[Der Zeuge verläßt den Zeugenstand.]
DR. FRITZ: Herr Präsident! Ich habe noch darauf hinzuweisen und zu bitten, von den Dokumenten, die in meinen beiden Dokumentenbüchern enthalten sind, auch insoweit amtlich Kenntnis zu nehmen, als ich sie nicht zitiert habe. Es befindet sich in meinem Dokumentenbuch II noch eine eidesstattliche Versicherung des Dr. Scharping, die ich dem Gericht als Fritzsche- Exhibit 3 anbiete. Es steht Seite 16 bis 19. Dieses Affidavit befaßt sich mit dem Verhalten des Angeklagten Fritzsche gegenüber Maßnahmen, die von Hitler geplant waren nach dem großen Luftbombardement der Stadt Dresden. Ich bitte, von dem gesamten Inhalt dieser eidesstattlichen Erklärung Kenntnis zu nehmen, Dokumentenbuch Band II, Seite 16 und folgende.
VORSITZENDER: Dr. Fritz! Der Gerichtshof stellt fest, daß das uns von Ihnen soeben vorgelegte Beweisstück Nummer 3 eine Erklärung der Person, die das Affidavit abgegeben hat, enthält, in der berichtet wird, daß Dr. Goebbels nach den Bombenangriffen auf deutsche Städte im Herbst 1944 gesagt habe, es sei nichts mehr dagegen einzuwenden, »wenn abgeschossene Besatzungsmitglieder der Wut des Volkes preisgegeben würden«.
Der Gerichtshof möchte gerne den Angeklagten Fritzsche in den Zeugenstand zurückrufen, um ihn darüber zu befragen.
Haben Sie den Angeklagten Fritzsche während Ihres ersten Verhörs über diese Sache befragt?
DR. FRITZ: Nein, Herr Präsident, ich erwartete... das wollte ich zum Schlusse meines Falles jetzt sagen, von dem Schweizer Schutzmachtgesandten in Berlin erwartete ich zu demselben Thema noch eine Erklärung, die leider bis heute noch nicht eingegangen ist. Ich wollte bitten, diese, falls sie noch rechtzeitig kommt, nachreichen zu dürfen.
VORSITZENDER: Meinen Sie noch einen Fragebogen oder ein Affidavit?
DR. FRITZ: Ja; eine Erklärung, ja, die sich mit demselben Thema befaßt.
VORSITZENDER: Ja.
DR. FRITZ: Wenn ich das vielleicht noch anschließen darf: Herr Präsident! Außerdem erwarte ich auch noch von einem englischen Rundfunkkommentator Clifton Delmar eine Erklärung, die ich bis heute noch nicht bekommen habe. Darf ich die vielleicht noch...
VORSITZENDER: Natürlich dürfen Sie das.
Aber was den Gerichtshof im Augenblick interessiert ist, daß er für wesentlich hält, zu wissen...
DR. FRITZ: Ja, ich verstehe, Herr Präsident.
[Der Angeklagte Fritzsche betritt den Zeugenstand.]
VORSITZENDER: Sie sind immer noch unter Eid; Sie können sich setzen.
Sie haben diese Erklärung gelesen?
FRITZSCHE: Ich habe sie aber nicht mehr in Erinnerung in ihren Einzelheiten.
VORSITZENDER: Wir haben die Antwort darauf nicht gehört.
FRITZSCHE: Ich habe diese Erklärung, die eben mein Rechtsanwalt dem Gericht überreichte, nicht mehr in Erinnerung, ich weiß nur von ihrer Existenz.
VORSITZENDER: Der Gerichtshof wünscht Sie über folgende Erklärung zu befragen:
»Dr. Goebbels sprach auch hierüber häufig vom Herbst 1944 ab in seiner sogenannten ›Ministerkonferenz‹...«
Ich will noch weiter vorne anfangen:
»Die immer mehr zunehmende Wirkung der englischen und amerikanischen Luftangriffe auf deutsche Städte ließ Hitler und seine engeren Ratgeber nach drastischen Vergeltungsmaßnahmen suchen. Dr. Goebbels sprach auch hierüber häufig vom Herbst 1944 ab in seiner sogenannten ›Ministerkonferenz‹, bei der zahlreiche Beamte und Sachbearbeiter seines Ministeriums versammelt waren und in der auch ich...«
Das ist doch Franz Scharping?
