HOME

<< Zurück
|
Vorwärts >>

[Zum Zeugen gewandt:]

Wie waren nun die Verhältnisse, die Sie bei Ihrem Amtsantritt im April in Prag vorfanden?

VON NEURATH: Die Tschechen waren allgemein desillusioniert durch das Verhalten ihrer früheren Bundesgenossen im Herbst 1938 und schienen zu einem großen Teil loyal und zur Mitarbeit bereit. Der Einfluß antitschechischer und sudetendeutscher Kreise, die von Himmler und der SS unterstützt wurden, war aber beträchtlich. Dieser Einfluß personifizierte sich vor allem in dem sudetendeutschen Führer Karl Hermann Frank, der auf Betreiben Himmlers zu meinem Staatssekretär ernannt worden war. Ich hatte mit ihm von Anfang an die größten Schwierigkeiten, weil er eine völlig entgegengesetzte Politik den Tschechen gegenüber vertrat.

Die Behörde des Reichsprotektors selbst war noch im Aufbau. Leiter der Verwaltung war ein erfahrener Verwaltungsbeamter, der hier als Zeuge vernommene Staatssekretär von Burgsdorff. Unter ihm standen die einzelnen Fachabteilungen, die unmittelbar von den Berliner Ministerien aufgebaut wurden. In der Landesverwaltung wurden für jeweils tschechische Kreise deutsche Oberlandräte als Aufsichtsbeamte eingesetzt, sie wurden vom Reichsinnenministerium berufen.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Wem unterstand denn nun die Polizei?

VON NEURATH: Die Polizei war eine völlig von mir unabhängige Behörde und unterstand direkt dem Reichsführer-SS und Chef der Deutschen Polizei, also Himmler.

Himmler ernannte zum Höheren SS- und Polizeiführer meinen eigenen Staatssekretär Frank, der auf diese Weise eine Doppelstellung hatte. Dem Frank unterstellt wieder war der Befehlshaber der Sicherheitspolizei. Sämtliche Polizeimaßnahmen wurden von Frank oder unmittelbar von Himmler und dem Reichssicherheitshauptamt getroffen, ohne daß ich um meine Zustimmung gefragt oder auch nur vorher unterrichtet worden wäre. Daraus ergab sich der größte Teil der Schwierigkeiten, mit denen ich in Prag dauernd zu kämpfen hatte.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Die Darstellung hierzu oder die Behandlung der Stellung der Polizei in dem tschechoslowakischen Bericht, der unter USSR-60 seitens der Anklagebehörde vorgelegt worden ist, stellt die Dinge etwas anders dar. Bleiben Sie bei Ihrer Darstellung, die Sie eben gegeben haben?

VON NEURATH: Ja, durchaus.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Es war also so, daß Sie überhaupt von Polizeimaßnahmen nur nachträglich unterrichtet, nicht aber vorher um Ihre Zustimmung ersucht wurden?

VON NEURATH: Ja, und auch die nachträgliche Unterrichtung war nur ganz sporadisch. Ich habe häufig erst durch die Tschechische Regierung und durch Privatpersonen Vorfälle erfahren, von denen ich auch nachträglich von der Polizei nichts gehört hatte und mußte dann erst bei Frank nachfragen.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Ich weise hierzu, Herr Präsident, auf die Verordnung vom 1. September 1939 hin, die ich im Wortlaut als Nummer 149 in meinem Dokumentenbuch Nummer V vorgelegt habe, und ich möchte zu dieser ausdrücklich auf folgendes hinweisen: Diese Verordnung zerfällt in zwei völlig voneinander getrennte Abschnitte, nämlich Teil I, der den Aufbau der Verwaltung unter dem Reichsprotektor betrifft, und den Teil II, der völlig getrennt davon den Aufbau der deutschen Sicherheitspolizei enthält und der dem Reichsführer-SS und Chef der Deutschen Polizei direkt untersteht. Schon diese äußere Form der Verfügung, dieses ostentative Auseinanderhalten dieser zwei getrennten Verwaltungszweige, wenn ich so sagen darf, beweist, daß die Unterstellung der Polizei und der Polizeigewalt nur unter Himmler beziehungsweise der Berliner Behörde erfolgte und daß schon dadurch zum Ausdruck gebracht wurde, daß der Reichsprotektor auf sie keinen Einfluß ausüben konnte. Darin liegt ja die große Tragik Herrn von Neuraths als Reichsprotektor; denn unwillkürlich werden ihm Dinge zur Last gelegt, für die er nie und nimmer die Verantwortung übernehmen kann und auch nie übernommen hat. Die Anklage weist nun besonders auf Paragraph 13 dieser Verordnung hin, wo von Verwaltungsmaßnahmen die Rede ist, nach denen der Reichsprotektor und der Reichsführer-SS im Einvernehmen mit dem ersteren, »die zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Protektorat erforderlichen Verwaltungsmaßnahmen auch außerhalb der hierfür bestimmten Grenzen treffen« könne. Was hat es damit für eine Bewandtnis?

