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[Der Zeuge verläßt den Zeugenstand.]

Oberst Smirnow! Haben Sie noch einen anderen Zeugen?

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Jawohl, Herr Vorsitzender. Ich bitte, den Zeugen Viktor Iljitsch Prosorowsky, Professor für gerichtliche Medizin, rufen zu dürfen.

[Der Zeuge betritt den Zeugenstand.]

VORSITZENDER: Geben Sie bitte Ihren vollen Namen an.

PROFESSOR VIKTOR ILJITSCH PROSOROWSKY: Viktor Iljitsch Prosorowsky.

VORSITZENDER: Sprechen Sie mir folgende Eidesformel nach: »Ich, Bürger der UdSSR, in diesem Prozeß als Zeuge gerufen, verspreche feierlich vor diesem Hohen Gericht, alles zu sagen, was ich über diesen Fall weiß, nichts hinzuzufügen und nichts zu verschweigen.«

[Der Zeuge spricht die Eidesformel nach.]

VORSITZENDER: Sie können sich setzen.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Herr Zeuge! Bevor ich Sie frage, bitte ich Sie, folgendes zu beachten: Bitte lassen Sie nach meiner Frage eine Pause eintreten, damit die Dolmetscher übersetzen können, und sprechen Sie so langsam wie möglich.

Ich bitte Sie, dem Gerichtshof so kurz wie möglich einige Informationen über Ihre wissenschaftliche Tätigkeit und Ihre Tätigkeit als Gerichtsmediziner zu geben.

PROSOROWSKY: Ich bin Arzt von Beruf, Professor der Gerichtsmedizin und Doktor der medizinischen Wissenschaften. Ich bin medizinischer Hauptsachverständiger des Ministeriums für öffentliches Gesundheitswesen der Sowjetunion und Direktor des wissenschaftlichen Forschungsinstitutes für Gerichtsmedizin beim Ministerium für öffentliches Gesundheitswesen der USSR. Meine Tätigkeit ist in der Hauptsache wissenschaftlicher Natur. Ich bin Präsident der gerichtsmedizinischen Kommission des medizinischen Rates im Ministerium für öffentliches Gesundheitswesen der USSR.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Welche Dienstzeit haben Sie als gerichtsmedizinischer Sachverständiger?

PROSOROWSKY: Ich habe 17 Jahre lang auf diesem Gebiet gearbeitet.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Inwiefern waren Sie an den Untersuchungen der von den hitleristischen Verbrechern verübten Massenmorde an den polnischen Offizieren im Walde von Katyn beteiligt?

PROSOROWSKY: Der Vorsitzende der Sonderkommission zur Untersuchung und Feststellung der Umstände bei der Erschießung der polnischen Offiziere durch die deutsch-faschistischen Angreifer, Akademiker Nikolai Iljitsch Burdenko, hat mir Anfang Januar 1944 den Vorsitz in der gerichtsmedizinischen Sachverständigenkommission angeboten. Außer dieser organisatorischen Tätigkeit habe ich persönlich an der Exhumierung und Untersuchung dieser Leichen teilgenommen.

VORSITZENDER: Oberst Smirnow! Vielleicht wäre dies ein günstiger Zeitpunkt für die Pause?

[Das Gericht vertagt sich bis 14.00 Uhr.]

Nachmittagssitzung.

[Der Zeuge Prosorowsky im Zeugenstand.]

GERICHTSMARSCHALL: Die Angeklagten Heß, Fritzsche und von Ribbentrop sind heute abwesend.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Gestatten Sie, Herr Vorsitzender, daß ich das Verhör fortsetze?

VORSITZENDER: Ja.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Zeuge! Sagen Sie bitte, waren die Begräbnisstätten weit von der Stadt Smolensk entfernt?

PROSOROWSKY: Am 14. Januar 1944 begab sich eine Kommission gerichtsmedizinischer Sachverständiger gemeinsam mit Mitgliedern einer Sonderkommission – Akademiker Burdenko, Akademiker Potemkin, Akademiker Tolstoi und andere – in das sogenannte Katyner Wäldchen zu den Massengräbern der polnischen Offiziere. Diese Stelle befindet sich 15 km von der Stadt Smolensk entfernt. Ungefähr 200 Meter von der Straße nach Witebsk befanden sich auf einem schräg ansteigenden Hügel die Gräber. Eines dieser Gräber war ungefähr 60 mal 60 Meter groß, in einiger Entfernung davon war ein anderes von etwa 7 mal 6 Metern.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Wie viele Leichen wurden von der Kommission, der Sie vorstanden, ausgegraben?

