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[Das Gericht vertagt sich bis

3. Juli 1946, 10.00 Uhr.]

Einhundertsiebzigster Tag.

Mittwoch, 3. Juli 1946.

Vormittagssitzung.

VORSITZENDER: Hat Dr. Bergold einen der Verteidiger mit seiner Vertretung beauftragt? Hat sich der Gerichtsmarschall mit Dr. Bergold in Verbindung setzen können?

GERICHTSMARSCHALL: Nein, Herr Vorsitzender.

DR. STAHMER: Herr Präsident! Dr. Bergold hat gestern Nachricht von uns erhalten, daß seine Anwesenheit im Gericht für heute erforderlich sei und, soweit wie ich gehört habe, soll auch durch das Generalsekretariat zu ihm geschickt worden sein. Weiter kann ich leider keine Angaben machen. Einen Auftrag zur Vertretung hat er, soweit ich unterrichtet bin, niemandem erteilt.

VORSITZENDER: Danke sehr, Dr. Stahmer.

DR. STAHMER: Herr Präsident! Ich werde mich aber nochmals sofort darum bemühen und sehen, ob er vielleicht eingetroffen ist oder ob ich ihn erreichen kann.

VORSITZENDER: Sehr gut, Dr. Stahmer. Ich glaube, es wäre das beste, wenn der Gerichtshof die verschiedenen Anträge in Bezug auf Fragebogen und Dokumente erwägen würde, die, wie ich annehme, Sie und andere Ihrer Kollegen vorzulegen wünschen. Dann, falls Dr. Bergold noch nicht hier sein sollte, wird der Gerichtshof diese Zeugen hören. Der Gerichtshof erwartet natürlich, daß er hier erscheint, wenn es ihm überhaupt möglich ist. Vielleicht werden Sie sich mit Dr. Bergold in Verbindung setzen, und auch der Marschall soll versuchen, Dr. Bergold zu erreichen.

DR. STAHMER: Ja.

GERICHTSMARSCHALL: Jawohl, Herr Präsident.

PROFESSOR DR. HERMANN JAHRREISS, STELLVERTRETENDER VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN JODL: Herr Präsident! Ich habe erfahren, daß der Sohn von Dr. Bergold gestern plötzlich und unerwartet aus der Kriegsgefangenschaft heimgekommen ist. Der Vater ist deshalb nach seiner Wohnung etwas außerhalb von Nürnberg gefahren. Ich habe vorhin die Sekretärin veranlaßt, hinauszufahren und ihn an Ort und Stelle zu bringen. Ich nehme an, daß er in etwa einer halben Stunde hier sein wird.

VORSITZENDER: Dr. Stahmer! Sie haben einige Fragebogen, die Sie vorlegen wollen, nicht wahr?

DR. STAHMER: Bei dem Schlusse meines Beweisvortrags waren mir noch einige Fragebogen, der Vortrag einiger Fragebogen, gestattet, die damals noch nicht eingegangen waren. Es handelt sich zunächst um den Fragebogen Kammhuber; Kammhuber war General der Flieger, und von ihm war eine Organisationsstudie 1950 vorgelegt. Über den Zweck und die Bedeutung dieser Studie, die er am 2. Mai 1938 gefertigt hat, ist er befragt worden und hat darüber erklärt – ich kann das kurz inhaltlich referieren –, daß ein Teil, der als Fernziel bezeichnet war, lediglich eine Übungsskizze darstellt, die auf theoretischen Annahmen beruht. Es war dann ein zweiter Teil, der das Endziel 1942 und die Zwischenlösung zum 1. Oktober 1938 betrifft, das war ein positiver Vorschlag für die Organisation der Luftwaffe. Die Studie ist von dem Zeugen aus eigenem Entschluß gefertigt. Ob sie dem Angeklagten Göring vorgelegen hat, weiß er nicht. Er hält es nicht für wahrscheinlich, er nimmt aber an, daß er ihm über den positiven Vorschlag für die Organisation der Luftwaffe Vortrag gehalten hat.

