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[Pause von 10 Minuten.]

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Ich möchte nun zunächst zu einzelnen Polizeimaßnahmen übergehen, für die Sie von der Anklage mehr oder weniger verantwortlich gemacht werden.

Sind im Sommer 1939 bereits viele Verhaftungen von Angehörigen der Tschechoslowakei vorgekommen?

VON NEURATH: Nein. Die Aktivität der Polizei im Sommer 1939 war gering, und ich habe gehofft, daß die Polizeimaßnahmen sich immer mehr einschränken lassen würden.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Die Tschechische Anklage legt als Anhang 6 zu USSR-60 in dem Zusatz 1 eine Proklamation vor, die Sie als Reichsprotektor im August 1939, also unmittelbar vor Ausbruch des Krieges, zur Warnung der Bevölkerung des Protektorates vor Sabotageakten erlassen hatten. Ich lasse Ihnen diese Proklamation jetzt vorlegen.

[Dem Zeugen wird das Dokument überreicht.]

Ich bitte Sie, sich zu derselben zu äußern! Dieses Appendix befindet sich an dem Dokument USSR-60 als Anlage 1 (eingereicht als Beweisstück USSR- 490). Das, was ich dem Angeklagten eben vorlegen lasse, diese Proklamation, besagt folgendes – wenn ich sie im wichtigsten Wortlaut mit Erlaubnis des Gerichts jetzt verlesen darf:

»1. Jeder Akt von Sabotage gegen die Interessen des Großdeutschen Reichs, der deutschen Verwaltung im Protektoratsgebiet und der deutschen Wehrmacht wird mit unnachsichtlicher Strenge verfolgt und mit den schärfsten Strafen geahndet.

2. Unter Sabotageakten im Sinne der Ziffer 1 sind alle Störungen des öffentlichen Lebens und der Wirtschaft zu verstehen, insbesondere die Beschädigung von lebenswichtigen Einrichtungen wie Eisenbahnen, Fernmeldeanlagen, Wasserwerken, elektrischen Anlagen, Gaswerken, Fabriken, ferner die Zurückhaltung von Waren, Preissteigerungen, Verbreitung von Gerüchten in Wort und Schrift.

3. Die Bevölkerung hat den ergangenen und noch ergehenden besonderen Weisungen der im Protektoratsgebiet tätigen Organe des Reichs unbedingt Folge zu leisten. Ungehorsam und Weigerung gegen Organe des Reichs gilt als Sabotage und wird entsprechend bestraft.

Die Verantwortlichkeit für alle Sabotageakte trifft nicht nur die einzelnen Täter, sondern die gesamte tschechische Bevölkerung.

Ich erwarte unbedingt, daß sich die tschechische Bevölkerung durch loyales, friedliches und ruhiges Verhalten der den Ländern Böhmen und Mähren vom Führer gewährten Autonomie würdig erweist.«

Darf ich Sie bitten, sich dazu zu äußern?

VON NEURATH: Ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, unter welchen Gesichtspunkten mir der Erlaß dieser öffentlichen Warnung vor Sabotageakten zum Vorwurf gemacht werden kann. Es war in dieser Zeit höchster politischer Spannung zu befürchten, daß radikale Elemente die Lage ausnützen würden, um Sabotageakte zu begehen, durch die die öffentlichen Dienste beeinträchtigt werden könnten. Dies wäre auch meines Erachtens in keinem Staate in einem solchen Zeitpunkt ohne harte Strafen geduldet worden. Durch diese Warnung sollte versucht werden, jeden Anreiz zur Begehung von Sabotageakten zu vermeiden. Sie hat übrigens auch, soweit ich mich erinnere, in diesem Sinne gewirkt, und es sind damals praktisch keine Sabotageakte vorgekommen. Eine Androhung besonderer Strafen enthält diese Warnung im übrigen gar nicht, sondern nur die Bezugnahme auf vorhandene, harte Strafbedingungen.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Kurz nach Veröffentlichung dieser Bekanntmachung brach nun der Krieg aus. Wie war Ihre Einstellung zu diesem Kriege?

VON NEURATH: Ich habe diesen Krieg für die größte Dummheit gehalten, weil ich auf Grund meiner Kenntnisse der englischen Psyche und Politik überzeugt war, daß England sein den Polen gegebenes Versprechen halten würde und daß dadurch auch der Krieg gegen England und Frankreich entfesselt wird, in dem die Vereinigten Staaten mit ihrer ungeheueren Produktionskapazität hinter diesen Mächten stehen würden. Letzteres war für mich aus den ganzen, dem Krieg vorausgehenden Erklärungen des Präsidenten Roosevelt ganz unzweifelhaft. Ich habe die leichtfertige Entfesselung dieses Krieges aber auch aus meiner ethischen Einstellung und meiner Weltanschauung abgelehnt und verurteilt.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Aus welchen Motiven sind Sie dann doch weiter in Ihrem Amte verblieben, statt es niederzulegen?

