HOME

<< Zurück
|
Vorwärts >>

[Das Gericht vertagt sich bis

28. Juni 1946, 10.00 Uhr.]

Einhundertsechsundsechzigster Tag.

Freitag, 28. Juni 1946.

Vormittagssitzung.

[Der Angeklagte Fritzsche im Zeugenstand.]

DR. FRITZ: Herr Präsident! Meine Herren Richter!

Der Angeklagte Fritzsche hat sich gestern am Schluß der Sitzung darüber geäußert, wie er verfolgten Personen geholfen hat im Rahmen der bescheidenen, ihm gegebenen Möglichkeiten.

Um dieses Thema abzuschließen, biete ich dem Gericht an mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft zunächst als Fritzsche-Exhibit Nummer 6 eine eidesstattliche Versicherung des Grafen Westarp, die in meinem Dokumentenbuch II auf Seite 23 bis 25 zu finden ist, mit Datum vom 15. Juni 1946. Ich bitte, vom Inhalt amtlich Kenntnis zu nehmen. Ferner biete ich als Beweismittel dem Gericht an eine weitere eidesstattliche Versicherung als Fritzsche-Exhibit Nummer 8 von einer Frau Krüger, Berlin. Dieselbe befindet sich noch nicht in meinen Dokumentenbüchern, sie ist aber im Original von dieser Frau Krüger sowohl in deutscher als in englischer Sprache abgegeben worden. Beide Ausfertigungen sind notariell beglaubigt. Ich verweise auch auf den Inhalt, insbesondere auf die beiden letzten Absätze. Aus dem vorletzten Absatz ergibt sich, daß die Frau Krüger, vom Einzelfall ausgehend, auch allgemeine Kenntnis über diese Tätigkeit des Angeklagten Fritzsche hat; und der letzte Absatz ist ganz interessant, er betrifft die Lebenshaltung des Angeklagten Fritzsche.

Ich verweise auch hier im übrigen nur auf den gesamten Inhalt und bitte, davon Kenntnis zu nehmen.

Schließlich verweise ich in diesem Zusammenhang auf die bereits mehrfach zitierte eidesstattliche Versicherung des Dr. Scharping, Fritzsche-Exhibit Nummer 2, Dokumentenbuch Fritzsche II, Seite 6 bis 15. Ich beziehe mich hier insbesondere auf die Seiten 13 unten und 14 oben.

Herr Fritzsche! Zu diesem Thema noch zwei allgemeine Fragen: Haben Sie denn in der letzten Zeit des Krieges nicht versucht, etwas über das Gesamtschicksal der Juden zu erfahren?

FRITZSCHE: Ja, ich nutzte eine Gelegenheit aus, über die ich an anderer Stelle noch kurz sprechen werde. Ich fragte Mitarbeiter des Obergruppenführers Glücks in Oranienburg-Sachsenhausen nach den Juden. Die Antwort war, ganz kurz zusammengefaßt:

Die Juden stünden unter dem besonderen Schutz des Reichsführers-SS. Dieser wünsche mit ihnen ein politisches Geschäft zu machen. Er sehe sie als eine Art von Geiseln an, und er habe den Wunsch, daß ihnen nicht ein Haar gekrümmt werde.

DR. FRITZ: Es ist in diesem Prozeß von mehreren Zeugen der Anklagebehörde behauptet worden, daß die deutsche Öffentlichkeit von den Mordtaten gewußt hätte.

Ich frage gerade Sie als Journalist, der im nationalsozialistischen Staat arbeitete: Wie war nach Ihrer Kenntnis und Beobachtung das Verhalten der breiten Masse des deutschen Volkes zu den Juden? Wußte das Volk vom Mord an den Juden? Kurz bitte?

FRITZSCHE: Unter Fortlassung aller der Dinge, die in diesem Prozeß schon erwähnt wurden, möchte ich nur einige Beobachtungen erwähnen, die mir wichtig erscheinen. Ich übergehe die bereits geschilderte Zeit kurz nach dem ersten Weltkrieg, in der gewisse antisemitische Gefühle in Deutschland populär waren. Ich möchte nur feststellen, daß im Jahr 1933 bei dem Judenboykott, den die NSDAP veranstaltete, sich die Sympathien des deutschen Volkes offen wieder den Juden zuwandten. Durch Jahre hindurch versuchte die Partei erbittert, das Publikum vom Einkauf in jüdischen Geschäften abzuhalten; schließlich geschah das sogar mit Strafandrohungen. Einen tiefen und entscheidenden Einschnitt in dieser Entwicklung bedeutete der Erlaß der Nürnberger Gesetze. Durch sie wurde zum erstenmal der Kampf gegen die Juden von dem Boden der Agitation weggezogen, also der Agitation, von der man sich noch distanzieren konnte, und wurde geschoben auf den Boden der Staatspolitik.

Es ging damals ein tiefes Erschrecken durch das deutsche Volk, weil nun eine Spaltung bis in die einzelnen Familien hinein auftrat. Damals entstanden viele menschliche Tragödien, die vielen, eigentlich allen sichtbar waren, und es gab für diese Rassengesetze nur eine Rechtfertigung, eine Entschuldigung, eine Erklärung, das war die Behauptung und der Gedanke: Nun, dann wird durch die, wenn auch unter Schmerzen jetzt vorgenommene Trennung der beiden Völker nun endlich der wilden und ungezügelten Agitation ein Ende gemacht, und es entsteht in der Trennung ein Friede, da, wo bisher Friedlosigkeit herrschte. Als die Juden das Abzeichen eines Sterns tragen mußten, als ihnen zum Beispiel in Berlin die Benutzung von Sitzplätzen in der Straßenbahn verboten wurde, da nahm das deutsche Publikum demonstrativ Partei für die Juden und immer wieder kam es vor, daß ostentativ dann Juden Platz angeboten wurde. Ich habe mehrere Äußerungen von Dr. Goebbels hierüber gehört, der über diese ungewollte Wirkung der Kennzeichnung der Juden äußerst erbittert war.

