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[Zum Zeugen gewandt:]

In diesen Zitaten sprechen Sie von einem jüdischen Einfluß auf die britische Politik. Wie kamen Sie zu solchen Behauptungen?

FRITZSCHE: Die Anklage hat aus diesem Zitat folgern zu dürfen geglaubt, daß es die Einleitung sei zu weiteren Verfolgungen der Juden und in der Tat zu ihrer Vernichtung. Diese Folgerung ist nicht begründet, weder im Wortlaut noch im Sinn, noch auch im Zusammenhang des Zitats.

Ich möchte in diesem Fall darauf verzichten, den Zusammenhang zu schildern, auch nicht in einer kurzen Zusammenfassung. Er ergibt sich aus der Lektüre der fraglichen Ansprache.

Jedenfalls kann ich nicht erkennen, wo hier eine Aufforderung zur Vernichtung der Juden gegeben sein soll.

DR. FRITZ: Ihnen ist im Rahmen der allgemeinen Verbrechen gegen die Humanität eine aufreizende Verunglimpfung der Juden vorgeworfen worden; ihr logisches Resultat seien weitere Ausschreitungen gewesen.

Ich muß Sie also nach dem Judenmord fragen. Kannten Sie den Befehl Hitlers, den hier der Zeuge Höß bekundete, nach welchem die Juden ermordet werden sollten?

FRITZSCHE: Ich erkläre unter meinem Eid, diesen Befehl kannte ich nicht. Wenn ich ihn gekannt hätte, hätte ich demjenigen, der ihn gab, nicht eine Stunde länger Gefolgschaft geleistet.

Ich behaupte darüber hinaus, daß dieser Befehl, wie überhaupt diese ganze Aktion offenbar mit einer besonderen Sorgfalt vor mir und meinen Mitarbeitern verheimlicht worden ist, weil ich dieser Aktion einmal beinahe auf der Spur gewesen bin.

DR. FRITZ: Haben Sie denn irgendwann einmal einen Hinweis bekommen auf die Tötung einer größeren Anzahl von unschuldigen Menschen?

FRITZSCHE: Ja. Im Februar oder März 1942 erhielt ich einen Brief eines mittleren SS-Führers aus der Ukraine. Den Namen weiß ich nicht mehr. Inhalt des Briefes: Der Schreiber sei Kommandeur einer SS-Einheit und habe den Befehl erhalten, Juden und die ukrainische Intelligenz seines Bezirkes zu töten. Er habe nach dem Erhalt dieses Befehls einen Nervenzusammenbruch erlitten und liege nun im Lazarett.

Eine Beschwerde auf dem Dienstweg erscheine ihm unmöglich; er kenne mich zwar nicht, aber habe Zutrauen zu mir; vielleicht könne ich helfen. Er bitte, nicht seinen Namen zu nennen, da er mit dem Leben für Verschwiegenheit hafte.

Ich rief, eigentlich ohne eine längere Überlegung, nach dem Erhalt dieses Briefes sofort Heydrich an, den Obergruppenführer, der damals Leiter des Reichssicherheitshauptamtes oder der Gestapo war. Ich kannte ihn persönlich zwar kaum; aber er erklärte sich sofort bereit, mich zu empfangen. Ich war bei ihm und legte ihm schmucklos die Frage vor: Ist Ihre SS dazu da, Massenmorde zu begehen?

Heydrich zeigte sich äußerst empört und erklärte folgendes: Er habe kleinere oder größere SS-Kommandos zu Polizeibewachungszwecken abgegeben an verschiedene Minister, Reichskommissare und so weiter. Diese Kommandos seien schon mehrfach mißbraucht worden, vielleicht sei dasselbe der Fall mit dem Kommando, das dem Gauleiter Koch zur Verfügung gestellt worden sei; er werde sofort eine Untersuchung anstellen.

Am nächsten Mittag rief mich Heydrich, wie er sagte, aus dem Hauptquartier an und teilte mir mit, tatsächlich sei diese Aktion versucht worden, und zwar auf Befehl Kochs. Koch hätte sich seinerseits auf den Führer berufen, dieser habe aber noch nicht Stellung genommen; ich würde weiteres hören.

Zwei Tage später bat mich Heydrich um einen Besuch und sagte, Hitler habe strikt erklärt, einen solchen Befehl nicht gegeben zu haben. Koch behauptete nun ein Mißverständnis; eine Untersuchung gegen Koch sei eingeleitet. Jedenfalls erklärte mir Heydrich, die Aktion werde nicht durchgeführt. Ich erinnere mich besonders eines Satzes aus dieser Unterredung, nämlich der Erklärung Heydrichs: »Glauben Sie mir, Herr Fritzsche, wer im Rufe der Grausamkeit steht, der braucht nicht grausam zu sein, der darf menschlich handeln.«

Kurz darauf wurde ich Soldat, bat um Kommandierung zur 6. Armee und ging in die Ukraine.

DR. FRITZ: Haben Sie sich mit dieser Auskunft Heydrichs...

