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[Zum Zeugen gewandt:]

Die Anklage macht Ihnen weiter noch zum Vorwurf, daß Sie in den konservativen Kreisen Deutschlands als eine Art Angehöriger der Fünften Kolonne gewirkt hätten – um sie zu veranlassen, auch ihreiseits dem nationalsozialistischen Regime entgegenzukommen und zuzustimmen –, weil sie in Ihrem Verbleiben in der Regierung einen der ihrigen als beispielhaft ansehen müßten. Wollen Sie sich bitte dazu äußern.

VON NEURATH: Diese Behauptung ist schon deswegen ein Unsinn, weil in ganz Deutschland bekannt war und übrigens auch im Ausland, daß ich eben kein Nationalsozialist war, vielmehr die nationalsozialistischen Exzesse gegen die Kirche, gegen die Juden und anderes bekämpfte und außerdem jede den Frieden gefährdende Politik verhinderte. Das zeigte sich deutlich bei meiner Entlassung im Februar 1938, wobei das allgemeine Erschrecken nur deshalb in der deutschen Presse nicht zum Ausdruck kam und in der Öffentlichkeit, weil hiefür keine Presse zur Verfügung stand. Es ist deshalb gänzlich unsinnig, daß diese Kreise, die konservativen Kreise, angenommen hätten, ich stehe mit ganzem Herzen bei den Nazis, wie es in der Anklage oft heißt. Das Ausland wußte das ebenso gut und sah in mir eben den Hemmschuh gegen die Nazi-Politik. Daß ich nicht als blinder Anhänger der Nazi-Theorie, wie es dort heißt in der Anklageschrift, angesehen wurde, das wußten am besten die fremden Diplomaten in Berlin, die meine dauernden Kämpfe mit der Partei aus der Nähe beobachten konnten.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Ich darf hierzu vorlegen einen Auszug aus der Zeitschrift »Archiv« von 1937 und weiter einen Auszug aus einem Artikel des »Pester Lloyd«, wenn ich nicht irre, mit einer Ansprache, die der damalige Doyen des Berliner Diplomatischen Korps im Namen des gesamten Diplomatischen Korps an Herrn von Neurath bei dessen 65. Geburtstag am 2. Februar 1938 gehalten hat. Beide Dokumente sind noch in meinem Dokumentenbuch Nummer IV unter 127 und in meinem Dokumentenbuch Nummer I unter Nummer 18.

So, damit habe ich den außenpolitischen Teil und die persönlichen Momente in der Anklage gegen von Neurath behandelt.

Ich komme nun zu dem zweiten Komplex der Anklage, nämlich Ihre Tätigkeit als Reichsprotektor von Böhmen und Mähren.

Nach der Überwindung der sudetendeutschen Krise hatten Sie sich wohl aus dem politischen Leben völlig zurückgezogen. Ist das richtig?

VON NEURATH: Ja. Ich war überhaupt nur noch selten in Berlin und meistens auf meinem Gut in Württemberg oder im Gebirge.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Waren Sie im September 1939 in Berlin und hatten Sie irgendeine Kenntnis von Plänen Hitlers für einen Einfall in die Tschechoslowakei?

VON NEURATH: Sie meinen wohl im Spätwinter 1939?

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Im Spätwinter.

VON NEURATH: Nein, ich hielt mich völlig zurück. Die Streitfragen zwischen uns und der Tschechoslowakei...

VORSITZENDER: September 1939?

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Das war mein Fehler, Herr Präsident, im Spätwinter.

VORSITZENDER: Des Jahres 1938 meinen Sie?

DR. VON LÜDINGHAUSEN: 1939.

VON NEURATH: 1938/1939. Die Streitfragen zwischen uns und der Tschechoslowakei und die Behandlung der Sudetendeutschen durch die Tschechen waren durch die Abtrennung des Sudetenlandes beseitigt, der Weg zu einer freundschaftlichen Zusammenarbeit vielmehr geebnet. Einer der Gefahrenherde für den europäischen Frieden war ausgerottet.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Es kam nun zu jener berühmten Auseinandersetzung zwischen Hitler und dem Präsidenten der Tschechischen Republik Hacha in der Nacht zum 15. März 1939 in Berlin. Diese Unterredung ist ja hier schon verhandelt worden, und ich glaube, ich brauche nicht auf deren Inhalt näher einzugehen. Ihnen ist sie jedenfalls bekannt.

Ich möchte Sie dazu fragen, kannten Sie diese geschilderten Vorgänge, wie sie vor allem in dem Protokoll 2798-PS enthalten sind?

