[Das Gericht vertagt sich bis
25. Juni 1946, 10.00 Uhr.]
Einhundertdreiundsechzigster Tag.
Dienstag, 25. Juni 1946.
Vormittagssitzung.
[Der Angeklagte von Neurath im Zeugenstand.]
DR. OTTO NELTE, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN KEITEL: Herr Präsident! Ich möchte dem Tribunal mitteilen, daß das Manuskript meines Plädoyers zur Hälfte bis morgen und zur zweiten Hälfte bis nächsten Samstag maschinenschriftlich fertiggestellt ist. Leider kann ich privat nur acht Kopien herstellen, wovon sechs Exemplare bestimmt sind für die Dolmetscher zur Erleichterung ihrer schwierigen Aufgabe. Mehr Exemplare konnte ich leider nicht zur Verfügung stellen, da ich persönlich keinen Vervielfältigungsapparat besitze. Ich hoffe, daß das Tribunal verstehen wird, wenn ich nach der Erklärung, die der Herr Hauptanklagevertreter der Vereinigten Staaten von Amerika am Freitag abgegeben hat, die technische Hilfe der Anklagebehörde für mein Plädoyer nicht in Anspruch nehmen kann.
Ich möchte Sie bitten zu entscheiden, ob das Tribunal Wert darauf legt, zur Beschleunigung des Vortrags die Übersetzung meines Plädoyers zu erhalten. In diesem Falle bitte ich, die erforderliche Anordnung zu treffen. Ich bin bereit, mein Manuskript zur Verfügung zu stellen unter den von Ihnen, Herr Präsident, bekanntgegebenen Voraussetzungen. Was für mich persönlich gilt, dürfte, soweit ich orientiert bin, auch für die übrigen, jedenfalls für die Mehrzahl der Verteidiger gelten. Für die Beschleunigung des Verfahrens und für die Reduzierung des angegebenen Zeitraums für den Ablauf der Plädoyers ist es wichtig, diesen Punkt zu klären.
DER VORSITZENDE, LORD JUSTICE SIR GEOFFREY LAWRENCE: Dr. Nelte! Wenn Sie das von Ihnen erwähnte Manuskript einreichen würden, dann könnte der Gerichtshof Vorkehrungen treffen, um es in die verschiedenen Sprachen übersetzen zu lassen. Ich glaube, daß wir Ihrem Standpunkt auf diese Weise gerecht werden.
DR. NELTE: Jawohl.
VORSITZENDER: Der Gerichtshof hat in dieser Angelegenheit eine Erklärung abzugeben, die ich jetzt verlesen will. Es ist folgende Erklärung:
»Im Hinblick auf die Besprechung vom 13. Juni 1946 über die Frage, wieviel Zeit die Verteidiger für ihre Plädoyers beanspruchen können, hat der Gerichtshof diese Angelegenheit einer erneuten Prüfung unterzogen.
Als die Verteidiger die Zeit, die sie beanspruchen wollten, bekanntgaben, hat der Gerichtshof bemerkt, daß einige Angeklagte mehr Zeit brauchen als andere und daß sie sich deswegen untereinander über die Zeiteinteilung geeinigt hatten. Aber der Gerichtshof ist der Überzeugung, daß die vorgeschlagenen Zeitspannen viel zu lang sind und daß man sich gewisse freiwillige Beschränkungen auferlegen sollte.
