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[Dr. Stahmer versucht zu unterbrechen.]

Einen Augenblick noch, Dr. Stahmer, hören Sie mir zu. Ich frage Sie: Bedeutet diese Erklärung, daß die folgenden Personen völlig übereinstimmen oder daß die folgenden Tatsachen völlig übereinstimmen?

DR. STAHMER: Nein, nein. Die folgenden Leute erklären, daß diese Tatsachen, nämlich, daß die Erschießungen in den Monaten März und April 1940 stattgefunden haben, in Übereinstimmung stehen mit den Feststellungen, die sie getroffen haben, und zwar aus dem Befund der Massengräber und aus dem Befund an den einzelnen Leichen. Das bedeutet das; es ist der Schluß. Also die tatsächliche Feststellung, die hier getroffen worden ist, steht in Übereinstimmung mit dem, was wir hier wissenschaftlich festgestellt haben. Das soll es bedeuten.

VORSITZENDER: Fahren Sie fort.

DR. STAHMER: Entspricht diese Schlußfeststellung Ihrer wissenschaftlichen Überzeugung?

MARKOV: Ich habe schon gesagt, daß diese Behauptung über den Zustand der Leichen sich auf das Datum stützt, das aus den Zeugenaussagen und den vorhandenen Dokumenten hervorgeht, jedoch in Widerspruch zu dem steht, was ich an den Leichen beobachtete, die ich obduzierte. Das heißt, ich war der Ansicht, daß die Befunde, die sich bei der Leichenobduktion ergaben, tatsächlich das Datum, das aus den Zeugenaussagen oder den Dokumenten über den vermutlichen Todeseintritt hervorgeht, nicht bestätigten.

Wenn ich der Überzeugung gewesen wäre, daß der Zustand der Leichen dem Zeitpunkt des Todeseintritts, der von den Deutschen angegeben worden war, entspricht, so hätte ich meine Schlußfolgerung damals auch in mein persönliches Protokoll aufgenommen. Ich habe immer Zweifel gehabt, nachdem ich das unterschriebene Protokoll in Händen hatte, ob gerade dieser letzte Satz in der Schlußfolgerung, unmittelbar vor der Unterzeichnung, in dem Protokollentwurf gestanden hat, den wir bei der Besprechung in Smolensk vorliegen hatten. Soviel ich verstehen konnte, wurde in dem Protokollentwurf, der in Smolensk ausgearbeitet wurde, nur behauptet, daß uns tatsächlich Papiere vorgelegt und Zeugen verhört worden sind und daß sich daraus ergäbe, daß die Morde anscheinend im März und April 1940 stattgefunden haben. Ich war der Ansicht, daß gerade der Umstand, daß diese Schlußfolgerung sich nicht aus den medizinischen Befunden ergibt und von den medizinischen Befunden und Untersuchungen nicht vollständig gedeckt wird, der Grund dafür war, daß die Unterzeichnung des Protokolls verzögert wurde und daß die Unterschrift nicht in Smolensk erfolgte.

DR. STAHMER: Herr Zeuge! Sie haben bei Beginn meines Verhörs erklärt, daß Sie sich über die politische Bedeutung, die Ihre Tätigkeit hatte, klar gewesen sind. Weshalb haben Sie es dann unterlassen, Widerspruch zu erheben gegen diesen Vermerk, der nach Ihrer Auffassung Ihrer wissenschaftlichen Überzeugung nicht entsprach?

MARKOV: Ich habe schon gesagt, daß ich das Protokoll in der Überzeugung unterschrieben habe, daß die Umstände auf diesem isolierten Flugplatz mir keine andere Möglichkeit ließen und ich daher keinen Widerspruch erheben konnte.

DR. STAHMER: Weshalb haben Sie es später unterlassen, noch irgendwelche Schritte zu unternehmen?

MARKOV: Mein Benehmen nach der Unterzeichnung des Protokolls entspricht vollständig dem, was ich hier darüber ausgesagt habe, daß ich tatsächlich von der Richtigkeit der deutschen These nicht überzeugt war. Ich bin wiederholt aufgefordert worden, von Dr. Dietz in Berlin, von der Deutschen Gesandtschaft in Sofia, von dem bulgarischen Auswärtigen Amt in Bulgarien, öffentlich im Rundfunk und in den Zeitungen zu sagen, was bei unserer Untersuchung festgestellt worden ist. Ich habe das aber nicht getan und habe es jedesmal abgelehnt, weil ich unter den damaligen politischen Umständen in unserem Lande nicht öffentlich hervortreten und erklären konnte, daß die deutsche These unrichtig sei. Wegen dieser Frage gab es zwischen mir und der Deutschen Gesandtschaft in Sofia scharfe Unterhaltungen. Als es einige Monate später für nötig gehalten wurde, erneut einen bulgarischen Vertreter zu entsenden, um in einer ähnlichen Kommission zu fungieren – und zwar handelte es sich um Leichenuntersuchungen in Winniza in der Ukraine –, wurde deutscherseits wörtlich erklärt, und zwar war es der Deutsche Gesandte Beckerle persönlich, der sich an das bulgarische Außenamt wandte, daß die Deutschen nicht wünschten, daß ich als Delegierter nach Winniza entsendet würde. Dies zeigt, daß auch von deutscher Seite meine Stellungnahme und mein Benehmen in dieser Frage sehr wohl verstanden worden war.

