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[Zum Zeugen gewandt:]

Wurde denn nun wenigstens Herr von Neurath entsprechend diesen Vorschriften nachträglich von diesen selbständig von Frank vorgenommenen Polizeimaßnahmen unterrichtet?

VÖLCKERS: Der Chef der Polizei war ein SS-Mann namens Böhme. Dieser pflegte mehrmals in der Woche zum Reichsprotektor zum Vortrag zu kommen. Daß er ihm beabsichtigte Polizeiaktionen vorher mitteilte, glaube ich nicht, davon haben wir nie etwas gehört. Ob er ihm nachträglich Aktionen, die er vorgenommen hatte, mitteilte, kann ich nicht beurteilen, ebensowenig ob er alles mitgeteilt hat. Meistens spielte sich das so ab, daß der Reichsprotektor ihm verschiedene Gesuche von Angehörigen von verhafteten Tschechen zur Äußerung zuschickte und daß Böhme mit diesen Sachen zum Vortrag erschien. Darin bestand im allgemeinen dann die sogenannte nachträgliche Unterrichtung des Reichsprotektors.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Hat sich nun Herr von Neurath, wenn er nachträglich von solchen Polizeimaßnahmen erfuhr, gleichgültig auf welchem Wege, für eine Wiederaufhebung von Verhaftungen oder überhaupt Milderung und Abschwächung solcher polizeilicher Maßnahmen eingesetzt?

VÖLCKERS: Wie ich schon sagte, haben wir in dem kleinen Büro des Reichsprotektors eine besondere Abteilung zur Entgegennahme von derartigen Gesuchen eingerichtet. Diese Stelle, die natürlich dem Reichsprotektor unmittelbar unterstand, tat ihr möglichstes, um die Angehörigen zu beruhigen und um die Haftentlassung der Verhafteten zu erreichen. Die Arbeit war besonders schwer, weil diese örtlichen Stellen, der örtliche Polizeichef und auch der Staatssekretär Frank sich meistens ablehnend verhielten. Der Reichsprotektor hat sich dann immer wieder direkt an Himmler gewandt und auch wiederholt an den Führer selbst. Ich weiß und erinnere mich, daß eine sehr erregte Korrespondenz mit Himmler stattgefunden hat und daß Herr von Neurath auch wiederholt bei Hitler deshalb vorstellig wurde.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Können Sie beurteilen, beziehungsweise können Sie uns etwas darüber sagen, wie weit Herr von Neurath als Reichsprotektor, abgesehen von Polizei und polizeilichen Maßnahmen, in seinen politischen und wirtschaftlichen Maßnahmen und Anordnungen frei und unabhängig oder wie weit er in diesen von Berlin gegebenen Weisungen abhängig war?

VÖLCKERS: Als ich nach Prag kam, gab es dort neben der Behörde des Reichsprotektors alle möglichen anderen Dienststellen, zum Beispiel einen Reichskommissar für die Wirtschaft, der, soweit ich mich erinnere, wie ich damals hörte, schon seine Tätigkeit aufgenommen hatte, als diese Behörde des Reichsprotektors noch gar nicht existierte. Dann gab es auch einen Beauftragten für den Vierjahresplan, und es gab den Wehrmachtsbevollmächtigten mit einem großen Stab. Auch die Parteistellen waren nicht zentral organisiert; Prag und der Norden gehörten zum Gauleiter Henlein im Sudetengau, ganz Mähren gehörte zum Gau Niederdonau, das war der Gauleiter Dr. Jury, und der Westen gehörte auch wieder zu einem dritten Gau. Alle diese Gauleiter versuchten nun ihrerseits...

VORSITZENDER: Herr Verteidiger! Das sind doch alles Einzelheiten und noch dazu unwichtige Einzelheiten.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Wissen Sie irgend etwas über Herrn von Neuraths Einstellung zu vielfachen Plänen einer Germanisierung der Tschechen?

VÖLCKERS: Nein, darüber weiß ich nichts. Ich erinnere mich nur, daß Herr von Neurath einmal zu Anfang mir gesagt hat, das heißt, da war der Krieg schon ausgebrochen, daß er das ganze Gebilde des Protektorats als eine Zwischenlösung betrachte und daß schließlich der Friede auch über das Schicksal der Tschechei entscheiden müsse.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Es kam nun, wie Sie sich entsinnen werden, im Herbst 1939 in Prag zum erstenmal anläßlich des tschechoslowakischen Unabhängigkeitstages am 28. Oktober 1939 zu Demonstrationen.

VÖLCKERS: Ich erinnere mich hier nicht an Einzelheiten. Es hat Demonstrationen im Oktober an einem tschechoslowakischen Nationalfeiertag gegeben. Soweit ich mich noch erinnere, waren sie auf dem Wenzelplatz und auf der Národní-ulice. Ich selbst habe das...

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Was wissen Sie von den Folgen, als einer der verwundeten Studenten gestorben war und am 15. November begraben wurde, von neuen Unruhen, besonders seitens der Studentenschaft in Prag? Was wissen Sie über diese Unruhen und was im Anschluß an diese Unruhen unmittelbar hinterher sich ereignet hat?