Ich bin als ein Journalist, der in jener Zeit gearbeitet hat, der festen Überzeugung, das deutsche Volk kannte den Massenmord an den Juden nicht; was auch immer an Behauptungen aufgestellt wurde, das waren Gerüchte, und was an Nachrichten in das deutsche Volk hineindrang von außen, das wurde amtlich immer und immer wieder dementiert. Ich kann, weil mir gerade diese Unterlagen fehlen, aus dem Gedächtnis nicht mehr einzelne Dementis zitieren, aber an einen Fall erinnere ich mich mit besonderer Deutlichkeit. Es war der Augenblick, als von russischer Seite nach der Wiedereroberung von Charkow dort ein Prozeß veranstaltet wurde, in dem zum erstenmal gesprochen wurde von Tötung mit Gas. Ich lief mit diesen Berichten zu Dr. Goebbels und fragte ihn, wie es damit stünde. Er erklärte, er wolle die Sache untersuchen, er wolle sie mit Himmler besprechen und mit Hitler. Am nächsten Tage kündigte er mir ein Dementi an. Dieses Dementi wurde dann nicht öffentlich ausgegeben, und zwar mit der Begründung: Man wünsche in einem deutschen Prozeß die Dinge, die da klargestellt werden müßten, noch deutlicher zu machen. Ganz ausdrücklich aber ist mir von Dr. Goebbels erklärt worden: Die Gaswagen, die in dem russischen Prozeß erwähnt worden wären, wären ein reines Produkt der Phantasie; es gäbe keine tatsächliche Unterlage dafür. Nicht umsonst wurden die an der Durchführung des Mordes Beteiligten unter den Befehl des strengsten Stillschweigens gestellt. Hätte das deutsche Volk von dem Massenmord erfahren, es hätte Hitler sicher die Gefolgschaft versagt. Vielleicht hätte es für einen Sieg fünf Millionen Gefallene geopfert, niemals hätte es aber einen Sieg erkaufen wollen mit einem Mord an fünf Millionen, und ich möchte noch erklären: Dieser Mordbefehl Hitlers erscheint mir das Ende jeder Rassentheorie, jeder Rassenphilosophie und jeder Rassenpropaganda; denn nach dieser Katastrophe würde jede weitere Vertretung der Rassenlehre gleichbedeutend sein mit der intellektuellen Urheberschaft an einem neuen Mord. Eine Ideologie, in deren Namen fünf Millionen Menschen ermordet wurden, darf ja nicht überleben.

DR. FRITZ: Ich komme nun zu einem anderen Thema:

Ihnen ist von der Anklage vorgeworfen worden, daß Sie zu Greueltaten aufgereizt hätten und daß die Resultate Ihrer Propaganda sich auf jeden Gesichtspunkt der Verschwörung erstreckten, einschließlich des anormalen und unmenschlichen Verhaltens. So muß ich Sie also auch zu dem Komplex der Konzentrationslager befragen: War Ihnen die Existenz der Konzentrationslager bekannt?

FRITZSCHE: Ja, die Tatsache ihrer Gründung wurde veröffentlicht, ich glaube 1933, und die Konzentrationslager wurden später mehrfach in amtlichen Veröffentlichungen erwähnt.

DR. FRITZ: Was war nach Ihrer damaligen Ansicht der Zweck dieser Lager?

FRITZSCHE: Nach meiner Erinnerung wurde angegeben, in diese Lager sollten diejenigen gebracht werden, die nicht abzuhalten waren von einer aktiven Arbeit gegen den neuen Staat. Sie wurden erklärt mit der anormalen innerpolitischen Lage, eine ohnmächtige Mitte, zwei starke extreme Parteien, von denen nun eine zur Regierung gekommen war. Die gesetzliche Grundlage wurde geschaffen. Erst später hieß es, daß auch Gewohnheitsverbrecher in die Konzentrationslager gebracht würden, um Rückfallverbrechen zu verhindern.

DR. FRITZ: Wußten Sie etwas über die Zahl der Konzentrationslager, die im Laufe der Zeit geschaffen wurden?

FRITZSCHE: Vor dem Krieg hatte ich gehört von drei Lagern, im Krieg vermutete ich fünf bis sechs Lager. Die hier gezeigte Karte von einer Vielzahl von Lagern war für mich eine große Überraschung.

DR. FRITZ: Wußten Sie etwas über die Zahl der Häftlinge in diesen Lagern?

FRITZSCHE: Nichts Genaues. Zu Anfang des Krieges sprachen Auslandsmeldungen von Millionenzahlen von Häftlingen. Da bat ich zusammen mit einigen Journalisten den Obergruppenführer Heydrich, vor in- und ausländischer Presse zu sprechen und sich für eine Diskussion zur Verfügung zu stellen. Er tat das. Er gab nach meiner Erinnerung keine absolute Zahl der Häftlinge an, aber er zog einen Vergleich zu den Insassen der Gefängnisse und Zuchthäuser in früherer Zeit, und dieser Vergleich erschien nicht beunruhigend. Es war im Winter 1940 oder 1941.

DR. FRITZ: Setzten Sie keinen Zweifel in die Richtigkeit dieser Zahl?

FRITZSCHE: Damals nicht.

DR. FRITZ: Wußten Sie etwas darüber, wie es in den Konzentrationslagern zuging? Haben Sie einen Menschen gesprochen, der in einem Lager war?

FRITZSCHE: Jawohl, schon 1933 oder 1934 sprach ich einen Journalisten, der einige Wochen in dem Konzentrationslager Oranienburg, dem alten Lager Oranienburg, gewesen war. Er berichtete, er sei nicht selbst gequält worden, aber er hätte gesehen und gehört, wie andere verprügelt wurden und wie ihnen absichtlich Finger in der Tür eingeklemmt wurden.

DR. FRITZ: Haben Sie diese Mitteilungen einfach hingenommen und auf sich beruhen lassen?

