[Zum Zeugen gewandt:]
Nun werde ich Ihnen die Absätze 4 und 5 vorlesen. Paul Schmidt sagt:
»4: Der Putschversuch in Österreich und der Mord an Dollfuß am 25. Juli 1934 beunruhigten die Berufsbeamten im Außenministerium sehr, weil diese Vorgänge Deutschland in den Augen der Welt diskreditierten. Daß der Putsch von der Partei organisiert worden war, wußte jeder, und die Tatsache, daß der Putschversuch so kurz auf die blutige Säuberungsaktion in Deutschland erfolgt war, wies unvermeidlich auf eine Ähnlichkeit zwischen den Nazi-Methoden in der Außen- und Innenpolitik hin. Diese Bedenken über die Rückschläge des Putschversuchs wurden bald noch durch die Erkenntnis der Tatsache gesteigert, daß diese Zwischenfälle von Einfluß auf den Abschluß des französisch-russischen Konsultativpaktes vom 5. Dezember 1934 gewesen waren, eine Verteidigungsmaßnahme, die von den Nazis nicht als Warnung beachtet wurde.«
Nun, Angeklagter, ist es richtig, was Herr Schmidt sagt in diesen drei Punkten, nämlich, daß der Putschversuch und der Mord an Dollfuß die Berufsbeamten im Außenministerium sehr beunruhigt hat?
VON NEURATH: Das hat nicht bloß die Berufsbeamten meiner Behörde, sondern auch mich selbstverständlich beunruhigt.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Und im letzten Satz heißt es:
»Diese Bedenken« – das heißt die Unruhe, die durch den Putsch hervorgerufen wurde – »über die Rückschläge des Putschversuchs wurden bald noch durch die Erkenntnis der Tatsache gesteigert, daß diese Zwischenfälle«, die blutige Säuberungsaktion und der Putsch, »von Einfluß auf den Abschluß des französisch-russischen Konsultativpaktes vom 5. Dezember 1934 gewesen waren, eine Verteidigungsmaßnahme, die von den Nazis nicht als Warnung beachtet wurde.«
Ist es richtig, daß die Bedenken in Ihrem Stab noch durch die Erkenntnis gesteigert wurden, daß die blutigen Säuberungsaktionen und der Putsch Frankreich und die Sowjetunion in ihrer Haltung Deutschland gegenüber alarmiert und zu dem Konsultativpakt geführt hatten?
VON NEURATH: Nein, das ist eine Privatansicht von dem Dolmetscher Schmidt.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nein, es steht ja nicht in Beziehung zu Ihnen, Angeklagter. Dolmetscher Schmidt sagt hier, daß es die Ansicht Ihrer erfahrenen Beamten im Auswärtigen Amt war, und das halte ich Ihnen vor. Hat er nicht recht, wenn er sagt, daß Ihr erfahrener Beamtenstab über diese Ereignisse beunruhigt war, da sie einen Einfluß auf den Konsultativpakt ausgeübt hatten?
VON NEURATH: Nicht im mindesten. Ich kann nur wiederholen: Das hatte gar nichts miteinander zu tun.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Hat er recht in seiner letzten Behauptung, daß dieser Vertrag von den Nazis nicht als Warnung beachtet wurde?
VON NEURATH: Das kann ich nicht sagen, das weiß ich nicht.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Gut, sehen Sie sich bitte den nächsten Absatz an:
»5. Der Verkündigung der Gründung einer deutschen Luftwaffe und der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht im März folgte am 2. Mai 1935 der Abschluß eines gegenseitigen Beistandspaktes zwischen Frankreich und Rußland. Die Berufsbeamten des Auswärtigen Amtes betrachteten dies als eine weitere sehr ernsthafte Warnung vor den möglichen Folgen der deutschen Außenpolitik, aber die Nazi-Führer versteiften nur ihre Haltung gegenüber den Westmächten und erklärten, daß sie sich nicht einschüchtern lassen würden. Zu dieser Zeit brachten wenigstens die Berufsbeamten dem Außenminister Neurath gegenüber ihre Bedenken zum Ausdruck. Ich weiß nicht, ob Neurath seinerseits diese Bedenken an Hitler weitergab.«
Nun wollen wir uns das einmal ansehen! Stimmen Sie damit überein, daß die Berufsbeamten im Auswärtigen Amt den französisch-sowjetrussischen Pakt als eine weitere sehr ernsthafte Warnung vor den möglichen Folgen der deutschen Außenpolitik betrachteten?
VON NEURATH: Ich weiß nicht, im Namen welcher Berufsbeamten Schmidt sich hier äußert. Ich habe jedenfalls davon nichts gehört, daß meine Berufsbeamten sich in dieser Hinsicht geäußert hätten.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Hier sagt Herr Schmidt:
»Zu dieser Zeit brachten wenigstens die Berufsbeamten dem Außenminister Neurath gegenüber ihre Bedenken zum Ausdruck.«
Das sind doch Sie?
VON NEURATH: Ja.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wollen Sie behaupten, daß Herr Schmidt, der schließlich ein Berufsbeamter war, obwohl er sehr lange Zeit Dolmetscher gewesen ist – wollen Sie behaupten, daß Herr Schmidt nicht die Wahrheit sagt, wenn er erklärt, daß Ihre Berufsbeamten ihre Bedenken Ihnen gegenüber zum Ausdruck gebracht hätten?
VON NEURATH: Aber ganz entschieden. Woher weiß denn Herr Schmidt, der damals ein ganz kleiner Beamter war, was meine Berufsbeamten, das heißt, das sind die höheren Beamten des Amtes gewesen, mir gesagt haben? Außerdem, wie kann Herr Schmidt das beurteilen? Und ich möchte noch hinzufügen, daß Schmidt hier gesagt hat, daß dieses Affidavit oder was das ist, ihm nach einer schweren Krankheit vorgelegt wurde und daß er selbst gar nicht mehr über den Inhalt dieses Affidavits genau Bescheid weiß. Das nun...
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie können versichert sein, daß der Gerichtshof mich zurechtweisen würde, wenn ich zu Unrecht behaupten sollte, ich hätte Schmidt, als er vor diesem Gerichtshof aussagte, diese Abschnitte vorgelegt, und er hätte ihnen zugestimmt.
Sehen Sie sich nun eine weitere Erklärung am Ende des Absatzes 6 an! Wir werden Absatz 6 lesen, da ich Sie etwas über den Schluß dieses Abschnittes fragen möchte:
»Dem Wiedereinmarsch deutscher Heerestruppen in das Rheinland gingen diplomatische Vorbereitungen seitens der Nazis im Februar voran. Ein deutsches Kommuniqué vom 21. Februar 1936 stellte nochmals fest, daß der Französisch-Russische Beistandspakt im Gegensatz zu den Locarnoverträgen und dem Völkerbundsvertrag stehe. Am gleichen Tage behauptete Hitler in einem Interview, es gebe keine tatsächliche Veranlassung für einen Zusammenstoß zwischen Deutschland und Frankreich. Im Zusammenhang mit den im Hintergrunde stehenden, frankreichfeindlichen Erklärungen in ›Mein Kampf‹ legte die Natur der Umstände es nahe, daß Vorbereitungen für die Rechtfertigung zukünftigen Handelns getroffen wurden. Ich weiß nicht, wie lange Zeit vorher der Einmarsch in das Rheinland beschlossen worden war. Ich selbst wußte davon und hatte schon ungefähr zwei oder drei Wochen bevor er stattfand über ihn diskutiert. Schwere Bedenken wurden besonders in Heereskreisen über das Risiko dieser Unternehmung zum Ausdruck gebracht. Viele Leute im Auswärtigen Amt hatten ähnliche Bedenken. Es war aber im Auswärtigen Amt allgemein bekannt, daß Neurath der einzige in den Regierungskreisen war, der, von Hitler um Rat gefragt, zuversichtlich glaubte, daß das Rheinland ohne bewaffneten Widerstand seitens Großbritanniens und Frankreichs wieder mit Truppen besetzt werden könnte. Während dieser ganzen Zeit nahm Neurath eine Stellung ein, die Hitler veranlaßte, Neurath mehr Vertrauen entgegenzubringen als den Diplomaten der ›alten Schule‹, denen er (Hitler) mit Geringschätzung gegenüberzutreten pflegte.«
Nun, wenn dieser kleine Beamte, von dem Sie soeben sprachen, von dem Einmarsch ins Rheinland zwei oder drei Wochen vorher gewußt und darüber diskutiert hat, wie lange im voraus mußten Sie es dann gewußt und besprochen haben?
VON NEURATH: Herr Schmidt muß ein Hellseher gewesen sein; denn zwei bis drei Wochen vorher wußte ich auch noch nichts davon. Ich habe es ungefähr eine Woche vor der Entschließung Hitlers erfahren, und wenn ich... wenn hier steht, daß ich... daß es im Außenministerium allgemein bekannt gewesen sei, daß ich der einzige in den Regierungskreisen war, von dem Hitler Rat holte und er zuversichtlich war, daß das Rheinland ohne bewaffneten Widerstand seitens Großbritanniens und Frankreichs wieder mit Truppen besetzt werden könnte, so habe ich ja schließlich recht gehabt.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie haben recht gehabt... Ist es aber wahr, daß Sie die einzige Person in den Regierungskreisen waren, die der Ansicht war, daß das Rheinland ohne Intervention Großbritanniens und Frankreichs besetzt werden könnte? Ist es richtig?
VON NEURATH: Das kann ich nicht sagen, ob ich der einzige war, jedenfalls habe ich die Überzeugung gehabt auf Grund meiner Kenntnisse der internationalen Verhältnisse.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Auf jeden Fall, wie groß auch die Begrenzung der Kenntnisse des Herrn Paul Schmidt gewesen sein mag, kannte er doch Ihre Stellungnahme sehr genau. Hat er nicht recht, wenn er in seinem letzten Satz sagt, daß Ihre Stellungnahme während der ganzen Zeit dergestalt war, daß Hitler sich lieber an Sie als an die alten Diplomaten aus der Zeit vor den Nazis wandte, da Sie derjenige waren, der ihn ermutigt hat?
VON NEURATH: Ich habe ihn keineswegs ermutigt. Ich habe ihm aber dargestellt, wie die Situation nach meiner Ansicht ist, und daß ich recht gehabt hatte, hat sich ja nachher bewiesen.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich möchte nun, daß Sie sich mit einer anderen Sache befassen, die tatsächlich in das Jahr 1936 fällt, aber wir werden sie ebenso wie die österreichische Frage behandeln.
Sie haben ein- oder zweimal gesagt, daß Sie starke Einwände gegen das österreichisch-deutsche Abkommen vom 11. Juli, das Sie für eine Ausflucht oder eine Fassade hielten, geltend gemacht hätten. Ist das richtig? Sie sollen sehr starke Einwände dagegen erhoben haben?
VON NEURATH: Ja.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wissen Sie, daß Hitler zu der Zeit, als das Abkommen unterzeichnet wurde, Anweisungen an die Gauleiter der österreichischen NSDAP gegeben hat, den Kampf weiterzuführen?
VON NEURATH: Nein, das ist mir nicht bekannt.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich will Sie nur daran erinnern. Ich möchte Ihnen nichts Unrichtiges vorhalten.
Euer Lordschaft! Es ist im Dokumentenbuch 12, Seite 97.