[Der Zeuge betritt den Zeugenstand.]
VORSITZENDER: Bitte wollen Sie Ihren vollen Namen angeben?
ZEUGE DR. HANS HEINRICH DIECKHOFF: Hans Heinrich Dieckhoff.
VORSITZENDER: Wollen Sie mir diesen Eid nachsprechen: »Ich schwöre bei Gott, dem Allmächtigen und Allwissenden, daß ich die reine Wahrheit sagen, nichts verschweigen und nichts hinzusetzen werde.«
[Der Zeuge spricht die Eidesformel nach.]
VORSITZENDER: Der Gerichtshof vertagt sich nunmehr.
[Das Gericht vertagt sich bis 14.00 Uhr.]
Nachmittagssitzung.
[Der Zeuge Dieckhoff im Zeugenstand.]
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft! Der erste Antrag ist für den Angeklagten von Neurath und bezieht sich auf Herrn François-Poncet. Er wurde schon behandelt und ist erledigt.
Dann, Euer Lordschaft, als nächstes liegt ein Antrag von Dr. Marx für den Angeklagten Streicher vor auf Einreichung eines Affidavits des Verlegers Gaßner vom »Stürmer«. Euer Lordschaft, der Verleger soll die Frage des Aufstiegs und der Verbreitung des »Stürmer« in den Jahren 1933 bis 1935 behandeln. Die Anklagebehörde hat dem Gerichtshof gegenüber bereits damals erklärt, daß sie dies nicht für erheblich hält, als der Antrag, Gaßner zur Zeugenschaft zu rufen, gestellt wurde. Die Anklage vertritt auch jetzt denselben Standpunkt. Euer Lordschaft, es handelt sich um ein Affidavit. Wir überlassen es dem Gerichtshof, ob er dieses Affidavit haben will; aber die Anklagebehörde sieht die Erheblichkeit dieses Beweismittels nicht ein.
VORSITZENDER: Wünscht Dr. Marx jetzt etwas dazu zu sagen?
DR. HANNS MARX, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN STREICHER: Herr Präsident! Ich habe mit dem Angeklagten Streicher eben wegen dieser Sache gesprochen, und er sagt mir, daß der von mir in Aussicht genommene Zeuge, Herr Gaßner, von dem ein Affidavit vorgeschlagen war, nur in der Lage sei, vom Jahre 1941 ab eine Angabe über die Bewegung, über die Auflagebewegung des »Stürmer« zu machen. Das hat für die Verteidigung selbstverständlich keinerlei Interesse. Ich würde also von dem Affidavit Abstand nehmen und mich auf das beziehen, was der Zeuge Hiemer nach dieser Richtung bekundet. Es wäre also gar nicht notwendig, dieses Affidavit noch weiter aufrechtzuerhalten.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft! Der nächste Antrag stammt von Dr. Kranzbühler für den Angeklagten Dönitz auf weitere Erwägung und auf Zulassung des Affidavits des früheren Marinerichters Jäckel mit Rücksicht auf den Verlauf des Kreuzverhörs.
Euer Lordschaft! Ich glaube, der passendste Weg wäre, daß die Anklagebehörde jetzt keinen Einspruch gegen den Antrag erhebt, sich jedoch das Recht vorbehält, einen Einspruch in Betracht ziehen zu dürfen, wenn Dr. Kranzbühler von dem Affidavit den von ihm gewünschten Gebrauch macht.
VORSITZENDER: Das ist tatsächlich Material für die Gegenbeweisführung, nicht wahr?
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja, zur Widerlegung der Punkte, die im Kreuzverhör aufgeworfen wurden. Es ist sehr schwierig zu entscheiden, ob man einen endgültigen Einspruch erheben soll, bevor man weiß, welchen Gebrauch Dr. Kranzbühler von dem Affidavit machen wird. Ich schlage vor, daß wir in diesem Stadium keine Einwendung erheben.
VORSITZENDER: Gut, diese Anträge und die Anordnungen des Gerichtshofs auf Zulassung von Zeugen unterliegen ja immer dieser Bedingung.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft! Dann erhebt die Anklage keinen weiteren Einspruch.