FRITZSCHE: Im Gegenteil, ich habe Lärm geschlagen. Der Journalist, er hieß nach meiner Erinnerung Stolzenberg, wünschte, selbst nicht genannt zu werden. Ich schrieb drei Briefe; einen an Dr. Goebbels, der mir sagen ließ, er werde sich der Sache annehmen, und je einen an Frick als Innenminister und Göring als preußischen Ministerpräsidenten. Von beiden Stellen riefen dann höhere Beamte an und erklärten, es sei eine Untersuchung im Gange. Ganz kurze Zeit später hörte ich, daß dieses alte Lager Oranienburg aufgelöst wurde, daß der Kommandant zum Tode verurteilt worden sei, eine Meldung, die ich von einem Herrn von Lützow erhielt, dem Pressereferenten des damaligen Leiters der Staatspolizei, Diels oder Diehl.

DR. FRITZ: Haben Sie nach diesem ersten Erfolg eines Protestes gegen Mißhandlungen weitere Mitteilungen erhalten über Greueltaten in den Konzentrationslagern?

FRITZSCHE: Nein, weitere Mitteilungen über Mißhandlungen habe ich nicht erhalten. Dagegen habe ich oft Nachfrage gehalten bei einzelnen Personen der Gestapo oder der Pressestelle des Reichsführers-SS. Alle von mir Befragten erklärten folgendes: Schweinereien seien nur vorgekommen in der ersten Zeit, also gleich 1933 oder anfangs 1934, als die Konzentrationslager von SA-Leuten ohne Beruf bewacht wurden, also denjenigen Angehörigen der SA, die einen ganzen Tag zur Verfügung standen; darunter seien oft nicht die besten Elemente gewesen. Es wurde mir weiter erklärt, daß der 30. Juni in diesen Zuständen eine Reinigung bedeutet hätte; der 30. Juni hätte eine Beseitigung der Gauleiter und der SA-Führer gebracht, die ihre Macht mißbraucht hatten. Nun, so wurde schließlich erklärt, seien die Konzentrationslager bewacht von SS, die hauptberufliche Wächter eingestellt habe, hauptberufliche Verwalter, berufsmäßige Kriminalbeamte und Gefängnisaufsichtspersonal. Das sei eine Garantie gegen Mißbräuche.

DR. FRITZ: Haben Sie sich nach einzelnen Personen erkundigt, die in einem Konzentrationslager saßen?

FRITZSCHE: Natürlich; nach so bekannten Persönlichkeiten, wie nach Pfarrer Niemöller oder Schuschnigg, habe ich mich erkundigt, oder nach dem verhafteten Privatsekretär von Heß, Leipkin. Immer erhielt ich beruhigende Auskünfte.

DR. FRITZ: Nun, das mögen Ausnahmefälle bei bekannten und prominenten Personen sein. Haben Sie nicht mit anderen Leuten aus einem Konzentrationslager zu sprechen versucht?

FRITZSCHE: Ja. Im April 1942 begegnete mir ein früherer Funktionär der Kommunistischen Partei, namens Reintgen. Mit ihm war ich ein halbes Jahr als Soldat zusammen, er berichtete deshalb völlig offen und rückhaltslos. Er schilderte, er sei 1933 durch Schläge auf den Rücken mißhandelt worden, später nicht mehr. Das stimmte mit meinen Beobachtungen überein.

DR. FRITZ: Haben Sie selbst Konzentrationslager besucht?

FRITZSCHE: Nein, innerhalb der Umzäunung eines Konzentrationslagers bin ich niemals gewesen. Dagegen war ich mehrfach im Winter 1944/1945 in den Verwaltungsgebäuden in der Nähe des Lagers Oranienburg-Sachsenhausen. Außerdem sprach ich so oft, wie es mir nur irgend möglich war, mit Häftlingen, wenn ich diese auf dem Marsch oder irgendwo bei der Arbeit sah.

DR. FRITZ: Mit wem sprachen Sie in Oranienburg?

FRITZSCHE: Mit einem Mitarbeiter des Obergruppenführers Glücks; zweimal auch mit diesem selbst. Sie sagten, die Auslandsberichte über grausame Behandlung seien falsch. Die Behandlung sei nicht nur menschlich, sondern ausgesprochen gut, da die Häftlinge doch wertvolle Arbeitskräfte darstellten. Ich habe länger gesprochen über die Arbeitszeit deshalb, weil damals gerade ein etwas törichter Erlaß herausgekommen war über eine Verlängerung aller Arbeitszeiten. Die Stellungnahme von Glücks war sehr vernünftig, nämlich die, daß eine längere Arbeitszeit nicht etwa Mehrarbeit erbringe. Deshalb sei es bei einer Arbeitszeit von acht bis zehn Stunden täglich geblieben.

Von Vernichtung durch Arbeit sprach er nicht. Von ihr habe ich im Gerichtssaal zum ersten Male gehört.

DR. FRITZ: Und wie war das mit Ihren Fragen an die Häftlinge direkt?

FRITZSCHE: Nun, zunächst fuhr immer ein Aufseher dazwischen, und dann zeigte sich naturgemäß ein tiefes Mißtrauen auf der Seite der Häftlinge; aber schließlich erhielt ich immer auf sachliche Fragen auch sachliche Antworten. Und deren Inhalt, ganz kurz zusammengefaßt, war immer wieder der, ihre Verhaftung sei ungerecht. Ihr Essen sei eigentlich besser als im Gefängnis. Oft hörte ich den Satz: »Dann sind wir wenigstens nicht Soldaten.« Und bei den Aufsehern sah ich als Waffe immer nur Gewehr oder Revolver; Schlaginstrumente habe ich nicht gesehen.

DR. FRITZ: Haben Sie nicht auch hier bei den Konzentrationslagern immer neues Mißtrauen geschöpft aus den Rundfunksendungen des Auslandes?

FRITZSCHE: Lange Zeit nicht, und zwar aus Gründen, die ich hier gestern schon schilderte. Erst im April 1945 kamen die Berichte von englischen Parlamentariern über den Fall Buchenwald. Aber dieser Fall liegt so spät, daß ich die Einzelheiten der Vorfälle, die sich dabei abspielten im Propagandaministerium, im Interesse der Kürze wohl nicht erwähnen sollte.

DR. FRITZ: Wie erklären Sie sich die Tatsache, daß doch zweifellos Verbrechen und Mißhandlungen übelster Art in den Konzentrationslagern vorgekommen sind?