VORSITZENDER: Einen Augenblick. Ich habe den letzten Satz nicht verstanden. Heydrich sagte: »Glauben Sie mir, Herr Fritzsche...« und dann...

FRITZSCHE: Ich darf wiederholen: »Wer im Rufe der Grausamkeit steht, der braucht nicht grausam zu sein, der darf menschlich handeln.«

VORSITZENDER: Ja, und dann sagten Sie, daß Sie zur 6. Armee gegangen seien.

FRITZSCHE: Ich wurde kurz danach Soldat...

DR. FRITZ: Er hat dann angefügt, Herr Präsident, daß er kurz nach diesem Zusammentreffen mit Heydrich selbst – nämlich der Angeklagte Fritzsche – Soldat geworden ist und ausdrücklich gebeten hat, zur 6. Armee, die damals in der Ukraine stand, kommandiert zu werden.

VORSITZENDER: Wann war das?

FRITZSCHE: Februar/März 1942.

DR. FRITZ: Haben Sie in der Ukraine, als Sie nun als Soldat dort waren, versucht, die Angaben Heydrichs auf ihre Richtigkeit hin nachzuprüfen?

FRITZSCHE: Ich hatte dazu keinerlei amtliche Befugnis; aber ich habe als alter Journalist selbstverständlich Nachprüfung auf eigene Faust angestellt.

Zunächst in Kiew bei der dortigen deutschen Rundfunkstelle. Ergebnis: Jawohl, es sind einige Erschießungen vorgekommen, und zwar nach der Sprengung einiger Häuserblocks in Kiew, wobei viele deutsche Soldaten ums Leben kamen; aber es waren Erschießungen nach standgerichtlicher Verurteilung.

Dann fuhr ich drei Tage kreuz und quer über Land zwischen Kiew und Poltawa. Meist ganz allein. Ich fand eine Bevölkerung im tiefsten Frieden; keinerlei Zeichen von Terror und wurde übrigens selbst sehr gut aufgenommen.

In Poltawa hielt ich dann Rücksprache bei Offizieren und Soldaten, da wurde mir auch wieder gesagt: Jawohl, einige Urteile von Kriegsgerichten; Grund: Sabotage.

Dann besuchte ich in Charkow selbst das dortige SS-Kommando und sprach mit dem dortigen Sturmführer Rexlach. Er stritt jede Erschießungsaktion ab. Er zeigte mir das Gefängnis, es waren etwa 50 Personen darin, nicht mehr. Ich fragte nach Lagern, er erklärte, es gäbe solche nicht.

Dann machte ich noch Besuche bei einer ukrainischen Familie; dann fragte ich einen deutschen Landwirtschaftsführer in Bjelgerod. Das Ergebnis war wieder wie immer: Erschießungsaktionen haben nicht stattgefunden.

Da allerdings nahm ich als sicher an, daß es eine versuchte Einzelaktion war, die nicht durchgeführt wurde.

DR. FRITZ: Hatten Sie nicht schon vor jenem Brief eines SS-Führers aus der Ukraine Verdacht geschöpft, vielleicht aus den Rundfunksendungen der Alliierten, die Ihnen ja doch zugänglich waren?

FRITZSCHE: Diese Rundfunksendungen waren mir zugänglich. Ich ließ Berichte über Greueltaten damals sogar besonders sammeln und ließ sie herausziehen aus den riesigen Paketen der täglichen Aufnahmen feindlicher Rundfunksendungen. Ich ließ diese Nachrichten dann nachprüfen.

DR. FRITZ: Wer besorgte diese Nachprüfungen?

FRITZSCHE: Der zuständige Referent, der Oberregierungsrat Körber, Leiter des Referats »Schnelldienst« in der Presseabteilung, oder einer seiner Mitarbeiter, oder ich selbst.

DR. FRITZ: Bei wem wurde nachgeprüft?

FRITZSCHE: Es wurde nachgefragt beim Reichssicherheitshauptamt, weil da meistens in diesen Meldungen von der SS oder Gestapo als den Mördern bei solchen Greueltaten gesprochen wurde.

DR. FRITZ: Bei welcher der vielen Stellen dieses Amtes wurde nachgefragt?

FRITZSCHE: Es wurde nachgefragt bei den einzelnen Sachreferenten, und ich bin nicht im Zweifel darüber, daß auch nachgefragt wurde bei dem hier im Prozeß erwähnten Eichmann. Im übrigen wurde nachgefragt bei dem Sturmbannführer Spengler oder bei seinem Vertreter von Kielpinsky, beide Angehörige des Amtes, das damals oder später Ohlendorf übernahm, der auch als Zeuge erschien. Oft wurde auch angefragt bei den Außenstellen des Reichssicherheitshauptamtes, bei den sogenannten Staatspolizeileitstellen, dann, wenn es sich um Nachrichten aus einem bestimmten Bezirk handelte.

DR. FRITZ: Welche Antworten erhielten Sie dann?

FRITZSCHE: Wir erhielten immer die Antwort, die fragliche Nachricht sei entweder ganz falsch und frei erfunden, oder die Nachricht habe diesen oder jenen rechtmäßigen Hintergrund. Oft wurden Angaben von Zahlen und Details gemacht, die dann einfach entwaffnend wirkten.