FRITZSCHE: Ja.
VORSITZENDER:
»... in der Regel anwesend war. Dr. Goebbels hat hierbei ausgeführt, es sei nichts mehr dagegen einzuwenden, wenn abgeschossene Besatzungsmitglieder der Wut des Volkes preisgegeben würden.«
Wie Sie wissen, gab es eine große Menge von Beweismaterial darüber vor dem Gerichtshof. Haben Sie in Ihren Propagandareden dieses Thema erwähnt?
FRITZSCHE: Nein, ich habe niemals in meinen Propagandareden dazu aufgefordert, die Mitglieder der Besatzungen abgeschossener Flugzeuge zu töten. Dagegen weiß ich, daß Dr. Goebbels aus Gründen der Abschreckung schon im Herbst 1944 ins Ausland Meldungen darüber lancieren ließ, daß, um ein Beispiel zu nennen, ein angelsächsisches Flugzeug, das Kirchengänger am Sonntag auf der Straße beschossen hätte, nachher abgeschossen worden sei und seine Besatzungsmitglieder dann von der Menge gelyncht worden wären. Tatsächlich lagen wahre Vorgänge nicht zugrunde und konnten auch kaum zugrunde liegen, weil es ja sehr unwahrscheinlich ist, daß ein Flugzeug in einem solchen Augenblick abgeschossen wird.
Dr. Goebbels hat, wie ich weiß, durch ein Rundschreiben an die Gaupropagandaämter auch aufgefordert, ihm die Meldungen über solche Vorfälle, falls sie wirklich eintreten, zuzuleiten. Meines Wissens aber hat er keinerlei Sachangaben bekommen. Das ist die Zeit gewesen, in der er auch einen Aufsatz im »Reich« über das Thema schreiben ließ, dessen Titel ich jetzt nicht angeben kann. Auf jeden Fall verstärkte sich diese Kampagne, nachdem sie vielleicht im Januar oder Februar abgeflaut war, in den Tagen nach dem Luftangriff auf Dresden zu folgendem Vorfall. Dr. Goebbels erklärte in der hier mehrfach erwähnten »11.00-Uhr-Vormittagskonferenz«, in Dresden seien 40000 Todesopfer zu beklagen. Damals wußte man noch nicht, daß die Zahl eine erheblich höhere war. Dr. Goebbels fügte an die Mitteilung: Nun aber müsse mit diesem Terror so oder so ein Ende gemacht werden, und Hitler sei fest entschlossen, die gleiche Anzahl englischer und amerikanischer und russischer Flieger in Dresden erschießen zu lassen, wie Einwohner in Dresden ums Leben gekommen wären. Er wandte sich dann an mich und forderte mich auf, diese Aktion vorzubereiten und anzukündigen. Es kam zu einem Zwischenfall. Ich sprang auf und weigerte mich, Dr. Goebbels brach die Konferenz ab, er holte mich in sein Zimmer und es kam zu einer sehr erregten Aussprache, an deren Ende ich ihn wenigstens so weit hatte, daß er mir zusagte, er werde bei Hitler dafür wirken, daß dieser Plan nicht durchgeführt werde. Anschließend sprach ich mit dem Gesandten Rühle, dem Verbindungsmann des Auswärtigen Amtes, und bat ihn, seinen Minister in dem gleichen Sinn zu mobilisieren. Ich sprach dann mit dem Staatssekretär Naumann, mit der Bitte, im gleichen Sinne auf Bormann einzuwirken, dessen überragender Einfluß bekannt ist.