Der Gerichtshof ist der Meinung, daß – außer bei einigen Angeklagten, deren Fälle sehr umfangreich sind – ein halber Tag für jeden Angeklagten reichlich genügt, um seine Verteidigung vorzubringen, und der Gerichtshof hofft, daß die Verteidiger ihre Plädoyers gedrängt zusammenfassen und sich freiwillig auf diese Zeit beschränken werden. Der Gerichtshof wird jedoch dem Verteidiger von keinem der Angeklagten gestatten, sich mit unerheblichen Fragen zu beschäftigen oder für irgendeinen Fall mehr als einen Tag in Anspruch zu nehmen. Es werden zu Anfang vier Stunden für die Erörterung von allgemeinen Rechts- und Tatsachenfragen zugelassen werden, und bei ihren Plädoyers sollten die Verteidiger derart zusammenarbeiten, daß überflüssige Wiederholungen vermieden werden.«
Ich höre gerade, daß ein Teil der Erklärung, die ich gemacht habe, in einigen Übersetzungen in unrichtiger Form durchgekommen ist. Deshalb will ich sie nochmals verlesen:
»Der Gerichtshof ist der Meinung, daß – außer bei einigen Angeklagten, deren Fälle sehr umfangreich sind – ein halber Tag für jeden Angeklagten reichlich genügt, um seine Verteidigung vorzubringen. Und der Gerichtshof hofft, daß die Verteidiger daher ihre Plädoyers gedrängt zusammenfassen und sich freiwillig auf diese Zeit beschränken werden. Der Gerichtshof wird jedoch dem Verteidiger von keinem der Angeklagten gestatten, sich mit unerheblichen Fragen zu beschäftigen oder mehr als einen Tag für irgendeinen Fall in Anspruch zu nehmen. Es werden zu Anfang vier Stunden für die Erörterung von allgemeinen Rechts- und Tatsachenfragen zugelassen werden, und bei ihren Plädoyers sollten die Verteidiger derart zusammenarbeiten, daß überflüssige Wiederholungen vermieden werden.«
Wie schon zuvor erklärt, würde der Gerichtshof es begrüßen, wenn eine Übersetzung von jedem Plädoyer in französisch, russisch und englisch zu Beginn der Plädoyers vorgelegt würde. Die Verteidiger können selbst für die Übersetzungen sorgen, wenn sie es wünschen. Wenn sie aber Abschriften ihrer Plädoyers so früh wie möglich, aber keinesfalls später als drei Tage vor dem Plädoyer, bei der Übersetzungsabteilung einreichen, so werden die Übersetzungen für sie erledigt werden, ohne daß der Inhalt der Abschriften bekannt wird. Das ist alles.
Bitte, Dr. Lüdinghausen.
DR. OTTO FREIHERR VON LÜDINGHAUSEN, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN VON NEURATH: Wir waren gestern stehengeblieben in der Behandlung der einzelnen Anklagepunkte. Ich möchte nun darin fortfahren und Ihnen folgende Frage stellen, Herr von Neurath:
Die Anklage wirft Ihnen vor, daß die Deutschen im Protektorat eine Vorzugsstellung gegenüber den Tschechen erhalten hätten und daß Sie dafür verantwortlich wären. Darf ich Sie bitten, sich dazu zu äußern?
CONSTANTIN FREIHERR VON NEURATH: Die Stellung der Deutschen im Protektorat war nicht eine Vorzugsstellung, die mit irgendwelchen realen Vorzügen und Vorteilen verbunden gewesen wäre im Vergleich zu den Tschechen, sondern es war eine ganz andere Stellung. Die Deutschen waren Reichsbürger geworden und hatten demnach die Rechte der Reichsbürger, also zum Beispiel das Wahlrecht zum Reichstag. Den Tschechen stand dieses Wahlrecht nicht zu, was verständlich ist bei der nun einmal vorhandenen Differenz... Unterschied zwischen dem tschechischen Volkstum und dem deutschen. Irgendwelche tatsächlichen Vorteile sind mit der Stellung der Deutschen im Protektorat zu keiner Zeit verbunden gewesen.
Bestrebungen auf Vorzugsbehandlung hat es natürlich in der chauvinistischen Partei und in völkischen Kreisen gegeben. Ich bin ihnen aber immer mit aller Schärfe entgegengetreten und habe ihre praktische Wirksamkeit auch verhindert. Ich möchte aber hier noch einmal betonen, daß sich das tschechische Volk in keiner Weise als dem deutschen in irgendeiner Hinsicht unterlegen betrachtet hätte. Es handelte sich eben um ein anderes Volk, das politisch und kulturell nach seiner Eigenheit behandelt werden mußte. Das war auch der Grund für die Beibehaltung der sogenannten Autonomie, die nichts anderes bedeutete, als die Trennung der beiden Nationalitäten unter dem Gesichtspunkt der Sicherung des eigenen Lebens für die Tschechen, und daß diese Autonomie sich im Rahmen der für das Gesamtreich – zumal im Kriege – bestehenden Notwendigkeiten halten mußte, ist klar.
DR. VON LÜDINGHAUSEN: Ich möchte nun die einzelnen Punkte der tschechischen Anklageschrift oder besser des tschechischen Berichts, der der Anklage zugrunde liegt, behandeln. Es wird in demselben behauptet, daß die Pressefreiheit jeder Behörde unterdrückt worden wäre. Ist das richtig, und welche Rolle hat hinsichtlich der Behandlung der Presse Herr von Gregory gespielt?