VÖLCKERS: Bei diesen zweiten Unruhen war vorher, soweit ich mich noch erinnere, die Weisung ausgegeben, man solle sich zurückhalten. Die Demonstrationen waren, wie man mir später erzählt hat, im allgemeinen nicht sehr beunruhigend. Trotzdem hatte aber wohl Frank nach Berlin berichtet. Jedenfalls wurden der Reichsprotektor und Frank und der General Friderici nach Berlin beordert zu einer Besprechung bei Hitler in der Reichskanzlei. Ich habe den Reichsprotektor damals begleitet. Chvalkovsky, das war der Tschechische Gesandte in Berlin, war gleichfalls eingeladen. Ich war dabei, wie Hitler in sehr erregter und verletzender Form den Gesandten wegen der Vorfälle, für die er die Tschechische Regierung verantwortlich machen müsse, abkanzelte. Ob er dabei von einer Schließung der Hochschulen gesprochen hat, kann ich mich nicht mehr erinnern. Ich kann mich auch nicht erinnern, gehört zu haben, daß er die Erschießung oder Verhaftung von Studenten angedroht hätte. Die Art, wie Hitler den Gesandten behandelte, war sehr peinlich für uns. Der Gesandte ist dann aus dem Raum gegangen, ohne noch weiter ein Wort zu sprechen. Soweit ich mich erinnere, ist das Thema dann nicht weiter berührt worden, es wurde zu Mittag gegessen, und bei der Verabschiedung sagte Hitler zu Frank, daß er ihn noch sprechen wollte. Herr von Neurath wurde nicht aufgefordert, und ich erinnere mich, daß er sich auf dem Nachhauseweg, als ich mit ihm ging, ungehalten darüber äußerte. Am nächsten Tag bin ich dann mit Herrn von Neurath zusammen zurückgereist, nachdem Frank bereits am selben Abend nach Prag gefahren war. Ich erinnere mich, als ich in Prag dann auf die Behörde ging, daß ich ein rotes Plakat sah, auf dem mitgeteilt war, daß wegen der Unruhen die Erschießung der Rädelsführer, die Verhaftung von Studenten und die Schließung der Hochschulen angeordnet sei; der Name von Neurath stand darunter. Da ich nicht wußte, was inzwischen in Prag vorgefallen war, war ich völlig überrascht, weil ich in Berlin von diesen Maßnahmen gar nichts gehört hatte, und vermutete eine Intrige von Frank und ging gleich zu Neurath, um ihm das zu melden. Ich hatte den Eindruck, daß Herr von Neurath sehr peinlich berührt und ebenso überrascht war wie ich, daß er nichts vorher gewußt hatte. Bald darauf kam Frank dann auch durch meine Zimmer in das Zimmer von Herrn von Neurath hinein und hatte das rote Plakat unter dem Arm. Ich weiß nicht, ob von Neurath ihn hat kommen lassen oder ob er von selbst kam.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Hat von Neurath hinterher, nachdem das ja leider passiert war, sich wenigstens für die Freilassung der verhafteten Studenten eingesetzt?

VÖLCKERS: Jawohl, er hat sich sofort eingesetzt. Es gelang ihm aber nicht einmal, die Listen der verhafteten Studenten zu bekommen. Wir haben erst nach langem Drängen auf tschechischer Seite von der Tschechischen Regierung eine unvollständige Liste bekommen. Trotzdem hat Herr von Neurath sich für die Freilassung der Studenten sofort eingesetzt und hat damit auch gute Erfolge gehabt im Laufe der Zeit.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Wissen Sie etwas darüber, was geschehen ist zur Unterbringung, zur Beschäftigung derjenigen Studenten, die infolge der Unruhen und der damit verbundenen Schließung der Universitäten mehr oder weniger beschäftigungslos geworden waren?

VÖLCKERS: Nein, darüber weiß ich nichts, ich habe auch nichts mit der Sache zu tun gehabt.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Wissen Sie aber, ob Herr von Neurath nicht bei Hitler mehrfach auf die Wiedereröffnung der Universitäten gedrängt hat?

VÖLCKERS: Jawohl, ich erinnere mich, daß der Rektor Rosny, der Rektor der tschechischen Universität, den ich gut kannte, mich einmal gebeten hatte deshalb, und ich habe Herrn von Neurath das vorgetragen, und Herr von Neurath hat sich auch damals nochmals wieder darum bemüht, aber, soviel ich weiß, solange wir in Prag waren, sind die Hochschulen nicht wieder eröffnet worden.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Erinnern Sie sich an eine tschechisch-faschistische Organisation Vlajka? Ich weiß nicht, ob ich den Namen richtig ausspreche.