VON NEURATH: Ich sagte mir, daß im Kriege einerseits die Tschechen versuchen werden, wenn nicht die deutsche Herrschaft wieder abzuwerfen, so doch die militärischen Maßnahmen der deutschen Armee, soweit sie sich im Protektorat abspielten, offen und im geheimen durch Aufstände, Sabotageakte und dergleichen zu stören und daß andererseits dann dadurch von deutscher Seite die schärfsten Maßnahmen gegen die Bevölkerung ausgelöst würden und die Polizei veranlassen würden, vor allem die Gestapo, mit aller Art von Terror vorzugehen. Beiden wollte ich durch mein Verbleiben im Amte vorbeugen und eine Verschärfung in der Behandlung des tschechischen Volkes entsprechend der von mir verfolgten Politik der Versöhnung und Ausgleichung verhindern.

In einem solchen Augenblick meinen Posten zu verlassen, wäre Fahnenflucht gewesen. Andererseits aber glaubte ich auch, in einem Kriege, in dem es um Sein oder Nichtsein des deutschen Volkes gehen mußte, als Deutscher, der ich nun einmal mit heißer Liebe bin, meine Kräfte und mein Können nicht versagen zu dürfen. Es ging ja nicht um Hitler oder um die Nazi-Herrschaft, sondern um mein Volk und dessen Existenz.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Sie haben also durch Ihr Verbleiben im Amt nicht etwa Ihre Zustimmung, Ihr Einverständnis mit diesem von Hitler entfesselten Kriege zum Ausdruck bringen wollen?

VON NEURATH: Niemals. Es war ja eine vollendete Tatsache, zu der ich nichts beigetragen hatte, und ich hatte meine Einstellung, mein Urteil über den Wahnsinn dieses Krieges auch Hitler gegenüber unzweideutig zum Ausdruck gebracht. Aber ich wäre mir selbst als Verräter am deutschen und tschechischen Volk erschienen, wenn ich die von mir zum Nutzen und Wohle beider Völker übernommene, gewiß nicht leichte Aufgabe in dieser Stunde der Not im Stiche gelassen hätte, solange ich noch helfen konnte, ihr – und sei es nur in beschränktem Umfange – gerecht werden zu können. Ich glaube, daß kein anständiger Mann anders gehandelt hätte, denn über allem, auch über den eigenen Wünschen, steht die Pflicht gegenüber dem eigenen Volk.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Am Tage des Kriegsausbruches wurden im Protektorat, ebenso wie übrigens überall im Reich, als sogenannte Präventivmaßnahmen sehr zahlreiche Verhaftungen, jedenfalls mehr als tausend, vorgenommen, vor allem von Vertretern der Intelligenz, soweit sie als politisch unzuverlässig betrachtet wurden.

Sind Sie von diesen Verhaftungen vorher unterrichtet worden, wie das nach Paragraph 11 der vorhin zitierten Verordnung vom 1. September 1939 hätte geschehen müssen?

VON NEURATH: Nein; aber auch nachher nicht. Ich erfuhr die Verhaftung durch den Präsidenten Hacha.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Was haben Sie daraufhin veranlaßt?

VON NEURATH: Ich ließ mir zunächst Frank kommen und machte ihm Vorhaltungen. Er erklärte, er sei auch nicht orientiert worden; es handle sich um eine allgemeine polizeiliche Präventivmaßnahme.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Die also von Berlin direkt herauskam?

VON NEURATH: Ja, die von Himmler direkt an die Gestapo und den SD befohlen waren.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Haben Sie sich nun bemüht, die dergestalt Verhafteten, die ja zum großen Teil ins Reich verbracht worden waren, wieder freizubekommen?

VON NEURATH: Ja, ich habe mich dauernd bei Frank und in Berlin bei Himmler und Heydrich darum bemüht.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Und wie war der Erfolg Ihrer Bemühungen?

VON NEURATH: Hunderte von diesen Verhafteten, deren Namen ich erst mühselig von tschechischer Seite beschaffen mußte, da die deutsche Polizei mir die Angabe der Namen verweigerte, wurden wenigstens im Laufe der Zeit entlassen.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Am 28. Oktober 1939 kam es in Prag erstmalig zu öffentlichen Demonstrationen aus Anlaß des tschechischen Unabhängigkeitstages. Hierbei wurden einige Demonstranten und Polizisten getötet oder verwundet, da die Polizei ziemlich schart gegen die Demonstranten vorging.

Hatten Sie von den Polizeimaßnahmen vor, während und nach diesen Demonstrationen Kenntnis gehabt oder sie gebilligt?

VON NEURATH: Ich war damals nicht in Prag und wurde erst am 29. Oktober von Frank telephonisch über die Unruhen unterrichtet. Die näheren Umstände erfuhr ich erst nach meiner Rückkehr am, 30. oder 31. Oktober. Ich machte Frank Vorwürfe, daß er durch seine persönliche Einmischung auf der Straße und durch die Einsetzung von SS den Tumult verschärft hätte, statt die Herstellung der Ordnung der tschechischen Polizei zu überlassen.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Frank hat über diese Unruhen einen Bericht nach Berlin gerichtet, den er bei seiner Vernehmung durch die Tschechoslowakische Delegation am 5. Mai 1945 erwähnt hat.