VON NEURATH: Nein, ich kannte sie nicht und erfuhr erst viel später davon. Von den Aufzeichnungen des Herrn Hewel habe ich erst hier Kenntnis bekommen. Aber ich habe diese Vorgänge, nachdem ich sie erfahren hatte, aufs schärfste mißbilligt und hätte das Amt als Reichsprotektor auf keinen Fall übernommen, wenn mir diese Zusammenhänge damals bekannt gewesen wären. Durch die Vorgänge im März 1939 wurde ich völlig überrascht. Außenpolitische Informationen bekam ich, wie ich bereits gesagt habe, keine mehr. Ich war auf das Radio und die Zeitung angewiesen. Die Vorbereitung zum Angriff auf die Tschechoslowakei im Jahre 1938 hielt ich nach dem Münchener Abkommen für erledigt. Von dem Besuch Hachas in Berlin erhielt ich wie jeder andere Deutsche durch Radio und Zeitung am andern Morgen Kenntnis. Die offizielle Erklärung für die Übernahme des Schutzes der restlichen Tschechei erschien mir nicht unwahrscheinlich, nachdem die Slowakei sich unabhängig gemacht hatte und ich erfahren hatte, daß der tschechische Außenminister Chvalkowsky sich im Laufe des Winters 1938/1939 in Berlin dahin ausgesprochen hatte, daß die Tschechei ihre bisherige Politik völlig ändern und dringend engeren Anschluß an Deutschland suchen müßte. Immerhin hatte ich Sorge, wie sich die Signatarmächte von München zu dieser Entwicklung stellen würden, im Gegensatz zu den Abmachungen, die in München getroffen waren. Meine erste Frage an Hitler war, als ich auf seinen Wunsch nach Wien gekommen war, ob England und Frankreich vorher verständigt worden seien und ihre Zustimmung gegeben hätten. Als er dies verneinte und sagte, das sei auch ganz unnötig, denn die Tschechische Regierung habe auch selbst um die Übernahme des Schutzes gebeten, war ich mir über das Gefährliche der Situation sofort klar und sagte das auch Hitler. Immerhin glaubte ich damals noch, daß tatsächlich ein freier Entschluß der Tschechischen Regierung vorgelegen hätte. Das Ersuchen Hitlers, den Posten als Reichsprotektor zu übernehmen, kam mir ganz überraschend, um so mehr, als ich erfahren hatte, daß er mein spontanes Eingreifen im September 1938, das zum Zustandekommen der Münchener Konferenz geführt hat, schwer übelgenommen hat. Ich hatte Bedenken, das Amt anzunehmen, die ich Hitler gegenüber auch zum Ausdruck brachte. Ich war mir klar darüber, daß der Einmarsch in die Tschechei mindestens eine heftige Brüskierung der Signatarmächte des Münchener Abkommens darstellt, selbst wenn Hacha freiwillig, ohne Zwang, um Übernahme des Schutzes gebeten hatte. Es war mir aber ferner klar, daß jede Verschärfung der Lage, etwa durch schlechte Behandlung der Tschechen, eine unmittelbare Kriegsgefahr heraufbeschwöre. Die Geduld Englands und Frankreichs mußte ja erschöpft sein. Auch das habe ich Hitler vorgehalten. Hitler erwiderte, daß das gerade der Grund sei, weshalb er mich bitte, den Posten zu übernehmen, um zu zeigen, daß er keine tschechenfeindliche Politik treiben wolle. Ich sei im Ausland allgemein als ruhig und gemäßigt bekannt, und er werde mich mit den weitestgehenden Vollmachten versehen, um allen Ausschreitungen, speziell der sudetendeutschen Elemente, entgegentreten zu können. Als ich trotzdem noch zögerte und sagte, ich kenne die tschechischen Verhältnisse nicht, ich sei auch kein Verwaltungsmann, sagte er, ich solle es doch einmal versuchen, und es könne ja jederzeit geändert werden. Er gab mir als Kenner der Verhältnisse zwei erfahrene Leute mit. Daß die schon damals erfolgte Nichtunterstellung der gesamten Polizei und SS mir praktisch jede Möglichkeit nahm, die Gewaltherrschaft Himmlers und seiner Organe zu verhindern, übersah ich damals nicht.