VON NEURATH: Herr von Gregory war Presseattaché bei der Deutschen Gesandtschaft in Prag gewesen und unterstand dem Propagandaministerium. Er kam dann als Leiter meiner Presseabteilung zu meiner Behörde und kontrollierte die tschechische Presse nach den Weisungen des Propagandaministeriums in Berlin. Die tschechische Presse war sicher nicht frei, genau so wenig wie die deutsche. Die Auflagenkontrolle und andere Bestimmungen, in Sonderheit die Zensurbestimmungen, waren die gleichen.
DR. VON LÜDINGHAUSEN: Der tschechische Anklagebericht erhebt dann weiter den Vorwurf, die örtlichen tschechischen Verwaltungsbehörden seien vielfach aufgelöst und dann zum Teil mit Beamten und Gemeinderäten durchsetzt worden, die Deutsche oder tschechische Kollaborationisten gewesen wären. Ist das richtig?
VON NEURATH: Das sind Gemeinden mit einer erheblichen deutschen Minderheit, wie vor allem in Mähren. Daß diese auch eine Vertretung in der Lokalverwaltung erhielten, scheint mir selbstverständlich; Prag hatte zum Beispiel einen tschechischen Bürgermeister und einen deutschen Vizebürgermeister. Dagegen dürfte kaum etwas einzuwenden sein. Soweit die Ambition der Deutschen in einzelnen Städten oder Bezirken auf Mitwirkung in der Lokalverwaltung ein Ausmaß annahm, das durch ihre zahlenmäßige Stärke nicht berechtigt erschien, habe ich mich eingeschaltet und dies abgelehnt. In den Gemeindeverwaltungen rein tschechischer Gebiete, wie zum Beispiel in Westböhmen, gab es im allgemeinen überhaupt keine deutschen Vertreter. Andererseits gab es Sprachinseln, wie zum Beispiel die Gegend von Iglau, wo die Deutschen an Zahl und deshalb auch an Einfluß dominierten.
DR. VON LÜDINGHAUSEN: Der tschechische Anklagebericht macht Ihnen zum Vorwurf, Sie hätten auf diese Weise und durch die Einsetzung der Oberlandräte die tschechische Verwaltung germanisiert und bezieht sich dafür auf eine angebliche Äußerung, die Sie dem früheren Landespräsidenten von Böhmen, Bienert, gegenüber gemacht haben sollen, indem Sie erklärten: »Das muß in zwei Jahren alles verdaut sein.«
VON NEURATH: An eine solche Äußerung kann ich mich nicht erinnern. Ich kann mir auch gar nicht vorstellen, sie getan zu haben. Es handelt sich in diesem Punkte um die Angleichung der Tschechen... der tschechischen an die deutsche Verwaltung. Die Oberlandräte sind nicht von mir eingesetzt worden, sondern wurden als Kontrollinstanz von der Reichsregierung, und zwar durch die Verordnung vom 1. September 1939, betreffend den Aufbau der deutschen Verwaltungen und der Sicherheitspolizei, geschaffen. Ich habe den Oberlandräten, wenn sie zum Vortrag bei mir erschienen, immer wieder eingeschärft, daß sie nicht selbst zu verwalten hätten, sondern lediglich zu kontrollieren. Die tschechische Verwaltungsmethode sei vielfach viel besser als die deutsche.
DR. VON LÜDINGHAUSEN: Ich darf hierzu Bezug nehmen auf die unter Nummer 149 meines Dokumentenbuches im Text vorgelegte Verordnung über den Aufbau der Verwaltung und die deutsche Sicherheitspolizei vom 1. September 1939, in deren Paragraphen 5 und 6 die Einsetzung und die Aufgaben dieser Oberlandräte näher umschrieben sind. Eine Zitierung derselben dürfte sich wohl erübrigen.
Die Tschechische Anklage enthält weiter eine Aussage von Herrn Bienert, Sie hätten ihm zur Frage der Koordinierung der tschechischen Verwaltung eine Äußerung gemacht, dem Sinne nach: »Das muß streng durchgeführt werden, es ist ja Krieg.« Gleichzeitig erklärte Bienert in seiner Vernehmung, der Zweck dieser Maßnahme, das heißt der Koordinierung der tschechischen und deutschen Verwaltung sei gewesen, Deutschland im Kriege ein ruhiges Hinterland zu sichern.