Das ist im wesentlichen der Inhalt dieses Fragebogens, den ich als Exhibit Göring Nummer 54 überreiche.

Ich habe einen weiteren Fragebogen, der von dem Generaloberst Kurt Student stammt. Dieser Fragebogen behandelt den Luftangriff auf Rotterdam im Mai 1940. Er bringt die Erklärung dafür...

VORSITZENDER: Haben Sie Kopien von diesen Affidavits, ich meine von diesen Fragebogen? Wir haben eine von dem von Student, das Sie gerade anbieten, aber wir haben keine von Kammhuber.

DR. STAHMER: Ich habe sie der Übersetzungsabteilung gegeben, Herr Präsident, und veranlaßt, daß Übersetzungen angefertigt werden. Ich habe sie der Übersetzungsabteilung gegeben gehabt. Ich werde nochmals nachforschen, wo sie hingekommen sind. Vorgelegen haben sie.

VORSITZENDER: Ja. Das Generalsekretariat wird sich darum kümmern. Ist ein Antrag für dieses hier von Student gestellt und genehmigt worden? Er steht nicht auf meiner Liste.

DR. STAHMER: Jawohl, es ist gestattet worden, und es hat auch die Anklagebehörde einen Gegenfragebogen vorgelegt.

Ich glaube...

VORSITZENDER: Gut.

DR. STAHMER: Ich glaube, Student war, wenn ich nicht irre, durch Beschluß vom 14. Februar bewilligt, soweit ich mich erinnere.

Student behandelt also den Luftangriff auf Rotterdam im Mai 1940, und er gibt die nötige Aufklärung, wie es gekommen ist, daß während der Kapitulationsverhandlung noch Bomben auf Rotterdam geworfen worden sind. Auch hier, glaube ich, kann ich mich im übrigen auf den Fragebogen beziehen. Es lag also die Sache so, daß Kapitulationsverhandlungen schwebten, daß dann ein Luftangriff angesetzt war. Das Geschwader, das eingesetzt war, konnte nicht mehr rechtzeitig telegraphisch benachrichtigt werden. Es sind dann von den Erdtruppen aus Zeichen gegeben worden, die von der einen Gruppe mißverstanden wurden...

VORSITZENDER: Es scheint, daß Sie sich hier mit einem Gegenstand befassen, der bereits in der Beweisaufnahme behandelt wurde, nicht wahr?

DR. STAHMER: Jawohl, dieser Gegenstand ist auch in der Beweisaufnahme zur Sprache gekommen.

VORSITZENDER: Dann sollte es jetzt unter keinen Umständen verlesen werden.

DR. STAHMER: Dann werde ich dieses Dokument überreichen...

VORSITZENDER: Ja, legen Sie es als Beweisstück vor. Ich meine, Sie brauchten es nicht im einzelnen vorzulesen.

DR. STAHMER: Jawohl, Herr Präsident. Das wird dann Exhibit Nummer 53.

Ich habe dann einen Fragebogen von dem General der Flieger Koller, den ich als Exhibit Göring Nummer 55 überreichen will.

Herr Präsident, ich bitte, mir zu gestatten, daß ich diese Fragen verlese wegen der Bedeutung, die die Aussage dieses Zeugen für den Angeklagten in diesem Prozeß hat:

»Erste Frage: Hat der ehemalige Reichsmarschall Göring jemals den Befehl gegeben, abgeschossene feindliche Flieger ohne Verfahren zu erschießen oder der Polizei – SD – zu übergeben?

Antwort: Meines Wissens ›nein‹! Ein solcher Befehl des Reichsmarschalls ist mir jedenfalls nicht bekannt.

Zweite Frage: Hat der ehemalige Reichsmarschall Göring bei einem Befehl mitgewirkt, auf Grund dessen die aus dem Gefangenenlager Stalag III Sagan im März 1944 entwichenen englischen Fliegeroffiziere durch die Polizei – SD – erschossen wurden?

Antwort: General Korten hat mir gesagt, daß die Luftwaffe, nämlich der Reichsmarschall und er selbst, General Korten, an diesem Befehl nicht beteiligt gewesen sind.

