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[Der Zeuge betritt den Zeugenstand.]

VORSITZENDER: Geben Sie bitte Ihren vollen Namen an!

ZEUGE DR. GERHARD KÖPKE: Gerhard Köpke.

VORSITZENDER: Wollen Sie mir diesen Eid nachsprechen: »Ich schwöre bei Gott, dem Allmächtigen und Allwissenden, daß ich die reine Wahrheit sagen, nichts verschweigen und nichts hinzusetzen werde.«

[Der Zeuge spricht die Eidesformel nach.]

Sie können sich setzen.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Herr Doktor! Seit wann kennen Sie Herrn von Neurath?

KÖPKE: Ich kenne Herrn von Neurath seit über 40 Jahren. Seine Laufbahn ist bekannt. Ich kann mich daher darauf beschränken anzugeben, daß wir als Vizekonsule in London, als Legationsräte im Auswärtigen Amt und später, nach Antritt des Ministeriums durch Herrn von Neurath im Jahre 1932, bis zu meinem Ausscheiden im Jahre 1935 zusammengearbeitet haben. In der Zwischenzeit war von Neurath in Kopenhagen, Rom, London, dann einige Zeit in seiner Heimat und schließlich in Praha, da haben wir uns nur gelegentlich während meiner Anwesenheit in Berlin gesehen und einen verhältnismäßig regen Briefwechsel miteinander als alte Freunde gepflogen. Ich selbst war in der ganzen Zeit im Auswärtigen Amt tätig und war dort seit 1921 Direktor der Rechtsabteilung und von 1923 ab Direktor der politischen, sogenannten Westabteilung, die ich bis zu meinem Ausscheiden aus dem Dienst geleitet habe. Den Abschied habe ich freiwillig erbeten, Ende 1935.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Was wissen Sie nun über die Einstellung, die Grundeinstellung des Herrn von Neurath zur Innen- und Außenpolitik, aber nur in großen Zügen?

KÖPKE: Innenpolitisch stand Herr von Neurath den konservativen Kreisen nahe, ist aber niemals Mitglied der Konservativen Partei geworden. Aus dieser konservativen Grundeinstellung heraus und auch wegen seiner hervorstechenden Charaktereigenschaften, Pflichttreue und Zuverlässigkeit hat er das Vertrauen des Reichspräsidenten von Hindenburg gewonnen und auch bis zu dessen Tod ununterbrochen behalten. Herr von Hindenburg schätzte Neurath ebenso als besonnenen, maßvollen, zuverlässigen Diplomaten. Übrigens standen auch Männer anderer Parteirichtungen Neurath vertrauensvoll gegenüber. Ich erwähne nur den verstorbenen Reichspräsidenten Ebert, der seinerzeit Neurath in das Amt zurückgeholt hat.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Was wissen Sie über die Berufung Herrn von Neuraths zum Reichsaußenminister im Sommer 1932?

KÖPKE: Die Berufung Herrn von Neuraths zum Reichsaußenminister beruhte auf einem persönlichen Wunsch des Reichspräsidenten von Hindenburg. Neurath ist nicht Außenminister im Rahmen des Kabinetts von Papen geworden, sondern wurde und war es als besonderer Vertrauensmann des Reichspräsidenten von Hindenburg.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Wie kam es nun zu einem Verbleiben Herrn von Neuraths als Außenminister auch in der neuen Regierung Hitlers?

KÖPKE: An den Verhandlungen mit Hitler über die Machtübernahme ist Herr von Neurath meines Wissens nicht beteiligt gewesen. Er lag, wenn ich mich auf mein Gedächtnis verlassen kann, an den maßgebenden Tagen mit einer Herzneurose krank im Bett. Er blieb aber Außenminister, wiederum auf besonderen Wunsch von Hindenburg.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Können Sie uns irgend etwas sagen über die Einstellung, das Verhältnis Neuraths zu Hitler?

