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[Zum Zeugen gewandt:]

Sehen Sie, Herr Messersmith sagt, daß Sie, der Angeklagte von Papen und von Mackensen willfährige Werkzeuge des Regimes gewesen seien. Ich frage Sie nun, ob Sie uns bis zu dem Datum, an dem Herr Messersmith dies niederschrieb, also bis zum 10. Oktober 1935, irgendeine Anordnung Hitlers nennen können, die durchzuführen Sie sich geweigert hätten.

VON NEURATH: Nicht bloß eine, sondern recht viele. Ich habe das ja ausgeführt, wie oft ich Hitler widersprochen habe, und das, was Herr Messersmith hier wieder annimmt... über die Bedeutung von dem Affidavit von Herrn Messersmith habe ich mich geäußert..

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Angeklagter! Ich will die Frage anders stellen: Was sagten Sie, sei bis zum 10. Oktober 1935 die ernsteste Frage gewesen, deren Lösung Hitler Ihnen gestellt und der Sie sich widersetzt hätten? Welche Frage war die ernsteste, der am meisten Bedeutung zukam?

VON NEURATH: Ja, in diesem Moment... das ist eine Frage, die ich so nicht beantworten kann. Wie soll ich noch wissen, was die ernsteste Frage war, der ich mich widersetzt habe. Ich habe mich in allen möglichen Dingen widersetzt.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wenn Sie sich nicht daran erinnern können, was nach Ihrem Ermessen die ernsteste Frage war, dann will ich Sie damit nicht weiter belästigen, ich will aber...

VON NEURATH: Also legen Sie es mir ruhig mal vor; aber eine Behauptung in die Luft hier aufzubringen, ohne die Möglichkeit zu geben, sie zu widerlegen!

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich bat Sie, es uns mitzuteilen; aber ich will jetzt auf eine Angelegenheit übergehen, die ein anderer amerikanischer Diplomat vorgebracht hat. Ich möchte Sie gern über den Bericht des Herrn Bullitt fragen, mit dem Sie, wie ich annehme, übereinstimmen.

Euer Lordschaft! Es ist Nummer L-150, auf Seite 72 des Dokumentenbuches 12. Ich hoffe, daß kein Seitenunterschied mit meiner Seite 72 besteht.

VORSITZENDER: Es ist Seite 74.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Jawohl, es ist Seite 74. Entschuldigen Sie bitte.

[Zum Zeugen gewandt:]

Es ist der zweite Absatz. Nachdem er berichtet hat, daß er ein Gespräch mit Ihnen geführt hätte, sagt er folgendes:

»Herr Neurath sagte, die Politik der Deutschen Regierung wäre, in Auslandsangelegenheiten nichts zu unternehmen, bis ›das Rheinland verdaut sei!‹ Er erklärte, daß er damit sagen wolle, daß die Deutsche Regierung alles tun würde, um einen Aufstand der Nationalsozialisten in Österreich eher zu verhindern, denn zu ermutigen und daß sie sich auch mit Bezug auf die Tschechoslowakei zurückhalten werden, bis die deutschen Befestigungen an der französischen und belgischen Grenze fertiggestellt wären. ›Sobald unsere Befestigungen gebaut sind und die mitteleuropäischen Länder merken, daß Frankreich nicht jederzeit deutsches Gebiet betreten kann, werden diese Länder ihre Außenpolitik ändern, und eine neue Konstellation wird sich bilden‹, sagt er.«

Geben Sie zu, das gesagt zu haben?

VON NEURATH: Ja, ja, gewiß. Ich habe gestern oder vorgestern schon eingehend ausgeführt, was das bedeuten sollte. Im übrigen ist das egal...

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich möchte sehen, ob Sie auch mit meiner Auslegung des von Ihnen Gesagten übereinstimmen. Nämlich: Sobald Ihre Befestigungen an der Westfront in genügender Stärke fertiggestellt wären, wollten Sie versuchen, den Anschluß mit Österreich durchzuführen und das Sudetenland von der Tschechoslowakei zurückzuerhalten. So haben Sie das doch gemeint, nicht wahr?