Dritte Frage: Hat der ehemalige Reichsmarschall Göring von der Tatsache zu Ziffer 2 erst nach der Durchführung des von Hitler gegebenen Befehls erfahren?

Antwort: General Korten hat mir gesagt, daß er und der Reichsmarschall erst nachträglich Kenntnis bekommen hätten.

Vierte Frage: An welchem Tage wurde dieser Befehl durch Hitler erteilt?

Antwort: Nicht bekannt.

Fünfte Frage: An welchem Tage oder an welchen Tagen wurde er ausgeführt?

Antwort: Nicht bekannt.

Sechste Frage: Wissen Sie, ob der ehemalige Reichsmarschall Göring die Erschießung dieser 50 englischen Fliegeroffiziere auf das schärfste verurteilt hat?

Antwort: General Korten hat mir gesagt, daß der Reichsmarschall über die Erschießung sehr aufgebracht gewesen sei.

Siebente Frage: Sind Sie darüber unterrichtet, ob der ehemalige Reichsmarschall Göring und sein Vertreter der Luftwaffe, Generalstabschef, wiederholt gegen das von Hitler befohlene Vorgehen gegen die abgeschossenen Terrorflieger bei Hitler Widerspruch erhoben hat?

Antwort: Nach Äußerungen, die General Korten mir im Juni 1944 gemacht hat, trifft das zu.

Ich erinnere mich auch, daß mir in einer späteren Zeit einmal berichtet worden ist, daß sich der Reichsmarschall beim Führer beklagt habe über das Vorgehen von Parteiorganen und Personen der Bevölkerung gegen sogenannte Terrorflieger. Der Anlaß ist hier gewesen, daß einige Flugzeugbesatzungen zu Schaden gekommen wären.

Im März 1945 hat der Reichsmarschall den vom Führer gegebenen Befehl, die in den letzten Monaten angefallenen Bomberbesatzungen und künftig noch anfallen de dem SD zu übergeben, scharf abgelehnt.

Zu Frage 1 bis 7 führe ich erklärend und ergänzend aus:

Allgemein:

In der Berichtszeit war ich Chef des Luftwaffenführungsstabs. Im Februar 1944 verlegten das Führerhauptquartier, das OKW, der Reichsmarschall mit seiner persönlichen Umgebung und der Chef des Generalstabs der Luftwaffe, General Korten, mit zwei oder drei Ordonnanzoffizieren nach Berchtesgaden. Ich hatte mit dem OKL, also dem gesamten Arbeitsstab in Ostpreußen, Robinson, zu bleiben, weil mit rascher Rückverlegung des Führerhauptquartiers gerechnet wurde. Der gesamte Melde- und Befehlsapparat für die Versorgung der Luftwaffe sollte über Robinson laufen. Die sich von Woche zu Woche verlängernde Trennung zwischen Oberkommando der Luftwaffe einerseits und dem Oberbefehlshaber, Chef des Generalstabs andererseits, bewirkte, daß wir in Ostpreußen über viele Dinge, die in Berchtesgaden oft direkt erledigt wurden, auch über wichtige Anordnungen in der Führerlage des öfteren gar keine und häufig sehr verspätet Kenntnis erhielten.

Erst Anfang Juni, ich glaube, in der Woche nach Pfingsten, wurde ich selbst mit einigen Luftoffizieren nach Berchtesgaden nachgezogen. Bis dahin war ich, ab Februar, glaube ich, nur zu einer einzigen Besprechung in Berchtesgaden gewesen.

Zu Frage 2 bis 6 ›Sagan‹:

Von der Erschießung auf Führeranordnung von aus Sagan ausgebrochenen Fliegern habe ich von General Korten und, glaube ich, von Oberst Christian fast gleichzeitig gehört. Ich glaube aber, zuerst von General Korten, der mich nach meiner Erinnerung bei einem der täglich geführten längeren abendlichen Ferngespräche unterrichtete. Korten hat sich dabei deutlich ablehnend geäußert und mir das gesagt, was ich oben zur Frage 2, 3, 6 unmittelbar geantwortet habe. Das Gespräch muß etwa Ende März, Anfang April gewesen sein; genauen Zeitpunkt kann ich nicht angeben.

