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[Dem Zeugen wird das Dokument überreicht.]

Seite 128 des Dokumentenbuches 12a, das GB-514 wird, Euer Lordschaft.

[Zum Zeugen gewandt:]

Es handelt sich um den »Völkischen Beobachter«, der am 17. September 1933 Äußerungen von Ihnen über die Judenfrage zitiert:

»Der Minister zweifelte nicht daran, daß das unsinnige Gerede des Auslandes über rein innerdeutsche Dinge, wie z.B. die Judenfrage, schnell verstummen wird, wenn man erkennt, daß die notwendige Säuberung des öffentlichen Lebens wohl vorübergehend in Einzelfällen persönliche Härten mit sich bringen müßte, daß sie aber doch nur dazu diente, in Deutschland die Oberhand von Recht und Gesetz um so unerschütterlicher zu befestigen!«

War das Ihre Ansicht im September 1933 über die Aktionen gegen die Juden und gegen diejenigen, die mit dem linken Flügel sympathisierten, daß sie eine »notwendige Säuberung des öffentlichen Lebens« darstellten, die natürlich hier und da »einzelne Fälle von Härten mit sich bringen müßte«, daß sie aber dazu dienen würde, die »Herrschaft von Recht und Gesetz in Deutschland um so unerschütterlicher zu befestigen«? War das Ihre Ansicht?

VON NEURATH: Ich habe bei, bei, bei meiner... vorgestern, glaube ich, ausgesagt auf die Frage, wie ich zur Judenfrage gestanden hätte, habe ich gesagt, daß ich die nach dem letzten Krieg zutage getretene Überflutung und Beherrschung des öffentlichen Lebens in Deutschland durch Juden, daß ich deren Beseitigung beziehungsweise Einschränkung für absolut richtig gehalten habe. Darauf bezieht sich das.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Also stimmt es... ich meine, Sie bleiben bei dem, was Sie am 17. September 1933 gesagt haben, daß Ihrer Ansicht nach die Behandlung der Juden 1933 nur eine »notwendige Säuberung des öffentlichen Lebens« in Deutschland gewesen sei? Sollen wir es so verstehen, daß Ihr damaliger Standpunkt auch noch Ihr heutiger Standpunkt ist und daß Sie nicht von ihm abweichen?

VON NEURATH: Das ist genau mein Standpunkt heute noch, nicht wahr, nur hätte er mit anderen Methoden durchgeführt werden müssen.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Dann wollen wir uns darüber nicht weiter unterhalten.

Darf ich also annehmen, daß Sie von der Vernichtung der politischen Opposition wußten und damit einverstanden waren?

VON NEURATH: Nein, das ist...

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Dann wollen wir diese Frage schrittweise behandeln. Haben Sie es für richtig gehalten, daß man die Kommunistische Partei als illegal erklärte?

VON NEURATH: Damals ganz bestimmt; denn Sie haben ja gehört, nicht wahr, daß wir vor dem Bürgerkrieg standen.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Also damit waren Sie einverstanden. Haben Sie gebilligt, daß man die Gewerkschaften zerschlug und als illegal erklärte?

VON NEURATH: Nein.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Was haben Sie unternommen, um gegen die Zerschlagung der Gewerkschaften zu protestieren?

VON NEURATH: Das war auf einem Gebiet... dieses Gebiet ging mich gar nichts an. Ich bin Außenminister gewesen und nicht Innenminister.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Gut, ich wiederhole, ich will mit Ihnen nicht streiten. Sie hielten es für richtig, als Außenminister in der Regierung zu bleiben und ihr Unterstützung und Autorität zu verleihen; einer Regierung, die Maßnahmen traf, die Sie mißbilligten, wie zum Beispiel die Zerschlagung der Gewerkschaften. Sollen wir es so auffassen?

VON NEURATH: Jawohl, haben Sie je einen Minister...

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun, was...

VON NEURATH: Ich mochte etwas sagen. Haben Sie je gehört, daß jeder Minister aus dem Kabinett ausgetreten ist, wenn er nicht einverstanden war mit einer Einzeltatsache?