Euer Lordschaft! Dann sind hier noch zwei Anträge für den Angeklagten von Neurath. Ein Gesuch um Protokolle aus dem Fragebogen des...
VORSITZENDER: Sie sind beide zurückgezogen worden, nicht wahr?
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Oh, wurden sie das? Ich war nicht sicher.
Euer Lordschaft! Dann stellt Dr. Thoma für den Angeklagten Rosenberg Anträge in drei Dingen: den Austausch von Schreiben zwischen Dr. Ley und dem Angeklagten, die Eintragungen von Dr. Strauber vom 27. Mai 1944 und drittens eine Notiz von Ministerialrat Dr. Beil.
Euer Lordschaft! Die Anklagebehörde hält diese Dokumente für kumulativ und überläßt dem Gerichtshof die Entscheidung mit dem Hinweis, daß der Fall schon voll erledigt wurde. Ich weiß nicht, ob Dr. Thoma noch etwas sagen will.
DR. THOMA: Hohes Gericht! Ich möchte nur ganz kurz darauf zurückkommen, daß offenbar in der Sache des Ministerialrats Dr. Beil ein Irrtum vorliegt. Hier handelt es sich um einen Fragebogen. Ich habe an Beil einen Fragebogen gesandt, der noch nicht zurückgekommen ist. Sonst weiß ich nichts über diese Sache; aber ich habe einen Antrag gestellt, der noch nicht erwähnt worden ist. Ich habe gebeten darum, daß einige von Rosenbergs Schriftstücken »Tradition und Gegenwart«, neue Reden und Übersetzungen, in das Dokumentenbuch aufgenommen werden könnten, und zwar behandeln sie Fragen, die damals anläßlich von Gauschulungssitzungen und Besprechungen aufgetaucht sind und die auch bestehen auf Fragen des Zusammenlebens der Völker Europas untereinander, der religiösen Toleranz und des Eintretens für ein ideales Menschentum und ähnliche Aufsätze. Ich bitte, diese Aufsätze noch zuzulassen. Sonst habe ich keinen Antrag zu stellen und stelle im übrigen die Entscheidung in das Ermessen des Gerichts.
VORSITZENDER: Wenn ich Sie richtig verstanden habe, Dr. Thoma, dann haben Sie auf keinen der uns vorliegenden Anträge Bezug genommen. Die Anträge, die vor uns liegen, sind ein Briefwechsel zwischen Dr. Ley und dem Angeklagten vom Herbst 1944, dann eine Eintragung von Dr. Strauber; der dritte ist ein Schreiben von Dr. Beil. Haben Sie auf diese Bezug genommen oder nicht?
DR. THOMA: Ja, das stimmt. Ich muß auch gestehen, daß mir diese Anträge vollständig fremd sind. Die Anträge muß der Angeklagte Rosenberg auf eigene Faust gestellt haben, denn ich kann keine Spur von ihnen finden; vielleicht ist ein Versehen erfolgt in dem Memorandum an das Tribunal. Ich kenne die Anträge nicht.
VORSITZENDER: Nun, Dr. Thoma, die Exemplare der Anträge liegen vor uns, und beide sind vom Angeklagten Rosenberg und von Ihnen selbst unterschrieben.
DR. THOMA: Dann muß es schon seit Monaten erfolgt sein. Ich kann mich daran nicht mehr erinnern; dies ist vom 3. Juni.
VORSITZENDER: Sie wollen sie jedenfalls nicht mehr?
DR. THOMA: Antrag Nummer 3 ist erledigt.
Ich habe jetzt die Anträge wieder gelesen, und ich erinnere mich an sie. Ich bitte Sie, in einer für den Angeklagten günstigen Weise zu entscheiden.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft! Die nächsten Anträge betreffen eine Anzahl von Dokumenten für den Angeklagten von Papen, und die Anklagebehörde hat keinen Einwand dagegen.
VORSITZENDER: Sir David! Eine ganze Menge von ihnen... sicher die Nummern 3, 5 und 13 sind entweder zugelassen oder abgewiesen worden, denke ich.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: So ist es, Euer Lordschaft. Ich hatte eine Notiz zu Nummer 13. Ich glaube wirklich, daß sie schon behandelt wurden, Euer Lordschaft. Sie sind in den Büchern, und ich glaube nicht, daß eine weitere Besprechung erforderlich ist.