Wollen Sie sich bitte auch hierzu äußern?
VON NEURATH: Es ist möglich, daß ich Bienert etwas Ähnliches gesagt habe. Ich kann mich darauf heute nicht erinnern. Es ist aber auch selbstverständlich, daß auf dem Gebiet der Verwaltung und auf jedem anderen auch im Protektorat... auch das Protektorat im Zeichen der Kriegsnotwendigkeiten stand. Einschränkungen der Autonomie bei der tschechischen Landesverwaltung sind auch nur unter diesem Gesichtspunkt zu verstehen. Daß es mein Bestreben war, das Land im Interesse des Reiches und damit der Gesamtheit ruhig zu halten, kann mir wohl kaum zum Vorwurf gemacht werden. Im übrigen muß ich bemerken, daß die Einführung von Beschränkungen der Autonomie bereits in dem Erlaß über die Errichtung des Protektorats ausdrücklich vorgesehen war.
DR. VON LÜDINGHAUSEN: Ich darf hierzu auf den in meinem Dokumentenbuch unter Nummer 144, Dokumentenbuch 5, im Text enthaltenen Erlaß des Führers und Reichskanzlers über das Protektorat Böhmen und Mähren vom 16. März 1939 Bezug nehmen, in dessen Artikel 11 bereits das Recht stipuliert ist, das Reich könne Verwaltungszweige des Protektorats in eigene Verwaltung übernehmen.
Die Tschechische Anklage bezieht sich dann weiter auf eine Aussage des früheren tschechoslowakischen Ministers Havelka über die Verfolgung der Mitglieder der tschechischen Legionäre aus dem ersten Weltkrieg, soweit sie in öffentlichen Ämtern gewesen sind. Was können Sie uns über diese Frage der Legionäre sagen?
VON NEURATH: Die tschechische Legion war während des ersten Weltkrieges in Rußland gegründet worden. Sie setzte sich zusammen zum Teil aus Freiwilligen, zum Teil aus Resten tschechischer Regimenter, die zur alten österreichisch-ungarischen Armee gehört hatten und in Rußland kriegsgefangen waren. Diese tschechischen Legionäre genossen nach der Gründung der Tschechischen Republik eine gewisse Sonderstellung. Sie waren zum Teil stark von chauvinistischen Ressentiments gegen das Deutsche Reich noch aus der Zeit der Nationalitätenkämpfe erfüllt, so daß die sogenannte Legionärsmentalität in Böhmen ein Schlagwort war und in politisch unruhigen Zeiten eine gewisse Gefährdung der Politik bedeuten konnte. Diese Vorzugsstellungen, die die Legionäre genossen, wurden übrigens im Protektorat selbst weitgehend bekämpft von tschechischer Seite. Es wurde daher insbesondere von Frank angestrebt, die Legionäre aus den öffentlichen Ämtern zu entfernen. Dies ist aber nur in besonders krassen Fällen und auch nur insoweit erfolgt, als diese Legionäre der tschechischen Legion seinerzeit freiwillig beigetreten waren, also nicht aus Mitgliedern der früheren österreichisch-ungarischen Armee bestanden. Ich habe von vornherein diese Unterscheidung vertreten, die ungefähr der Stellung entspricht oder der Unterscheidung entspricht, die heute zwischen den freiwilligen Angehörigen der SS und der Waffen-SS in Deutschland gemacht ist.
DR. VON LÜDINGHAUSEN: Die Tschechische Anklage macht Ihnen ferner die Unterstützung der tschechisch-faschistischen Organisation »Vlayka« zum Vorwurf. Sie bezieht sich hierfür auf ein Memorandum, das Sie selbst über eine Besprechung mit Hacha, dem Präsidenten der Tschechoslowakei, am 26. März 1940 gemacht haben. Nach diesem Memorandum haben Sie Hacha gesagt, die persönlichen und moralischen Qualitäten der Vlayka-Führer wären Ihnen hinreichend bekannt, immerhin aber müßten Sie konstatieren, daß diese Bewegung, diese Organisation die einzige sei, welche sich positiv zum Deutschen Reich und zur Mitarbeit mit diesem gestellt hätte. Was hat es hiermit für eine Bewandtnis?