Einen Auszug aus dem Protokoll dieser Vernehmung habe ich in meinem Dokumentenbuch Nummer V unter Nummer 152 vorgelegt und möchte aus diesem Bericht ein paar Sätze zitieren:

»Es war das erstemal, daß die Bevölkerung öffentlich demonstrierte und man diese Schlagworte...« – die vorher erwähnt worden sind – »... in der Öffentlichkeit hörte. Die Angelegenheit wurde daher ernst genommen, und ich berichtete persönlich über alle Vorgänge nach Berlin. Ich bemerke, daß ich selbst Augenzeuge der Demonstrationen war und den Eindruck hatte, daß sie gefährlicher Natur waren.

In dem Bericht, den ich nach Berlin schickte, stellte ich ausdrücklich fest, daß es sich hier um die ersten Demonstrationen handle und ihnen deshalb besonderes Gewicht beizumessen sei, weil sie auf offener Straße stattgefunden hätten. Ich bat um Weisungen und erhielt diese auch sofort aus dem Führerhauptquartier. Sie wurden von Berlin aus direkt an die Sicherheitspolizei gegeben, und ich erhielt Kenntnis von ihrem Inhalt. Die ganze Aktion wurde direkt von der Polizei durchgeführt.«

Hatten Sie von diesem Bericht Franks und den darin erwähnten Maßnahmen irgendeine Kenntnis vor seiner Absendung beziehungsweise nachher?

VON NEURATH: Nein. Dieser Bericht war mir bis hier in Nürnberg völlig unbekannt, aber Frank hat immer unmittelbar nach Berlin berichtet. Im übrigen war ich auch absolut nicht der Meinung, daß diese Demonstrationen, die von jungen Leuten ausgeführt worden waren hauptsächlich, als besonders wichtiges Ereignis aufzufassen seien, das besondere Polizeimaßnahmen erforderte.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Bei dem Begräbnis eines der am 28. Oktober bei diesen Unruhen verletzten Studenten kam es dann am 15. November zu erneuten Demonstrationen in Prag, in deren Folge mehrere Studenten erschossen, die übrigen verhaftet und die Hochschulen geschlossen wurden. Was wissen Sie über diese Vorgänge?

VON NEURATH: Als der bei den Schlägereien verletzte Student Opletal seinen Verletzungen erlegen war, hatte die Polizei in Voraussicht neuer Demonstrationen die Teilnahme von Studenten an dem am 15. November stattfindenden Begräbnis verboten. Trotzdem kam es dann zu größeren Ansammlungen, und bei dem Versuch der Polizei, diese zu zerstreuen, zu erneuten Demonstrationen und Schießereien. Als dies durch Frank an Hitler gemeldet wurde, geriet dieser in große Wut und berief mich, Frank, und den Militärbevollmächtigten General Friderici zu einer Besprechung nach Berlin. Bei dieser Besprechung hatte Hitler auch den Tschechoslowakischen Gesandten Chvalkowsky, den früheren Außenminister, berufen. Hitler war wütend. Ich versuchte ihn zu beruhigen. Trotzdem machte er dem Tschechischen Gesandten heftige Vorwürfe und erklärte ihm, mit dem Auftrag dies der Tschechischen Regierung zu übermitteln, daß er im Wiederholungsfalle schärfste Maßnahmen gegen die Ruhestörer ergreifen und daß er die ganze Tschechische Regierung haftbar machen würde. Die Sprache Hitlers war durchaus unbeherrscht und die Verhandlung für uns, die Zuhörer, äußerst peinlich. Nachdem der Tschechische Gesandte gegangen war, blieben wir noch einige Minuten bei Hitler. Er fragte mich, wie lange ich in Berlin bliebe, ich sagte ihm, ein bis zwei Tage. Wir wurden dann zum Essen dabehalten, wobei aber von den Vorgängen nicht weiter die Rede war. Zu Staatssekretär Frank sagte er, er solle später noch einmal kommen. Von Erschießung der Führer der Demonstration und der Verbringung von Studenten in Konzentrationslager wurde von Hitler kein Wort gesagt, auch nicht von der Schließung der Hochschulen.

Als ich mich gegen Abend nach meinem Flugzeugführer erkundigte, um ihm Weisungen zu geben, wurde mir auf dem Flugplatz mitgeteilt, daß er mit Frank in meinem Flugzeug nach Prag zurückgeflogen sei. Ich fuhr am nächsten Tag mit dem Zug nach Prag zurück, und dort erst erfuhr ich, daß Hitler die Schließung sämtlicher tschechischer Hochschulen auf drei Jahre, die Verhaftung von etwa 1200 Studenten und ihre Verbringung in Konzentrationslager, sowie die Erschießung der Rädelsführer angeordnet hat. Gleichzeitig aber wurde mir eine mit meinem Namen unterzeichnete Proklamation vorgelegt, in der diese Befehle bekanntgegeben wurden und die in der Presse veröffentlicht und öffentlich angeschlagen war. Ich ließ mir sofort Frank kommen und machte ihm Vorhaltungen über dieses unerhörte, ohne meine Verständigung erfolgte Vorgehen. Er berief sich auf einen ausdrücklichen Befehl Hitlers. Die Proklamation hatte ich also überhaupt nicht gesehen. Mein Name war widerrechtlich von Frank daruntergesetzt. Auch als mein Stellvertreter hatte er dazu keine Berechtigung. Ich habe aber später durch einen Beamten meiner Behörde erfahren, daß Frank öfter meinen Namen auf diese Weise mißbrauchte. Hätte ich von den Befehlen Hitlers vorher Kenntnis gehabt – und er hatte ja Gelegenheit, mich in Berlin telephonisch zu erreichen –, so hätte ich selbstverständlich dagegen Widerspruch erhoben und schon damals meinen Abschied verlangt.