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Jeder Kabinettsminister, vor dem ich auch nur etwas Achtung haben sollte, wäre aus einem Kabinett ausgetreten, wenn dieses Kabinett Maßnahmen ergriffen hätte, die er moralisch nicht gebilligt hätte, und ich habe Sie so verstanden, daß Sie die Zerschlagung der Gewerkschaftsbewegung moralisch verurteilt haben. Verbessern Sie mich bitte, falls ich mich irre. Wenn Sie das aber nicht verurteilt haben, dann sagen Sie es.

VON NEURATH: Unmoralisch habe ich das nicht gefunden. Das ist eine politische Maßnahme gewesen, aber keine unmoralische.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Dann wollen wir uns dem dritten Punkte zuwenden. Die Sozialdemokratische Partei war eine Partei, die in den Jahren nach dem Kriege einen sehr wesentlichen Anteil an der Deutschen und Preußischen Regierung gehabt hatte. Hielten Sie es moralisch für gerechtfertigt, eine solche Partei einfach als ungesetzlich zu erklären und es ihr nicht zu ermöglichen, weiterhin an den Geschicken des Landes mitzuarbeiten?

VON NEURATH: Nein, sicher nicht. Ich weiß aber auch gar nicht...

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wir wollen das klarstellen: Hielten Sie das für gerechtfertigt oder nicht?

VON NEURATH: Ich sagte eben nein, aber ich weiß auch gar nicht, ob Sie...

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Was haben Sie unternommen, um dagegen Einspruch zu erheben? Was haben Sie getan, um gegen die Auflösung der Sozialdemokratischen Partei zu protestieren?

VON NEURATH: Gegen diese Auflösung habe ich höchstens meine Bedenken äußern können.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wem gegenüber haben Sie Ihre Bedenken gegen die Auflösung der Sozialdemokratischen Partei zum Ausdruck gebracht?

VON NEURATH: Immer wieder zu Hitler.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Niemals haben Sie gegen die Auflösung der Oppositionsparteien Ihre Bedenken ausgesprochen? Niemals haben Sie im Kabinett dagegen Einspruch erhoben, nicht wahr?

VON NEURATH: Ich kann mich da nicht entsinnen, ob diese Frage im Kabinett besprochen worden ist, das weiß ich nicht mehr.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Schön, dann kommen wir zu einem anderen Punkt, immer noch im Jahre 1933. Denn ich möchte, daß Sie sich vergegenwärtigen, was 1933 geschah. Wußten Sie, daß, nachdem Sie Deutschlands Absicht, aus der Abrüstungskonferenz und dem Völkerbund auszutreten, verkündet hatten, Befehle für militärische Vorbereitungen erlassen wurden, um der Möglichkeit eines Krieges als Folge dieses Schrittes zu begegnen?

VON NEURATH: Nein, im Jahre 1932... 1933 war mir davon nichts bekannt.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja, im Jahre 1933. Davon handelt C-140, US-51, vom 25. Oktober 1933. Nun, Angeklagter, Sie waren Außenminister. Behaupten Sie nun dem Gerichtshof gegenüber, daß weder Hitler noch Generalfeldmarschall von Blomberg – ich glaube, der war doch Reichswehrminister –, daß keiner dieser Herren Ihnen als Folge dieses Schrittes erklärte: »Wir müssen unsere Vorbereitungen fertig haben für den Fall, daß Deutschland Sanktionen, unter Einschluß militärischer Sanktionen, auferlegt werden.« Hat keiner von den Herren Ihnen gegenüber ausgesprochen, daß dies das Resultat Ihrer auswärtigen Politik sein müsse?

VON NEURATH: Nein, da war auch gar keine Aktion zu befürchten.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich verstehe. Es ist aber eigentlich... Sie werden doch zugeben, daß es ziemlich seltsam ist, den Außenminister von den möglichen Konsequenzen seiner Politik hinsichtlich militärischer Vorbereitungen nicht zu unterrichten. Es ist doch ziemlich seltsam, daß der Außenminister irgendeines Regierungssystems, sei es nun autoritär, demokratisch oder was Sie sonst wollen, daß man also den Außenminister über die auf Grund seiner Politik getroffenen militärischen Vorbereitungen nicht auf dem laufenden hält.