DR. FRITZ: Gibt es hierüber Aufzeichnungen?

FRITZSCHE: Jawohl. Die wichtigeren unter diesen Fragen und Antworten wurden aufgeschrieben, zum Teil sogar vervielfältigt und verschiedenen Stellen innerhalb und außerhalb des Propagandaministeriums zugeleitet. Alles Material war gesammelt in dem Archiv »Schnelldienst«, das ich hier beantragte, das mir bewilligt wurde und das nicht gefunden wurde.

DR. FRITZ: Haben Sie diese Antworten dann einfach geglaubt?

FRITZSCHE: Ich habe sie geglaubt, denn es waren Auskünfte schließlich ja doch amtlicher Stellen, und außerdem hatte ich mehrfach erlebt, daß die Richtigkeit solcher Auskünfte von dieser Stelle auch drastisch erwiesen wurde.

DR. FRITZ: Wie meinen Sie das?

FRITZSCHE: Ich darf ein Beispiel nennen: Die erste Propagandaaktion des Krieges war die von Warschau ausgegangene Meldung der Zerstörung des Bildes der »Schwarzen Muttergottes von Tschenstochau«. Die Nachricht nahm ihren Weg durch die Welt. Wir brachten deutsche und ausländische Journalisten nach Tschenstochau, die konnten sich davon überzeugen, daß die Nachricht nicht stimmte. Aber ich muß hier ganz ehrlich sein und sagen, daß ich auf diese Frage meines Verteidigers eigentlich ein anderes Beispiel nennen wollte, eine andere Nachricht, die in einer für mich ganz überraschenden Weise vor zwei, drei Tagen in diesem Gerichtssaal ein Nachspiel hatte. Die englische Zeitung »News Chronicle« hatte am 24. September 1939 die Nachricht gebracht, daß die deutschen...

VORSITZENDER: Was ist der Beweiswert des Artikels im »News Chronicle« vom Jahre 1939?

DR. FRITZ: Der Angeklagte will dem Gericht beweisen, daß er feststellen mußte, daß viele Meldungen des Auslandes über deutsche Greueltaten tatsächlich falsch waren, so daß er dann den amtlichen Stellen...

VORSITZENDER: Wir brauchen keine Einzelheiten hierüber. Zweifellos gab es häufig Berichte, die nicht genau waren. Wir wünschen nicht, daß Sie sich in Einzelheiten verlieren.

FRITZSCHE: Ich wollte nur an einer Nachricht nachweisen, wie damals irgend etwas dementiert wurde, was die Welt glaubte, und dann im Schatten des Dementis, unbemerkt von der deutschen Öffentlichkeit, eben doch etwas geschah, wie eine größere Verhaftungswelle oder ähnliches.

VORSITZENDER: Er kann die Tatsache erwähnen, aber er braucht nicht auf Einzelheiten, wie eine besondere Zeitungsnummer, einzugehen.

DR. FRITZ: War es nur einmal, Herr Fritzsche, daß Sie die Unrichtigkeit solcher Auslandsmeldungen praktisch feststellen mußten?

FRITZSCHE: Nein, das geschah recht häufig.

DR. FRITZ: Ganz kurz, Herr Fritzsche.

FRITZSCHE: Einer meiner Mitarbeiter sammelte einmal unter dem Titel »In acht Kriegswochen 107mal gelogen« das entsprechende Material. Ich möchte nur einen Satz hierzu sagen. Die Zusammenstellung solcher Falschmeldungen des Gegners gab mir ein Gefühl der moralischen Überlegenheit über eine solche Art von Berichterstattung, und dieses Gefühl war die Grundlage meiner, späteren Arbeit, die ohne dieses Gefühl nicht zu erklären wäre.

DR. FRITZ: Kamen Sie nicht auf den Gedanken, daß solche Falschmeldungen eben nur zu Anfang des Krieges mitunterlaufen seien?

FRITZSCHE: Nein, auf diesen Gedanken kam ich nicht. Die Meldungen waren anfangs zu häufig; ich konnte sie auch in der Folgezeit noch beobachten, zum Teil an meinem eigenen Leibe.

DR. FRITZ: Wieso an Ihrem eigenen Leibe? Wenn Sie ganz kurz ein paar Stichworte da sagen wollen?

FRITZSCHE: Nur eine von vielen Behauptungen. Es wurde in einer feindlichen Frontpropagandaschrift mir der Vorwurf gemacht, ich hätte 600.000 Schweden- Kronen...

VORSITZENDER: Was will er jetzt sagen? Was ist der Zweck dieser Sache?

DR. FRITZ: Er will ein Beispiel bringen von einer Falschmeldung des Auslandes, die seine eigene Person betrifft. Er wollte das ganz kurz machen.

VORSITZENDER: Wie ich bereits gesagt habe, wurden zweifellos in der ausländischen Presse wie in jeder Presse irrtümliche Berichte veröffentlicht. Wir können derartige Dinge nicht untersuchen.

DR. FRITZ: Ich gehe dann weiter zu einer anderen Frage.