In unserem Ministerium des Auswärtigen hat der bevollmächtigte Minister Saratov verschiedene noch erhaltene Stenogramme über Unterhaltungen zu dieser Frage zur Verfügung. Falls der Gerichtshof diese Dokumente zu sehen wünscht, können sie aus Bulgarien angefordert werden.

Infolgedessen entspricht meine Absage, nach der Unterzeichnung des Protokolls noch andere Aufgaben für propagandistische Zwecke durchzuführen, vollkommen dem, was ich gesagt habe, nämlich, daß die Schlußfolgerung im Gesamtprotokoll meiner Überzeugung nicht entspricht. Ich will es hier nochmals wiederholen: Wenn es meine Überzeugung gewesen wäre, daß die Leichen drei Jahre in der Erde gewesen seien, so hätte ich bereits nach der Obduktion einer Leiche diese meine Meinung niedergelegt und hatte nicht das Protokoll unvollständig gelassen, was für eine gerichtsmedizinische Obduktion absolut ungewöhnlich ist.

DR. STAHMER: Das Protokoll ist ja nicht von Ihnen allein unterzeichnet, sondern trägt die Unterschrift von elf Wissenschaftlern, deren Namen Sie wohl gestern schon bezeichnet haben, zum Teil von Weltruf. Es befindet sich darunter ein Neutraler, Professor Naville.

Haben Sie Gelegenheit genommen, sich in der Zwischenzeit mit einem dieser Sachverständigen in Verbindung zu setzen, um eine Richtigstellung des Protokolls zu veranlassen?

MARKOV: Von welchem Gesichtspunkt aus das Protokoll von den anderen Delegierten unterschrieben wurde, kann ich wirklich nicht sagen. Sie haben aber ihre Unterschriften unter denselben Umständen abgegeben wie auch ich.

Wenn ich nun die einzelnen Niederschriften lese, so stelle ich indirekt fest, daß auch sie sich enthalten haben, ein Datum anzugeben, wann der Mensch getötet wurde, dessen Leiche sie obduziert haben. Wie ich bereits gesagt habe, machte darin nur ein einziger eine Ausnahme, und das war Professor Miroslawitsch. Er war der einzige, der behauptete, daß die Leiche, die er obduziert hat, drei Jahre in der Erde gelegen habe.

Nach Unterzeichnung des Protokolls hatte ich keinerlei Verbindung mit irgendeiner dieser Personen, die dieses Gesamtprotokoll unterschrieben hatten.

DR. STAHMER: Herr Zeuge! Sie haben zwei Darstellungen gegeben, eine in dem Protokoll, das wir durchgesprochen haben, eine andere hier vor dem Gericht. Welche ist nun die richtige?

MARKOV: Mir ist nicht klar, um welche zwei Darstellungen es sich hier handelt. Ich bitte Sie, die Frage genauer zu stellen.

DR. STAHMER: In dem Protokoll steht, daß nach dem Befund, den Sie damals festgestellt haben, die Erschießung drei Jahre zurückliegt, während Sie heute bekundet haben, daß diese Feststellung unrichtig sei und zwischen der Erschießung und Ihrer Tätigkeit nur ein Zeitraum von etwa anderthalb Jahren liegt.

MARKOV: Ich habe gesagt, daß die Schlußfolgerung des Gesamtprotokolls meiner Überzeugung nicht entspricht.

DR. STAHMER: Entsprach oder entspricht?

MARKOV: Sie entsprach nicht meiner Überzeugung zu der Zeit als die Untersuchungen durchgeführt wurden, und sie entspricht ihr auch heute nicht.

DR. STAHMER: Ich habe keine weiteren Fragen.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Herr Vorsitzender! Ich habe keine weiteren Fragen an diesen Zeugen.

VORSITZENDER: Herr Zeuge! Wurden einige Leichen, die von den Mitgliedern dieser Kommission untersucht wurden, in Ihrem Beisein exhumiert?