VORSITZENDER: Sind sie alle im Buch?
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich glaube ja, Euer Lordschaft. Ich weiß nicht, ob Dr. Kubuschok sagt, daß er mit mir übereinstimmt.
VORSITZENDER: Sehr gut.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft! Der nächste Antrag ist für den Angeklagten Bormann, nämlich ein Gesuch um Beschaffung eines Erlasses Hitlers und eines Erlasses von Bormann von 1944. Die Anklagebehörde erhebt keinen Einspruch gegen diese Dokumente.
VORSITZENDER: Ich verstehe nicht ganz, worum es sich bei dem letzteren handelt. Können Sie mir sagen, worum es sich handelt?
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft! Ich selbst verstand es so, daß es »zum« SD heißt und nicht »vom« SD, nämlich die Zugehörigkeit von Angehörigen des Hauptbüros der Nationalsozialistischen Partei zum SD.
Ich fürchte, daß diese meine Vermutung keine Zustimmung findet.
DR. FRIEDRICH BERGOLD, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN BORMANN: Euer Lordschaft! Hier handelt es sich um die Verfügung Bormanns, in der er Angehörigen der Parteikanzlei verboten hat, dem SD anzugehören. Eine Verfügung Bormanns für die Parteikanzlei.
VORSITZENDER: Ich danke Ihnen.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft! Die übrigen Anträge sind für den Angeklagten Göring auf Zulassung eines Affidavits des Barons von Gersdorff und eines Buches von Joseph Chapski. Euer Lordschaft, mein sowjetischer Kollege hat diesen Antrag schon in einer schriftlichen Eingabe vom 20. Juni behandelt. Ich will dazu nicht mehr sagen. Oberst Pokrowsky, Euer Lordschaft, ist hier, wenn Sie ihn weiter hören wollen.
VORSITZENDER: Ich dachte, wir hätten schon eine Anordnung dazu erlassen.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft hat das getan.
VORSITZENDER: Es scheint, daß wir am 9. Juni angeordnet haben, für Göring könnten drei Zeugen vorgeladen werden, entweder persönlich... Vielleicht wäre es besser, wenn wir Dr. Stahmer darüber hören würden.
DR. OTTO STAHMER, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN GÖRING: Herr Präsident! Ich habe den Beschluß des Gerichts so aufgefaßt. Ich hatte den Antrag gestellt, es waren fünf Zeugen. Das Gericht hat gesagt, von diesen fünf Zeugen dürfte ich nur drei Zeugen vorführen.
VORSITZENDER: Das ist richtig.
DR. STAHMER: Hinsichtlich der Affidavits war in dem Beschluß nach meiner Erinnerung nichts gesagt, so daß ich davon ausgegangen bin, daß ich bei der Bitte um Zulassung von Affidavits nicht gehindert bin, sofern das Gericht sie für notwendig hält.
VORSITZENDER: Dr. Stahmer! Haben Sie nicht, nachdem der Gerichtshof die Beschränkungen der Zahl der Zeugen auf drei angeordnet hatte, eine Mitteilung erhalten und, ich glaube, auch beantwortet, wonach Sie vorschlugen, daß Sie möglicherweise auf die mündlichen Zeugen verzichten und die ganze Angelegenheit durch Affidavits erledigen könnten?
DR. STAHMER: Jawohl, Herr Präsident, die Nachricht habe ich bekommen. Ich habe deswegen auch schon mit der Russischen Anklagebehörde verhandelt. Wir sind nicht ganz zu einer Einigung gekommen, und ich habe daher schon vor einigen Tagen einen schriftlichen Antrag an das Gericht gestellt.
VORSITZENDER: Ja, aber wollten Sie nicht zu der Vereinbarung kommen, von beiden Seiten nur je drei Affidavits vorzulegen? Oder waren es mehr als drei?
