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[Der Angeklagte von Neurath betritt den Zeugenstand.]

Sie sind natürlich noch immer unter Eid.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Erinnern Sie sich noch des Anlasses zu Ihrem Schreiben an Lammers vom 31. August 1940 und Ihrer Bitte um Vermittlung einer Rücksprache, eines Vortrags bei Hitler?

VON NEURATH: Ja, wie ich bereits bei meiner Vernehmung gesagt habe, war mir im Laufe des Sommers 1940 bekanntgeworden, daß seitens verschiedener Reichs- und Parteistellen, unter anderem besonders der Gauleiter der benachbarten Gaue und seitens Himmlers, Berichte und Vorschläge von mehr oder weniger radikaler Art an Hitler herangebracht worden waren.

Mir war bekannt, daß besonders Himmler ganz extreme Vorschläge gemacht hat, die auf eine Aufteilung des Protektoratsgebietes und eine völlige Vernichtung des tschechischen Volkstums und des tschechischen Volkes hinausliefen und auf deren schleunigste Verwirklichung diese Stellen bei Hitler drängten.

Da ich selbst, wie bereits betont, derartigen Plänen ablehnend gegenüberstand und im Gegenteil das tschechische Volk als solches und sein Volkstum erhalten und es vor den Vernichtungsabsichten von Himmler und Genossen bewahren wollte, entschloß ich mich, den Versuch zu machen, Hitler zu bewegen, von einer Verwirklichung irgendwelcher Germanisierungspläne Abstand zu nehmen, sie zu verbieten und einen entsprechend kategorischen Befehl an die Partei und ihre Stellen herauszugeben.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Erinnern Sie sich nun noch, wie es zu diesen beiden Berichten gekommen ist, die Ihrem Schreiben an Lammers beigefügt werden sollten?

VON NEURATH: Nach meiner Erinnerung haben sich die Dinge folgendermaßen abgespielt: Ich habe zunächst entweder selbst einen Bericht diktiert oder von einem Beamten meiner Behörde entwerfen lassen nach meinen Weisungen. Ich glaube allerdings das letztere. Ich entsinne mich aber ganz genau, daß dieser Bericht viel kürzer war, als der hier in Photokopie vorgelegte. Ich entsinne mich ferner, daß die in ihm gezogene Schlußfolgerung zwar ähnlich war, aber viel schärfer, und daß das ganze Problem sehr reiflich erwogen werden müsse.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Wie und wann ist es nun zu dem zweiten Bericht von Frank gekommen?

VON NEURATH: Aus den verschiedenen Besprechungen, die ich mit Frank hatte, wußte ich, daß auch er dieser Aufteilung des Protektoratsgebietes und der Evakuierung des tschechischen Volkes, wie sie von Himmler beabsichtigt war, ablehnend gegenüberstand und er insoweit jedenfalls meine Absichten teilte, und ich hielt es deshalb für zweckmäßig, da ja Frank von Hitler mir seinerzeit zum Staatssekretär beigegeben war, weil er ein genauer Kenner des tschechischen Landes und des tschechischen Volkstums sein sollte, Hitler vor Augen zu führen, daß auch dieser Mann die Pläne Himmlers ablehnte und von ihrer Annahme durch Hitler abriet.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Aus welchem Grunde haben Sie nun aber in Ihrem Schreiben an Lammers besonders betont, daß Sie sich den Gedankengängen in dem Bericht Franks anschlössen?

VON NEURATH: Ich hielt es für richtig, dies zu tun, weil Frank doch ein Angehöriger der SS war und ein Untergebener und der Vertraute Himmlers. Ich wußte andererseits, daß Hitler damals schon wegen meiner ganzen Einstellung und Haltung gegenüber dem tschechischen Volk, die er für viel zu mild und entgegenkommend ansah, gegen mich eingenommen war, und ich war deshalb überzeugt, daß es mir zusammen mit Frank eher gelingen würde, Hitler in meinem Sinne zu beeinflussen, als wenn ich bloß allein käme. Das war der Grund, warum ich vorschlug, Frank an dem Vortrag zu beteiligen. Aus demselben Grunde habe ich auch nicht an Hitler direkt geschrieben, wie ich das sonst tat, sondern an Lammers. Ich mußte nach vorausgegangenen Erfahrungen annehmen, daß, wenn ich an Hitler direkt schrieb, der damals zudem von Berlin abwesend war, er den Bericht überhaupt nicht lesen würde oder ihn an Himmler zunächst geben würde.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Wie ist nun die büromäßige Behandlung dieses Schreibens und seiner Anlagen an Lammers gewesen?