Anschließend hatte ich – was mir damals nach den geltenden Bestimmungen eigentlich nicht erlaubt war – eine Unterredung mit dem Schutzmachtgesandten, dem ich vertraulich gewisse Andeutungen machte über den Plan, den ich gehört hatte und den ich fragte, ob er mir ein Argument oder eine Handhabe nennen oder liefern könne, um noch stärker gegen diesen Plan arbeiten zu können.
Er erklärte, er wolle dies mit großer Beschleunigung tun und riet mich bereits am nächsten Vormittag wieder an. Wir hatten eine zweite Aussprache, und er teilte mir mit, daß ihm inzwischen in Aussicht gestellt sei ein Gefangenenaustausch, ein deutsch-englischer Gefangenenaustausch, ich glaube in Höhe von 50000 Mann. Ich bat ihn, diese Angelegenheit auf dem normalen und üblichen diplomatischen Wege laufen zu lassen, aber mir zu gestatten, gegenüber Dr. Goebbels, gegenüber Naumann und Bormann von dieser sich bietenden Chance eines Gefangenenaustausches zu sprechen. Das tat ich, und da gerade in jener Zeit der Führung offenbar besonders viel an zurückkommenden Gefangenen lag, die vielleicht noch einsatzfähig waren, machte dies in Aussicht stehende Angebot...
VORSITZENDER: Wie, glaubten Sie, hätte sich ein solcher Gefangenenaustausch auf das Problem, ob als Vergeltungsmaßnahme 40000 englische, amerikanische und russische Flieger ermordet werden sollten, auswirken sollen?
FRITZSCHE: Mir erschien folgendes: In dem Augenblick, wo sich die Chance bot, einen Gefangenenaustausch zwischen zwei kriegführenden Parteien durchzuführen, in dem Augenblick mußte jeder Gedanke einer außerhalb aller menschlichen Gesetzgebung liegenden Handlung zurückgedrängt werden. Also, in dem Augenblick, in dem von einem Gefangenenaustausch gesprochen wurde, mußte der Gedanke an eine gigantische Gefangenenerschießung in den Hintergrund treten.
Ich kann kürz abschließen. Dieser Plan wurde erörtert, ich habe ihn Dr. Goebbels mitgeteilt, er wurde bei Hitler abends besprochen nach den übereinstimmenden Berichten, die ich von zwei Seiten bekam – und ein merkwürdiger Zufall wollte es, daß das Angebot selbst erst viele Tage nach der Erledigung dieses erregenden Vorfalls auf dem bürokratischen Wege irgendwo versandete.
MR. BIDDLE: Verstehen Sie mich jetzt? Ich frage Sie, wann haben Sie von Hitlers Befehl gehört? Nicht in Bezug auf diese Gefangenen, sondern hinsichtlich der gelandeten Flieger. Wann haben Sie zum erstenmal davon gehört?
Sie haben gesagt, daß Goebbels im Herbst im Zusammenhang mit diesem Befehl Propaganda nach dem Auslande gemacht habe. Wußten Sie damals davon?
FRITZSCHE: Jawohl!
MR. BIDDLE: Wußten Sie im Herbst 1944 von diesem Befehl?
FRITZSCHE: Nein.
MR. BIDDLE: Wann denn?
FRITZSCHE: Ich kann es nicht genau sagen, aber ich habe im Herbst 1944 diesen Befehl nicht gekannt, und ich muß unter meinem Eid außerordentlich vorsichtig sein. Ich glaube, ich habe ihn überhaupt erst im Gerichtssaal gehört, aber das verwischt sich in meinem Gedächtnis etwas mit der eben von mir geschilderten Kampagne von Dr. Goebbels. Ich kann also nicht klar...
MR. BIDDLE: In dieser Beratung im Februar wurde dieser Befehl doch bestimmt besprochen, als die Tötung von 40000 Kriegsgefangenen erörtert wurde.
FRITZSCHE: Nein, bei dieser Gelegenheit überhaupt nicht.
MR. BIDDLE: Sie hatten aber doch keinen Zweifel, daß Hitler diese Gefangenen töten lassen wollte, oder doch?