Ich habe mich sofort um die Freilassung der Studenten bemüht, und zwar bei Hitler persönlich und bei Himmler, und nach und nach sind auch die meisten, ich glaube über 800, und im Sommer 1941 die letzten freigekommen.

Bei meiner, kurz nach dem Vorfall erfolgten nächsten Anwesenheit in Berlin habe ich mich bei Hitler über sein Verhalten mir gegenüber lebhaft beschwert. Er wich einer Antwort, soweit ich mich erinnere, aus, versprach mir aber die baldige Freilassung der Studenten und die Wiedereröffnung der tschechischen Hochschulen nach einem Jahre. Beide Versprechungen hat er nicht gehalten.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Ich darf hierzu aus dem Fragebogen des Legationsrates von Holleben vom 18. Mai 1946, der damals in der Protektoratsregierung arbeitete, seine Antwort auf Frage Nummer 21 vorlesen. Dieser Fragebogen befindet sich als Nummer 158 in meinem Dokumentenbuch V. Die Antwort des Herrn von Holleben lautet folgendermaßen:

»Die Studentenunruhen im Oktober und November 1939 sind ein Wendepunkt in der Geschichte des Protektorates gewesen. Eine chronologische Wiedergabe der Vorgänge kann ich aus der Erinnerung heraus nicht machen. Ich kann aber folgendes bezeugen:

Die Manifestationen, die am 28. Oktober 1939 aus Anlaß des 20. Jahrestages der Konstituierung des Tschechoslowakischen Staates in Prag und Brünn, hauptsächlich von der akademischen Jugend stattfanden, waren vorauszusehen. Herr von Neurath hatte deswegen vor dem 28. Oktober 1939 unter der Hand die Parole ausgeben lassen, sie nach Möglichkeit zu ignorieren und nur dann gegen sie einzuschreiten, wenn sie den Charakter einer ernstlichen Gefährdung der öffentlichen Ruhe und Sicherheit annehmen sollten. Aus der Nichtbefolgung dieser Parole ist sehr viel, wenn nicht das ganze Unglück entstanden.

Frank ist sofort nach der Konferenz bei Hitler nach Prag zurückgekommen. Über die Maßnahmen gegen die Studenten am 15./16. November hat das Büro des Reichsprotektors, der selbst noch in Berlin war, erst am folgenden Morgen Kenntnis erhalten, zum Teil durch die zahllosen Bittgesuche, die die Angehörigen der ausgehobenen Studenten im Büro des Herrn von Neurath vorbrachten. Herr von Neurath hat nach meiner Überzeugung erst nachträglich von den Sanktionen gegen die Studenten Nachricht erhalten. Ich selbst habe ihm die entsprechende Meldung nicht gemacht, vermag auch nicht anzugeben, wer sie gemacht hat.

Die in Frage stehende Proklamation an das tschechische Volk ist meiner festen Überzeugung nach ohne Kenntnis des Herrn von Neurath und unter Mißbrauch seines Namens herausgegeben worden. Ich besinne mich sehr genau, daß er deswegen sehr heftige Auseinandersetzungen mit Frank hatte. Er blieb damals im Amt, weil er glaubte, durch sein Bleiben noch größeres Unglück zu verhindern. Die Schließung der Hochschulen empfand er als einen unverantwortlichen Eingriff in das Leben des tschechischen Volkes. Er war mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln bemüht, den tschechischen Hochschullehrern und Studenten, die in deutsche Konzentrationslager überführt worden waren, die sukzessive Freilassung und bis zur Freilassung die Unterbringung in Sonderabteilungen zu erwirken.«

Ich möchte ferner hierzu dem Gericht eine mir erst vor wenigen Tagen zugegangene eidesstattliche Erklärung der damaligen Sekretärin Herrn von Neuraths, Fräulein Irene Friedrich, vom 6. Juni 1946 überreichen, aus der einwandfrei hervorgeht, daß Herr von Neurath damals, als diese Proklamation, diese Bekanntmachung, erlassen und veröffentlicht wurde, noch gar nicht aus Berlin zurück war, von ihr also noch gar keine Kenntnis gehabt haben kann. Ich darf bitten, von dieser eidesstattlichen Erklärung Kenntnis nehmen zu wollen.

Ich nehme ferner Bezug auf eine von der Anklage...

VORSITZENDER: Sagten Sie Nummer 159?

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Ja, 159, Herr Präsident.

Ich beziehe mich ferner auf ein von der Tschechischen Anklage als Anlage 5 zum Zusatz zu Nummer 1. vorgelegtes Memorandum Herrn von Neuraths vom 26. März 1940 über eine Besprechung mit dem Präsidenten Hacha betreffend Verhaftete und Studenten und in dem auch zum Ausdruck kommt, daß Herr von Neurath bemüht war und weiterhin sich bemühte, die Studenten wieder freizubekommen.

VORSITZENDER: Haben Sie uns die Nummer dafür angegeben? Sie sagten Dokumentenbuch V?

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Nein, das ist dem tschechischen Bericht eingeheftet, USSR-60, das befindet sich nicht in meinem Dokumentenbuch. Ich habe nur Bezug darauf genommen.