KÖPKE: Einleitend möchte ich bemerken, daß ich als Zeuge aus eigener unmittelbarer Beobachtung hierüber nichts aussagen kann. Ich war niemals bei Besprechungen, die Herr von Neurath mit Hitler hatte, zugegen. Ich selbst habe mit Hitler überhaupt niemals ein dienstliches Gespräch geführt. Aber nach Neuraths eigener Schilderung und nach den Mitteilungen, die ich von anderen maßgeblichen Persönlichkeiten im Laufe der Zeit erhalten habe, hatte ich den Eindruck, daß Hitler, vor allem in den ersten Jahren, Herrn von Neurath pfleglich und höflich behandelte. Inwieweit dabei die Rücksicht auf den Reichspräsidenten mitgespielt hat, dessen Vorliebe für Herrn von Neurath Herrn Hitler natürlich bekannt war, weiß ich nicht anzugeben. Jedenfalls ist Neurath niemals ausgesprochener Vertrauensmann Hitlers gewesen und gehörte auch nicht zu den engen, sich um Hitler persönlich scharenden Kreisen der Parteigewaltigen. Nach dem Tode des Reichspräsidenten von Hindenburg ist Neurath geblieben, weil er dem Reichspräsidenten das Versprechen gegeben hatte, dies zu tun. Neurath hat dann auch in der Folgezeit immer wieder seinen mäßigenden und beruhigenden Einfluß gegenüber der Partei zur Geltung zu bringen versucht. Mir ist aber bekannt, daß, als sich Enttäuschungen und Meinungsverschiedenheiten häuften, Herr von Neurath mehrfach versucht hat, sich von Hitler zu trennen. Mir sind in dieser Beziehung zwei Abschiedsgesuche in Erinnerung, von denen er eines mir gezeigt hat. Es war schriftlich und muß noch von Anfang des Jahres 1936 datiert gewesen sein. Denn ich war damals bereits verabschiedet und besuchte Neurath rein freundschaftlich und privat.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Können Sie uns nun auch ein ganz kurzes Bild geben über die Einstellung Neuraths zur Nationalsozialistischen Partei?

KÖPKE: Herr von Neurath stand der Partei und besonders den leitenden Männern zunächst abwartend gegenüber. Meines Wissens war ihm, der ja die längste Zeit im Ausland gelebt hatte, kaum einer dieser Herren näher persönlich bekannt. Neurath war davon überzeugt, daß es ihm auf Grund seiner langjährigen Erfahrungen als alter Diplomat und gestützt auf seine Vertrauensstellung beim Reichspräsidenten und dessen maßgebenden Einfluß gelingen wird, im Sinne seiner auf Ausgleich und Verständigung gerichteten Politik zu wirken. Neurath hat sich dabei mir gegenüber, und ich glaube, auch anderen Kollegen gegenüber häufig auf seine Erfahrungen berufen, die er in dieser Beziehung in Rom mit dem Faschismus gemacht hatte. Er äußerte sich gelegentlich in dem Sinne, man müsse solche revolutionäre Elemente sich ruhig entwickeln lassen, die Heißsporne kämen schon von selbst zur Besinnung und Vernunft, wenn man ihnen nur Zeit und Gelegenheit gäbe, an verantwortungsvollen Stellen selber Erfahrungen zu sammeln.

Übrigens teilte Neurath damit auch die Ansicht des damaligen Staatssekretärs von Bülow. Er hat diesen Staatssekretär des Herrn Reichskanzlers Brüning behalten und bis zu dessen Tode auch gegen wiederholte Versuche der Partei, ihn auszubooten, beibehalten.

Übrigens möchte ich hier ein kleines, für uns im Amt damals sehr wertvolles Detail erwähnen. Als der allgemein beliebte Staatssekretär von Bülow plötzlich starb, hat es Neurath durchgesetzt, daß an der Trauerfeier in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche Hitler persönlich teilnahm. Die alte Beamtenschaft des Auswärtigen Amtes erblickte darin erfreut und beruhigt ein gutes Zeichen für die starke Stellung unseres Ministers gegenüber der Partei. Dieses an sich vielleicht nebensächliche Ereignis fand genau heute vor zehn Jahren statt.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Als Leiter der Politischen Abteilung des Auswärtigen Amtes waren Sie doch einer der ersten Mitarbeiter von Neuraths und können uns sicherlich sagen, von welcher Grundtendenz Neuraths Außenpolitik beherrscht war?

