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[Das Gericht vertagt sich bis 14.00 Uhr.]

Nachmittagssitzung.

[Der Angeklagte Neurath im Zeugenstand.]

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Angeklagter! Ich möchte zwei oder drei Tatsachen über das Jahr 1935 klären, ehe ich einige Fragen an Sie richte:

Am 10. März hat Deutschland die Schaffung einer Luftwaffe bekanntgegeben, und am 16. März haben Sie, glaube ich, unter anderem das Gesetz über die allgemeine Wehrpflicht mitunterzeichnet. Sie haben ja schon alles erklärt, und ich will es nicht nochmals behandeln. Ich möchte Sie lediglich über das geheime Reichsverteidigungsgesetz vom 21. Mai 1935 befragen. Wollen Sie sich bitte General Thomas Kommentar ansehen.

Euer Lordschaft! Es ist Seite 52 des Dokumentenbuches 12 und ungefähr Seite 71 des deutschen Dokumentenbuches.

VORSITZENDER: Nummer 12a oder b?

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nummer 12, Euer Lordschaft. Das ist das Original. Auf Seite 52:

[Zum Zeugen gewandt:]

»Die für den Krieg befohlene Spitzenorganisation der Obersten Reichsbehörden hat auf Aufbau und Tätigkeit der Wehrwirtschaftsorganisation einen so großen Einfluß ausgeübt, daß es notwendig ist, diesen Punkt eingehend zu behandeln.

Die Spitzenorganisation der Obersten Reichsbehörden für den Kriegsfall hatte zwar schon vor 1933 in zahlreichen Besprechungen und Befehlen ihren Niederschlag gefunden, erfuhr jedoch durch die nationalsozialistische Machtergreifung und besonders durch das Hinscheiden des Reichspräsidenten von Hindenburg eine grundlegende Änderung. Die neuen Bestimmungen wurden im Reichsverteidigungsgesetz vom 21. 5. 1935 festgelegt, das erst im Kriegsfalle veröffentlicht werden sollte, aber mit seinen Bestimmungen schon für die Kriegsvorbereitungen in Kraft trat. Da dieses Gesetz... die Aufgaben der Wehrmacht und der übrigen Reichsbehörden im Kriege festlegte, war es auch für den Aufbau und die Tätigkeit der Wehrwirtschaftsorganisation grundlegend und ausschlaggebend.«

(Dokument 2353-PS.)

Sie werden sich ebenfalls erinnern, daß am selben Tage der Angeklagte Schacht zum Generalbeauftragten für die Kriegswirtschaft ernannt wurde.

Angeklagter! Hatten Sie zu dieser Zeit erkannt, daß dieses Gesetz die grundlegende Regelung für die Entwicklung und Tätigkeit der Kriegswirtschaftsorganisation war?

VON NEURATH: Ja, aber nur für den Fall eines Krieges, das heißt für den Fall einer Mobilmachung.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich halte Ihnen vor allem den Punkt vor, daß dieses Gesetz für die Durchführung von Kriegsvorbereitungen gültig sein sollte. Hielten Sie es nicht für einen großen Schritt vorwärts auf dem Wege der Kriegsvorbereitungen?

VON NEURATH: Keineswegs. Das war absolut kein großer Schritt vorwärts, sondern das war bloß die Festlegung der Notwendigkeit im Falle eines Krieges. Es muß jedoch in jedem Lande für den Fall eines Angriffs eine Zusammenarbeit der verschiedenen Behörden garantiert werden. Das ist darin festgelegt.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Das ist Ihre Ansicht. Ist es richtig, daß zu jenem Zeitpunkt, bis zum Mai 1935, das Deutsche Auswärtige Amt noch immer einen Stab von Diplomaten und Beamten des Auswärtigen Amtes der alten Schule hatte und noch nicht von Leuten des Amtes Ribbentrop durchsetzt war?

VON NEURATH: Ja.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Haben Sie irgendeine Warnung von Ihrem eigenen Stab im Zusammenhang mit den Ereignissen in Österreich, der Wiederaufrüstung, der Aufstellung einer Luftwaffe und der allgemeinen Wehrpflicht erhalten?

VON NEURATH: Über die Vorgänge in Österreich war ich orientiert, wie Sie ja aus diesem hier vorhin vorgelegten Bericht ersehen haben. Über die Wiedereinführung der Wehrmacht, das ist im Kabinett beschlossen worden, da wußte ich freilich davon.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja. Verzeihen Sie, ich habe wahrscheinlich dem Wort nicht die richtige Betonung gegeben. Wenn ich von einer »Warnung« spreche, meine ich eine wirkliche Warnung seitens Ihrer Beamten, daß diese Ereignisse Deutschland im Ausland als blutdürstig und kriegshetzerisch hinstellen würden. Haben Sie eine solche Warnung von Ihren Beamten erhalten?

VON NEURATH: Ganz sicher nicht. Denn das war ja auch gar nicht der Fall, und wenn das im Ausland behauptet worden ist, so war es noch lange nicht wahr.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wollen Sie sich nun das Dokument 3308-PS ansehen, das Affidavit des Dolmetschers Paul Schmidt.

Euer Lordschaft! Es ist Seite 68 des Dokumentenbuches 12a und Seite 65 oder 66 der deutschen Fassung, Absatz 4.