VON NEURATH: Nein, nein, keineswegs. Das steht übrigens ganz klar da drin. Ich habe damit sagen wollen und auch ausgedrückt, daß diese Länder, speziell die Tschechoslowakei und Frankreich, ihre Politik Deutschland gegenüber ändern würden, da sie nicht mehr so leicht durch Deutschland marschieren konnten.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie verstehen doch, Angeklagter, was ich Ihnen vorhalte. Ich glaube, ich habe ziemlich klar ausgedrückt, daß zu der Zeit, in der Sie die Westmächte mit der neuerlichen Militarisierung Deutschlands und des Rheinlands bedrohten – das war im Jahre 1935 und 1936 – von Ihnen neue Zusicherungen an Österreich gegeben wurden, so von Hitler im Mai 1935; und im Jahre 1936 haben Sie diesen Vertrag abgeschlossen. Sobald Sie Ihre ersten Schritte verdaut hatten, wandten Sie sich gegen Österreich und gegen die Tschechoslowakei im Jahre 1938. Ich behaupte, daß Sie die volle Wahrheit gesagt und mit der Genauigkeit einer Kassandra Prophezeiungen gemacht hatten. Ich behaupte also, daß Sie doch sehr genau wußten, daß solche Absichten bestanden haben.

VON NEURATH: Was?

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie sagen, Sie hätten es nicht gewußt?

VON NEURATH: Keineswegs, keineswegs, keineswegs. Das ist eine Annahme von Ihnen, die durch gar nichts bewiesen ist.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wir werden uns darüber nicht streiten, da wir einen weiteren Punkt betrachten wollen, bevor wir uns dem Jahre 1937 zuwenden.

Sie haben vor dem Gerichtshof nicht nur einmal, sondern sehr oft behauptet, Sie hätten die Einstellung der Nazis zu den christlichen Kirchen, das heißt die Unterdrückung der Kirchen nicht gebilligt. Ich habe es doch richtig verstanden, nicht wahr?

VON NEURATH: Jawohl, jawohl.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Und Sie behaupten, Sie hätten Widerstand geleistet und gegen die Verfolgung der Kirchen aktiv eingegriffen. Wollen Sie sich nun Dokument Nummer 3758-PS ansehen!

Euer Lordschaft! Es wird GB-516. Sie werden es im Dokumentenbuch Nummer 12a, Seite 81 finden.

Es ist dies eine Eintragung, die scheinbar ziemlich früh im Jahre 1936 in das Tagebuch des Reichsministers der Justiz gemacht worden ist:

»Reichsaußenminister übersendet mit persönlichem Schreiben zur vertraulichen Kenntnisnahme einen Brief des Kardinal-Staatssekretärs Pacelli« – das ist der jetzige Papst – »an den Botschafter beim Heiligen Stuhl, indem er sich für einen Gnadenakt gegenüber dem Generalvikar Seelmeyer einsetzt. Er bemerkt dazu,« nämlich der Reichsaußenminister, »daß nach den schweren Angriffen des Heiligen Stuhls in der Note vom 29. Januar gegen den deutschen Richterstand nach seiner Ansicht an sich kein Anlaß bestände, dem Vatikan Entgegenkommen zu zeigen, empfiehlt dieses jedoch, da aus außenpolitischen Gründen ein Interesse bestehe, die guten persönlichen Beziehungen zu Pacelli nicht erkalten zu lassen.«

Nun, Angeklagter, wollen Sie mir sagen, was auch nur auf das geringste persönliche Interesse an dem Schicksal des Pater Seelmeyer hinweist. Oder waren Sie einzig und allein darauf bedacht, dem Vatikan gegenüber eine starke Front zu zeigen und Ihre guten Beziehungen zu Kardinal Pacelli nicht zu verlieren?

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Herr Vorsitzender! Ich habe dieses Dokument eben vorgelegt bekommen. Ich habe gar keine Möglichkeit gehabt, mich irgendwie für diese Dokumente zu interessieren und darüber zu erkundigen. Mir ist auch nicht bekannt, daß bisher in diesem Verfahren die Rede gewesen ist von einem Tagebuch des Reichsjustizministers. Ich kann also gar nicht beurteilen, wieso der Reichsjustizminister überhaupt diese Notiz in seinem Tagebuch aufgenommen haben kann.