VÖLCKERS: Jawohl, aber ich weiß über die Vlajka sehr wenig. Ich weiß nur, daß wir in dem Büro verschiedene Huldigungsadressen bekamen von Anhängern dieser Bewegung, und ich weiß auch, daß wir von tschechischer Seite darüber unterrichtet waren, daß diese Leute zum Teil kriminell waren und im allgemeinen nichts taugten. Herr von Neurath stand aber auf dem Standpunkt ganz allgemein, daß es eine innertschechische Angelegenheit sei und daß dies doch immerhin Leute wären, die mit uns zusammenarbeiten wollten. Er hat aber von sich aus jede Zusammenarbeit abgelehnt, und wir haben derartige Adressen vom Büro aus auch, glaube ich, niemals beantwortet. Ich weiß aber...

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Herr von Neurath war ja noch als Reichsprotektor gleichzeitig auch Präsident des Geheimen Kabinettsrates. Ist Ihnen, weil Sie ja doch die schriftlichen Arbeiten mehr persönlicher Art zum Teil für ihn bearbeiteten, irgend etwas bekannt geworden, daß Herr von Neurath in dieser Eigenschaft als Präsident des Geheimen Kabinettsrates tätig geworden ist?

VÖLCKERS: Nein, solange ich in Prag war, ist Herr von Neurath niemals tätig gewesen. Er hat mir im Gegenteil einmal gesagt, daß Hitler ihm damals, als er ihn dazu ernannte, gesagt hat, er solle nur nicht glauben, daß er jemals den Kabinettsrat einberufen würde.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Herr von Neurath war ferner auch Mitglied des sogenannten Verteidigungsrates. Hat er in solcher Eigenschaft mal irgendwie in Prag zu tun gehabt?

VÖLCKERS: Nein, das habe ich nicht gewußt, daß er Mitglied vom Verteidigungsrat war. Die grundlegenden Erlasse von Berlin, betreffend das Protektorat waren oft unterzeichnet vom Ministerrat für die Reichsverteidigung, glaube ich, hieß das. Aber Neurath hat nie mitgezeichnet oder gegengezeichnet.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Herr von Neurath war bekanntlich zum Ehren-Gruppenführer der SS und später zum Ehren-Obergruppenführer der SS ernannt worden. Hat Herr von Neurath seinerzeit, als er in Prag war, überhaupt jemals diese Uniform getragen?

VÖLCKERS: Grundsätzlich hat er seine Reichsministeruniform getragen. In der ist er auch einmal gemalt worden. Sehr viel ist er in Zivil gegangen. Es kann sein, daß er eine schwarze SS-Uniform einmal bei einer SS-Parade getragen hat, das weiß ich aber nicht mehr genau. Sonst hat er sie nie getragen.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Wissen Sie irgend etwas über die Umstände und die Gründe, aus denen es im September 1941 zum Weggang Herrn von Neuraths aus Prag gekommen ist?

VÖLCKERS: Als Herr von Neurath damals im September in das Hauptquartier bestellt wurde, war er von seinem militärischen Adjutanten begleitet. Ich holte ihn am Flugplatz ab, und er hat mir im Wagen erzählt, Hitler sei wütend gewesen wegen der Sabotageakte im Protektorat, er wolle Heydrich schicken, um ein Exempel zu statuieren. Neurath hätte erklärt, daß er damit nichts zu tun haben wolle und hätte um seine Entlassung gebeten. Hitler hätte dann bestimmt, daß er zunächst in Urlaub gehen sollte, und das hat er auch getan. In den nächsten Tagen ist er abgereist.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Herr Präsident! Ich habe keine weiteren Fragen.

Darf ich noch eine Bitte aussprechen am Ende meines Vortrags? Herr Präsident, ich habe noch nicht alle Dokumente vorlegen können, weil sie noch nicht in der Übersetzung bei mir eingegangen sind. Darf ich mir vorbehalten, diese restlichen Dokumente – es sind nicht viele – am Ende vielleicht des Vortrags meines Kollegen Dr. Fritz vorzulegen?

VORSITZENDER: Sie brauchen auf die Übersetzung nicht zu warten, Sie können die Dokumente jetzt als Beweismittel anbieten; reichen Sie nur eine Liste mit den Nummern ein.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Herr Präsident! Ich habe sie jetzt nicht hier. Ich darf sie vielleicht morgen oder übermorgen vorlegen, wenn Dr. Fritz fertig ist?

VORSITZENDER: Ja, sicher.

Wünscht einer der Verteidiger an den Zeugen Fragen zu stellen?

Will die Anklage ein Kreuzverhör vornehmen?

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft! Die Anklage beabsichtigt aus den schon erwähnten Gründen nicht, ein Kreuzverhör zu führen.

Ich möchte auf eine Sammlung von Dokumenten hinweisen, die in unserem Dokumentenbuch 12b enthalten sind; es ist eine Sammlung der antijüdischen Verordnungen im Protektorat. Sie sind alle dem Verordnungsblatt für das Protektorat entnommen, und die Anklage bittet den Gerichtshof, von diesen amtlich Kenntnis zu nehmen, da es sich um amtliche Veröffentlichungen handelt. Die Sammlung ist für den Gebrauch des Gerichtshofs und zur Erleichterung zusammengestellt worden.

VORSITZENDER: Der Zeuge kann sich dann zurückziehen.