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[Zum Zeugen gewandt:]

Zeuge! Ich frage Sie nicht nach Ihrem persönlichen Protokoll, sondern nach dem allgemeinen Protokoll der gesamten Kommission. Ich frage, auf welche objektiven gerichtsmedizinischen Beweisgründe ist die Schlußfolgerung der ganzen Kommission gegründet, unter der sich unter anderen auch Ihre Unterschrift befindet, daß nämlich die Leichen mindestens drei Jahre in der Erde gewesen sind?

VORSITZENDER: Einen Augenblick, bitte.

Nun Oberst Smirnow! Wollen Sie die Frage noch einmal stellen?

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Jawohl, Herr Vorsitzender.

[Zum Zeugen gewandt:]

Ich fragte, auf Grund welcher objektiven gerichtsmedizinischen Unterlagen ist die gesamte Kommission zu der Schlußfolgerung gekommen – nicht das Einzelprotokoll des Dr. Markov, in dem die Schlußfolgerung fehlt, sondern die ganze Kommission –, daß die Leichen angeblich mindestens drei Jahre in der Erde waren?

MARKOV: Das allgemeine Protokoll, das von allen Delegierten unterzeichnet worden ist, ist sehr arm hinsichtlich der wirklichen gerichtsmedizinischen Unterlagen. Über den Zustand der Leichen enthält das Protokoll nur einen Satz, daß die Leichen sich in verschiedenen Stadien der Verwesung befanden. Der Grad der Verwesung wird aber nicht beschrieben. Meiner Meinung nach stützt sich diese Schlußfolgerung auf die vorgefundenen Papiere und die Zeugenaussagen, jedoch keineswegs auf gerichtsmedizinischen Befund. In gerichtsmedizinischer Hinsicht bemühte man sich, diese Schlußfolgerung durch die Feststellungen des Professors Orsos zu unterstützen, der die Erscheinung des »pseudo callus« im Schädel der Leiche 526 gefunden hatte. Nach meiner Überzeugung kann man jedoch aus diesem einzigen Schädel keineswegs einen Schluß über den Zustand Tausender von Leichen ziehen, die in den Gräbern von Katyn lagen. Außerdem wurden diese Beobachtungen des »pseudo callus« von Professor Orsos in Ungarn gemacht, das heißt unter ganz anderen klimatischen Bedingungen und Bodenverhältnissen, wobei die Leichen aus Einzelgräbern und nicht aus Massengräbern, wie diejenigen von Katyn, stammten.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Sie sprachen von Zeugenaussagen. Wurde den Mitgliedern der Kommission die Möglichkeit gegeben, persönlich und eingehend Zeugen zu vernehmen, auch russische Zeugen, oder nicht?

MARKOV: Wir hatten keine Möglichkeit, mit der örtlichen Bevölkerung zusammenzukommen. Im Gegenteil, als wir in Smolensk angekommen waren, hat Butz uns zusammengerufen und uns darauf aufmerksam gemacht, daß wir uns in einem Kampfabschnitt befänden und nicht das Recht hätten, uns in die Stadt zu begeben, ohne von einem deutschen Wehrmachtsangehörigen begleitet zu werden. Auch sollten wir uns nicht mit den Ortseinwohnern in Verbindung setzen oder Aufnahmen machen. Tatsächlich hatten wir während unseres Aufenthalts keinen Kontakt mit der örtlichen Bevölkerung.

Am ersten Tag unserer Ankunft im Wald von Katyn, das heißt am 29. April vormittags, wurden einige russische Zivilisten, von einer deutschen Wache begleitet, an die Gräber herangeführt. Gleich nach unserer Ankunft in Smolensk wurden uns die Zeugenaussagen einiger Ortsbewohner vorgelegt. Diese Zeugenaussagen waren auf der Schreibmaschine geschrieben. Als diese Zeugen im Katyner Wald erschienen, wurde uns erklärt, daß es dieselben Zeugen seien, deren Aussagen wir bereits gelesen hätten. Eine regelrechte Befragung der Zeugen, die man hätte protokollieren können, wurde nicht durchgeführt. Es wurde überhaupt nichts zu Protokoll genommen. Professor Orsos, der, wie er sagte, der russischen Sprache mächtig war, weil er im ersten Weltkrieg Kriegsgefangener in Rußland gewesen ist, begann ein Gespräch mit einem älteren Mann. Wenn ich mich recht erinnere, so hieß dieser Mann Kiselow. Dann sprach er noch mit einem zweiten Zeugen, dessen Familienname, wenn ich mich recht erinnere, Andrejew war. Das ganze Gespräch dauerte nur ein paar Minuten. Da unsere bulgarische Sprache der russischen ähnlich ist, versuchte auch ich, mit einigen Zeugen ins Gespräch zu kommen...

VORSITZENDER: Diese Einzelheiten sollten für das Kreuzverhör gelassen werden. Können diese Einzelheiten nicht für das Kreuzverhör gelassen werden?

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Wie Sie wünschen, Herr Vorsitzender.