Ist es nun außer diesen beiden von Hitler persönlich angeordneten Aktionen während Ihrer Amtsdauer noch zu weiteren Verhaftungsmaßnahmen größeren Umfanges gekommen?

VON NEURATH: Nein, aber immer wieder zu Einzel Verhaftungen, für deren Nachprüfung und eventuelle Aufhebung ich mich auf Grund der Eingaben der Tschechischen Regierung und Privatpersonen stets von neuem eingesetzt habe.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Ich möchte Ihnen nun weiter einige Sätze der Tschechischen Anklage, USSR-60, in der englischen Ausgabe Seite 59, vorhalten. Ich zitiere:

»Vertreter der Turnvereinigung ›Sokol‹ (Falke), welche eine Million Mitglieder zählte, traten sofort nach dem Einfall einer Bewegung zur Befreiung der Heimat bei, und zwar sowohl der Untergrundbewegung im Lande selbst, als auch der Bewegung im Auslande. Die Idee des ›Sokol‹ vereinte die Mitglieder der Armeen im Auslande und gab Stärke und Enthusiasmus auch während der schwersten Zeiten. Dies war auch, vielleicht sogar in noch höherem Maße, zu Hause der Fall. Die Gestapo war sich dieser Gefahr bewußt und verfuhr deshalb mit der größten Strenge. Anfänglich waren ihre Anordnungen gemäßigt, als sie jedoch die Unerschütterlichkeit der Sokols erkannte, begann sie, Zwang anzuwenden. Die ersten Verhaftungen wurden am Tage der Besetzung der Tschechoslowakei vorgenommen und eine weitere große Anzahl am 1. September 1939. Dann folgten ausgedehnte Verhaftungen von Einzelpersonen und Organisationen.«

Wollen Sie sich bitte hierzu äußern?

VON NEURATH: Der »Sokol« war wohl die gefährlichste staatsfeindliche Bewegung im Protektorat. Der Umfang seiner Tätigkeit ergibt sich gerade aus den eben verlesenen Sätzen der Tschechischen Anklage. Es war selbstverständlich, daß derartige Umtriebe, vor allem im Kriege, nicht geduldet werden konnten. Dabei bezeichnet der Bericht ja selbst die ersten politischen Maßnahmen oder polizeilichen Maßnahmen, nebenbei als »noch gemäßigt«. Ich bin überzeugt, daß in keinem anderen Lande solche Umtriebe – Untergrundbewegungen – etwa anders behandelt worden wären. In solchen Fällen unzweifelhaften Hochverrats oder von Sabotage konnte ich mich unmöglich für die Verantwortlichen einsetzen. Die Tschechische Regierung hat dies übrigens auch durchaus verstanden.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Der tschechische Bericht spricht weiter von standrechtlichen Erschießungen. Sind solche während Ihrer Amtsführung vorgekommen?

VON NEURATH: Nein. Von standrechtlichen Erschießungen während meiner Amtszeit, außer den schon erwähnten neun Studenten, weiß ich nichts.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Hat sich nun Frank, abgesehen von seiner unheilvollen Tätigkeit als Höherer SS- und Polizeiführer, als Ihr Staatssekretär auch in die Politik und Verwaltung des Protektorats eingeschaltet, und haben Sie hier dabei eng zusammengearbeitet mit ihm?

VON NEURATH: Frank vertrat einseitig und radikal deutsche Interessen. Das war ein alter sudetendeutscher Tschechenhaß. Ich habe diese Tendenz immer wieder abgebogen; er war aber als mein Vertreter praktisch in die allgemeine Politik und Verwaltung eingeschaltet.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Wie war Ihr persönliches Verhältnis zu Frank?

VON NEURATH: Von Anfang an durchaus schlecht wegen seines Radikalismus. Außerdem bemerkte ich sehr bald, daß er mir sehr häufig nicht die Wahrheit sagte.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Wie war nun Ihr dienstliches und persönliches Verhältnis zum Präsidenten Hacha und zur Tschechischen Regierung?

VON NEURATH: Im allgemeinen gut. Die Tschechische Regierung war damals davon überzeugt, daß meine Absichten auf faire und gerechte Behandlung der tschechischen Volksteile aufrichtig waren und daß ich alles in meinen Kräften stehende getan habe, sie zu verwirklichen. Ich habe auf der anderen Seite ihr Bestreben, in erster Linie die Interessen ihres Volkes zu vertreten, in jeder Hinsicht verstanden und anerkannt. Mein persönliches Verhältnis zum Präsidenten Hacha war, ich kann wohl sagen, ein sehr gutes. Ich habe mich stets bemüht, Herrn Hacha sein schweres Amt, soweit ich das konnte, zu erleichtern, denn ich wußte, daß auch er durch Annahme des Präsidentenpostens und durch sein Verbleiben im Amt ein großes persönliches Opfer brachte. Er und die Mitglieder der Regierung wurden von mir bei allen Veranstaltungen, die nicht rein deutschen Charakter trugen, stets zugezogen und ihrem Range entsprechend ausgezeichnet.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Wie war nun die Arbeitsweise Ihrer Behörde in Prag? Waren Sie in der Arbeit völlig selbständig, oder waren Sie in Ihrer Behörde an Weisungen aus Berlin gebunden?

