, beweist im übrigen auch, daß ich nicht das Auswärtige Amt oder den Außenminister vertrat, sonst hätte ich das Papier des Auswärtigen Amtes benützt.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Sie haben nun diese Note des Britischen Botschafters am 12. März in diesem eben erörterten Schreiben beantwortet. Die Anklage macht Ihnen zum Vorwurf, daß die von Ihnen in diesem Schreiben gegebene Begründung und Schilderung der Vorgänge in Österreich, die dem Einmarsch vorausgingen, unrichtig gewesen sei. Da ich annehme, daß dem Gericht diese, von der Anklage dem Angeklagten zum Vorwurf gemachten Stellen bekannt sind, glaube ich, dieselben nicht besonders zitieren zu brauchen. Ihnen sind sie ja auch bekannt, und ich bitte Sie, dazu Stellung zu nehmen.

VON NEURATH: Der Vorwurf, daß der Inhalt dieser Antwort zum Teil unrichtig sei, ist begründet. Aber der Grund dafür ist eben der, daß ich gar keine anderen Informationen hatte als die Mitteilungen Hitlers, und diese Mitteilungen liegen dem Inhalt der Note zugrunde. Diese Mitteilungen hatte ich ja an das Auswärtige Amt weitergegeben, das seinerseits völlig ohne Kenntnis der Dinge war – und entsprechend war der Entwurf zustande gekommen.

Ich möchte noch hinzufügen, daß von einer Planung der Vorgänge, die zum Anschluß Österreichs führten, während meiner Außenministerzeit nie die Rede gewesen war. Hitler hat überhaupt nie eine bestimmte außenpolitische Planung gehabt, sondern plötzlich gefaßte Entschlüsse in die Tat umgesetzt, so daß auch seine engsten Mitarbeiter nur wenige Tage voraus von diesen Entscheidungen Kenntnis hatten. Der Ausdruck »Anschluß Österreichs«, der hier immer gebraucht wird und der allgemein gebraucht wird, ist nicht identisch mit dem, was nachher geschehen ist, nämlich der Eingliederung Österreichs, und um diese Eingliederung Österreichs handelt es sich ja. Diese Eingliederung Österreichs ist eben von Hitler erst im letzten Moment, das heißt, sogar erst beim Einmarsch selbst in Linz beschlossen worden.

Ferner ist noch ein Beweis, daß der Plan zum gewaltsamen Einmarsch in Österreich von ihm vorher nicht gefaßt worden war, der Umstand, daß Hitler ausgerechnet seinen Außenminister ein paar Tage vorher nach London zur Erledigung von ein paar diplomatischen Formalitäten gesandt hatte.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Ich darf hierzu hinweisen auf einen Auszug aus dem vorerwähnten Buch des Botschafters Henderson »Failure of a Mission«, und zwar trägt dieser Auszug in meinem Dokumentenbuch IV die Nummer 129. Ich bitte auch hierüber das Gericht, amtlich Kenntnis nehmen zu wollen.