FRITZSCHE: Ich stehe da vor einem schrecklichen Rätsel, seit ich in der Gefangenschaft die ersten zuverlässigen Mitteilungen darüber hörte. Nur ein Teil der furchtbaren Zustände, die man vorfand, ist zu erklären durch Stockung des Verkehrs bei Kriegsende. Der Rest ist mehr als genug. Es hat offenbar der Befehl zur geheimen Massentötung von Menschen diejenigen in unvorstellbarer Weise verrohen lassen, die mit seiner Ausführung beschäftigt waren.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof weiß nicht, ob diese Erklärung irgendwelche Beweiskraft hat; wir haben über diese Dinge bereits alles gehört. Er hat uns erklärt, warum er nichts darüber gewußt habe.

DR. FRITZ: Herr Präsident! Ich habe nur noch zwei Fragen an den Angeklagten.

Herr Fritzsche! Es ist hier gesagt worden, daß die Zustände in den Konzentrationslagern dem deutschen Volk allgemein bekannt gewesen seien. Wollen Sie uns auch hierzu als Journalist Ihre begründete Stellungnahme mitteilen?

VORSITZENDER: Hat er uns denn das nicht schon gesagt?

DR. FRITZ: Verzeihung, Herr Präsident. Darüber hat er sich geäußert bei der Mißhandlung und Vernichtung von Juden, bei der Extermination der Juden, da hatte ich ihn gefragt...

VORSITZENDER: Sie fragen ihn über seine Ansicht als Journalist. Ich sehe nicht ein, inwiefern das für uns von Bedeutung ist.

DR. FRITZ: Ich wäre Ihnen dankbar, Herr Präsident – das ist meine vorletzte Frage –, wenn Sie dieselbe zulassen würden. Ich erwarte von dem Angeklagten eine Antwort, die geeignet ist, dem Gericht bei der Urteilsfindung zu helfen.

VORSITZENDER: Worüber soll er seine Meinung als Journalist abgeben?

DR. FRITZ: Der Angeklagte Fritzsche will hier einige Äußerungen wiedergeben, zum Beispiel des Dr. Goebbels.

VORSITZENDER: Schön, stellen Sie die Frage.

DR. FRITZ: [zum Zeugen gewandt] Hatten Sie die Frage verstanden?

FRITZSCHE: Ich glaube, daß hier eine Verwechslung vorgekommen ist, insofern, als ich Äußerungen von Dr. Goebbels nicht zu diesem Komplex zu sagen vermag, sondern zu einem letzten Komplex, der mir wichtiger erscheint, als diese vorletzte Frage.

DR. FRITZ: Immerhin bitte ich Sie, sich ganz kurz zu meiner Frage zu äußern. Soll ich sie wiederholen?

FRITZSCHE: Danke. Ich möchte auch hier nur kurz auf das verweisen, was ich schon im Zusammenhang mit den Mordtaten gesagt habe. Es gab viele Gerüchte; aber diese Gerüchte wurden dementiert. Es lag zweifellos ein eiserner Ring des Schweigens um diese Schrecknisse, und wichtig erscheint mir aus meinem Arbeitskreis nur die Beobachtung, daß es im RSHA und einigen von dessen Abteilungen Stellen gegeben haben muß, die systematisch dafür arbeiteten, diese Greueltaten zu verheimlichen, zu verbergen und beruhigende Erklärungen und Dementis gegenüber den Stellen abzugeben, die die Öffentlichkeit vertraten.

DR. FRITZ: Ich stelle nun eine letzte zusammenfassende Frage. Sie haben sich bei Ihrer Vernehmung durch mich über Hitler und seine Politik erheblich anders geäußert, als früher in Ihren Rundfunkansprachen und so weiter. Können Sie in ganz wenigen Sätzen den Zeitpunkt und die Ursache Ihrer Meinungsänderung angeben?

FRITZSCHE: Ich bitte, dies ganz präzise tun zu dürfen.

Die erste Station auf dem Wege dieser Erkenntnis war nicht die deutsche Niederlage; denn Recht oder Unrecht ist unabhängig von Sieg oder Niederlage, es war die Tatsache, daß Hitler diese Niederlage noch zur Selbstvernichtung des deutschen Volkes machen wollte, wie Speer dies jetzt in furchtbarer Weise bestätigt hat und wie ich es im letzten Kampfabschnitt in Berlin beobachten konnte, als unter der Vorspiegelung einer falschen Hoffnung fünfzehn-, vierzehn-, dreizehn- und zwölfjährige Jungen ausgerüstet wurden mit Handfeuerwaffen gegen Panzer und zum Kampf aufgerufen wurden, Jungen, die vielleicht eine Hoffnung für einen Wiederaufbau gewesen wären. Hitler flüchtete in den Tod und hinterließ den Befehl weiterzukämpfen. Er hinterließ ebenfalls die amtliche Nachricht, daß er im Kampfe gefallen sei. Ich erfuhr, daß er Selbstmord begangen hatte, und so war meine letzte Publikation am 2. Mai 1945 die Mitteilung dieses Selbstmordes; denn ich wollte die Bildung einer Hitler-Legende im Keim ersticken.

Ich hörte dann in der Gefangenschaft von einem mitgefangenen deutschen Major namens Sforner, daß er von der Gestapo verhaftet wurde, zur Erzielung eines Geständnisses gefoltert wurde, ja, daß man vor seinen Augen seine Frau verprügelte. Das war die zweite Station.

Die dritte Station bedeutete ein anderer Mitgefangener, der ja weltbekannte Geograph General Niedermayer, der mir den Nachweis erbrachte, daß die von Hitler gegebene Begründung des Angriffs auf Rußland falsch war, mindestens in einem wichtigen Fall. Er konnte mir nach einer Unterredung mit dem Dolmetscher sagen, daß Molotow in der entscheidenden Unterredung mit Ribbentrop 1941 keineswegs neue Forderungen gestellt hatte, sondern vielmehr nur die Verwirklichung der 1939 gegebenen Zusicherungen verlangte. Damit entfiel ein Teil, ich betone ein Teil, der Gründe für die Behauptung, daß unser Angriff gegen Rußland einem Angriff Rußlands zuvorkam.

