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[Der Angeklagte verläßt den Zeugenstand.]

Dr. Fritz?

DR. FRITZ: Mit Genehmigung des Gerichtshofs rufe ich den Zeugen Herrn von Schirmeister auf.

[Der Zeuge betritt den Zeugenstand.]

VORSITZENDER: Geben Sie Ihren vollen Namen an.

ZEUGE MORITZ VON SCHIRMEISTER: Moritz von Schirmeister.

VORSITZENDER: Sprechen Sie mir die Eidesformel nach: »Ich schwöre bei Gott, dem Allmächtigen und Allwissenden, daß ich die reine Wahrheit sagen, nichts verschweigen und nichts hinzufügen werde.«

[Der Zeuge spricht die Eidesformel nach.]

VORSITZENDER: Sie können sich setzen.

DR. FRITZ: Herr Zeuge! Vor Beginn Ihrer Vernehmung möchte ich Sie bitten, sich bei Ihren Antworten ganz allgemein und möglichst kurz zu fassen. Schildern Sie bitte zunächst dem Gericht ganz kurz Ihren Lebenslauf, damit das Gericht weiß, mit wem es zu tun hat.

VON SCHIRMEISTER: Beamten- und Offiziersfamilie; drei Semester Theologie und zehn Jahre Bankbeamter, davon fünf Jahre in Südamerika; dann Schriftleiter bis zu meiner Berufung nach Berlin; am 1. Oktober 1931 in die Partei eingetreten; SS-Hauptsturmführer in der Allgemeinen SS; während des Krieges viermal Soldat, zuletzt seit dem 31. Juli 1944; am 22. September 1944 in britische Kriegsgefangenschaft geraten, seitdem in England.

DR. FRITZ: Als ich vor einigen Tagen das Thema Ihrer Vernehmung mit Ihnen besprach, haben Sie mir erklärt, daß Sie Ihre frühere positive Einstellung zum Nationalsozialismus in keiner Weise hindere, hier jetzt eine wahrheitsgemäße Aussage zu machen. Stimmt das?

VON SCHIRMEISTER: Ich sagte Ihnen schon, ich habe an die Sache geglaubt, ich habe ihr alles geopfert, ich habe alles durch sie verloren. Es war für mich sehr bitter, aber ich weiß heute, daß ich einer schlechten Sache gedient habe. Ich bin völlig frei davon. Ich habe bereits in meinem letzten Lager in England mithelfen dürfen bei der Umschulung meiner Kameraden. Ich habe dort die Lagerzeitung herausgeben dürfen, und wenn ich nur könnte, dann würde ich heute mitarbeiten am Wiederaufbau eines demokratischen Deutschlands.

DR. FRITZ: Wann lernten Sie den Angeklagten Fritzsche kennen?

VON SCHIRMEISTER: Am 1. Juli 1938.

DR. FRITZ: Was waren Sie damals, welche Stellung sollten Sie einnehmen?

VON SCHIRMEISTER: Ich war Schriftleiter in Braunschweig und wurde ins Propagandaministerium berufen, um persönlicher Pressereferent von Dr. Goebbels zu werden.

DR. FRITZ: Und welche Stellung haben Sie dann tatsächlich im Propagandaministerium eingenommen?

VON SCHIRMEISTER: Ich war bis zum 1. Juli 1943 persönlicher Pressereferent von Dr. Goebbels. Dann war ich persönlicher Referent von Staatssekretär Gutterer bis zum 1. April 1944, ging mit ihm noch für drei Monate zur UFI, das ist die Fachgesellschaft aller Filmgesellschaften, und ging dann am 31. Juli 1944 ins Feld.

DR. FRITZ: Waren Sie also täglich mit Dr. Goebbels zusammen?

VON SCHIRMEISTER: Seit Kriegsausbruch. Ich darf kurz schildern, worin meine Haupttätigkeit bestand.

DR. FRITZ: Ganz kurz bitte.

VON SCHIRMEISTER: Ich mußte während des Krieges das gesamte anfallende Nachrichten- und Propagandamaterial der feindlichen Sender durchsehen und Dr. Goebbels davon laufend Auszüge übermitteln. Diese Auszüge waren für Dr. Goebbels die Grundlage für seine Propagandaanweisungen. Er gab sie morgens selber aus. Nachmittags und abends mußte ich sie an die Presseabteilung und Rundfunkabteilung durchtelephonieren, und daher war ich während des Krieges, soweit das nicht meine Vertreter machten, in der Wohnung von Dr. Goebbels, nahm auch die Mahlzeiten mit ihm ein, schlief bei ihm in seinem Hause, begleitete ihn auf seinen Reisen und so weiter.