VON NEURATH: Die Vlayka-Bewegung war das, was in Frankreich Kollaborationisten genannt wurden. Sie arbeitete für eine deutsch-tschechische Zusammenarbeit, und zwar schon lange ehe das Protektorat errichtet wurde. Ihre Führer waren aber nach meiner Auffassung durchaus zweifelhafte Persönlichkeiten, wie ich es mit dem oben zitierten Wort an Hacha zum Ausdruck gebracht habe. Sie bedrohten und beschimpften unter anderem den Präsidenten Hacha und Mitglieder der Tschechischen Regierung. Der Staatssekretär Frank kannte diese Leute von früher her und wollte sie, schon unter Berücksichtigung der damaligen Zusammenarbeit mit ihm, unterstützen. Ich habe das aber abgelehnt, ebenso wie ich die verschiedenen Anträge dieser Leute, von mir empfangen zu werden, abgelehnt habe.
Dagegen ist es möglich, daß Frank sie aus einem Fonds unterstützt hat, der ihm von Hitler ohne mein Wissen, und zwar mit der Verpflichtung, mir nichts davon zu sagen, gegeben worden war.
DR. VON LÜDINGHAUSEN: Wie stellten Sie sich nun zu der Auflösung der Parteien, der politischen Parteien und der Gewerkschaften?
VON NEURATH: Dies war ebenso wie die Kontrolle der Presse eine Notwendigkeit, die sich aus dem System, aus dem politischen System des Reiches ergab. Immerhin ist durch den Schritt des Präsidenten Hacha und trotz der von deutscher Seite getroffenen Maßnahmen kein Land so wenig von den Leiden des Krieges betroffen worden wie das Protektorat. Dem tschechischen Volk ist als einzigem in Mittel- und Osteuropa die völkische, kulturelle und wirtschaftliche Substanz fast im ganzen Umfange erhalten geblieben.
DR. VON LÜDINGHAUSEN: Ich gehe jetzt zu dem Punkt der Anklage über, der sich mit einer angeblichen kulturellen Unterdrückung befaßt. Was können Sie zu der Handhabung des tschechischen Bildungswesens sagen?
VON NEURATH: Die tschechischen Universitäten und sonstigen Hochschulen sind, wie bereits vorhin erwähnt, im November 1939 auf Befehl Hitlers geschlossen worden. Ich habe mich immer wieder auf Wunsch des Präsidenten Hacha und der Protektoratsregierung bei Hitler direkt für eine Wiedereröffnung eingesetzt. Ich hatte aber bei der dominierenden Stellung, die Herr Himmler hatte, keinen Erfolg. Die Folge der Schließung der Universitäten war natürlich, daß eine große Zahl von jungen Menschen, die sonst studiert hätten, sich jetzt manuelle Arbeit suchen mußten. Die Schließung der Hochschulen mußte sich auch auf das mittlere Schulwesen auswirken. Dieses war nach der Abtrennung des Sudetenlandes im Herbst 1938 an sich schon sehr stark übersetzt, weil die gesamte tschechische Intelligenz aus diesem Gebiet in das tschechische Sprachgebiet, also das spätere Protektorat, zurückgekehrt war. Für die Jugend aus den Mittelschulen war deshalb kaum mehr eine Beschäftigung vorhanden. Es ist ungefähr dieselbe Erscheinung, die sich jetzt in Deutschland abspielt. Von einer Schließung tschechischer Volksschulen und von sonstigen planmäßigen Bemühungen, der tschechischen Jugend ihre kulturelle Freiheit und deren Ausbildungsmöglichkeiten zu beschränken, ist mir nichts bekannt.
DR. VON LÜDINGHAUSEN: Haben Sie selbst die von Hitler befohlene Schließung der tschechischen Hochschulen gebilligt?
VORSITZENDER: Dr. von Lüdinghausen! Er hat gesagt, er habe versucht einzuschreiten und sich den Befehlen Hitlers zu entziehen.
DR. VON LÜDINGHAUSEN: Wenn dem Gericht das genügt, braucht er die Frage nicht weiter zu beantworten.
VORSITZENDER: Glauben Sie nicht, daß das genügt?
DR. VON LÜDINGHAUSEN: Ja, ich wollte das nur noch einmal schärfer ausgedrückt haben; aber wenn das dem Gericht genügt, um die Einstellung zu dieser Frage klarzustellen, bin ich vollkommen zufrieden.
VORSITZENDER: Er könnte es auch nicht besser ausdrücken, wenn er es zweimal sagen würde.
DR. VON LÜDINGHAUSEN: Ja, wenn Sie es nur etwas... aber es genügt.