Die vierte Station war der hier im Gerichtssaal erbrachte Nachweis zu dem Fünf-Millionen-Mord an den Juden. Ich habe mich über ihn bereits geäußert. Ich halte es nur für meine Pflicht, noch eine Äußerung zu bekunden, die Dr. Goebbels in meiner Anwesenheit am Sonnabend, dem 21. April 1945 tat. Dr. Goebbels sagte im Zustande äußerster Erregung über den letzten entscheidenden Durchbruch der Russen bei Berlin folgendes: »Nun, das deutsche Volk hat es ja nicht anders gewollt, es entschied sich ja im Rahmen der Volksabstimmung über den Austritt aus dem Völkerbund mit großer Mehrheit gegen eine Politik der Nachgiebigkeit und für eine Politik der Ehre und des Wagemuts. So hat« – so schloß Dr. Goebbels – »so hat das deutsche Volk selbst den Krieg gewählt, den es jetzt verloren hat.«

Das waren die letzten Worte, die ich von Dr. Goebbels hörte, und diese Worte sind unwahr. Ich erkläre unter meinem Eid: Niemals vorher hatte Dr. Goebbels jener Volksabstimmung eine solche Bedeutung gegeben, niemals hatte er ihr einen solchen Sinn unterlegt. Das genaue Gegenteil war der Fall. Dem deutschen Volke ist gerade bei dieser Volksabstimmung ausdrücklich noch einmal eine feierliche Versicherung des Friedenswillens Hitlers und seiner Mitarbeiter gegeben worden. Hiernach steht für mich fest, daß Hitler und mindestens einige seiner Mitarbeiter das Volk in einigen entscheidenden Punkten, einigen Ausgangspunkten ihrer Politik, bewußt belogen haben, und, was für die Geschichte nicht so wichtig ist, ich persönlich fühle mich in diesen Punkten ebenfalls belogen.

DR. FRITZ: Herr Präsident! Ich habe keine Frage mehr an den Angeklagten Fritzsche.

VORSITZENDER: Wünscht irgendein anderer Verteidiger Fragen zu stellen?

DR. STAHMER: Herr Zeuge! Haben Sie davon gehört oder festgestellt, daß am Anfang der Einrichtung der Konzentrationslager neben den ordentlichen Lagern noch sogenannte »wilde Lager« bestanden haben, die von SA-Führern ohne Kenntnis der zuständigen Stellen eingerichtet waren?

FRITZSCHE: Nein. Damals habe ich davon nichts gehört. Hier im Gerichtssaal hörte ich zum erstenmal von diesem Unterschied.

DR. STAHMER: Können Sie aus Ihrer heutigen Kenntnis feststellen, ob die Mißstände, die Sie geschildert haben, in diesen wilden Konzentrationslagern vorgefallen sind?

FRITZSCHE: Dazu kann ich ganz präzise antworten. Der Mißstand, der mir bekannt wurde, tauchte ja auf in dem alten Lager Oranienburg, einem Lager, das dort in der Berliner Straße lag. Zu welcher Gattung dieses Lager gehörte, weiß ich nicht. Dieser Mißstand aber wurde ja auch abgestellt, und ich betonte schon in meiner Vernehmung, daß fast unmittelbar nach meinem Brief an den preußischen Ministerpräsidenten ich angerufen wurde von einem Ministerialrat oder Ministerialdirektor mit der Zusage der Untersuchung, einer Zusage, die auch eingehalten worden ist, wobei ich mich allerdings nicht erinnere, ob gerade von dieser Stelle mir noch ein Schlußbescheid zuging.

DR. STAHMER: Ich habe keine weiteren Fragen mehr.

DR. KUBUSCHOK: Im Juni 1934 wurde die Veröffentlichung der Marburger Rede des Angeklagten von Papen verboten. Ist es richtig, daß von diesem Zeitpunkt an jegliche Auslassung des Angeklagten von Papen nur mit ausdrücklicher vorheriger Genehmigung des Propagandaministeriums veröffentlicht werden konnte?

FRITZSCHE: Das ist richtig, sogar in einem noch engeren Sinne. Die Beschlagnahme der Marburger Rede war, wie ich mich genau erinnere, veranlaßt worden von dem späteren Ministerialdirektor Berndt. Dieser machte Dr. Goebbels darauf aufmerksam. Für die weiteren Veröffentlichungen Papens aber galt der Grundsatz, daß auch nicht das Propagandaministerium das Recht hätte, sie freizugeben, sondern sie mußten zugeleitet werden entweder dem Minister persönlich oder dem Führer.

DR. KUBUSCHOK: Sie erwähnten bei Ihrer Vernehmung, daß Sie den Angeklagten von Papen von früher her kennen; diese Bekanntschaft rühre von Ihrem Besuch in der Türkei her. Wann war Ihr Besuch in der Türkei?

FRITZSCHE: Im Januar, ich glaube, des Jahres 1944.

DR. KUBUSCHOK: Welchen Zweck hatte Ihr Besuch?

FRITZSCHE: Ich hielt einen Vortrag vor der Reichsdeutschen Kolonie in Istanbul und in Ankara anläßlich des 30. Januar.

DR. KUBUSCHOK: Hatte Herr von Papen mit dieser Rede und dieser Veranstaltung etwas zu tun?

FRITZSCHE: Nein, weniger als nichts. Ich bekam von Berlin aus die offizielle Bitte mit, Herrn von Papen doch dazu zu veranlassen, zur Feier des 30. Januar nicht wieder, wie er es sonst tat, ostentativ abzureisen. Ich habe auch den Versuch unterlassen, Herrn von Papen umzustimmen, und so ging er rechtzeitig von seinem Dienstsitz weg, um Schneeschuh zu laufen.

DR. KUBUSCHOK: Danke.

DR. THEODOR KLEFISCH, STELLVERTRETENDER VERTEIDIGER FÜR DIE SA: Herr Zeuge! Sie sagten soeben, es sei Ihnen berichtet worden, daß Ende 1933 und Anfang 1934 SA-Männer ohne Beruf gewisse Konzentrationslager bewacht hätten und daß darauf wohl Mißstände zurückzuführen seien. Ich habe nur eine Frage: Von wem stammt dieser Bericht?