PROSOROWSKY: Im Katyner Wäldchen hat die gerichtsmedizinische Sachverständigenkommission aus verschiedenen Gräbern, an verschiedenen Stellen und Tiefen, insgesamt 925 Leichen ausgegraben und untersucht.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Wie wurden diese Ausgrabungsarbeiten bewerkstelligt, und wie viele Mitarbeiter haben Sie zu dieser Arbeit hinzugezogen?

PROSOROWSKY: Die gerichtsmedizinische Kommission bestand aus Sachverständigen auf gerichtsmedizinischem Gebiet, die im September/Oktober 1943 die Leichen der von den Deutschen erschossenen Opfer ausgegraben und untersucht hatten.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Wo fand die Untersuchung der Leichen statt?

PROSOROWSKY: Sie untersuchten sie in der Stadt und in der unmittelbaren Umgebung von Smolensk. Zu dieser Kommission gehörten Professor Prosorowsky, Professor Smolianinow, der älteste gelehrte Mitarbeiter des gerichtsmedizinischen Untersuchungsinstituts, Dr. Semenowsky, der älteste Sachverständige für Gerichtsmedizin, Professor Woropajew, Professor der pathologischen Anatomie und Professor Schweikowa, Professor für Gerichtschemie, die für die gerichtschemischen Untersuchungen hinzugezogen wurde. Zur Unterstützung dieser Kommission wurden noch gerichtsmedizinische Fachleute von der Wehrmacht hinzugezogen, darunter der Kandidat der Medizin, Nikolski, Dr. Soubbotin.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Zeuge! Ich glaube nicht, daß der Gerichtshof ein Interesse daran hat, diese Namen zu erfahren. Wollen Sie mir folgende Frage beantworten: Welche Methode haben Sie bei der Untersuchung der Leichen angewandt? Darunter verstehe ich folgendes: Haben Sie die Leichen entkleidet? Haben Sie sich mit einer äußeren Untersuchung der Leichen begnügt, oder führten Sie eine vollständige medizinische Untersuchung dieser Leichen durch, das heißt jeder einzelnen dieser 925 Leichen?

PROSOROWSKY: Nachdem die Leichen exhumiert waren, wurden sie zunächst sorgfältig durchsucht, auch die Kleidung. Dann wurden sie äußerlich untersucht, daraufhin wurden alle drei Teile des Körpers einer vollständigen gerichtsmedizinischen Sezierung unterzogen, das heißt der Schädel, die Brusthöhle und die Bauchhöhle; sodann wurde eine Einzeluntersuchung der inneren Organe vorgenommen.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Gut. Sagen Sie bitte, zeigten die exhumierten Leichen irgendwelche Spuren einer vorherigen ärztlichen Untersuchung?

PROSOROWSKY: Von den 925 Leichen, die wir untersuchten, waren nur drei bereits vorher seziert worden und auch da nur teilweise der Schädel. Bei allen übrigen sind keine Spuren einer früheren gerichtsmedizinischen Untersuchung festgestellt worden. Sie waren bekleidet, Rock, Hosen und Hemden waren zugeknöpft, die Hosenträger angeknöpft, die Krawatten gebunden. Weder am Kopf noch am Körper war die Spur von Einschnitten zu sehen oder irgendwelche andere Anzeichen, die auf gerichtsmedizinische Untersuchungen hätten schließen lassen. Das schließt die Möglichkeit aus, daß sie vorher einer gerichtsmedizinischen Untersuchung unterzogen worden waren.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Wurde bei diesen gerichtsmedizinischen Untersuchungen Ihrer Kommission auch der Schädel geöffnet?

PROSOROWSKY: Selbstverständlich. Bei der Untersuchung jeder Leiche wurde der Schädel zerlegt und der Inhalt der Schädelhöhle einer Untersuchung unterzogen.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ist Ihnen der Ausdruck »pseudo callus« bekannt?

PROSOROWSKY: Ich habe von diesem »pseudo callus« gehört, als ich ein Buch in der Bibliothek des gerichtsmedizinischen Instituts bekam. Das war im Jahre 1945. Ähnliche Erscheinungen sind bei gerichtsmedizinischen Expertisen in der Sowjetunion bis zu dem Zeitpunkt niemals beobachtet worden.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Hat man unter den 925 Schädeln, die geöffnet worden sind, viele Fälle von »pseudo callus« festgestellt?