Ich kann aber nicht umhin, darauf hinzuweisen, daß eine große Schuld für die Weiterentwicklung der Dinge die übrigen Mächte, besonders die Signatarmächte von München trifft. Anstatt papierene Proteste zu schicken, hatte ich erwartet, daß sie zumindest ihre Botschafter abberufen würden. Dann wäre vielleicht die Spannung für den Moment vergrößert worden, das deutsche Volk hätte aber den Ernst der Lage erkannt, und Hitler hätte von weiteren aggressiven Handlungen Abstand genommen, und der Krieg hätte verhindert werden können.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Die Anklage beschuldigt Sie, auch dieses neue Amt deshalb übernommen zu haben, damit unter Mißbrauch Ihres menschlichen und diplomatischen Rufes der Welt vorgetäuscht wurde, die Tschechen sollten maßvoll behandelt werden, während das Gegenteil der Fall sein sollte. Wollen Sie sich auch darüber kurz äußern?

VON NEURATH: Das ist absolut falsch. Hitler sagte mir damals, ich sollte versuchen, die Tschechen mit dem neuen Zustand zu versöhnen und die durch die jahrelangen Nationalitätenkämpfe und die durch die Unterdrückungsmethoden haßerfüllte deutsche Bevölkerung vor Ausschreitungen zurückhalten.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Was für Zusicherungen hat Hitler Ihnen für Ihr Amt mitgegeben?

VON NEURATH: Er sicherte mir zu, daß er meine Tätigkeit im Sinne des gerechten Ausgleichs der nationalen Gegensätze und eine Gewinnung der Tschechen durch eine versöhnliche und mäßigende Politik jederzeit und in jeder Weise unterstützen werde. Im besonderen würde er meine Amtsführung vor allen Übergriffen politischer Radikalisten, vor allem auch der SS und der Polizei sowie der Sudetendeutschen schützen, worauf ich als Gefahr besonders hingewiesen hatte.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Waren Sie damals überzeugt davon, daß Hitler es mit diesen Zusicherungen einer humanen Behandlung der Tschechen ernsthaft und ehrlich gemeint hat?

VON NEURATH: Ja, ich hatte durchaus diesen Eindruck.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Und Sie glaubten dabei auch, daß er die Ihnen gemachten Zusicherungen halten würde?

VON NEURATH: Ja.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Kannten Sie damals schon oder wußten Sie damals schon von irgendwelchen Plänen oder auch nur Absichten über eine Zwangsgermanisierung der Tschechen?

VON NEURATH: Nein, das war mir völlig unbekannt. Ich hätte das auch für einen solchen Unsinn gehalten, daß ich nicht angenommen hätte, daß jemand auf solch einen Gedanken kommen könnte.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Glauben Sie auch heute noch, daß Hitlers damalige Zusicherungen und geäußerten Absichten ehrlich gemeint waren und daß sie nicht nur durch die weitere Entwicklung praktisch illusorisch gemacht wurden?

VON NEURATH: Ja, damals waren sie sicher ehrlich gemeint.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Ich darf hierzu auf ein Dokument, das sich in meinem Dokumentenbuch Nummer V unter Nummer 142 befindet, hinweisen und das einen Auszug aus Hendersons »Failure of a Mission« enthält. Ich darf das Gericht bitten, hiervon amtlich Kenntnis zu nehmen.

Die Anklage macht Ihnen nun aus der damaligen Zeit den Abschluß des deutsch-slowakischen Vertrags vom März 1939 über die Selbständigmachung der Slowakei zum Vorwurf.

Haben Sie bei dem Zustandekommen dieses Vertrags, überhaupt bei der Autonomieerklärung der Slowakei mitgewirkt?

VON NEURATH: Nein, ich erfuhr von der Autonomieerklärung der Slowakei und von allen Vorgängen vorher überhaupt erst, nachdem es veröffentlicht worden war.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Welches waren nun die Grundzüge Ihres Programmes für Ihre Amtsführung in Prag?

VON NEURATH: Es war mir ganz klar, daß eine Aussöhnung des tschechischen Volkes mit den neu geschaffenen Verhältnissen nur ganz allmählich erfolgen könne, und zwar durch möglichste Schonung der völkischen Gefühle und ohne radikale Maßnahmen. Das würde unter günstigeren Umständen mehrere Generationen gebraucht haben. Ich versuchte also eine allmähliche Angleichung und Abschwächung der bisherigen feindlichen Politik.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Ich darf hiezu auf das Dokument Nummer 143 meines Dokumentenbuches Nummer V hinweisen. Dieses Dokument ist die Wiedergabe eines Aufsatzes, den Herr von Neurath über die Zielsetzungen seiner Amtsführung in Prag in der »Europäischen Revue« Ende März 1939 veröffentlicht hat, und ich darf bitten, das Gericht möge hiervon amtlich Kenntnis nehmen.

Aus ihr ergibt sich ganz klar, mit welchen Absichten und mit welcher Tendenz Herr von Neurath damals sein Amt übernommen und angetreten hat.