FRITZSCHE: Von dem damaligen Pressechef oder Pressereferenten des Reichsführers-SS Himmler, namens Gerhard Ratke.

DR. KLEFISCH: Ratke?

FRITZSCHE: Ratke.

DR. KLEFISCH: Danke.

DR. FRITZ SAUTER, VERTEIDIGER DER ANGEKLAGTEN FUNK UND VON SCHIRACH: Herr Zeuge! Sie haben vorgestern bereits ausgesagt, daß der Angeklagte Funk im Propagandaministerium mit der Propaganda nichts zu tun hatte, sondern in der Hauptsache mit Organisation und mit Finanzaufgaben. Nun muß ich Sie aber bitten, mir noch einige Fragen zu beantworten über die Tätigkeit des Angeklagten Funk im Propagandaministerium. Sie wissen, Herr Zeuge, daß zunächst eine Presseabteilung der Reichsregierung bestanden hat, das war eine staatliche Einrichtung. Wie lange hat diese Presseabteilung bestanden, und was ist aus ihr geworden?

FRITZSCHE: Sie bestand schon lange vorher, jedenfalls bis März 1933. Bis dahin war sie ein Glied des Auswärtigen Amtes. Von da ab wurde sie zum Glied des Propagandaministeriums, wo sie also nunmehr eine doppelte Funktion auszuüben hatte: Erstens, Presseabteilung dieses Ministeriums zu sein und zweitens weiterhin als Presseabteilung der Reichsregierung zu fungieren.

DR. SAUTER: Herr Zeuge! Können Sie mir sagen, wer vom März 1933 an, also von der Eingliederung der Presseabteilung ins Propagandaministerium, der Chef dieser Presseabteilung und damit praktisch der Chef des Pressewesens gewesen ist. War das Funk, oder wer war das sonst?

FRITZSCHE: Nein, das war der Ministerialrat Jahnke als Nachfolger des Ministerialdirektors Berndt, dann erfolgte die Aufteilung dieser Presseabteilung in drei Abteilungen; deutsche Presse...

DR. SAUTER: Das interessiert mich nicht. Mich interessiert, Herr Zeuge, nur, ob der Chef dieser Abteilung der Angeklagte Funk war, oder ob es richtig ist, daß er damit nichts mehr zu tun hatte?

FRITZSCHE: Nominell war er schon der Chef, aber mit der praktischen Arbeit hatte er nichts zu tun. Die lief von Dr. Goebbels über Hahnke zu Jahnke.

DR. SAUTER:... und später zu Ministerialdirektor Berndt. Herr Zeuge, eine weitere Frage: Wer hat denn im Propagandaministerium, also ich spreche immer von der staatlichen Stelle, wer hat denn da die Leitung der Pressepolitik gehabt? Hatte der Angeklagte Funk etwas damit zu tun, oder wer hat das sonst gemacht? Die Leitung der Pressepolitik?

FRITZSCHE: Die hat zu jener Zeit Dr. Goebbels ausgeübt, später dann der Reichspressechef Dr. Dietrich.

DR. SAUTER: Der Angeklagte Funk war im Propagandaministerium Staatssekretär, wenigstens hatte er den Titel Staatssekretär. Wenn man nun ganz allgemein die Sache betrachtet, würde mich interessieren, hat er auch tatsächlich die Stellung eines Staatssekretärs bekleidet, oder hat diese Stelle des Staatssekretärs, also des regelmäßigen Vertreters des Ministers, ein anderer Beamter gehabt?

FRITZSCHE: Er hatte selbstverständlich die Stelle eines Staatssekretärs und auch ihre Macht und ihr Ansehen und ihr Gehalt. Aber die praktische Arbeit war anders aufgeteilt.

DR. SAUTER: Wie denn?

FRITZSCHE: Ich habe es schon gesagt. Praktisch machte Funk Organisation und Finanzen des – man kann schon so sagen – riesigen Kulturkonzerns, der damals ausgebaut wurde, während die aktuelle Politik Dr. Goebbels mit dem Chef seines Ministeramtes Hahnke, dem Nachfolger Funks als Staatssekretär, machte.

DR. SAUTER: Dann, Herr Zeuge, hätte ich noch eine letzte Frage, die sich auf einen anderen Gegenstand bezieht. Ist Ihnen bekannt, wie sich der Minister Dr. Goebbels im November 1938 oder später, 1938, über diese Judenpogrome vom 9. November 1938 in Bezug auf den Angeklagten Funk geäußert hat?

FRITZSCHE: Erheblich später erklärte Dr. Goebbels einmal in meiner Anwesenheit, man müsse eben manchmal radikal sein, damals, als Funk immer erklärt hatte, daß man die Juden nicht aus der Wirtschaft eliminieren könne; aber er, Dr. Goebbels, hat Funk eben beweisen müssen, daß es doch ginge, indem er die Krawalle des 8. November veranstaltete.

DR. SAUTER: Hat er in dem Zusammenhang etwas davon gesagt, daß er diese Judenaktion, für die ja Dr. Goebbels verantwortlich war, ausgerechnet auch deshalb eingeleitet hatte, um auf diese Weise Dr. Funk zu treffen und um ihn vor vollendete Tatsachen zu stellen? Hat er sich so Ihnen gegenüber geäußert?

FRITZSCHE: Das war der Sinn meiner eben gegebenen Antwort.

DR. SAUTER: Ich habe sonst keine weiteren Fragen, Herr Präsident. Danke schön.

DR. WALTER SIEMERS, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN RAEDER: Herr Fritzsche! Sie haben hier im Gerichtssaal gehört, welch schwerwiegende Vorwürfe dem Angeklagten Raeder wegen des Artikels im »Völkischen Beobachter« gemacht worden sind, im Artikel »Churchill versenkte die Athenia«, der am 23. Oktober 1939 im »Völkischen Beobachter« erschien.