VON NEURATH: Die Ansicht, ob eine Gefahr drohte aus diesem Austritt aus dem Völkerbund und aus der Abrüstungskonferenz, die hatte ich ja zu entscheiden, das heißt, die Entscheidung darüber, ob das vermutlich Folgen haben könnte; die Militärs haben ihre eigenen Ansichten gehabt und anscheinend – ich weiß es nicht, jedenfalls habe ich keine Kenntnis davon bekommen – sind da irgendwelche Erörterungen im Generalstab gewesen, nehme ich an.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Dann mochte ich schnell das Jahr 1933 noch einmal zusammenfassen: Ich darf also annehmen, daß Sie bis Ende 1933 trotz der Vorkommnisse, die ich hier erwähnt habe, völlig von der Anständigkeit der Regierung und ihren friedlichen Absichten überzeugt waren, stimmt das?

VON NEURATH: Jawohl.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Gut, dann wollen wir uns dem Jahre 1934 zuwenden. Erinnern Sie sich noch an Ihr Gespräch mit Herrn Dodd, dem Amerikanischen Botschafter, das Sie auf Seite 54 in Ihrem Dokumentenbuch Nummer I erwähnt haben? Das war am 28. Mai 1934, und Herr Dodd hatte Ihnen anscheinend berichtet, was er Hitler über die Art gesagt hatte, in der die Amerikaner versuchten, den Wucher der Hochfinanz zu kontrollieren. Dann sagt er, Sie freuten sich, daß er Hitler davon unterrichtet hätte, und dann fügt Herr Dodd hinzu: »Der Kanzler hat mir nicht beigestimmt.«

Darauf sagt er:

»Von Neurath schwieg einen Augenblick auf meine Bemerkung. Es war klar, daß er genau der gleichen Ansicht war wie ich selbst.

Er bat mich dann, in Washington mitzuteilen, daß die Ausschreitungen entgegen den Absichten der Deutschen Regierung erfolgt seien, daß er selbst aber für Hitler nicht einstehen könne.«

Was wollten Sie mit den Worten sagen: »... daß die Ausschreitungen gegen die Juden entgegen den Absichten der Deutschen Regierung erfolgt seien...«?

VON NEURATH: Damit wollte ich sagen, daß die Kabinettsmitglieder zu ihrem überwiegenden Teil gegen diese Methoden waren. Im übrigen kann ich dazu hinzufügen, daß ich eben Herrn Dodd gebeten hatte, um meinen Vorstellungen bei Hitler auch mehr Ausdruck zu geben, mal persönlich zu Hitler zu gehen. Ich habe ihn dort hingebracht.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Aber haben Sie nicht im Mai 1934 gewußt, daß die Deutsche Regierung sich auf einen systematischen und heftigen Antisemitismus festlegte? Wußten Sie das nicht?

VON NEURATH: Antisemitische Propaganda kannte ich hauptsächlich aus den Reden von Herrn Goebbels.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja, gehen wir also zu einem etwas konkreteren Punkt über. Hatten Sie irgendeinen Grund, weshalb Sie General von Schleicher oder General von Bredow nicht leiden konnten?

VON NEURATH: Nein.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: In welcher Weise wurden Sie durch die Tötung dieser beiden Herren und der Frau von Schleicher bei der blutigen Säuberungsaktion vom 30. Juni 1934 beeindruckt?

VON NEURATH: Da brauche ich ja kaum darauf zu antworten, daß es selbstverständlich abstoßend für mich war, ist klar. Ich habe schon letzthin gesagt, daß leider Gottes bei solchen Revolten immer Unschuldige auch mitleiden müssen.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Gut. Aber wollen wir die Sache einmal ganz klarlegen. Sie haben dem Gerichtshof letzthin erklärt, daß Sie der Ansicht seien, und zwar mit gutem Grund, daß es eine gewisse Richtung innerhalb der SA gegeben habe, die von Röhm und Ernst geführt wurde, von Leuten, die Ihrer Ansicht nach unerwünscht waren.