Zu Frage 1 und 7, ›Terrorflieger‹:

Etwa Anfang Juni 44, ich glaubte zuerst im Juli, aber es muß Juni gewesen sein, hat mich General Korten darüber unterrichtet, daß der Führer die Absicht habe zu befehlen, daß Terrorflieger der Volkswut preisgegeben werden sollen. Wir haben wiederholt darüber gesprochen und stimmten in der ablehnenden Auffassung überein.

Wir haben wohl die direkten Angriffe der feindlichen Tiefflieger gegen einzelne Zivilpersonen, Frauen und Kinder, Ansammlungen von Zivilpersonen, Personenzüge des öffentlichen Verkehrs; Lazarette, spazierengehende Schulklassen und Kindergärten, unsere an Fallschirmen hängenden Besatzungen und Bauern bei der Feldarbeit für grausam und absolut gegen Völkerrecht und Kriegsrecht gehalten, sahen aber in dem beabsichtigten Führerbefehl keinen gangbaren Weg und keine Lösung des schwierigen Problems.

Unsere Gründe: Kriegsartikel, Völkerrecht, im Widerspruch zu soldatischen Grundauffassungen, Quelle zahlreicher Mißverständnisse, durch die auch andere feindliche wie eigene Besatzungen zu Schaden kommen mußten; Auswirkungen auf die Moral eigener Besatzungen.«

VORSITZENDER: Dr. Stahmer! Ist das nicht wirklich mehr Argumentation als Behandlung von Tatsachen. Es ist doch nicht nötig, alle diese Argumente des Zeugen vorzulesen. Er befaßt sich doch überhaupt nicht mit Tatsachen und gibt Einzelheiten wieder...

DR. STAHMER: Herr Präsident! Das sind die Tatsachen, die er mit dem General Korten besprochen hat und die für sie maßgebend waren, den Führerbefehl abzulehnen. Das sind die Gründe, die zwischen ihm und Korten besprochen worden sind und die...

VORSITZENDER: Ein Teil von dem, was Sie vorgelesen haben, stellt zweifellos Tatsachen dar. Aber was Sie jetzt vorlesen, ist Argumentation.

DR. STAHMER: Nein, Herr Präsident.

VORSITZENDER: Dr. Stahmer! Sie könnten doch sicherlich den Rest zusammenfassen.

DR. STAHMER: Dieses Dokument, Herr Präsident, ist für den Angeklagten sehr wichtig, weil es sich gerade mit den Fragen der Anklage befaßt, die ihn natürlich am meisten bedrücken und wo er dann...

VORSITZENDER: Ich habe gehört, daß Sie sagten, es sei sehr wichtig, und deshalb haben Sie es verlesen, und insoweit es eine Erklärung über Tatsachen ist, scheint mir Grund dafür vorzuliegen, es im Detail vorzulesen. Aber wenn Sie zu Dingen der Argumentation kommen, scheint mir kein Grund vorzuliegen, sie vorzulesen. Denn eine Argumentation eines Zeugen ist für den Gerichtshof überhaupt nicht erheblich. Fassen Sie die Argumente zusammen, wenn Sie wollen. Ich meine, Sie haben doch den Tatsachenteil vorgelesen. Fassen Sie den Rest zusammen, wenn Sie wollen, könnten Sie uns sagen, was die Argumentation ist.

DR. STAHMER: Sehr gut, Herr Präsident. General Korten erklärt dann ferner, daß ihm sämtliche Dokumente, die für diese Frage der Terrorflieger und der Erschießung der Royal-Air-Force-Flieger in Betracht kommen, vorgelegt sind, und er kommt nach Durchsicht dieser Dokumente dahin, daß der Inhalt dieser Dokumente ein Beweis dafür ist, daß sowohl das OKW als auch der Reichsmarschall ein solches Vorgehen abgelehnt und alles daran gesetzt haben zu vermeiden, daß ein solcher Beschluß, wie Hitler ihn beabsichtigte, in die Wirklichkeit umgesetzt würde.