VON NEURATH: Das, was ich hierzu zu sagen habe, ist eine sehr langweilige Angelegenheit: Die Grundsätze der Politik und auch der Ressortverwaltung wurden in Berlin gemacht, auch soweit sie das Protektorat betrafen; also von Hitler selbst oder den Ressortministern. Mir oblag die Überwachung der Ausführung und die Anwendung dieser Grundsätze im Protektorat unter Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse, die sich aus der ethischen, kulturellen und wirtschaftlichen Struktur dieses Landes ergaben. Es ist selbstverständlich, daß vor allem im Kriege das in der Mitte des Reiches gelegene Protektorat nicht als selbständiges Gebilde behandelt werden konnte, sondern in den Gesamtkomplex eingefügt werden mußte. Wie ich bereits erwähnte, waren die einzelnen Abteilungen meiner Behörde von den Berliner Zentralen aufgebaut worden. Die Beamten dieser Abteilungen hatten daher an sich schon eine sachliche Bindung an ihre Heimatministerien, auch wenn sie später formell mir unterstanden. Die einzelnen Abteilungsleiter bekamen ihre Weisungen über die Behandlung bestimmter Fragen direkt aus Berlin von ihren Ressortministerien. Sie trugen sie dann dem Unterstaatssekretär Burgsdorff, als Chef der Verwaltung, oder bei ganz grundsätzlichen Dingen durch diesen dann mir selbst vor. Die Durchführung im Protektorat wurde auf diese Weise besprochen und nach Besprechung mit dem tschechischen Minister abgestimmt. Hieraus ergaben sich dann die von mir oder meinem Stellvertreter bezeichneten Verordnungen und grundsätzlichen Einzelverfügungen. Sehr häufig handelte es sich dabei nur um die Einführung von im Reich bereits bestehenden oder neu erlassenen Rechts- und Verwaltungsvorschriften. Im übrigen sind auch eine Reihe von Verordnungen, die das Protektorat betrafen, unmittelbar von den zuständigen Berliner Ministerien herausgegeben worden. Der Reichsinnenminister war als sogenannte Zentralstelle für den Erlaß solcher Rechtsvorschriften eingesetzt worden.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Herr Präsident! Ich darf hierzu Bezug nehmen auf folgende in meinem Dokumentenbuch Nummer V vorgelegten Dokumente: Nummer 145, die Verordnung des Führers und Reichskanzlers über das Protektorat Böhmen und Mähren zum Erlaß vom 22. März 1939; Nummer 146, Auszüge aus der für das Protektorat grundlegenden Verordnung über den Warenverkehr mit dem Protektorat vom 28. März 1939; Nummer 147, Verordnung über die Ausübung der Strafgerichtsbarkeit im Protektorat vom 14. April 1939; Nummer 148, Verordnung über das Rechtsatzungsrecht im Protektorat vom 7. Juni 1939; und ich beziehe mich nochmals auf das schon vorgelegte Dokument Nummer 149, Verordnung über den Aufbau der Verwaltung und die deutsche Sicherheitspolizei. Ich darf hierzu bemerken, daß alle diese Verordnungen nicht vom Reichsprotektor, sondern von dem zuständigen Reichsressortminister, teilweise auch von Reichsmarschall Göring als Vorsitzendem des Reichsverteidigungsrats unterzeichnet worden sind. Die Rechtsgrundlage für die Befugnisse des Reichsprotektors ist der Erlaß des Führers und Reichskanzlers über das Protektorat Böhmen und Mähren vom 16. März 1939, unterzeichnet von Hitler, Frick,...

VORSITZENDER: Einen Augenblick. Fragen Sie bitte den Angeklagten, was er mit diesen Verordnungen des Reichsführers und des Angeklagten Göring zu tun. hatte.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Nein, Herr Präsident, ich wollte damit zeigen, daß er damit nichts zu tun hatte, daß ihm aber die Durchführung oblag. Er hatte an sich nach der Verordnung, die ihn einsetzte, die Pflicht zur Überwachung dieser, auch von Reichsstellen erlassenen Verordnungen. Das wollte ich nur nachweisen, daß alle diese Verordnungen nicht von ihm selbst stammen, sondern vom Reichsführer.

VORSITZENDER: Ist das richtig, Angeklagter?

VON NEURATH: Ja. Ich darf bemerken, ich hatte lediglich darauf zu achten, daß sie überhaupt veröffentlicht wurden im Protektorat und dann durch meine Organe überwachen zu lassen, daß sie ausgeführt wurden.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Wie weit reicht nun gegenüber all diesen Bestimmungen die Autonomie des Protektorats?