Welchen Grund hatten Sie zu der Annahme, daß General von Schleicher und General von Bredow an der Verschwörung beteiligt gewesen wären?

VON NEURATH: Ich hatte dazu gar keinen Grund, Ich glaube es auch heute nicht, daß die ein Komplott gemacht haben.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Haben Sie von den unglückseligen Umständen gehört, unter denen Herr von Papen damals fortwährend Sekretäre verloren hat? Erinnern Sie sich daran? Wissen Sie es noch?

VON NEURATH: Genau dasselbe.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wissen Sie, daß Herr von Bose und Herr Jung getötet, von Tschirschky und zwei andere Herren verhaftet wurden? Haben Sie davon gehört?

VON NEURATH: Jawohl, durch Herrn von Papen.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Und haben Sie die blutige Säuberung vom 30. Juni nur als ein weiteres Element der »notwendigen Säuberung des öffentlichen Lebens« angesehen?

VON NEURATH: In dem Maße, wie sie ausgeführt wurde, mit all diesen Entgleisungen und Hinmordungen von unschuldigen Leuten, ganz bestimmt nicht.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Warum blieben Sie dann in einer Regierung, die sich des Mordes zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele bediente?

VON NEURATH: Ich habe jetzt schon zum zweiten Male gesagt, daß es bei solchen Revolutionen ohne solche Entgleisungen leider Gottes nicht abgeht.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Schon. Greifen wir noch eine andere Ihrer Erfahrungen aus dem Jahre 1934 heraus. Sie wußten von den Terrorakten, die sich im Mai und Juni 1934 in Österreich ereignet hatten, nicht wahr? Unter »Terrorakten« verstehe ich – um darüber keinen Zweifel aufkommen zu lassen – die Verursachung von Explosionen in öffentlichen Betrieben, Eisenbahnen und dergleichen in Österreich. Ich meine Dynamit, also ein ganz bestimmtes Mittel. Sie wußten, daß derartige Anschläge im Mai und Juni 1934 in Österreich sich ereignet hatten, nicht wahr?

VON NEURATH: Jawohl, davon habe ich erfahren, und dagegen habe ich ja immer Front gemacht. Denn ich wußte ja, daß sie von den Nazis, und zwar möchte ich noch einmal bemerken, in der Hauptsache von den österreichischen Nazis, ausgingen.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Welche Stellung nahm Herr Köpke in Ihrem Ministerium am 31. Mai 1934 ein?

VON NEURATH: Er war Ministerialdirektor.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ministerialdirektor. Doch eine ziemlich verantwortliche Stellung, nicht wahr?

VON NEURATH: Ja.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Erinnern Sie sich, daß Herr Köpke Ihnen am 31. Mai 1934 über einen Besuch des Barons von Wächter Bericht erstattet hat?

VON NEURATH: Nein, dessen kann ich mich nicht entsinnen.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun, denken Sie nach. Sie wissen es doch. Baron von Wächter war sechs Wochen später, am 25. Juli, einer der Führer des Putsches gegen Dollfuß. Erinnern Sie sich nicht, daß Herr Köpke Ihnen Bericht erstattet hat und daß Sie diesen Bericht an Hitler weitergegeben haben?

VON NEURATH: Ich kann mich dessen nicht entsinnen.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Dann wollen wir Ihrem Gedächtnis nachhelfen, wenn Sie sich nicht daran erinnern können. Wollen Sie sich das Dokument D-868 ansehen? Es wird GB-515. Ich werde es verlesen, aber sehen Sie sich die Unterschriften genau an. Wenn Sie so gut sein wollen, den Kopf anzusehen, so finden Sie, glaube ich, im Original dort Ihre eigenen Initialen, und an der linken Seite ist eine Notiz »Der Herr Reichskanzler hat Kenntnis 6. 6.«. Das war am 6. Juni. Es ist von Dr. Lammers mit einem »L« versehen worden. Darunter findet sich eine Notiz »vom Herrn Reichskanzler am 6. Juni«. Ich glaube, die ist auch von Lammers abgezeichnet. Und auf der anderen Seite sehen Sie einen Vermerk, der bestimmt von Lammers abgezeichnet ist, nämlich »Habicht kommt heute... L. 6. 6.«. Diese Aufzeichnung kam also am gleichen Tage vom Reichskanzler an das Auswärtige Amt zurück. Wollen wir einmal sehen, was für Berichte Sie von Österreich erhalten und an Hitler weitergeleitet haben. Wir wollen die Beschreibung der frischen jugendlichen Erscheinung des Barons Wächter im ersten Absatz überspringen, es sei denn, daß Sie besonderen Wert hierauf legen. Es heißt dann weiter:

»Seine Darstellungen waren offensichtlich von dem Bewußtsein ernster Verantwortlichkeit getragen. Seine Beurteilung der Dinge und in Betracht kommenden Persönlichkeiten war klar und bestimmt.

Herr von Wächter entwarf auch mir ein Bild von der Lage in Österreich, das in manchen Farben doch dunkler und ernster war, als es sich uns von hier aus bisher darstellte. Die Radikalisierung der Nationalsozialisten in Österreich sei dauernd im Zunehmen. Die Terrorakte mehrten sich. Ohne Rücksicht darauf, von wem nun eigentlich im Einzelfall die Sprengungen und sonstigen Terrormaßnahmen tatsächlich vorgenommen worden sind, löste eine jede solche Tat eine neue Welle von Radikalisierung und auch Verzweiflungstaten aus. Es fehle, wie Herr von Wächter immer wieder schmerzlich betonte, an der Einheitlichkeit der Führung. Die SA tue, was sie wolle und ihrerseits für nötig halte. Die politische Führung treffe daneben Maßnahmen, die manchmal genau das Gegenteil hiervon besagten. So sei die große Terroraktion, wodurch die auf Wien zuführenden Bahnlinien gesprengt worden seien, durchaus nicht von Marxisten, sondern von der österreichischen SA durchgeführt worden, und zwar gegen den Willen der politischen Leitung, die, wie er glaube, an der Tat und ihren Vorbereitungen in keiner Weise beteiligt worden sei. Das sei das Bild im großen. Im kleinen, in den einzelnen Ländern und Kreisen, sei das Durcheinander womöglich noch größer.«

Sodann sagt er, daß der Hauptherd der Unruhe Kärnten sei, wo die Verhältnisse am schlimmsten seien. Er fährt dann fort:

»Herr von Wächter meinte, daß hier schleunigst Besserung geschaffen werden müßte, und zwar durch Zentralisierung sämtlicher in Österreich selbst und außerhalb Österreichs für den Nationalsozialismus tätigen Kräfte. Personelle Fragen dürften hierbei keine Rolle spielen. Das erlösende Wort in dieser Beziehung könne selbstverständlich nur der Führer selbst sprechen. Er, Wächter, sei in allen diesen Dingen mit Herrn Habicht vollkommen einig. Soweit er wisse, sei es auch Herrn Habicht heute bereits gelungen, den Herrn Reichskanzler kurz zu sprechen.«

Wollen wir einen Augenblick hier stehenbleiben. Ungefähr zu jener Zeit wurde Herr Habicht zum Presseattaché an der Deutschen Botschaft in Wien ernannt. Die Ernennung des Herrn Habicht zum Presseattaché konnte nur durch Sie oder mit Ihrer Zustimmung erfolgen, nicht wahr? Das gehörte doch zu Ihrem Ressort.

VON NEURATH: Wenn Herr Habicht, was ich im Augenblick gar nicht mehr weiß... Herr Habicht war Landesleiter Österreichs in München, und ob und daß er nach Wien als Presseattaché gekommen sein soll, davon weiß ich nichts.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie können mir glauben, daß er damals, gegen Ende Mai 1934, als Presseattaché nach Wien ging. Und ich möchte nun wissen, ob ihm diese Stellung, die ihm bei seinen Komplotten die diplomatische Immunität sicherte, auf Ihren Befehl oder mit Ihrer Zustimmung übertragen wurde.