FRITZSCHE: Selbstverständlich glaubte ich in dem Augenblick, in dem Dr. Goebbels das erzählte, daß Hitler diese Aktion machen wollte.
MR. BIDDLE: Dann ist die Antwort »Ja«.
Sie hatten keinen Zweifel, daß Goebbels sie töten lassen wollte, oder doch?
FRITZSCHE: Die 40000 in Dresden?
MR. BIDDLE: Ja.
FRITZSCHE: Im allgemeinen, jawohl.
MR. BIDDLE: Ja?
FRITZSCHE: Ja, ich hatte keinen Zweifel, daß auch Dr. Goebbels einverstanden war.
MR. BIDDLE: Welche anderen Führer wollten sie auch töten lassen? Es wurde offenbar ziemlich viel darüber gesprochen. Wer war denn in der Regierung sonst noch für diese Politik?
FRITZSCHE: Ich kann das nicht mit Bestimmtheit sagen bezüglich des einzigen, der hier noch in Frage kommt, nämlich Bormann. Dagegen weiß ich das Gegenteil, also den Versuch, Hitler umzustimmen, über den Gesandten Rühle von dem damaligen Außenminister von Ribbentrop. Auch er hat im gleichen Sinne gewirkt.
MR. BIDDLE: Hat Ribbentrop an diesem besonderen Problem, die Gefangenen töten zu lassen, auch mitgearbeitet? Ich bin mir nicht ganz klar darüber. Hat Ribbentrop auch davon gewußt?
FRITZSCHE: Ich habe damals – und kann deshalb aus eigener Beobachtung nur folgendes sagen – den Gesandten Rühle unterrichtet und ihn gebeten, Ribbentrop zu unterrichten und zu mobilisieren, und Rühle erklärte mir danach einen Tag später, oder zwei Tage später, denn wir telephonierten sehr oft sehr aufgeregt miteinander... ein bis zwei Tage später erklärte, sein Minister sei...
MR. BIDDLE: Ich brauche die Einzelheiten nicht. Die Antwort ist, daß das Auswärtige Amt davon gewußt hat, wenn auch nicht Ribbentrop selbst. Ist das richtig?
FRITZSCHE: Ribbentrop wurde persönlich informiert.
MR. BIDDLE: Das ist alles, was ich wissen will.
FRITZSCHE: Jawohl.
MR. BIDDLE: Wissen Sie, welchen Standpunkt Bormann in dieser Sache eingenommen hat?
FRITZSCHE: Nach den mir gewordenen Schilderungen hatte er zuerst den Plan und den Gedanken Hitlers zur Erschießung dieser 40000 unterstützt, hat aber nachher unter der Einwirkung von Goebbels und Naumann die gegenteilige Haltung eingenommen und mitgearbeitet, Hitler von dem Plan abzubringen.
MR. BIDDLE: Wurden Sie in der Angelegenheit, nur soweit es die Befehlshaber der Wehrmacht anging, befragt?
FRITZSCHE: Davon weiß ich nichts.
MR. BIDDLE: Man hat mir vorgeschlagen, noch folgendes zu fragen: Wissen Sie, welche Haltung Ribbentrop zur Erschießung dieser Gefangenen eingenommen hat?
FRITZSCHE: Jawohl. Nach der Mitteilung des Gesandten Rühle hat er sich mit für die Verhinderung des Erschießungsplanes eingesetzt. In welcher Form, das weiß ich nicht.
VORSITZENDER: Dr. Fritz! Wollen Sie dem Angeklagten noch irgendwelche Fragen vorlegen?
DR. FRITZ: Nein, Herr Präsident.
VORSITZENDER: Will die Anklagebehörde irgendwelche Fragen vorlegen, die sich aus den Fragen des Gerichtshofs ergeben?
GENERAL RUDENKO: Nein, Herr Vorsitzender.
VORSITZENDER: Dann kann der Angeklagte zur Anklagebank zurückgehen.