DR. STAHMER: Nein, es handelt sich nur um die Frage, über die ist noch keine Einigung erzielt, ob mir die Möglichkeit gegeben wird, einige Affidavits hier zur Verlesung zu bringen.
VORSITZENDER: Ich verstehe.
Dr. Stahmer! Ich glaube, die Sache liegt so, daß wir, wenn Sie mit der Sowjetischen Anklagevertretung nicht zu einer Vereinbarung kommen können, bei unserer vorherigen Verfügung bleiben müssen.
DR. STAHMER: Jawohl.
VORSITZENDER: Sie werden sich weiterhin bemühen, mit der Sowjetischen Anklagevertretung zu einer Einigung zu gelangen und dann den Gerichtshof verständigen?
DR. STAHMER: Jawohl.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft! Darf ich vielleicht noch drei Beweisstücke erwähnen? Sie alle beziehen sich auf das Tagebuch des Admirals Aßmann, das während der Verhandlungen der Fälle Dönitz und Raeder hier vorgelegt wurde. Dies bezieht sich auf drei Beweisstücke. Das erste ist Dokument D-879. Wir hielten es für angebracht, die verbindende Seite einzufügen, um den Zusammenhang des Beweisstücks zu wahren. Aus diesem Grunde bittet die Anklagebehörde, das Beweisstück GB-482 zurückzuziehen und durch die beiden Seiten zu ersetzen, die früher darin waren, samt einer verbindenden Seite. Es handelt sich also nur um eine verbindende Seite, Euer Lordschaft.
Das zweite ist Dokument D-881...
VORSITZENDER: Hat die Verteidigung einen Einwand dagegen vorzubringen?
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich glaube nicht, Euer Lordschaft, ich habe von keinem Einwand gehört.
VORSITZENDER: Worauf beziehen sich die Dokumente, sagten Sie?
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Auf das Tagebuch des Admirals Aßmann, der zum Stab des Angeklagten Raeder gehörte.
VORSITZENDER: O ja.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft! Es handelt sich nur darum, das Beweisstück in die richtige Form zu bringen.
Das zweite Dokument, Euer Lordschaft, D-892, ist ebenfalls eine Stelle aus dem gleichen Tagebuch vom 23. Februar 1940. Euer Lordschaft, ich habe versprochen, ein Beweisstück einzureichen, als ich mich mit dem Tagebuch im Kreuzverhör befaßte, und, Euer Lordschaft, das Beweisstück ist nun fertiggestellt, und ich möchte es unter der Nummer GB-475 vorlegen, das heißt D-881 wird GB-475.
Das dritte, für das das gleiche zutrifft wie für das zweite, ist Dokument D-881. Dieses Beweisstück ist nunmehr fertiggestellt und wird GB-476. Exemplare für die Angeklagten liegen vor und werden ihnen nach Genehmigung seitens des Gerichtshofs zugehen.
VORSITZENDER: Natürlich werden solche Exemplare auch dem Gerichtshof vorgelegt werden?
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Natürlich, Euer Lordschaft. Sie warten ja nur auf die formelle Genehmigung durch den Gerichtshof, dann werden sie vorgelegt.
VORSITZENDER: Ja, Sir David, das ist in Ordnung.
Und nun, Sir David, werden wir uns mit der anderen Sache beschäftigen.
Ja, Dr. Thoma?
DR. THOMA: Ich wollte die Gelegenheit ergreifen, den beantworteten Fragebogen von Robert Scholz, dem Leiter des Sonderstabes Rosenberg, dem Gericht vorzulegen. Der Fragebogen ist übersetzt in die englische und französische Sprache, und ich möchte ihn nun dem Gerichtshof als Exhibit Nummer 41 übergeben. Ich habe ihn schon Mr. Dodd gezeigt, Mr. Dodd hat keine Einsprüche erhoben.
VORSITZENDER: Sehr gut.
PROFESSOR DR. HERBERT KRAUS, STELLVERTRETENDER VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN SCHACHT: Herr Präsident! Ich wollte mich vergewissern, ob und bis zu welchem Zeitpunkt wir noch nach dieser Sitzung Affidavits und Urkunden nachreichen dürfen. Der Grund ist der, daß mir in den letzten Tagen zwei Affidavits zugegangen sind und eine Urkunde, über deren Erheblichkeit wir uns noch nicht abschließend schlüssig geworden sind.