DR. FRITZ: Welche Stellung nahm Fritzsche damals ein?

VON SCHIRMEISTER: Herr Fritzsche war damals stellvertretender Abteilungsleiter in der Abteilung »Inlandspresse«.

DR. FRITZ: Schildern Sie Art und Bedeutung der Stellung Fritzsches im Propagandaministerium auch in der Folgezeit, ganz kurz bitte.

VON SCHIRMEISTER: Ich sollte mich in der Inlandspresseabteilung einarbeiten. Die Zustände dort waren denkbar schlecht. Der Leiter, Herr Berndt, trieb eine ausgesprochene Holzhammerpolitik. Er schnauzte herum, kommandierte und warf die Schriftleiter am laufenden Band hinaus.

VORSITZENDER: Wollen Sie Ihre Kopfhörer richtig anlegen!

VON SCHIRMEISTER: Die Referenten waren im Format dem Durchschnittsschriftleiter weder an Können noch an Wissen gewachsen. Der einzige ruhende Pol dazwischen ist Herr Fritzsche gewesen. Er war der einzige Fachmann. Er kannte die Nöte und Bedürfnisse der Presse, und er hatte auf der einen Seite das Porzellan zu leimen, das Herr Berndt dauernd zerschlug, und auf der anderen Seite versuchte er organisatorisch die schlechten Referenten durch bessere zu ersetzen.

DR. FRITZ: Kann man also sagen, daß der Angeklagte Fritzsche in sein Amt nicht gekommen ist etwa als Exponent der Partei, sondern als Fachmann?

VON SCHIRMEISTER: Nur als Fachmann. Die extremen Parteimänner im Ministerium nahmen Herrn Fritzsche damals gar nicht ganz für voll. Aber als Fachmann war er damals – und ist er auch später gewesen – der gute Geist der Presse.

DR. FRITZ: Gehörte Fritzsche damals zu den Mitarbeitern des Ministeriums, die Goebbels regelmäßig zu Besprechungen empfing?

VON SCHIRMEISTER: Solche regelmäßige Besprechungen haben damals überhaupt noch nicht stattgefunden. Herr Fritzsche gehörte auf keinen Fall dazu.

DR. FRITZ: Wurde er also erst hinzugezogen, als er Abteilungsleiter geworden war?

VON SCHIRMEISTER: Ja, soweit solche Besprechungen damals überhaupt schon stattfanden, eigentlich erst seit Kriegsbeginn.

DR. FRITZ: In welcher Weise pflegte Dr. Goebbels sich mit seinen Mitarbeitern zu besprechen?

VON SCHIRMEISTER: Seit Kriegsbeginn fanden täglich am Vormittag um 11.00 Uhr Konferenzen statt, die Dr. Goebbels selbst leitete und in denen er alle notwendigen Propagandaanweisungen gab.

DR. FRITZ: Wie viele Teilnehmer hatten diese 11.00-Uhr-Konferenzen?

VON SCHIRMEISTER: In der ersten Zeit, das heißt bis zu Beginn des Rußlandfeldzuges, etwa 20 Personen, später weitete sich dieser Kreis auf etwa 50 Personen aus.

DR. FRITZ: Wurde auf diesen Konferenzen diskutiert, oder stellten sie mehr eine Ausgabe von Befehlen dar?

VON SCHIRMEISTER: Diskutiert wurde auf diesen Konferenzen niemals. Zunächst gab der Verbindungsoffizier des Oberkommandos der Wehrmacht einen Überblick über die militärische Lage, und dann gab Dr. Goebbels seine Anweisungen für die Propaganda, hauptsächlich in Presse, Rundfunk und Wochenschau.

DR. FRITZ: Wer leitete die Konferenzen, wenn Dr. Goebbels einmal nicht anwesend war?

VON SCHIRMEISTER: Normalerweise der Staatssekretär.

DR. FRITZ: Und wer leitete sie, wenn auch der Staatssekretär nicht da war?

VON SCHIRMEISTER: Meist Herr Fritzsche, manchmal auch der Leiter der Auslandspresseabteilung oder der Auslandsabteilung, meist aber Herr Fritzsche.

DR. FRITZ: Gab Fritzsche in diesen Fällen die täglichen Propagandaanweisungen von sich aus, oder wie war das dort?