Herr Präsident! Es ist das Dokument 3260-PS, gleich GB-218. Ich habe zu dem Fall »Athenia« einige Fragen an Sie: Herr Fritzsche! Wann erhielt das Propagandaministerium die Nachricht von der Torpedierung der »Athenia« und auf welchem Weg?

FRITZSCHE: Das Datum vermag ich aus der Erinnerung nicht anzugeben, aber ich weiß, wir erhielten die Nachricht auf dem Funkweg, also durch das Abhören irgendeiner Auslandsmeldung.

DR. SIEMERS: Diese Funkmeldung war also gleich kurz nach der Versenkung der »Athenia«?

FRITZSCHE: Ohne Zweifel.

DR. SIEMERS: Trat das Propagandaministerium mit dem Oberkommando der Kriegsmarine daraufhin in Verbindung, um Näheres über die Versenkung in Erfahrung zu bringen?

FRITZSCHE: Jawohl, das tat ich persönlich, weil ich zufällig als Zensurberater bei mir hatte einen Verbindungsoffizier zum Oberkommando der Kriegsmarine.

DR. SIEMERS: Mit wem traten Sie beim Oberkommando der Kriegsmarine in Verbindung, und was erfuhren Sie dort?

FRITZSCHE: Ich fragte zunächst den erwähnten Offizier. Es war der Kapitänleutnant Hahn, dann telephonierte er, wahrscheinlich aber auch ich, mit dem Oberkommando der Kriegsmarine, und nach meiner Erinnerung sprach ich dort mit dem Korvettenkapitän Wolf.

DR. SIEMERS: Und was sagte Kapitän Wolf Ihnen?

FRITZSCHE: Er sagte mir schon zu diesem sehr frühen Zeitpunkt, daß kein deutsches U-Boot überhaupt in der fraglichen Seegegend wäre.

DR. SIEMERS: Ich erinnere daran, daß die »Athenia« am 4. September 1939 versenkt wurde. Was tat das Propagandaministerium, nachdem das Oberkommando der Kriegsmarine erklärt hatte, daß es kein deutsches U-Boot gewesen sei zu diesem Zeitpunkt?

FRITZSCHE: Es wurde eben diese Meldung ausgegeben.

DR. SIEMERS: Herr Fritzsche! Wie kam es dann ungefähr sechs bis sieben Wochen später zu dem erwähnten Artikel »Churchill versenkte die Athenia« vom 23. Oktober 1939? Soll ich Ihnen den Artikel zeigen?

FRITZSCHE: Danke. Ich erinnere mich dieses Vorfalles besonders gut, zumal ich natürlich auch mein Gedächtnis nachgeprüft habe, nachdem er hier im Gerichtssaal zum erstenmal wieder Erwähnung fand.

Ich weiß, daß die Aufforderung, diesen Aufsatz zu schreiben, mit einer bis ins einzelne gehenden Gebrauchsanweisung von Hitler kam, und zwar von ihm persönlich. Der Auftrag kam auf zwei verschiedenen Wegen, einmal durch einen telephonischen Anruf des Reichspressechefs Dr. Dietrich, ein zweites Mal durch einen ebensolchen von Dr. Goebbels oder einem seiner Beauftragten; das vermag ich nicht mehr zu sagen. Der Auftrag sollte weitergegeben werden an den »Völkischen Beobachter«, und nun kommt der Umstand, warum ich mich an die Einzelheiten erinnere.

Als ich einem meiner Mitarbeiter sagte, er möge den »Völkischen Beobachter« verständigen, kam er zu mir zurück mit der Mitteilung, das sei nicht mehr nötig gewesen, der »Völkische Beobachter« habe aus dem Hauptquartier alles Nötige schon direkt und unmittelbar gehört.

DR. SIEMERS: Wann wurde dieser Auftrag von Hitler beziehungsweise von Dr. Goebbels erteilt?

FRITZSCHE: Am Vortage des Erscheinungstages nehme ich an.

DR. SIEMERS: Stand irgendeine Stelle im OKM mit diesem Artikel in Verbindung?

FRITZSCHE: Nach meiner Kenntnis nicht.

DR. SIEMERS: Haben Sie vor Veröffentlichung dieses Artikels mit Großadmiral Raeder über den Artikel gesprochen oder ihn von dem Auftrag Hitlers in Kenntnis gesetzt?

FRITZSCHE: Nein, ich glaube überhaupt, daß das OKM von dem auf die geschilderte Weise zustandegekommenen Aufsatz keinerlei Kenntnis gehabt hat.

DR. SIEMERS: Haben Sie zu irgendeiner Zeit mit dem OKM oder mit Großadmiral Raeder selbst noch einmal über den Fall »Athenia« gesprochen?

FRITZSCHE: Erst hier im Gefängnis.

DR. SIEMERS: Herr Fritzsche! Ist es richtig, daß im September 1939 in der »Times« behauptet worden ist, daß in der Tschechei durch deutsche Kreise 10000 Tschechen einschließlich des Oberbürgermeisters in Prag ermordet worden sind?

FRITZSCHE: Ob es in der »Times« gestanden hat, das weiß ich nicht. Sicher aber im »News Chronicle«.

DR. SIEMERS: Was hat das Propagandaministerium daraufhin getan?

FRITZSCHE: Es hat deutsche und ausländische Journalisten nach Prag gebracht. Wenn ich mich nicht irre, ist einer der ausländischen Journalisten, der damals mit nach Prag flog, sogar hier im Gerichtssaal anwesend.

DR. SIEMERS: Und was stellten diese ausländischen Journalisten fest?

FRITZSCHE: Sie hatten ein Interview mit dem angeblich getöteten Oberbürgermeister von Prag, sie reisten im Land herum und berichteten entsprechend.

DR. SIEMERS: Stellte sich demnach die Meldung als völlig unrichtig heraus?

FRITZSCHE: Sie stellte sich damals als völlig unrichtig heraus. Ich muß aber hinzufügen, daß seit dem Montag dieser Woche und seit der Aussage des Herrn von Neurath mir klar geworden ist, daß im Schatten dieses großen und wirkungsvollen Dementis dann eben doch eine Verhaftungsaktion in der Tschechoslowakei durchgeführt worden ist, und wenn über diese...