VON NEURATH: Ich ließ mir den Berichtsentwurf von Frank vorlegen; dann diktierte ich meinen Brief an Lammers und sandte diesen mit meinem Bericht und dem Entwurf Franks an das Büro von Frank zurück zur Fertigung der Reinschrift des Frankschen Berichts und Absendung des Briefes an Lammers mit den beiden Berichten. Das Schreiben an Lammers und die beiden Berichte habe ich vor der Absendung dann nicht mehr gesehen, übrigens auch nicht in Berlin bei der Unterredung mit Hitler.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Die letzte Frage. Wieso sind Sie nun zu der Überzeugung gekommen, daß die hier vorgelegten Photokopien der beiden Berichte nicht identisch sein können mit den Berichten, die nach Ihren Weisungen dem Schreiben an Lammers beigefügt werden sollten?

VON NEURATH: Was zunächst den ersten von mir angefertigten Bericht anbetrifft, so habe ich schon ausgeführt, daß dieser nach meiner Erinnerung wesentlich kürzer war, wie der hier in Photokopie vorgelegte. Ferner trägt diese Photokopie nicht meine Unterschrift, nicht einmal meine Initialen. Es ist aber ganz ausgeschlossen, daß ich die dem Brief an Lammers in meinem Büro beigefügte Reinschrift dieses Berichts nicht unterschrieben hätte oder zumindest abgezeichnet, und auch ferner der Richtigkeitsvermerk, der auf diesem Bericht merkwürdigerweise enthalten ist und von einem SS-Obersturmbannführer ausgeführt wurde, ist nicht unterschrieben. Das photokopierte Exemplar, das angeblich dem Brief an Lammers beigefügt sein soll, trägt nicht einmal meine Initialen. Das auffallendste aber ist der Richtigkeitsvermerk auf der Photokopie. Dieser kann doch nur einen Sinn haben, wenn das dem Brief an Lammers beigefügte Schriftstück meine Unterschrift nicht trug und dann trotzdem dem Schreiben beigefügt wurde. Da aber die von mir mit dem Schreiben an Lammers von meinem Büro an das Büro des Staatssekretärs Frank weitergegebene Reinschrift meines Berichts bestimmt von mir unterschrieben war, so beweist dieser Vermerk, daß dem Schreiben an Lammers eben nicht mein Bericht, der von mir unterschriebene Bericht, beigefügt worden ist, sondern ein anderer, der entweder von Frank oder von seinem Büro oder Beamten seines Büros entworfen wurde. Was nun den Bericht von Frank selbst anbetrifft, so ist der Text der hier vorliegenden Photokopie nach meiner Erinnerung nicht identisch mit dem von mir gutgeheißenen und darin zusammen mit meinem Bericht an Lammers weitergeleiteten Entwurf; denn die Gedankengänge...

VORSITZENDER: Dr. von Lüdinghausen! Wir haben die Erklärung schon öfters gehört. Ich denke, daß die Anlage in diesem Briefe nicht dieselbe war, wie die von ihm aufgesetzte. Es wirkt nicht überzeugender dadurch, daß man es immer wieder sagt.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Ja, ich wollte dies nur noch einmal zum Ausdruck bringen; aber wenn das Gericht glaubt, daß diese Erklärung schon früher gemacht worden ist, verzichte ich darauf.

VON NEURATH: Herr Vorsitzender! Ich bitte nur, noch eine Erklärung abgeben zu dürfen, wie ich vermute – ich kann es ja nur vermuten –, wie diese Dinge gelaufen sind. Ich bin der festen Überzeugung, daß, wenn tatsächlich die beiden hier vorgelegten Photokopien dem Schreiben an Lammers beigefügt waren, sie im Büro Franks angefertigt worden sind und ohne mein Wissen beigefügt wurden. Eine andere Möglichkeit wäre natürlich auch die, daß sie von den tschechischen...

VORSITZENDER: Wir können uns ebenso wie Sie allerlei Möglichkeiten vorstellen; jedenfalls steht fest, daß dieses Schreiben in seinem Namen unterzeichnet wurde. Der Brief selbst war doch unterzeichnet?

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Ja.

VORSITZENDER: Und er weist doch besonders auf die Anlage hin?

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Ja.

VORSITZENDER: Gut; wir verstehen das.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Ja, darauf kam es mir an, daß das dem Gericht klargemacht wurde. Denn ich konnte, wie gesagt, die merkwürdigen Eigenschaften dieser beiden Berichte, die äußerliche, die textliche, in dem Moment des Kreuzverhörs nicht genau prüfen. Ich habe keine weiteren Fragen, Herr Vorsitzender.

VORSITZENDER: Der Angeklagte kann zu seinem Platz auf der Anklagebank zurückkehren. Wünschen Sie irgendwelche Fragen zu stellen, Sir David?

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft! Ich glaube nicht. Wenn der Gerichtshof es mir erlaubt, möchte ich jetzt während der Pause das Dokument durchsehen und prüfen, ob es etwas enthält, worüber ich vielleicht fragen möchte.