VORSITZENDER: Sir David! Der Gerichtshof würde gerne wissen, wann die Anklagevertreter und die Verteidiger diese noch ausständigen Angelegenheiten erledigen wollen; ebenso die Beweismittel, die die Verteidigung oder die Anklagevertretung zur Gegenbeweisführung vorbringen wollen.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja, Euer Lordschaft, ich habe bisher noch keine Möglichkeit gehabt, dies mit den Verteidigern zu besprechen. Aber ich hätte gedacht, am Ende der Beweisaufnahme. Man kann mit Grund annehmen, daß die Beweisführung noch Ende dieser Woche abgeschlossen werden wird. Man könnte sich Samstag vormittag oder Montag damit befassen und so den Verteidigern entgegenkommen; und natürlich, wie der Gerichtshof es entscheidet.
VORSITZENDER: Ja. Der Gerichtshof, denke ich, erwartet, daß die Verteidiger und die Anklagevertreter direkt nach der Beweisaufnahme bereit sein werden, diese zusätzlichen Fragen zu behandeln, die noch ausständig sind, und auch alle Anträge, die sie mit Bezug auf eine Gegenbeweisführung haben mögen.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Jawohl, Euer Lordschaft.
VORSITZENDER: Ich möchte deutlich dahin verstanden werden, daß erwartet wird, daß dies unmittelbar nach Beendigung der Beweisaufnahme geschieht. Das entspricht, glaube ich, der Stellungnahme von Dr. Kraus zu den Affidavits und Dokumenten. Das wäre die geeignetste Zeit.
Sir David! Haben Sie eine Vorstellung, wie lange das dauern wird?
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft! Ich glaube, sehr kurze Zeit. Ich nehme an, daß die Sache in zwei Tagen erledigt sein sollte. Ich habe mit Herrn Dodd darüber gesprochen, und wir sind zu dieser Auffassung gekommen.
VORSITZENDER: Ja. Höchstens zwei Tage?
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Höchstens, Euer Lordschaft, ja.
VORSITZENDER: Sehr gut.
DR. VON LÜDINGHAUSEN: [zum Zeugen Dieckhoff gewandt] Herr Zeuge! Seit wann kennen Sie Herrn von Neurath?
DIECKHOFF: Seit 1913. Ich lernte ihn kennen, als ich in das Auswärtige Amt eintrat. Er war damals Legationsrat im Auswärtigen Amt. Ich habe ihn dann später wiedergesehen in Konstantinopel und habe da mit ihm zu tun gehabt. Bis 1930 habe ich ihn dann nicht mehr wiedergesehen.
DR. VON LÜDINGHAUSEN: In welcher Eigenschaft haben Sie dann von 1930 ab mit Herrn von Neurath zu tun gehabt?
DIECKHOFF: Herr von Neurath war zunächst von 1930 bis 1932 Botschafter in London, und ich leitete im Auswärtigen Amt die Abteilung England-Amerika.
DR. VON LÜDINGHAUSEN: Wie war während dieser Zeit die Zusammenarbeit zwischen dem Auswärtigen Amt, also Ihnen, und Herrn von Neurath? Er war doch damals Botschafter in London?
DIECKHOFF: Die Zusammenarbeit war gut.
DR. VON LÜDINGHAUSEN: Wissen Sie irgend etwas über die Berufung von Herrn von Neurath zum Reichsaußenminister?
DIECKHOFF: Ich erinnere mich, daß die meisten leitenden Beamten des Auswärtigen Amtes bestürzt waren über den plötzlichen Abgang von Brüning, dessen feste und maßvolle Politik wir damals für richtig hielten. Wir haben uns mit dem Wechsel in der Person des Außenministers nur deshalb abgefunden, weil Neurath an die Stelle von Brüning trat, und weil wir wußten, daß Herr von Neurath ein Mann von Maß war und ein erfahrener Diplomat. Außerdem wußten wir, daß er in London die Brüningsche Politik vertreten hatte, und wir erwarteten, daß er die Brüningsche Politik als Außenminister fortsetzen würde. Ich habe Herrn von Neurath, ich glaube am 2. Juni, am Bahnhof in Berlin abgeholt, als er nach Deutschland kam.