Und ich kann auch aus diesen, anscheinend aus dem Zusammenhang herausgegriffenen Notizen mir gar kein Bild machen – und noch weniger natürlich der Angeklagte – was diese ganze Notiz zu bedeuten hat.

Ich muß also gegen die Zulassung dieser Frage und gegen die Vorlage dieses Dokuments protestieren.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Das ist ein vollkommen einwandfreies, erbeutetes Dokument. Es ist eine Abschrift des Originaltagebuches des Reichsministers der Justiz, und es kann daher gegen den Angeklagten verwendet werden.

VORSITZENDER: Dr. von Lüdinghausen! Sie können sich das Originaldokument ansehen.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft! Mir wird soeben von meinen amerikanischen Kollegen mitgeteilt, daß dieses Tagebuch schon vorher verwendet wurde und daß Auszüge daraus im Fall gegen den Angeklagten von Schirach eingereicht wurden.

VON NEURATH: Herr Präsident! Ich habe gar keine Bedenken...

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Ich habe nichts verstehen können, Herr Vorsitzender. Ich habe leider nicht verstehen können. Jetzt verstehe ich wieder.

VORSITZENDER: Wenn Sie einen Einwand machen, dann sollten Sie sich vergewissern, daß die Apparatur in Ordnung ist.

Ich sagte, Sie könnten das Originaldokument sehen. Mir wird jetzt auch mitgeteilt, daß das Originaldokument schon vorher verwendet wurde; es ist demnach kein Grund vorhanden, es jetzt im Kreuzverhör nicht zu verwenden. Es ist ein erbeutetes Dokument, und Sie können das Original einsehen.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Das wußte ich nicht, das war mir nicht bekannt.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich halte Ihnen vor, Angeklagter, daß Ihre Erklärung dem Justizminister gegenüber keine Besorgnis um den angeklagten Priester zeigt, sondern sich nur mit den Beziehungen zum Vatikan und zum damaligen Kardinal Pacelli beschäftigt. Ist das typisch für Ihre Vermittlungen? Ist es ein typisches Beispiel Ihres Eintretens für mißhandelte Priester?

VON NEURATH: Ich kann mich dieses Falles natürlich nicht mehr erinnern, aber so, wie es da in der Notiz steht, ist das durchaus berechtigt von mir, ich habe da drin – immer nach der Notiz – gesagt, daß wir keine Veranlassung hätten, ein besonderes Entgegenkommen zu zeigen, nachdem der Kardinal-Staatssekretär oder Papst den deutschen Richterstand angegriffen hätte, daß ich aber als Außenminister Wert darauf legte, die Beziehung zu Pacelli nicht zu trüben. Ich weiß nicht, was Sie daraus schließen wollen.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Gut, ich will nicht in das Fragengebiet meiner sowjetischen Kollegen eingreifen, aber Sie wissen, daß der tschechische Bericht Sie, soweit es sich um die Religionsgemeinschaften handelt, vollständiger Unparteilichkeit anklagt, daß Sie und Ihre Regierung die Katholiken, Protestanten, die tschechische Nationalkirche und sogar die orthodoxe Kirche in der Tschechoslowakei mißhandelt hätten. Sie wissen, daß unter Ihrem Protektorat alle diese Kirchen leiden mußten. Geben Sie zu, daß alle diese Kirchen unter Ihrem Protektorat litten?

VON NEURATH: Nein, keineswegs.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Gut, gut. Ich habe nicht die Absicht, mich in Einzelheiten zu verlieren, ich behaupte jedoch, daß Ihre Sorge um die verschiedenen religiösen Bekenntnisse nicht sehr tiefgehend war.

VON NEURATH: Das ist wieder eine Behauptung von Ihnen, die Sie nicht beweisen können.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich möchte Ihnen noch eine Sache vorhalten. Erinnern Sie sich daran, vor dem Gerichtshof heute früh behauptet zu haben, daß Sie mit dem Erzbischof von Prag auf sehr gutem Fuße standen?

VON NEURATH: Ich habe gesagt, daß ich gute Beziehungen mit dem Erzbischof hatte.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich möchte, daß Sie sich diese Abschrift ansehen.