VON NEURATH: Wenn Herr Habicht wirklich dort war, so ist es weder mit meinem Wissen noch mit meiner Genehmigung erfolgt, sondern vermutlich durch das Propagandaministerium, dem diese Presseleute unterstanden.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie werden doch zugeben müssen, Angeklagter, daß dies kein sehr erfreuliches Dokument ist. Es beschreibt doch keine sehr erfreuliche Situation. Lassen Sie sich von mir daran erinnern, daß es von Ihrem Ministerialdirektor an Sie gerichtet war, an den Führer weiterging und von Dr. Lammers mit dem Vermerk zurückkam: »Habicht kommt heute«. Sicher...

VON NEURATH: An den Führer?

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja, ja.

VON NEURATH: Im übrigen, Herr Anklagevertreter, mache ich Sie darauf aufmerksam, daß ja hier immer nur von den österreichischen Nazis die Rede ist. Mit denen hatte ich ja nichts zu tun.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich will Sie vor allem darauf hinweisen, daß dieses Dokument des Auswärtigen Amtes an die Reichskanzlei ging. Es kommt am 6. Juni mit folgender Randbemerkung von Dr. Lammers zurück: »Habicht kommt heute«. Sie müssen doch am 6. Juni genau über Habicht Bescheid gewußt haben. Das ist ja in diesem Bericht erwähnt.

VON NEURATH: Keine Rede. Ich habe diese Notiz, also von Lammers, die bedeutet, daß Habicht zum Reichskanzler kam, und ich habe diesen Bericht meines Ministerialdirektors eben an den Reichskanzler geschickt, um ihm zu zeigen, was für Zustände in Österreich herrschen. Das war der Grund.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Aber erinnern Sie sich, daß Herr von Papen vor einigen Tagen hier ausgesagt hat, und als ich ihn fragte, wer die führenden reichsdeutschen Persönlichkeiten gewesen seien, die Einfluß auf den Putsch in Österreich im Juli 1934 gehabt hätten, dachte er lange Zeit nach, und dann erklärte er, daß die einzige führende reichsdeutsche Persönlichkeit, die seiner Erinnerung nach mit dem Putsch etwas zu tun gehabt habe, gerade dieser Herr Habicht gewesen sei.

VON NEURATH: Ja.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun mache ich Ihnen zum Vorwurf – ich halte mich damit auf, weil ich diesen Punkt klargestellt haben möchte –, daß Sie am 6. Juni 1934 sehr wohl wußten, daß Herr Habicht diese »führende reichsdeutsche Persönlichkeit« war, die nach den Worten des Angeklagten von Papen die Revolution in Österreich organisiert hat.

VON NEURATH: Aber wie kommen Sie auf eine solche Unterstellung? Herr Habicht ist doch überhaupt gar nicht bei mir gewesen, sondern beim Reichskanzler.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie haben diesen Bericht gesehen. Es ist doch ein Bericht Ihres Ministerialdirektors. Ich habe doch gerade verlesen, was von Wächter dachte?

VON NEURATH: Da steht kein Wort von Herrn Habicht drin.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich habe Ihnen das doch gerade vorgelesen. Darf ich Sie nochmals daran erinnern:

»Das erlösende Wort in dieser Beziehung könne selbstverständlich nur der Führer selbst sprechen. Er, Wächter, sei in all diesen Dingen mit Herrn Habicht vollkom men einig.«

Mit anderen Worten: Wächter bringt dem Auswärtigen Amt sowohl die Absichten Habichts als auch seine eigenen Ansichten zur Kenntnis.

VON NEURATH: Ja, das steht ja drin. Also diese ganzen Terrorakte und Terrorakte und all diese Unruhen, die hier geschildert sind, die habe ich zur Kenntnis des Reichskanzlers gebracht.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun schauen Sie sich an, was der Bericht weiter unten sagt:

»Als nun aber inzwischen nichts erfolgt sei, auf der anderen Seite die Gegenmaßnahmen der österreichischen Regierung von Tag zu Tag brutaler und einschneidender wurden, hätten sich die radikalen Elemente von neuem geregt und seien mit der Behauptung hervorgetreten, der Kanzler habe seinen Befehl nur aus taktischen Gründen gegeben, sei aber innerlich mit jeder mannhaften Tat der Opposition einverstanden und habe als eigentliches politisches Ziel lediglich die allerdings nach außen hin möglichst unauffällige Schwächung des verhaßten Systems Dollfuß im Auge. Mit diesem Argument werde heute gearbeitet.«