PROSOROWSKY: Nicht einer der gerichtsmedizinischen Sachverständigen hat bei der Untersuchung der 925 Leichen irgendwelche Kalkablagerungen auf der Innenseite der Schädeldecke oder an einer anderen Stelle der Kopfhöhle entdeckt.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Also war kein einziger Schädel mit Anzeichen von »pseudo callus« vorhanden?

PROSOROWSKY: Nein.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Wurde auch die Kleidung untersucht?

PROSOROWSKY: Wie ich bereits gesagt habe, wurde auch die Kleidung einer sorgfältigen Prüfung unterzogen. Im Auftrage der Sonderkommission und in Gegenwart ihrer Mitglieder, des Metropoliten Nikolaj, des Akademikers Burdenko und anderer, haben die gerichtsmedizinischen Sachverständigen die Kleidungsstücke überprüft, die Hosen-, Jacken- und Manteltaschen waren umgedreht, aufgerissen oder aufgeschnitten. Das zeugte davon, daß eine Durchsuchung vorgenommen worden war. Die Kleider selbst, die Mäntel, Jacken, Hosen, auch die Hemden waren feucht von der Leichenflüssigkeit. Diese Kleider konnte man trotz großer Kraftanstrengung mit den Händen nicht zerreißen.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Demnach war das Gewebe der untersuchten Kleider sehr fest?

PROSOROWSKY: Ja, die Stoffe waren sehr fest, sie waren natürlich mit Erde beschmiert.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Haben Sie bei der Exhumierung die Taschen überprüft, und haben Sie in den Taschen irgendwelche Dokumente gefunden?

PROSOROWSKY: Wie ich schon gesagt habe, war die Mehrzahl der Taschen bereits zerschnitten und umgedreht, aber manche Taschen waren ganz geblieben. In diesen Taschen, auch in dem Futter der Uniformen oder Hosen, wurden zum Beispiel Notizen, Broschüren, Zeitungen, offene und geschlossene Briefe, Postkarten, Zigarettenpapier, Zigarettenspitzen, Pfeifen und so weiter gefunden. Sogar Wertsachen, wie Goldbarren und Golddollars, wurden entdeckt.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Diese Einzelheiten sind unerheblich, und ich bitte Sie, davon abzusehen. Bitte antworten Sie auf die folgende Frage. Sind in der Kleidung der Leichen Dokumente gefunden worden, die von Ende 1940 oder 1941 datiert waren?

PROSOROWSKY: Ja, solche Dokumente habe ich gefunden. Auch andere gerichtsmedizinische Sachverständige haben solche gefunden: Zum Beispiel fand Professor Smoljaninov bei einer Leiche einen Brief in russischer Sprache. Absenderin dieses Briefes war Sophie Sigon. Dieser Brief war an das Rote Kreuz in Moskau gerichtet mit der Bitte um Mitteilung des Aufenthaltsortes ihres Mannes: Thomas Sigon. Das Datum dieses Briefes lautete: 12. September 1940. Außerdem befand sich auf dem Briefumschlag der Poststempel von Warschau, September 1940, ferner ein Stempel des Postamtes Moskau mit dem Datum 28. September 1940. Das nächste Dokument gleicher Art war eine Postkarte von Tarnopol mit dem Poststempel »Tarnopol 12. September 1940«. Dann wurden datierte Quittungen gefunden, eine auf den Namen – wenn ich nicht irre – Oraschkiewicz, eine Quittung über den Empfang einer Geldsumme zum Aufbewahren mit dem Datum des 6. April 1941. Auf den gleichen Namen lautete eine andere Quittung vom 5. Mai 1941. Ich persönlich habe noch einen Brief auf den Namen Irene Tutschinsky gefunden, der das Datum des 20. Juni 1941 trug. Außerdem wurde noch eine Reihe anderer Dokumente dieser Art gefunden.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Haben Sie bei der gerichtsmedizinischen Untersuchung der Leichen Patronen oder Patronenhülsen gefunden?

Sagen Sie bitte: Welche Fabrikmarke hatten diese Patronen, waren sie russische oder ausländische Fabrikate? Wenn es ein ausländisches Fabrikat war, so sagen Sie bitte welchen Kalibers.

PROSOROWSKY: Die Todesursache der polnischen Offiziere war Genickschuß. Wir haben in der Gehirnsubstanz, in den Schädelknochen und den Geweben Kugeln gefunden, die mehr oder weniger deformiert waren. Was die Hülsen anbetrifft, so haben wir bei den Ausgrabungen tatsächlich Patronenhülsen deutscher Herkunft gefunden, denn auf dem Boden dieser Hülsen war die Firma »Geco« eingraviert.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Einen Augenblick, Zeuge.