MARKOV: Die Leichen, die wir sezierten, befanden sich in der obersten Schicht der Gräber, die bereits geöffnet waren. Sie wurden herausgenommen, damit wir sie obduzieren konnten.

VORSITZENDER: Deutete Ihrer Meinung nach irgend etwas darauf hin, daß die Leichen nicht in diesen Gräbern beerdigt waren?

MARKOV: Was die Spuren und die Lage der Leichname in den Gräbern betrifft, so klebten sie so zusammen, daß, falls sie überführt worden sind, dies nicht kurz vorher geschehen sein konnte. Dies konnte nicht unmittelbar vor unserer Ankunft geschehen sein.

VORSITZENDER: Sie glauben also, daß die Leichname in diesen Gräbern beerdigt waren?

MARKOV: Ich kann nicht sagen, ob sie in diese Gräber sofort nach Todeseintritt gelegt wurden, weil ich keine Beweise habe, dies zu bestätigen, aber sie sahen nicht aus, als wenn sie erst kürzlich dorthin gebracht worden wären.

VORSITZENDER: Ist es nach Ihrer Meinung als Sachverständiger möglich, das Datum auf März oder April oder überhaupt auf eine so enge Zeitspanne festzulegen, wenn dies drei Jahre vor der von Ihnen durchgeführten Untersuchung liegt?

MARKOV: Ich glaube, wenn man sich ausschließlich auf die gerichtsmedizinischen Anhaltspunkte stützt, das heißt auf den Zustand der Leichen, so ist es, wenn es sich um Jahre handelt, unmöglich, das Datum mit derartiger Genauigkeit festzustellen, daß diese Tötungen im März oder im April begangen wurden, das heißt auf den Monat genau. Deshalb gründeten sich die Monate März und April ganz offenbar nicht auf medizinische Unterlagen – das wäre unmöglich gewesen – sondern auf Zeugenaussagen und auf Dokumente, die entdeckt worden waren.

VORSITZENDER: Sie sagten, daß, als Sie nach Sofia zurückkamen, Ihnen das Protokoll zur Vornahme von Bemerkungen und Korrekturen zugesandt wurde und daß Sie solche nicht vornahmen. Warum geschah das?

MARKOV: Es handelt sich hier um mein persönliches Protokoll, das ich zusammengestellt hatte. Ich habe die Schlußfolgerungen nicht hinzugefügt, weil es mir von den Deutschen zugesandt wurde und weil die politische Lage in unserem Lande überhaupt so war, daß ich nicht öffentlich erklären konnte, daß die deutsche Auffassung nicht der Wahrheit entsprach.

VORSITZENDER: Wollen Sie sagen, daß Ihnen nur Ihr persönliches Protokoll nach Sofia gesandt wurde?

MARKOV: Ja, nur mein persönliches Protokoll wurde mir nach Sofia gesandt. Das Kollektivprotokoll habe ich selbst nach Sofia mitgebracht und unserem Außenminister übergeben.

VORSITZENDER: Ist Ihr persönliches Protokoll mit den gleichen Worten, so wie Sie es abgefaßt haben, in das Gesamtprotokoll aufgenommen und von allen Delegierten unterzeichnet worden?

MARKOV: In meinem persönlichen Protokoll befindet sich nur eine Beschreibung der Leiche selbst und ihrer Bekleidung.

VORSITZENDER: Das habe ich nicht gefragt.

MARKOV: Im Kollektivprotokoll ist nur eine rohe Beschreibung über die Bekleidung der Leichen und den Grad der Verwesung enthalten.

VORSITZENDER: Wollen Sie sagen, daß Ihr persönliches Protokoll...

MARKOV: Die persönlichen Protokolle sind in Bezug auf den Zustand der Leichen genauer, und zwar deshalb, weil sie während der Obduktion an Ort und Stelle diktiert wurden.

VORSITZENDER: Wollen Sie bitte meiner Frage zuhören:

Ist Ihr persönliches Protokoll mit den gleichen Worten, wie Sie es abgefaßt haben, in das Kollektivprotokoll aufgenommen, also im gleichen Wortlaut?

MARKOV: Mein persönliches Protokoll ist in dem Kollektivprotokoll nicht enthalten, aber es steht in dem Weißbuch, das die Deutschen gemeinsam mit dem Kollektivprotokoll veröffentlicht haben.

VORSITZENDER: Es ist also in dem Bericht enthalten, in dem Weißbuch?

MARKOV: Ganz richtig, es ist in dem Weißbuch.

VORSITZENDER: Der Zeuge kann sich zurückziehen.