Hören Sie sich nun weiter die Vorschläge an, die er Ihnen macht, die deutlichste Warnung vor Unruhen, die je ein Außenminister gehört hat:

»Immer wieder stoße man bei den Besprechungen auf diese im geheimen weiterglimmende Auffassung. Es müsse bald ein Wandel geschaffen und die einheitliche Führung wiederhergestellt werden. Sonst, so schloß Herr von Wächter seine eindrucksvolle Darstellung, könne jeden Tag ein Unglück geschehen, das außenpolitisch nicht nur für Österreich, sondern vor allem für Deutschland selbst die bösesten Folgen haben würde.«

Und dann, ganz dramatisch, erhält Herr von Wächter mitten im Gespräch telephonisch die Nachricht, er solle lieber nicht nach Wien zurückkommen, da er bei seiner Ankunft verhaftet werden würde. Nach sechs Wochen hat er dann den Putsch durchgeführt, und der Kanzler Dollfuß ist erschossen worden. Erinnern Sie sich jetzt? Hatten Sie nicht Anfang Juni 1934 geahnt, daß in Österreich höchste Gefahr für eine Erhebung und für den Ausbruch von Unruhen bestehe?

VON NEURATH: Ja, aber ganz bestimmt. Das ist doch der Grund, warum ich den Bericht an den Kanzler geschickt habe. Ich konnte doch in Österreich nicht eingreifen.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Vielleicht können Sie etwas zu der Frage sagen, die der Angeklagte von Papen nicht klären konnte. Wer waren Ihrer Meinung nach die anderen führenden reichsdeutschen Persönlichkeiten, die hinter dem Dollfuß-Putsch in Österreich standen? Sie sagen, daß Sie es nicht gewesen seien. Wer waren Ihrer Meinung nach diese Persönlichkeiten, von denen Herr von Papen sagte, daß sie mit diesem Dollfuß-Putsch etwas zu tun gehabt hätten?

VON NEURATH: Ich kenne überhaupt keinen. Ich habe nur den Habicht gekannt, und zwar immer als eine Persönlichkeit, gegen die ich bei Hitler Protest einlegte wegen seiner Hetzarbeit. Sonst habe ich keinen Reichsdeutschen gekannt. Das sind alles die österreichischen Nationalsozialisten gewesen, die hier ja bei den Verhandlungen x-mal genannt worden sind, die ich aber nicht kannte.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Die meine ich nicht, ich meine nur die von dem Angeklagten von Papen erwähnten führenden reichsdeutschen Persönlichkeiten und gebe mir alle Mühe herauszufinden, wer das war. Nehmen Sie den gleichen Standpunkt ein wie er, daß der einzige, an den Sie sich erinnern können, der Presseattaché Habicht sei? Ist das alles, womit Sie dem Gerichtshof in dieser Angelegenheit helfen können?

VON NEURATH: Ich habe schon gesagt, und das muß genügen: Ich kenne keinen.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ist es Ihre Ansicht, daß Ihr Gesandter, Dr. Rieth, nichts hierüber gewußt hat trotz der Erklärung des Herrn Messersmith zu diesem Punkt? Glauben Sie, daß Dr. Rieth nichts von dem Putsch wußte?

VON NEURATH: Wie weit Herr Rieth davon unterrichtet war, kann ich nicht sagen. Sie wissen aber, daß ich ihn, wie er sich ostentativ nachher eingesetzt hat, sofort abberufen habe. Im übrigen hatte ich den Gesandten schon immer verboten, sich in diese Angelegenheiten einzumischen.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie hatten wohl keine Bedenken, daß Dr. Rieth alles über den bevorstehenden Putsch wußte?