Ich hatte aus den Gesprächen von ihm den Eindruck, daß er sehr ungern von London wegging und sehr ungern das Außenministerium übernahm. Aber er sagte mir: Ich werde mich dem Wunsche des Alten Herrn, das heißt des Reichspräsidenten von Hindenburg, wohl nicht entziehen können.
DR. VON LÜDINGHAUSEN: Welche Stellungen hatten Sie selbst inne in der Zeit, als Sie unter Herrn von Neurath im Außenministerium gearbeitet haben?
DIECKHOFF: Zunächst blieb ich Leiter der Abteilung England-Amerika bis 1936. Dann im April 1936 übernahm ich die wiederhergestellte politische Abteilung. Im Juni starb der Staatssekretär von Bülow und ich wurde im August 1936 beauftragt mit der Führung der Geschäfte des Staatssekretärs des Auswärtigen Amtes. In dieser provisorischen Stellung bin ich geblieben bis zum März 1937, dann wurde ich Botschafter in Washington.
DR. VON LÜDINGHAUSEN: Hat Herr von Neurath als Außenminister die alten Beamten des Auswärtigen Dienstes beibehalten?
DIECKHOFF: Er hat fast in allen leitenden Stellen der Zentrale und des Auslandsdienstes die alten Beamten beibehalten. Der Staatssekretär von Bülow zum Beispiel blieb noch volle vier Jahre in derselben Stellung im Auswärtigen Amt, bis zu seinem Tode. Nach London, als seinen Nachfolger, entsandte er den Botschafter von Hösch, nach Rom den Botschafter von Hassel, und nach Paris den Botschafter Köster, alles alte Beamte des diplomatischen Dienstes.
DR. VON LÜDINGHAUSEN: Können Sie uns nun aus Ihren Erfahrungen während Ihrer Tätigkeit die Ziele der Neurathschen Außenpolitik nennen?
DIECKHOFF: Das Ziel von Herrn von Neurath war darauf gerichtet, gute Beziehungen zu allen Staaten zu unterhalten und dadurch die gleichberechtigte Stellung Deutschlands, die wir im Jahre 1919 verloren hatten, allmählich wieder herzustellen. Es war eine Politik, wie die Politik von Stresemann und Brüning. Die Schwierigkeiten der Lage Deutschlands waren Herrn von Neurath bewußt. Er hat wiederholt bei mir darüber gesprochen. Er gab sich darüber keinen Täuschungen hin. Er hat die Dinge realistisch gesehen. Seine Tendenz war: Maßhalten.
DR. VON LÜDINGHAUSEN: Was wissen Sie über den Eintritt Herrn von Neuraths in die Regierung Hitlers, die am 30. Januar 1933 gebildet wurde?
DIECKHOFF: Ich weiß hierüber nur, was mir der Staatssekretär von Bülow mitgeteilt hat, als ich von einem Urlaub Anfang Februar 1933 nach Berlin zurückkam. Danach ist Herr von Neurath an der Neubildung des Kabinetts, das heißt des Kabinetts Hitler, völlig unbeteiligt gewesen. Er war außerdem krank in jenen Tagen. Er hörte von dem Plan, Hitler zum Reichskanzler zu machen und eine neue Regierung zu bilden. Er wollte mit dem Reichspräsidenten von Hindenburg sprechen, um sich gewisse Reservate zu sichern, kam aber zu spät und konnte sich diese Reservate nicht mehr sichern. Trotzdem hat er auch im neuen Kabinett das Außenministerium beibehalten, weil er sich dem Wunsche des Reichspräsidenten nicht entziehen wollte.
DR. VON LÜDINGHAUSEN: Wissen Sie irgend etwas über die Einstellung Herrn von Neuraths zur nationalsozialistischen Innenpolitik?