VON NEURATH: Der Umfang der Autonomie war nicht klar abgegrenzt. Grundsätzlich war das Protektorat autonom und wurde von eigenen tschechischen Beamten und Behörden verwaltet. Es kam im Laufe der Zeit zu erheblichen Einschränkungen dieser Autonomie, wie sie in dem soeben zitierten Erlaß schon vorgesehen waren. Die Einführung dieser Einschränkungen stand praktisch im Ermessen der Reichsregierung und resultierte zum Teil aus der allgemeinen Zentralisationstendenz in Berlin, machte sich aber in erheblichem Umfange auch durch die allgemeine politische Entwicklung notwendig, durch den Krieg und die sogenannte Totalisierung der Kriegführung. Ich habe mich dauernd diesen Beschränkungen widersetzt, wenn sie sich nach meiner Ansicht mit den Lebensnotwendigkeiten des Protektorats und seiner Bevölkerung nicht in Einklang bringen ließen.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Ich darf mich hierzu auf Artikel 3 der bereits zitierten Verordnung, den Erlaß des Führers und Reichskanzlers über das Protektorat Böhmen und Mähren, Nummer 144 meines Dokumentenbuches Nummer V beziehen. Er lautet:

»1. Das Protektorat Böhmen und Mähren ist autonom und verwaltet sich selbst.

2. Es übt seine ihm im Rahmen des Protektorats stehen den Hoheitsrechte im Einklang mit den politischen, militärischen und wirtschaftlichen Belangen des Reiches aus.

3. Diese Hoheitsrechte werden durch eigene Organe und eigene Behörden mit eigenen Beamten wahrgenommen.«

Was war mit den Wehrmachtsdienststellen im Protektorat? Haben Sie mit diesen auch etwas zu tun?

VON NEURATH: Nein, sie unterstanden einem besonderen Wehrmachtsbevollmächtigten, der mich über die grundsätzlichen militärischen Fragen unterrichten sollte.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Ich möchte nun weiter übergehen zu einzelnen Punkten, die der tschechische Bericht USSR-60 erwähnt und die Ihnen zum Vorwurf gemacht werden.

Inwieweit waren Sie zuständig für die Ausübung der Strafjustiz im Protektorat? Hatten Sie insbesondere Todesurteile gegen Tschechen zu bestätigen?

VON NEURATH: Die Strafjustiz der deutschen Gerichte... die tschechischen Gerichte unterstanden mir überhaupt nicht, sie unterstanden dem Reichsjustizministerium in Berlin. Ich hatte nur die Entscheidung über Gnadengesuche, gegen Urteile der deutschen Gerichte im Protektorat, die mir von dem Oberlandesgerichtspräsidenten vorgelegt wurden. Diese betrafen unter Umständen auch Tschechen. Sie betrafen aber keine politischen Vergehen. Politische Prozesse gegen Tschechen wurden, soviel ich mich erinnere, vor dem Volksgerichtshof in Berlin geführt, soweit es sich um Hoch- und Landesverrat handelte. Soviel ich weiß, sind bei diesen Verfahren gegen Tschechen genau die gleichen Grundsätze angewendet worden wie gegen Deutsche.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Hatten Sie ein Begnadigungsrecht bei Urteilen des Volksgerichtshofes gegen Tschechen?

VON NEURATH: Nein, ich hatte keinerlei Einflußmöglichkeiten, kein Begnadigungsrecht.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Ist Ihnen zu Ihrer Zeit etwas über die Tätigkeit von Sondergerichten im Protektorat bekannt?

VON NEURATH: Nein, ich kann mich absolut nicht daran erinnern, daß Sondergerichte, solange ich dort war, tätig gewesen wären. Es kann sich hierbei meines Erachtens nur um deutsche Gerichte zur Verfolgung bestimmter Vergehen, wie zum Beispiel Rundfunkdelikte, gehandelt haben, wie sie bei Kriegsausbruch im Reich eingerichtet wurden. Aber diese Gerichte unterstanden mir nicht, sondern dem Reichsjustizminister direkt. Er ernannte die Richter, erteilte diesen die Weisungen, und die Richter berichteten ihm direkt. Ich hatte darauf keinerlei Einwirkungsmöglichkeiten.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Zu der Tätigkeit dieser Sondergerichte möchte ich Ihnen einen Satz aus dem tschechoslowakischen Bericht USSR-60 vorhalten. Er befindet sich auf Seite 106 des deutschen, Seite 92 des englischen Textes und handelt von Verordnungen und Erlassen, die diese Sondergerichte anzuwenden haben. Ich zitiere:

»Eine große Anzahl dieser Verordnungen und Erlasse verletzt Prinzipien, welche von allen zivilisierten Völkern als unwiderruflich betrachtet werden.«

Ist das richtig?

VON NEURATH: Ja, ich stimme in diesem Punkte mit dem tschechischen Anklagebericht vollkommen überein. Allerdings möchte ich aber annehmen, daß in der neuesten Entwicklung dieser Grundsatz auch bei zivilisierten Völkern eine erhebliche Abschwächung erfahren hat.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Ich möchte nun etwas wissen über die angeblichen Pläne zur Germanisierung des tschechisch besiedelten Raumes im Protektorat. Sie haben uns vorhin erklärt, daß Ihnen von der Existenz derartiger Pläne zur Zeit Ihrer Amtsübernahme nichts bekannt gewesen sei. Von welcher Stelle wurde dann später dieser Komplex an Sie herangetragen?