KÖPKE: Neuraths politische Gesamteinstellung war nach seinem ganzen Charakter und seiner langjährigen Erfahrung dem politischen Geschäft entsprechend eingerichtet auf Ausgleich, Abwartung, Verhandlung. Ultimative Schritte und gewaltsame Lösungsversuche lagen Herrn von Neurath schon seinem Wesen nach nicht. Neurath war weder ein Spieler noch eine Kämpfernatur.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Ich komme nun zu einzelnen wichtigen außenpolitischen Begebenheiten, die sich während Ihrer Zeit, in der Sie unter Herrn von Neurath Leiter der Politischen Abteilung waren, abgespielt haben. Im Oktober 1933 erfolgte der Austritt Deutschlands aus der Abrüstungskonferenz und aus dem Völkerbund. Ich möchte Ihnen hierzu nun die Frage vorlegen, ob diesem Austritt Deutschlands aus Konferenz und Völkerbund, ob diesem Austritt irgendwelche aggressive oder kriegerische Tendenzen für den Moment oder für die Zukunft zugrunde lagen?

KÖPKE: Nein. Soweit sich das Bild bei den von dem Verteidiger erwähnten Ereignissen für uns, die Sachbearbeiter, darstellt, war es folgendes:

An kriegerische Pläne oder Vorbereitung zu kriegerischen Unternehmungen hat bei uns im Auswärtigen Amt dabei niemand gedacht. Es handelte sich dabei lediglich um eine möglichst eindrucksvolle Bekundung, daß Deutschland es sich nicht mehr länger gefallen lassen könne, nicht als ein Volk mit den gleichen Rechten und Pflichten wie alle anderen Völker behandelt zu werden.

Ebenso wenig lag der Militarisierung des Rheinlandes weder für den Moment noch für die Zukunft irgendeine aggressive Absicht zugrunde.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Es kam nun im Laufe der weiteren Jahre 1935 zur Wiedereinführung der Wehrhoheit durch Deutschland und ein Jahr später zur Remilitarisierung der entmilitarisierten Zone des Rheinlandes. Ich möchte Ihnen hierzu einen Satz aus einem Affidavit des früheren Gesandten und Dolmetschers Paul Schmidt vom Auswärtigen Amt vorlegen. Er sagt bezüglich der Ereignisse im Frühjahr 1935 folgendes:

»Der Abschluß eines Beistandspaktes zwischen Frankreich und Rußland am 2. Mai 1935 folgte die Verkündung der Gründung einer deutschen Luftwaffe und der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht im März 1935.«

Ich bitte Sie, nun uns einen ganz kurzen Überblick über die historische Entwicklung der Dinge zu geben, die zur Wiedereinführung der Wehrhoheit im März 1935 und zur Remilitarisierung des Rheinlandes im März 1936 führten.

KÖPKE: Ich glaube...

VORSITZENDER: Dr. von Lüdinghausen! Wir haben die historische Entwicklung dieser Dinge immer und immer wieder gehört. Wir brauchen sie doch nicht von diesem Zeugen wieder zu hören.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Nur ganz kurz, nur die Daten aneinandergereiht, Herr Präsident. Keinerlei Ausführungen dazu. Ich möchte nur nochmals scharf herausheben, wie sich die einzelnen Dinge aneinanderreihen.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof hat die Daten im Gedächtnis. Wir kennen diese Daten bereits seit mehreren Monaten auswendig.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Gut, also wenn das Gericht glaubt, daß es nicht nötig ist, es zu informieren, muß ich natürlich darauf verzichten. Ich komme dann zu einer letzten...

VORSITZENDER: Sie können ihm die beabsichtigten Fragen stellen, aber Sie sagten: »geben Sie uns die historische Entwicklung ab 2. Mai 1935«. Wir haben das schon sehr häufig gehört.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Herr Präsident! Mir lag nur am Folgenden: Aus diesem Affidavit des Herrn Schmidt, das ich eben zitiert habe, könnte man ohne weiteres folgern...

VORSITZENDER: Stellen Sie ruhig die Frage über dieses Affidavit, die Sie stellen wollten.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Dann werde ich die Frage folgendermaßen formulieren: