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[Zum Zeugen gewandt:]

Zeuge! Ich bitte Sie, Ihre Antwort auf diese Frage zu unterbrechen und auf die folgende Frage zu antworten:

Als Sie das allgemeine Protokoll unterschrieben, das Protokoll der Kommission, war Ihnen damals ganz klar, daß die Ermordungen in Katyn nicht vor dem letzten Viertel des Jahres 1941 stattgefunden haben und daß das Jahr 1940 jedenfalls ausgeschlossen sei?

MARKOV: Ja, das war mir klar, und gerade deshalb habe ich keine Schlußfolgerung in das Protokoll aufnehmen lassen, das ich im Katyner Wald aufgesetzt habe.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Warum haben Sie dieses allgemeine Protokoll dennoch unterschrieben, das von Ihrem Standpunkt aus nicht richtig war?

MARKOV: Um klarzumachen, unter welchen Umständen ich dieses Protokoll unterzeichnet habe, muß ich sagen, unter welchen Umständen dieses Protokoll zusammengestellt und unterzeichnet wurde.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Gestatten Sie eine Frage, die dies klarstellen soll. Wurde dieses Protokoll tatsächlich am 30. April 1941 in Smolensk unterschrieben oder an einem anderen Tage und an einem anderen Ort?

MARKOV: Das Protokoll ist nicht am 30. April in Smolensk unterschrieben worden, sondern am 1. Mai mittags in dem Flughafen, der den Namen »Bela« trug.

OBER JUSTIZRAT SMIRNOW: Unter welchen Umständen? Bitte erzählen Sie das dem Gerichtshof.

MARKOV: Die Zusammenstellung des Protokolls sollte bei derselben Besprechung, von der ich schon gesprochen habe, im Laboratorium von Butz am 30. April nachmittags stattfinden. Bei dieser Besprechung waren alle Delegierten sowie alle Deutschen, die mit uns aus Berlin gekommen waren, zugegen; weiter, Butz und seine Mitarbeiter, der Generalstabsarzt Holm, der Oberarzt des Raumes Smolensk und noch einige mir unbekannte deutsche Wehrmachtsangehörige. Butz erklärte, daß diese Deutschen nur als Gastgeber hier anwesend wären. Tatsächlich aber leitete der Generalstabsarzt Holm diese Konferenz, und die Arbeit der Protokollaufsetzung wurde unter der Leitung von Butz durchgeführt. Als Sekretär fungierte die persönliche Sekretärin von Butz, die ein Protokoll dieser Sitzung aufsetzte. Aber das Protokoll dieser Besprechung habe ich nie zu Gesicht bekommen. Zu dieser Besprechung erschienen Butz und Orsos mit einem Protokollentwurf. Ich habe jedoch niemals erfahren, wer sie beauftragt hatte, ein solches Protokoll aufzusetzen. Dieses Protokoll wurde von Butz verlesen, darauf tauchte die Frage über den Zustand und das Alter der jungen Tannen auf, die in den Lichtungen des Katyner Waldes wuchsen. Butz war der Ansicht, daß in diesen Lichtungen sich auch Gräber befanden.

OBER JUSTIZRAT SMIRNOW: Entschuldigen Sie, wenn ich Sie unterbreche. Sind Ihnen irgendwelche Beweise erbracht worden, daß sich in diesen Waldlichtungen Gräber befanden?

MARKOV: Nein. Als wir in Katyn waren, sind keine anderen Gräber geöffnet worden. Da einige Mitglieder der Delegation erklärten, daß sie als Mediziner nicht kompetent seien, das Alter dieser jungen Bäume zu bestimmen, gab General Holm den Befehl, einen Deutschen zu bringen, der ein Fachmann im Forstwesen war. Dieser Sachverständige zeigte uns den Querschnitt durch den Stamm eines Bäumchens, und aus der Zahl der Baumringe in diesem Querschnitt hat er den Schluß gezogen, daß dieses Bäumchen fünf Jahre alt war.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Entschuldigen Sie, wenn ich Sie wieder unterbreche. Können Sie persönlich bestätigen, daß dieses Bäumchen tatsächlich von den Gräbern gehauen wurde und nicht irgendwo aus der Waldlichtung?

MARKOV: Ich kann nur sagen, daß im Katyner Wald Lichtungen waren, in denen junge Bäume wuchsen und daß, als wir nach Smolensk zurückfuhren, im Omnibus eines dieser Bäumchen mitgeführt wurde. Ich weiß aber nicht mit Bestimmtheit, ob dort, wo diese Bäumchen wuchsen, noch Gräber waren, da ja, wie Ich bereits gesagt habe, in unserer Gegenwart keine Gräber geöffnet worden sind.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ich bitte Sie, in Ihrer Antwort so kurz wie möglich fortzufahren, um nicht die Zeit des Gerichtshofs mit unnötigen Einzelheiten in Anspruch zu nehmen.

MARKOV: Dieser Protokollentwurf, der bei dieser Sitzung vorgelegt wurde, enthielt auch einige redaktionelle Bemerkungen, an die ich mich aber nicht erinnern kann. Orsos und Butz wurden dann beauftragt, das endgültige Protokoll zusammenzustellen. Die Unterzeichnung des Protokolls sollte an demselben Abend bei dem Festessen in einem deutschen Militärlazarett stattfinden. Zu diesem Festessen erschien Butz tatsächlich mit dem Protokoll und begann, es zu verlesen. Aber zur Unterzeichnung kam es nicht, und zwar aus Gründen, die mir bis heute nicht klar geworden sind. Es wurde erklärt, daß das Protokoll nochmals redigiert werden sollte, weshalb auch das Festessen bis 3.00 oder 4.00 Uhr nachts hinausgezogen wurde. Professor Palmieri sagte mir dann, daß die Deutschen mit dem Inhalt des Protokolls nicht zufrieden seien, daß man mit Berlin Telephongepräche führte und daß es vielleicht überhaupt gar kein Protokoll geben würde. Nachdem wir die Nacht in Smolensk verbrachten, flogen wir tatsächlich am Morgen des 1. Mai von Smolensk weg, ohne das Protokoll unterschrieben zu haben. Ich persönlich kam zu der Überzeugung, daß man gar kein Protokoll anfertigen würde und war damit sehr zufrieden.

Wie schon auf dem Wege nach Smolensk, so baten einige der Delegierten auch auf dem Rückwege in Warschau Station zu machen, um die Stadt zu besichtigen. Aber man antwortete, daß das aus militärischen Gründen nicht möglich sei.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Das gehört nicht zur Sache. Bitte halten Sie sich an die Tatsachen.

MARKOV: Um die Mittagszeit landeten wir auf dem Flugplatz »Bela«. Es war anscheinend ein Militärflugplatz, denn ich sah dort nur leichte Militärbaracken. Dort aßen wir zu Mittag und gleich nach dem Mittagessen – obwohl man uns nicht mitgeteilt hatte, daß die Unterzeichnung des Protokolls auf dem Wege nach Berlin erfolgen sollte – wurden uns Exemplare des Protokolls zur Unterschrift vorgelegt. Bei der Unterzeichnung waren eine Anzahl von Militärs zugegen, da auf diesem Flugplatz überhaupt nur Wehrmachtsangehörige waren. Mich persönlich setzte der Umstand in Erstaunen, daß die Protokolle einerseits schon in Smolensk fertig waren, uns aber dort nicht zur Unterschrift vorgelegt wurden; andererseits wollte man auch nicht warten, bis wir sie einige Stunden später in Berlin unterschreiben konnten. Sie wurden uns gerade auf diesem isolierten Militärflugplatz zur Unterschrift vorgelegt. Das ist der Grund, weswegen ich das Protokoll unterschrieben habe, trotz der Überzeugung, zu der ich bei der Sezierung der Leichen in Smolensk gekommen war.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Demnach sind Datum und Ort, die im Protokoll angegeben sind, falsch?

MARKOV: Jawohl, so ist es.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Und Sie haben das Protokoll unterschrieben, weil Sie in einer Zwangslage waren?

VORSITZENDER: Oberst Smirnow! Es ist nicht zulässig, Suggestivfragen zu stellen. Er hat doch die Tatsache festgestellt. Es ist unnötig, Folgerungen daraus abzuleiten.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Jawohl, Herr Vorsitzender, ich habe keine weiteren Fragen an diesen Zeugen.

VORSITZENDER: Wünscht jemand den Zeugen ins Kreuzverhör zu nehmen?

DR. STAHMER: Herr Präsident! Ich möchte einige verfahrensrechtliche Fragen voranschicken. Es war ja vorgesehen, daß von jeder Seite drei Zeugen dem Gericht gestellt werden sollten. Nun hat dieser Zeuge nach meiner Auffassung nicht nur Tatsachen bekundet, sondern er hat auch andere Angaben gemacht, die sich als ein Sachverständigengutachten darstellen. Er hat also nicht nur, wie wir das im deutschen Recht nennen, sich als sachverständiger Zeuge geäußert, sondern auch als Sachverständiger. Sollte das Gericht auf diese von dem Zeugen als Sachverständigen gemachten Angaben irgendwelchen Wert legen, bitte ich, mir die Möglichkeit zu geben, daß auch von seiten der Verteidigung ein Sachverständiger benannt wird.

VORSITZENDER: Nein, Herr Dr. Stahmer. Der Gerichtshof wird nicht mehr als drei Zeugen von jeder Seite hören. Sie hätten einen beliebigen Sachverständigen rufen können oder irgendein Mitglied der Sachverständigenkommission, die die deutsche Untersuchung durchgeführt haben. Es stand Ihnen frei, einen von ihnen vorzuladen.

DR. STAHMER: Herr Zeuge! Seit wann sind Sie als Gerichtsmediziner wissenschaftlich tätig gewesen?

MARKOV: Ich arbeitete in der Gerichtsmedizin seit Anfang des Jahres 1927 an der Universitätsfakultät für gerichtliche Medizin in Sofia. Zuerst war ich Assistent, und jetzt habe ich als Professor den Lehrstuhl für Gerichtsmedizin inne. Ich bin kein ordentlicher Professor der Gerichtsmedizin, meine Stellung dort entspricht dem deutschen außerordentlichen Professor.

DR. STAHMER: Ist Ihnen von Ihrer Regierung vor dem Besuch in Katyn gesagt worden, daß Sie an einer politischen Aktion mitwirken sollen, und zwar ohne Rücksicht auf Ihre wissenschaftlichen Verhältnisse?

MARKOV: Nein, das ist mir wörtlich nicht gesagt worden, aber in der Presse ist die Katyn-Frage bereits als eine politische Frage behandelt worden.

DR. STAHMER: Fühlten Sie sich in Ihrem wissenschaftlichen Gewissen damals frei?

MARKOV: Zu welcher Zeit meinen Sie?

DR. STAHMER: Zu der Zeit, zu der Sie sich nach Katyn begaben.

MARKOV: Die Frage ist mir nicht ganz klar. Ich bitte, die Frage zu erläutern.

DR. STAHMER: Hielten Sie Ihre Aufgabe für eine politische oder für eine wissenschaftliche Aufgabe, die Sie dort zu erfüllen hatten?

MARKOV: Ich habe diese Aufgabe von Anfang an als eine politische Aufgabe betrachtet und versuchte daher, ihr auszuweichen.

DR. STAHMER: Waren Sie sich über die eminente politische Bedeutung dieser Aufgabe klar?

MARKOV: Ja, aus den Tatsachen, die in der Presse veröffentlicht worden waren.

DR. STAHMER: Bei Ihrer Vernehmung haben Sie gesagt, daß bei Ihrer Ankunft in Katyn die Gräber bereits geöffnet und bestimmte Leichen zurechtgelegt waren. Wollen Sie damit sagen, daß diese Leichen gar nicht aus den Gräbern stammten?

MARKOV: Nein. Das wollte ich damit nicht sagen und will es auch jetzt nicht sagen, da es offensichtlich war, daß aus diesen Gräbern Leichen entnommen waren und außerdem noch Leichen in den Gräbern sich befanden.

DR. STAHMER: Sie hatten also, wenn ich das mal positiv feststelle, keine Anhaltspunkte dafür, daß die von der Kommission besichtigten Leichen nicht aus den Massengräbern stammten?

VORSITZENDER: Er wußte nicht, woher sie kamen, nicht wahr?

MARKOV: Offensichtlich aus den geöffneten Gräbern.

DR. STAHMER: Sie haben bereits Angaben darüber gemacht, daß über die Ergebnisse der gerichtsmedizinischen Untersuchungen dieser internationalen Kommission ein Protokoll aufgenommen worden ist. Sie haben, ferner angegeben, daß dieses Protokoll von Ihnen unterzeichnet worden ist.