DIECKHOFF: Ich weiß, daß Herr von Neurath schon sehr bald nach dem 30. Januar 1933 mit gewisser Sorge auf die Innenpolitik schaute; hauptsächlich, weil er fühlte, daß dadurch die Außenpolitik so schwer belastet wurde. Als ich im Juni 1933 zu ihm nach London kam, wo er damals eine Konferenz besuchte und Leiter der Deutschen Delegation war, sprach er mir seine Sorgen aus. Aber er meinte, die Dinge würden sich totlaufen, es würde wohl ähnlich gehen, wie im faschistischen Italien, wo es auch sehr wild angefangen hat, wo sich die Dinge aber später beruhigt hätten. Er hoffte, daß es auch in Deutschland so werden würde.
DR. VON LÜDINGHAUSEN: Ich komme nun zum Jahre 1936. Eine der Hauptfragen, die dieses Jahr beherrschten, war ja die österreichische Frage. Können Sie uns sagen, wie die Einstellung Herrn von Neuraths zu den damals noch mehrfach in Erscheinung getretenen Einmischungen deutscher Kreise in die inneren Verhältnisse Österreichs war?
DIECKHOFF: Ja, Herr von Neurath hielt eine solche deutsche Einmischung in die inneren Angelegenheiten Österreichs nicht nur für unzulässig, sondern für schädlich. Er hat mir das wiederholt gesagt. Er erstrebte eine wirtschaftliche Besserung der Beziehungen zu Österreich, um dadurch auch allmählich die politischen Beziehungen wieder zu bessern. Die Souveränität Österreichs wollte er unangetastet lassen. Das war auch das Ziel des Abkommens vom 11. Juli 1936 zwischen Deutschland und Österreich: wirtschaftliche Stärkung Österreichs und dadurch Wiederherstellung guter politischer Beziehungen zwischen den beiden Ländern.
DR. VON LÜDINGHAUSEN: Ist Ihnen vor 1938, also vor dem März 1938, irgend etwas davon bekanntgeworden, daß Hitler die Absicht hatte, Österreich eventuell mit Gewalt Deutschland einzuverleiben?
DIECKHOFF: Nein.
DR. VON LÜDINGHAUSEN: War Ihnen vor 1938 jemals irgend etwas bekanntgeworden darüber, daß Hitler beabsichtigte, die Sudetenfrage mit Gewalt zu lösen oder überhaupt die Tschechoslowakei anzugreifen?
DIECKHOFF: Nein.
DR. VON LÜDINGHAUSEN: Ist Ihnen bekannt, ob Hitler mit der von Herrn von Neurath verfolgten Friedenspolitik sowohl gegenüber Österreich und der Tschechoslowakei wie auch gegenüber den übrigen europäischen Ländern bis zum November 1937 durchaus einverstanden war?
DIECKHOFF: Ich habe bis zum Abgang Herrn von Neuraths, also bis zum Februar 1938 immer angenommen, daß Hitler mit der Friedenspolitik Herrn von Neuraths einverstanden sei und habe auch nichts Gegenteiliges gehört oder erfahren.
DR. VON LÜDINGHAUSEN: Kennen Sie die Gedankengänge, die Überlegungen Herrn von Neuraths im Jahre 1935 hinsichtlich der Frage der Wiederaufrüstung, das heißt der Rücknahme der Wehrhoheit Deutschlands?
DIECKHOFF: Ich weiß, daß Herr von Neurath davon ausging, daß Deutschland durch die Erklärung der Westmächte vom 11. Dezember 1932 die Gleichberechtigung zugestanden erhalten hatte und daß er deshalb, nachdem alle Bemühungen um Abrüstung gescheitert waren, es für unbestreitbar hielt, daß Deutschland das Recht habe, wieder aufzurüsten.
DR. VON LÜDINGHAUSEN: Und die gleiche Frage wie eben möchte ich Ihnen auch hinsichtlich der Überlegungen und der Einstellung des Herrn von Neurath bezüglich der Remilitarisierung der entmilitarisierten Rheinlandzone stellen.