Euer Lordschaft! Es ist eine Abschrift, aber General Ecer versichert mir, daß er das Original aus den Akten der Tschechischen Regierung bekommen kann. Ich habe es erst vor einer halben Stunde erhalten. General Ecer, der aus der Tschechoslowakei kommt, sagt, daß er für das Original bürgen kann.

Angeklagter! Ich möchte, daß Sie es ansehen. Ist dies ein Brief, den Sie von dem Erzbischof erhielten?

Euer Lordschaft! Es ist D-920, das die Nummer GB-517 erhält.

»Euer Exzellenz! Hochverehrter Herr Reichsprotektor!

Ihr letztes Schreiben hat mich mit solchem Leid erfüllt, denn ich mußte demselben entnehmen, daß nicht einmal Exzellenz mir glauben wollen, daß ich bewußtlos geworden bin und den Universitätsprofessor M. U. Dr. Jirasek rufen mußte, welcher eine Stunde an meinem Krankenlager verweilte. – Heute kommt er wieder mit einem Spezialisten für innere Krankheiten.« Dann gibt er den Namen dieses Spezialisten an.

»Exzellenz wollen überzeugt sein, daß, was immer ich Ihnen zuliebe tun kann, ich tun werde. Bitte jedoch auch Erbarmen mit mir zu haben und von mir nicht zu verlangen, daß ich gegen die Kirchengesetze handle.

Mit vorzüglicher Hochachtung

Karl Kard. Kaspar, m. p.,

Fürsterzbischof.«

Erinnern Sie sich daran?

VON NEURATH: Ich kann nicht sagen, worauf sich das bezieht. Ich habe keine Ahnung, da steht es nicht drin, und ich kann Ihnen ja auch nicht sagen, worauf sich dies bezogen hat.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie können sich nicht daran erinnern, daß Ihnen der Erzbischof geschrieben, über die Auswirkung seiner Krankheit erzählt und Sie dringendst gebeten hat, ihn nicht zu ersuchen, irgend etwas gegen die Kirchengesetze zu unternehmen? Sie erinnern sich gar nicht daran?

VON NEURATH: Nein.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Gut, wir wollen uns nicht mehr damit beschäftigen.

Nun möchte ich, bevor wir uns den späteren Ereignissen im Jahre 1937 zuwenden, von Ihnen folgendes beantwortet haben: Sie erinnern sich, daß Sie gestern von Ihrer Rede, ich glaube vor der Akademie für Deutsches Recht, sprachen. Erinnern Sie sich an diese Rede im August 1937? Ich kann Ihnen einen Hinweis geben. Wollen Sie sich ihn ansehen?

VON NEURATH: Ich brauche bloß diesen Hinweis, wo ich gesprochen habe.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Erinnern Sie sich? Ich wollte nur Zeit sparen. Erinnern Sie sich nicht? Ich werde es Ihnen, wenn Sie wollen, vorlegen lassen. Es ist die Rede vom 29. August 1937. Ich werde es sofort verlesen.

Ich wollte Sie nun folgendes fragen. Sie sagten: »Die Einheit des rassischen und nationalen Willens, mit unvorhergesehenem Elan durch den Nationalsozialismus hervorgerufen, hat eine auswärtige Politik ermöglicht, durch die die Ketten des Versailler Vertrages gebrochen wurden.« Was meinten Sie mit »Einheit des rassischen Willens, der durch den Nationalsozialismus hervorgerufen wurde«?

VON NEURATH: Damit meinte ich wahrscheinlich, daß die Deutschen alle geeint gewesen seien, mehr als vorher. Ich kann das heute auch nicht mehr sagen, was ich damit meinte. Aber im übrigen habe ich in dieser Rede ja bloß eine Tatsache konstatiert.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich verstehe. Jetzt sagen Sie mir folgendes: Das war im August 1937; Sie haben vor dem Gerichtshof ausgesagt, welche Wirkung die Worte Hitlers vom 5. November 1937 auf Sie gehabt haben, und Ihr Verteidiger hat eine Aussage der Baroneß von Ritter vorgelegt.

VON NEURATH: Im November?

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja, im November 1937.

VON NEURATH: Jawohl.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun, nachdem diese Worte solch eine Wirkung auf Sie gehabt haben: Mit welchen bei der Hoßbach-Konferenz anwesenden Persönlichkeiten haben Sie denn diese Rede erörtert?