VON NEURATH: Was in dieser Vorschrift unter »Verwaltungsmaßnahmen« zu verstehen ist, weiß ich nicht; es scheint mir alles eine sehr allgemein gefaßte Befugnis zu sein, die sich vermutlich auf den Erlaß allgemeiner Vorschriften bezieht. Jedenfalls ist von dieser Befugnis, solange ich in Prag war, weder von mir noch vom Reichsführer-SS Gebrauch gemacht worden. Die Verhaftungen erfolgten sämtlich, ohne mich vorher zu orientieren, auf Grund des eben verlesenen Paragraphen 11 der Verordnung, der mir die Polizei im Protektorat in keiner Weise unterstellte.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: War Ihnen von Hitler in Wien nicht zugesichert worden, Sie sollten die volle Exekutive im Protektorat erhalten, also auch die Polizei?

VON NEURATH: Nein; ich habe das schon erwähnt.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Haben Sie versucht, diesen Zustand zu ändern und von Hitler die Unterstellung auch der Polizei oder doch wenigstens einen Einfluß auf die Polizei zu bekommen?

VON NEURATH: Ja, ich bin immer wieder im Zusammenhang mit den sich wiederholenden Ausschreitungen und Übergriffen der Polizei bei Hitler vorstellig geworden. Er sagte mir auch mehrfach eine Überprüfung dieser Verhältnisse zu. Es änderte sich aber nichts. Der Einfluß Himmlers, der das Gebiet der Polizei im ganzen Reich als seine alleinige Domäne ansah, der war zu mächtig.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Der tschechoslowakische Bericht, der der Anklage zugrunde liegt, macht nun für die Terrorakte der Gestapo außer dem Polizeichef auch den jeweils amtierenden Reichsprotektor, also bis September 1941 auch Sie, verantwortlich. Erkennen Sie auf Grund Ihrer eben gemachten Aussagen eine solche Verantwortlichkeit in irgendeinem Umfange an?

VON NEURATH: Nein. Das muß ich ganz entschieden ablehnen. Ich habe ja schon ausgeführt, wie die tatsächlichen Verhältnisse lagen, daß ich keinerlei Einfluß hatte.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Ich darf in diesem Zusammenhang zwei oder drei Sätze aus dem Dokument Nummer 153 meines Dokumentenbuches V zitieren, das ein Protokoll darstellt aus der Vernehmung des früheren Staatssekretärs Frank durch die Tschechoslowakische Delegation am 30. Mai 1945. In diesem Protokoll heißt es als Aussage von Frank:

»Weder der Reichsprotektor noch ich selbst waren für die Tätigkeit der Polizei verantwortlich. Die höchste Verantwortung lag bei Heinrich Himmler als Chef der Deutschen Polizei. Die Gestapo bekam ihre Instruktionen direkt von Berlin, entweder von Hitler selbst oder vom Reichssicherheitshauptamt.«

Konnten Sie denn nun durch Ihre Anwesenheit in Prag tatsächlich in der Praxis etwas tun, um wenigstens die schlimmsten Gewaltmaßnahmen der Polizei beziehungsweise der Gestapo abzumildern oder wenigstens nachträglich die größten Härten zu mildem? Geben Sie uns doch eine Darstellung von der Art, wie Sie sich einschalteten und auf Frank in diesen Dingen einzuwirken versuchten!

VON NEURATH: Es kamen dauernd Gesuche des Präsidenten Hacha, der Tschechischen Regierung und von privater Seite an mich. Mein Büro hatte sich zum größten Teil gerade mit der Bearbeitung dieser Fälle zu beschäftigen. Ich ließ mir jedes Gesuch persönlich vortragen und habe in allen Fällen, bei denen eine Intervention irgendwie vertretbar war, mir von Frank oder dem Befehlshaber der Sicherheitspolizei Vortrag halten lassen und auf sie zugunsten einer Entlassung der Verhafteten eingewirkt. Es war aber ein unaufhörlicher Kampf mit Frank und der Polizei, der aber doch in vielen Fällen erfolgreich war. Im Laufe der Zeit sind auf meine Einschaltung viele Hunderte von Verhafteten entlassen worden. Außerdem erfolgten zahlreiche Hafterleichterungen hinsichtlich des Postverkehrs, Lebensmittelsendungen und ähnlichem.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Haben Sie nicht auch bald nach Ihrer Amtsübernahme verhindert, daß die in Prag verbliebenen Angehörigen der in das Ausland geflohenen Minister Neèas und Feierabend verhaftet oder zu sogenannten Sühnemaßnahmen herangezogen wurden?

VON NEURATH: Ja, das ist richtig. Frank hatte die Verhaftungen der Familienangehörigen dieser beiden Minister angeordnet. Als ich davon erfuhr, habe ich ihn veranlaßt, davon Abstand zu nehmen.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Herr Präsident! Darf ich mir vielleicht eine Anregung erlauben, die Pause jetzt einzuschalten, weil ein gewisser Abschnitt damit zu Ende ist und ich jetzt zu Einzelfragen komme?