DIECKHOFF: Ich weiß, daß Herr von Neurath sich des Ernstes dieser Frage bewußt war, denn er wußte, daß das Problem der Remilitarisierung des Rheinlandes mit dem Vertrag von Locarno verbunden war; aber ich weiß, daß er in dem französisch-russischen Beistandspakt vom Mai 1935 einen Bruch des Locarno-Vertrags erblickte und daß er aus der Ratifikation dieses Vertrags, das heißt aus dem Inkraftsetzen dieses Vertrags, das Recht für Deutschland ableitete, auch im Rheinland die deutsche Wehrhoheit wieder herzustellen.
DR. VON LÜDINGHAUSEN: Wie war denn überhaupt damals die politische Lage? Konnte man nicht auf Grund derselben annehmen, daß es sowieso über kurz oder lang zu einer friedlichen Lösung der Rheinlandfrage gekommen wäre?
DIECKHOFF: Jedenfalls hat die tatsächliche Entwicklung nach dem 7. März 1936 gezeigt, daß die Westmächte zwar der Remilitarisierung des Rheinlandes nicht zustimmten, daß sie sich aber sehr rasch mit dem Fait accompli abfanden.
Ich bin damals 14 Tage in London gewesen, im Auftrag der Reichsregierung, in der zweiten Hälfte des März 1936, und ich habe Gelegenheit gehabt, mit vielen Engländern darüber zu sprechen; und ich habe in weiten Kreisen die Auffassung gefunden, daß, nachdem man Deutschland das Recht der Gleichberechtigung zugestanden hat, man ihm das Recht zur Remilitarisierung des Rheinlandes nicht verweigern könne.
Ich habe sogar in einigen Kreisen die Auffassung gefunden, daß man erleichtert sei, daß die Remilitarisierung des Rheinlandes, die ja sowieso früher oder später einmal gekommen wäre, so rasch und verhältnismäßig schmerzlos abgeschlossen worden sei.
DR. VON LÜDINGHAUSEN: Nun noch eine letzte Frage: Was wissen Sie über den Abschied Herrn von Neuraths aus dem Amt als Reichsaußenminister im Februar 1938?
DIECKHOFF: Ich war damals Botschafter in Washington, und ich war vollkommen überrascht über den plötzlichen Abgang des Außenministers von Neurath. Ich wußte zwar, daß er mit vielem nicht einverstanden war, daß er mehrfach um seinen Abschied gebeten hatte. Ich wußte auch, daß er krank war. Er litt wiederholt an Herzneurose. Ich wußte auch, daß er seinen 65. Geburtstag gefeiert hatte und damit Anspruch hatte, sich zurückzuziehen. Aber ich war doch über die Tatsache selbst überrascht, zumal ich damals keine Einzelheiten kannte. Und ich habe den Abgang des Außenministers, zu dessen Friedenspolitik ich Vertrauen hatte, sehr bedauert. Ich erinnere mich, daß auch in den amtlichen Kreisen von Washington der Abgang Herrn von Neuraths bedauert wurde, denn der Staatssekretär Sumner Welles hat mich damals einige Tage nach dieser Entwicklung auf den Abgang von Herrn von Neurath angesprochen und hat mir gesagt, daß man in der Amerikanischen Regierung den Abgang dieses Mannes, der eine maßvolle Politik betrieben habe, bedauere.
DR. VON LÜDINGHAUSEN: Herr Präsident! Ich habe keine weiteren Fragen mehr an den Zeugen.
VORSITZENDER: Wünscht einer der Verteidiger, Fragen an ihn zu stellen?
DR. KUBUSCHOK: Eine einzige Frage, Herr Zeuge; Sie sagten, beim Eintritt Neuraths als Außenminister hätten Sie erwartet, daß er die Politik Stresemanns und Brünings weiterführen würde. Hat er sie auch nach seinem Antritt als Außenminister nach Ihrer Kenntnis fortgesetzt, ich meine die Brüningsche Politik?
DIECKHOFF: Ja.
DR. KUBUSCHOK: Danke.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft! Aus dem gleichen Grund, den ich schon für den letzten Zeugen angegeben habe, beabsichtigt die Anklagebehörde nicht, Zeit für irgendwelche Fragen in Anspruch zu nehmen.
VORSITZENDER: Dann kann sich der Zeuge zurückziehen.