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[Der Zeuge verläßt den Zeugenstand.]

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Herr Vorsitzender! Ich bitte um die Erlaubnis, den früheren stellvertretenden Bürgermeister der Stadt Smolensk, den Professor der Astronomie Boris Bazilevsky, als Zeugen aufrufen zu dürfen.

VORSITZENDER: Lassen Sie ihn bitte eintreten.

[Der Zeuge betritt den Zeugenstand.]

Wie heißen Sie?

ZEUGE BORIS BAZILEVSKY: Bazilevsky, Boris.

VORSITZENDER: Wollen Sie mir den folgenden Eid nachsprechen: »Ich, Bürger der USSR, als Zeuge in diesem Fall vorgeladen, verspreche feierlich und schwöre, vor diesem Hohen Gericht alles das, was ich über diesen Fall weiß, zu sagen, nichts hinzuzufügen und nichts fortzulassen.«

[Der Zeuge spricht die Eidesformel nach.]

VORSITZENDER: Sie können sich setzen.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Gestatten Sie, Herr Vorsitzender, daß ich mit dem Verhör beginne?

VORSITZENDER: Jawohl.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Sagen Sie bitte, Zeuge, womit haben Sie sich beschäftigt, bevor die Deutschen die Stadt und das Gebiet von Smolensk besetzten, und wo haben Sie gelebt?

BAZILEVSKY: Bis zur Besetzung von Smolensk und des Gebietes von Smolensk...

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ich bitte Sie, viel langsamer zu sprechen.

BAZILEVSKY:...lebte ich in der Stadt Smolensk und hatte die Stellung eines Professors an der Smolensker Universität und nachher am Smolensker Pädagogischen Institut inne. Gleichzeitig war ich Direktor des Observatoriums. Zehn Jahre lang war ich Dekan der Mathematisch-Physikalischen Fakultät und in den letzten Jahren stellvertretender Direktor der wissenschaftlichen Abteilung.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Wie lange haben Sie in der Stadt Smolensk vor deren Besetzung gelebt?

BAZILEVSKY: Vom Jahre 1919 an.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ist Ihnen der sogenannte Wald von Katyn bekannt?

BAZILEVSKY: Ja.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Bitte sprechen Sie langsamer.

BAZILEVSKY: Eigentlich war es mehr ein Hain. Es war der Lieblingsort der Bewohner von Smolensk, die dort ihre Feiertage und Sommerferien zu verbringen pflegten.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: War dieser Wald vor Beginn des Krieges in irgendeiner Weise ein besonderes Gebiet, das heißt, wurde er von Bewaffneten oder von Hunden bewacht oder sonst von der Umgebung abgetrennt?

BAZILEVSKY: In den vielen Jahren, in denen ich in Smolensk gelebt habe, ist diese Gegend für niemanden verboten gewesen. Ich persönlich bin oft dort gewesen und zum letztenmal 1940 und auch im Frühjahr 1941. In diesem Wald befand sich ein Lager für Pioniere. Es war also ein Ort, der für jeden, der dort hineingehen wollte, zugänglich war.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ich möchte bei dieser Frage etwas verweilen. In welchem Jahr befand sich dort ein Pionierlager?

BAZILEVSKY: Soviel ich weiß, befand sich dieses Pionierlager dort schon seit vielen Jahren und insbesondere im Jahre 1940...

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Bitte sprechen Sie langsamer.

VORSITZENDER: Einen Augenblick, Herr Professor, wollen Sie bitte einen Moment warten. Wenn Sie das gelbe Licht aufleuchten sehen, so bedeutet dies, daß Sie zu schnell sprechen, und wenn Ihnen eine Frage gestellt wird, so müssen Sie eine Pause eintreten lassen, bevor Sie die Antwort geben. Haben Sie mich verstanden?

BAZILEVSKY: Ja.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ich bitte Sie, Ihre Antwort langsam zu wiederholen.

BAZILEVSKY: Zum letztenmal befand sich das Pionierlager von Smolensk in dem Gebiet des Waldes von Katyn im Jahre 1941.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Folglich war damals, soweit ich Sie verstanden habe, der Wald von Katyn in den Jahren 1940 und 1941, also noch vor Kriegsbeginn, kein bewachtes Gebiet, und der Zutritt zum Wald war jedem gestattet? Sie sprachen doch vom Frühling des Jahres 1941?

BAZILEVSKY: Jawohl, ich bestätige, daß die Lage genau so war.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Bezeugen Sie das als Augenzeuge oder nur vom Hörensagen?

BAZILEVSKY: Nein, als Augenzeuge, der dort gewesen ist.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ich bitte Sie, dem Gerichtshof mitzuteilen, unter welchen Umständen Sie der erste Stellvertretende Bürgermeister der Stadt Smolensk während der deutschen Besatzungszeit wurden. Sprechen Sie bitte langsam.

BAZILEVSKY: Da ich Verwaltungsbeamter war, hatte ich keine Gelegenheit, rechtzeitig aus der Stadt zu fliehen, weil ich mit der Leitung der Vergrabung einer besonders wertvollen Bibliothek und verschiedener Einrichtungen betraut war. Unter den gegebenen Umständen konnte ich den Versuch, die Stadt zu verlassen, erst am 15. abends machen.

Ich konnte den Zug nicht erreichen und hatte daher meine Evakuierung auf den 16. Juli morgens festgesetzt. Aber in der Nacht vom 15. auf den 16. ist Smolensk unerwarteterweise von den deutschen Truppen besetzt worden, die Brücken über den Dnjepr wurden gesprengt, und ich befand mich infolgedessen in Gefangenschaft. Einige Zeit später, am 20. Juli, kamen in das Observatorium, wo ich als Direktor wohnte, mehrere deutsche Soldaten. Diese schrieben auf, daß ich mich als Direktor im Observatorium befand und daß dort auch der Professor der Physik, Efimow, wohnte. Am Abend des 20. Juli kamen zwei deutsche Offiziere zu mir. Sie führten mich zum Stab der Einheit, die Smolensk besetzt hatte. Nach Prüfung meiner Personalien und nach einer kurzen Unterhaltung wurde mir der Posten des Bürgermeisters angeboten. Auf meine Absage, die ich damit motivierte, daß ich Professor der Astronomie wäre, keine Erfahrung in solchen Aufgaben hätte und deswegen einen solchen Posten nicht annehmen könnte, wurde mir kategorisch und sogar unter Drohungen mitgeteilt, daß »wir die ganze russische Intelligenz zur Arbeit zwingen werden«.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Wenn ich Sie also richtig verstehe, haben die Deutschen Sie durch Drohungen dazu gezwungen, Stellvertretender Bürgermeister von Smolensk zu werden?

BAZILEVSKY: Das ist noch nicht alles.

Ich wurde darauf hingewiesen, daß man mich nach ein paar Tagen in die Kommandantur rufen würde. Am 25. Juli erschien bei mir in der Wohnung ein mir unbekannter Mann in Zivilkleidung in Begleitung eines deutschen Gendarmen, der sich als Rechtsanwalt Menschagin aus Smolensk vorstellte und erklärte, daß er im Auftrag der deutschen Kommandantur zu mir käme, und daß ich mit ihm sofort zur Kommandantur kommen solle, die damals schon eine ständige war...

VORSITZENDER: Oberst Smirnow! Sie verschwenden viel zu viel Zeit mit der Frage, wie er dazu kam, Bürgermeister von Smolensk zu werden.

OBER JUSTIZRAT SMIRNOW: Ich danke Ihnen für Ihre Anweisung, Herr Vorsitzender. Erlauben Sie mir, nun zu anderen Fragen überzugehen.