VON SCHIRMEISTER: Nein, wenn der Minister nicht in Berlin war, ließ er sich auch laufend über das Nachrichtenmaterial, das aus dem Ausland anfiel, unterrichten. Er gab dann mir oder einem meiner Vertreter die Anweisungen genau so wie sonst in der Konferenz. Ich mußte diese Anweisungen durchtelephonieren. In Berlin wurden sie von Stenographen aufgenommen und wortwörtlich als Anweisungen des Ministers in der Konferenz verlesen.

Das muß übrigens auch aus den Protokollen hervorgehen. Sie waren ausdrücklich immer bezeichnet als »Anweisungen des Ministers«.

DR. FRITZ: Wenn Fritzsche sich schriftlich formulierter Weisungen in der von Ihnen geschilderten Art, die Goebbels gegeben hatte, bediente, hat Fritzsche dann von Goebbels nicht behandelte Fragen dadurch zu klären versucht, daß er sie diskutieren ließ?

VON SCHIRMEISTER: Es kam, wenn Dr. Goebbels weiter von Berlin abwesend war, vor, daß die neuen Nachrichten ihn nicht mehr rechtzeitig erreichten.

In diesen Fällen hat Herr Fritzsche die Dinge zur Diskussion gestellt, Für und Wider gegeneinander abgewogen, und dann eine Anweisung auf eigene Faust gegeben; das wurde schriftlich festgehalten; der Minister las es nachher und hat es dann gebilligt oder auch abgeändert.

DR. FRITZ: Nun gab es doch sicher nicht nur solche große Konferenzen mit 30 oder 50 Personen, bei denen Goebbels seine Weisungen erteilte, sondern wohl auch intimere Aussprachen?

VON SCHIRMEISTER: Im Laufe des Vormittags kamen selbstverständlich einzelne Abteilungsleiter zu Dienstbesprechungen auch zum Minister.

DR. FRITZ: Wurde Fritzsche damals zu solchen intimeren Aussprachen hinzugezogen?

VON SCHIRMEISTER: Im allgemeinen nein; denn der Minister benutzte die Konferenzen, bei denen ja alle Abteilungen vorhanden waren, um das, was er gleichzeitig für Presse, Rundfunk und Wochenschau zu sagen hatte, zusammenzufassen. Zu den Einzelbesprechungen kamen dann die Abteilungsleiter, deren Fachgebiet die anderen nicht interessierte.

DR. FRITZ: Wie oft wurde Herr Fritzsche hinzugezogen im Verhältnis zu den Staatssekretären, wie zum Beispiel Hahnke, Gutterer und schließlich Dr. Naumann?

VON SCHIRMEISTER: Die Staatssekretäre konnten immer bei diesen Einzelbesprechungen sein, ebenso die persönlichen Referenten, die immer dabei waren. Herr Fritzsche ist nur ganz selten bei solchen Einzelbesprechungen gewesen.

DR. FRITZ: Wie war die Stellung der zwölf Abteilungsleiter des Propagandaministeriums, von denen einer der Angeklagte Fritzsche war?

VON SCHIRMEISTER: Persönlich waren diese Abteilungsleiter aufzuteilen zwischen Fachmännern auf der einen Seite, wie etwa den Leiter der Haushaltsabteilung Dr. Ott, und ausgesprochenen Parteimännern auf der anderen Seite, wie etwa Herr Berndt. Dienstlich hatten sie alle miteinander auch nicht annähernd das zu sagen, was normalerweise ein Abteilungsleiter in einem Ministerium zu sagen hat. Es war allgemein bekannt, daß der Minister sie als Werkzeuge benutzte, und wenn er sie nicht mehr brauchte, hinauswarf. Es war nicht nur mit den Abteilungsleitern so, sondern ich darf daran erinnern, wie er seinen Staatssekretär Gutterer in unwürdiger Weise weggejagt hat, als er ihn über hatte.

DR. FRITZ: Die Anklage wirft Fritzsche vor, er habe in den Nachrichtenagenturen, Rundfunk und Presse Deutschlands ein Instrument geschmiedet, das eine wichtige Rolle gespielt habe in den Händen der sogenannten Verschwörer bei der Durchführung ihrer Pläne. Stammt die Organisation der Presse im nationalsozialistischen Staat überhaupt von Fritzsche, und was können Sie zu diesem Vorwurf sagen?

VON SCHIRMEISTER: Als Herr Fritzsche ins Ministerium kam, war diese Presseabteilung längst fertig und aufgebaut. Im übrigen darf ich aber auch sagen, daß auch selbst Dr. Goebbels im Sinne der Anklage nicht zu diesem Verschwörerkreis insofern gehörte, als er ja nicht zum Kriege hat treiben wollen, sondern seine Aufgabe gerade in einer unblutigen Eroberung von Ländern gesehen hat.