Ich darf das noch hinzufügen, ich muß es klären: Und wenn, was ich nicht mehr weiß, über diese Verhaftungsaktion...

VORSITZENDER: Dr. Siemers, was hat das mit Raeder zu tun?

DR. SIEMERS: Ich glaube, Herr Präsident, daß es in gewisser Weise ein Parallelfall mit dem Artikel im »Völkischen Beobachter« ist, den die Anklage aus mir nicht bekannten Gründen so ganz besonders hervorgehoben hat.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof ist der Ansicht, daß dieses Beweismittel unzulässig ist.

DR. SIEMERS: Herr Fritzsche! Wissen Sie, welche Einstellung Dr. Goebbels zu Großadmiral Raeder hatte?

FRITZSCHE: Aus den wenigen Äußerungen, die er über Großadmiral Raeder machte, war erkennbar, daß es eine überaus ablehnende Einstellung war, und zwar begründete er diese bei mehreren Gelegenheiten mit der ablehnenden Haltung Raeders gegenüber der Partei und ihren Wünschen, sowie mit der positiven Haltung Raeders in kirchlichen Fragen und dem Schutze der Marinegeistlichen vor irgendwelchen Zugriffen oder Wünschen der Partei.

DR. SIEMERS: Danke, ich habe keine weiteren Fragen.

DR. HORN: Herr Zeuge! Sie erwähnten vorhin, daß bei der Besprechung Ribbentrop-Molotow ein General Niedermayer anwesend gewesen sei. Woher haben Sie diese Information?

FRITZSCHE: In Ihrer Frage ist ein Irrtum enthalten. Ich habe nicht gesagt, daß General Niedermayer an dieser Unterredung teilgenommen habe, sondern ich sagte – und will das nunmehr genauer zum Ausdruck bringen – daß mir in der Gefangenschaft dieser General Niedermayer begegnete, der gerade eben vorher in einer anderen Zelle wochen- oder monatelang zusammengewesen war mit dem Dolmetscher, der die Unterredung Molotow-Ribbentrop übertragen hatte.

DR. HORN: Haben Sie von General Niedermayer den Namen dieses Dolmetschers erfahren?

FRITZSCHE: Zweifellos, aber ich habe ihn mir nicht gemerkt.

DR. HORN: Und dann habe ich noch eine Frage.

Nach der letzten Unterredung zwischen dem Britischen Botschafter Sir Nevile Henderson und dem damaligen Außenminister von Ribbentrop am 30. August 1939, in der die Bedingungen für die Verhandlungsgrundlagen mit Polen bekanntgegeben wurden, wurden diese Bedingungen am nächsten Tag im »Daily Telegraph« veröffentlicht. Angeblich soll diese Auflage, die diese Bedingungen enthielt, zurückgezogen worden sein.

Was wissen Sie über diesen Artikel?

FRITZSCHE: Ich darf zunächst wieder einen Irrtum richtigstellen, der sich in Ihre Frage eingeschlichen hat. An dem fraglichen nächsten Morgen veröffentlichte der »Daily Telegraph« nicht etwa die Bedingungen oder die Note, sondern er brachte eine Mitteilung darüber, daß in der vorangegangenen Nacht die Britische Regierung beraten habe, und zwar über die von ihrem Botschafter in Berlin übermittelten deutschen Bedingungen an Polen. Es ging also aus dieser Notiz hervor – sie konnte jedenfalls nicht anders verstanden werden – daß diese Bedingungen in London vorgelegen hatten.

DR. HORN: Danke sehr.

DR. THOMA: Herr Fritzsche! Sie haben gestern ausgesagt, daß der »Völkische Beobachter« unmittelbare Verbindung mit dem Führer und dem Führerhauptquartier gehabt hat während des Krieges. Welche Persönlichkeiten haben Sie denn da im »Völkischen Beobachter« im Auge gehabt?

FRITZSCHE: Weniger Persönlichkeiten innerhalb des »Völkischen Beobachters« als vielmehr Persönlichkeiten innerhalb des Hauptquartiers. Also, Dr. Dietrich und seine Vertreter ließen es sich angelegen sein, den »Völkischen Beobachter« immer unmittelbar anzurufen.

DR. THOMA: Wissen Sie, daß Rosenberg seit dem Jahre 1937 nicht mehr Hauptschriftleiter im »Völkischen Beobachter« war?

FRITZSCHE: Ich bin der Überzeugung, daß er es auch vorher nur dem Namen nach war.

DR. THOMA: Herr Zeuge! Können Sie dem Gericht mitteilen, wer bei den sogenannten Aktionen der Partei – ich denke an die Bücherverbrennungen, an den Boykott im April 1933, an die Judenaktionen im November 1938 – jeweils der treibende Keil war?

FRITZSCHE: Ich bin heute der festen Überzeugung, Dr. Goebbels.

DR. THOMA: Herr Zeuge! Ist Ihnen bekannt, daß Goebbels bei jeglicher Anwesenheit Hitlers in Berlin bei diesem zu Gast war?

FRITZSCHE: Das trifft in dieser Form nicht zu. Jahre vor dem Krieg hat Dr. Goebbels Hitler sicher sehr selten gesehen.

DR. THOMA: Ich habe noch eine andere Frage. Wissen Sie, daß Goebbels eine unmittelbare Telephonverbindung zu Hitler hatte?

FRITZSCHE: Das höre ich von Ihnen zum erstenmal.

VORSITZENDER: Dr. Thoma! Das hat doch mit Rosenberg nichts zu tun, ob Goebbels eine direkte Telephonverbindung mit Hitler hatte.

DR. THOMA: Herr Präsident! Ich wollte damit nur Fritzsche fragen, ob Rosenberg eine ähnliche Verbindung zu Hitler hatte wie Goebbels.

FRITZSCHE: Die Telephonanlage Rosenbergs kenne ich nicht, aber ich weiß und habe oft gehört, daß Rosenberg sehr selten bei Hitler war.

DR. THOMA: Das genügt mir, danke schön.

VORSITZENDER: Wünscht irgendein anderer Verteidiger Fragen zu stellen?

Wir wollen uns vertagen.