VON NEURATH: Doch, da habe ich große Bedenken, daß er genau Bescheid wußte. Ich glaube es nicht, denn seiner ganzen Persönlichkeit nach ist er nicht so gewesen.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Jedenfalls haben Sie am 25. Juli gewußt, daß die österreichischen Nationalsozialisten diesen Putsch durchgeführt und Dollfuß ermordet hatten.

VON NEURATH: Das ist ja kein Geheimnis gerade.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nein; das weiß ich. Viele dieser Dinge waren keine Geheimnisse. Ich interessiere mich vor allem dafür, wann Sie Kenntnis hierüber erhalten haben... wann Sie ausfindig gemacht haben...

VON NEURATH: Nachher, ja.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Hat dies in Ihnen nicht irgendwelche Bedenken aufkommen lassen, weiter in einer Regierung zu bleiben, die ihre Mordpolitik durch Parteielemente in Österreich von der Heimat ins Ausland ausgedehnt hatte.

VON NEURATH: Wenn ich für jeden einzelnen Mörder verantwortlich wäre, für jeden einzelnen deutschen Mörder, der im Auslande sich betätigte, dann hätte ich viel zu tun gehabt, wahrscheinlich.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Aber Sie wußten doch, Herr von Neurath – und ich werde Sie gleich daran erinnern, warum –, daß, seit Hitler Oberhaupt Ihrer Regierung war, die österreichische NSDAP in engen Beziehungen zu ihm stand und nach seinen Befehlen handelte, Sie wußten das doch recht gut?

VON NEURATH: Er war ja der Chef der NSDAP. Daß sie mit ihm zusammenarbeiteten, ist wohl natürlich.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja, jetzt noch ein anderer Punkt...

VON NEURATH: Aber ich möchte nur noch eins sagen: Dagegen habe ich dauernd Vorstellungen bei Hitler erhoben, zusammen mit Herrn von Papen, daß dieser Herr Habicht sich so betätigt.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wir werden gleich darauf zurückkommen. Ich möchte nur vorher einen Punkt klären. Stimmt das Folgende mit Ihrer Erinnerung überein? Ich habe alle Berichte des Angeklagten von Papen durchgesehen, und außer drei persönlichen Berichten, von denen sich zwei mit Herrn von Tschirschky und der dritte mit einer Beschimpfung Hitlers ohne politische Bedeutung befassen, haben wir 28 Berichte. 19 dieser Berichte sind als Kopien für das Auswärtige Amt bezeichnet. Stimmt es mit Ihrer Erinnerung überein, daß jeweils von vier Berichten des Herrn von Papen drei an Sie gingen, um von Ihnen zur Kenntnis genommen zu werden?

VON NEURATH: Das kann ich heute nicht mehr sagen.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie haben ganz recht, Herr von Neurath. Sie können nicht mehr wissen, wie viele an Sie gingen, aber Sie können sagen, Sie hätten eine beträchtliche Anzahl der Berichte Herrn von Papens gesehen. Ich glaube, es waren 19. Sie können es mir glauben, 19 tragen den Vermerk: »Hat dem Auswärtigen Amt vorgelegen«.

VON NEURATH: Das glaube ich Ihnen ohne weiteres, aber die Frage ist nur, wieviel sind mir vorgelegt worden, denn ich bekam ja nicht jeden einzelnen Bericht eines Gesandten oder Botschafters aus dem Ausland vorgelegt. Da wäre ich ja ertrunken in Papier.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich bin ganz Ihrer Meinung. Aber ich habe Sie gefragt, ob Sie diese Berichte des Herrn von Papen, der sich doch in einer recht außergewöhnlichen Stellung befand und sich mit einem schwierigen Problem befassen mußte, erhalten haben. Haben Sie eine größere Anzahl von Berichten erhalten, die von Herrn von Papen an Hitler gerichtet waren und an Sie weitergeleitet worden waren?

VON NEURATH: Ich kann nur sagen, daß ich einzelne Berichte bekommen habe, aber durchaus nicht alle. Mehr kann ich Ihnen heute nicht sagen.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft! Jetzt wäre vielleicht ein günstiger Zeitpunkt abzubrechen?

VORSITZENDER: Wir vertagen uns nunmehr.