DR. FRITZ: Also war die Organisation fertig, als Fritzsche die Leitung dieser Abteilung »Deutsche Presse« im Winter 1938/1939 übernahm?

VON SCHIRMEISTER: Jawohl, fix und fertig.

DR. FRITZ: War Fritzsche in dieser Leitung selbständig? Falls nein, wem unterstand er?

VON SCHIRMEISTER: Herr Fritzsche hat leider nicht nur als unselbständiger Abteilungsleiter Herrn Dr. Goebbels unterstanden, sondern er stand zwischen zwei Feuern. Da war auf der anderen Seite nämlich noch der Reichspressechef Dr. Dietrich, und in der ganzen deutschen Presse ist der Zwiespalt zwischen diesen beiden bekannt gewesen. Der Reichspressechef war zwar als Staatssekretär im Propagandaministerium eingebaut, aber trotzdem verlangte er das Recht, selbständig als Reichspressechef Weisungen geben zu können. Und wenn sich nun der Minister und der Reichspressechef über einen Punkt nicht einig waren, dann wurde das jedesmal auf dem Buckel des unglücklichen Abteilungsleiters der Abteilung »Deutsche Presse« ausgetragen.

DR. FRITZ: In welcher Richtung war Fritzsche in der Presseorganisation tätig? Zog er die Fesseln fester an, oder versuchte er sie zu lockern?

VON SCHIRMEISTER: Ich sagte schon, Herr Fritzsche war der einzige wirkliche Fachmann von Format, der in der Presseabteilung war. Er kannte die Nöte und die Sorgen und Bedürfnisse der Presse. Er wußte, daß ein Schriftleiter nur arbeiten kann, wenn man ihm gewisse Freiheiten läßt, und so hat er sich immer und bei jeder Gelegenheit eingesetzt dafür, daß die Fesseln gelockert würden. Er hat das viel mehr getan, als es nach außen in Erscheinung trat, denn der Minister entschied ja dann so oder so, und nach außen kam nur zur Geltung, was der Minister wünschte.

VORSITZENDER: Glauben Sie, daß er die Frage beantwortet hat?

DR. FRITZ: [zum Zeugen gewandt] Hatte Dr. Goebbels Beanstandungen gegenüber der Presse? War sie ihm nicht scharf genug? Ganz kurz bitte.

VON SCHIRMEISTER: Sie war ihm nicht scharf und nicht stur genug, jawohl.

DR. FRITZ: Wie verhielt sich Fritzsche gegenüber solchen Forderungen, und zwar sowohl in Bezug auf einzelne Journalisten als auch in Bezug auf ganze Zeitungen?

VON SCHIRMEISTER: Er ist immer wieder und bei jeder Gelegenheit, sowohl in den vom Minister geleiteten Konferenzen als auch bei privaten Einladungen beim Minister, für die Presse und für diese Journalisten eingetreten und hat versucht, deren Standpunkt dem Minister gegenüber zu vertreten.

DR. FRITZ: Können Sie einige Namen nennen von Journalisten oder von Zeitungen, vor die sich Fritzsche in der geschilderten Weise schützend gestellt hat?

VORSITZENDER: Dr. Fritz! Warum sollte er Namen von Journalisten und Zeitungen angeben. Sind das nicht unnötige Einzelheiten?

DR. FRITZ: Herr Präsident! Dann gestatten Sie, daß ich wenigstens zu dieser Frage ein Affidavit anbiete, als Fritzsche-Exhibit Nummer 5. Es steht in meinem Dokumentenbuch II auf Seite 22 und stammt von dem Verlagsleiter der »Frankfurter Zeitung«, Dr. Wendelin Hecht. Ich möchte es ganz kurz zitieren:

»Zwecks Vorlage beim Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg versichere ich hiermit folgendes an Eides Statt:

1. Es ist wahr, daß der Angeklagte, Herr Hans Fritzsche, die ›Frankfurter Zeitung‹ mehrere Jahre vor einem Verbot auch dadurch mitbeschützt hat, daß er Exemplare der ›Frankfurter Zeitung‹ dem Führerhauptquartier vorenthielt.

2. Bei den vielen Angriffen, von denen die ›Frankfurter Zeitung‹ infolge ihrer politischen Haltung betroffen wurde, hat sich der Angeklagte Hans Fritzsche wiederholt für das Weiterbestehen der ›Frankfurter Zeitung‹ verwandt.

Leutkirch, den 6. März 1946.

Dr. Wendelin Hecht.«