VON NEURATH: Diese Pläne stammten zum Teil aus sudetendeutschen Kreisen, in der Mehrzahl aber aus Organisationen Himmlers und dann außerdem auf Anregung des Gauleiters von Niederdonau.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Ich möchte Ihnen nun zu diesem Komplex der angeblichen Germanisierungsbestrebungen einen Bericht des Wehrmachtsbevollmächtigten im Protektorat, General Friderici, an das OKW vom 15. Oktober 1940 vorhalten. Es ist dies das Dokument, das von der Anklagebehörde bereits unter 862-PS, Exhibit US-313 vorgelegt worden ist und betrifft Ausführungen über die Grundsätze der Politik im Protektorat, die der Staatssekretär Frank bei einer Dienstbesprechung mit Ihrer Behörde gemacht hat. Frank erwähnt darin eine Denkschrift, in der der Reichsprotektor nach reiflicher Prüfung zu den verschiedenen Planungen zahlreicher Dienststellen Stellung genommen hat und erwähnt dann drei Lösungsmöglichkeiten über die Frage einer eventuellen Germanisierung des tschechischen Raumes. Ihnen ist ja diese Denkschrift, dieses Schriftstück, wohl auch bekannt. Ich glaube daher, es nicht verlesen zu müssen. Was wissen Sie über diese Denkschrift? Ist sie von Ihnen selbst verfaßt? Was haben Sie überhaupt darüber zu sagen?

VON NEURATH: Die Denkschrift geht zurück auf die eben von mir erwähnten Versuche der verschiedenen Parteistellen über die eventuelle Aussiedlung der Tschechen. Ich habe gegen diesen Plan als völlig unsinnig und undurchführbar von Anfang an Front gemacht. Frank, der in diesem Punkte mit mir übereinstimmte, verfaßte daraufhin auf meine Weisung diese eben erwähnte Denkschrift, in der die radikalen Maßnahmen der SS und der Partei abgelehnt wurden und die sogenannte allmähliche Assimilierung als einzige tragbare Lösung bezeichnet wurde. Ich wollte damit die Angelegenheit auf die lange Bank schieben und die Pläne der SS vereiteln. Da diese Aussiedelungspläne aber von Himmler bereits an den Führer herangetragen worden waren, mußte ich eine strikte Weisung von ihm bekommen, um sie tot zu machen. Dazu brauchte ich aus taktischen Gründen irgendeinen Vorschlag. Daher der Vorschlag der Assimilierung, denn damit war die Sache tatsächlich ad calendas graecas vertagt. Ich habe, um die Gegenwirkungen der SS und Himmlers auszuschalten, persönlich dem Führer darüber Vortrag gehalten und ihn um eine strikte Anweisung gebeten, die er dann auch erteilt hat. Damit war die Sache begraben, und sie ist auch nicht weiter verfolgt worden. Der Satz, der in dieser Denkschrift vorkommt, daß

»... die Germanisierung noch Jahre einheitlich vom Amt des Reichsprotektors wahrgenommen werden müsse...«

bedeutet gerade, daß sie sich, nämlich die SS, nicht mehr in diese Frage einschalten konnte. Der Reichsprotektor sollte dafür allein zuständig sein, und dieser tat nichts. Darauf deutet im übrigen auch der Satz des ebenso wie ich allen Radikalismen und Phantastereien abgeneigten Generals Friderici hin, daß

»... von seiten der Wehrmacht sieh daraus keine wesentlichen Folgerungen ergeben, da diese Richtung von ihm immer eingehalten worden...«

sei. Wenn Frank nach dem Bericht gesagt hat,

»Elemente, die der beabsichtigten Germanisierung entgegenarbeiten, müssen scharf angefaßt und ausgeschaltet werden«,

so war das eben seine Diktion, die zu solchen Ansprachen gehörte. Praktisch ist, wie gesagt, in der Assimilierung nicht das mindeste mehr geschehen.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Herr Präsident! Ich bitte um Erlaubnis, hierzu aus dem bereits erwähnten Affidavit der Baronin Ritter, Nummer 3 meines Dokumentenbuches I, ein paar Sätze zitieren zu dürfen, die sich auf Seite 18 meines Dokumentenbuches befinden. Es heißt dort:

»Zu den Plänen der Germanisierung bezw. allmählicher Assimilierung der Tschechen äußerte sich Neurath folgendermaßen in einem Brief: ›Ganz abgesehen von dem verstandesmäßigen Standpunkt tun einem die Leute, die da einfach umgesiedelt werden sollen, in der Seele weh. Aber ich glaube, ich habe jetzt einen Weg gefunden, das Unheil abzuwenden. Zeit gewonnen, ist alles gewonnen, und oftmals ist aufgeschoben auch aufgehoben!«

Herr Präsident! Wenn ich mir eine Anregung erlauben darf, so würde ich bitten, jetzt Schluß zu machen, da dieser Germanisierungskomplex jetzt erledigt ist.

VORSITZENDER: Wie lange, glauben Sie, daß Sie noch brauchen werden? Sie haben bereits anderthalb Tage in Anspruch genommen.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Es ist aber.. bei der wenig substantiierten, wenig konkreten Anklage, wie sie in dem tschechischen Bericht enthalten ist, muß ich ja jeden einzelnen Punkt, der überhaupt darin enthalten ist, erwähnen.

Ich habe noch ungefähr 20 Fragen.

VORSITZENDER: Wie lange, glauben Sie, werden Sie dafür brauchen?

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Eine Stunde.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof erwartet dann, daß Sie in einer Stunde fertig sind.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Ich hoffe es, Herr Präsident.

VORSITZENDER: Wir vertagen uns nunmehr.