Er weist insbesondere darauf hin, daß auf dem einen Schreiben sich eine Randnotiz befindet, die dahin geht, daß von dem Oberbefehlshaber der Luftwaffe keine Antwort zu erhalten sei, und er trifft daraus die Feststellung, daß gerade der Reichsmarschall persönlich sich auch dagegen gewehrt hat, daß es zu einer abschließenden Behandlung dieser Angelegenheit kam.

Dann kommt ein weiterer Vorgang, die:

»Achte Frage: Hat der Führer aus dem in Ziffer 5 bezeichneten Grund bei einer Lagebesprechung in Gegenwart aller Teilnehmer in erregtem Ton der Luftwaffe den Vorwurf gemacht, die deutsche Luftwaffe habe mit der alliierten Luftwaffe ein gegenseitiges Feigheitsabkommen getroffen?

Antwort: Etwa in der ersten Hälfte des März 1945 hat Bormann dem Führer eine Notiz aus der alliierten Presse, Reporterbericht, vorgelegt. Sie enthielt in Kürze, dem Sinne nach: ›Eine kurz vorher über Deutschland abgeschossene amerikanische Kampffliegerbesatzung war von vorrückenden amerikanischen Truppen wieder aufgenommen worden, sie hatte ausgesagt, daß sie von empörten Personen der Bevölkerung mißhandelt, mit dem Tode bedroht und wahrscheinlich gelyncht worden wäre, wenn nicht deutsche Soldaten sie befreit und in Schutz genommen hätten‹. Bormann wies Hitler noch mit einigen Worten besonders darauf hin, daß damit bestätigt sei, daß die deutschen Soldaten in solchen Fällen gegen die eigene Bevölkerung einschreiten und endete etwa: ›So werden Ihre Befehle befolgt, mein Führer‹.

Bei den darauf vor allen versammelten Lageteilnehmern folgenden, sehr erregten Äußerungen des Führers zu mir, sagte Adolf Hitler u. a. auch: ›Der Grund, daß meine Befehle nicht ausgeführt werden, ist nur Feigheit der Luftwaffe, weil die Herren der Luftwaffe feige sind und Angst haben, es könnte ihnen auch einmal etwas passieren. Das Ganze ist nichts als ein Feigheitsabkommen zwischen der deutschen Luftwaffe und den englischen und amerikanischen Fliegern.‹

Ich habe darüber dem Reichsmarschall gemeldet. Ob Hitler einmal die gleiche Äußerung dem Reichsmarschall persönlich gegenüber getan hat, weiß ich nicht. Ich halte es aber durchaus für wahrscheinlich, da sich Hitler in solchen Anwürfen besonders der Luftwaffe gegenüber auch in den gewählten Ausdrücken oft wiederholt hat.

Neunte Frage: An welchem Tage fand diese Besprechung statt?

Antwort: Den Tag kann ich nicht angeben.

Zehnte Frage: Hat der Führer wiederholt dem ehemaligen Reichsmarschall Göring befohlen, den Offizier der Luftwaffe, der im Mai 1944 einen in München abgesprungenen feindlichen Flieger gegenüber der Volksmenge vor dem Lynchen geschützt hat, namhaft zu machen, hat der Reichsmarschall indessen trotz wiederholter Nachfrage durch den Führer keinerlei Anweisung gegeben, den Namen dieses Offiziers festzustellen und dem Führer bekanntzugeben.«

Die Antwort kann ich referieren. Er sagt, aus persönlichem Erleben weiß er es nicht. Es sei ihm nur berichtet worden, daß ein Offizier der Luftwaffe und ein Ortsgruppenleiter sich eingesetzt hätten für diese amerikanische Besatzung, daß dann der Ortsgruppenleiter, der bekannt war, auf Befehl Hitlers erschossen worden sei;... daß er auch gefordert habe, den Luftwaffenoffizier ihm namhaft zu machen, daß aber eine solche Namhaftmachung nicht erfolgt sei. Er sagt ferner, wenn der Reichsmarschall ernstlich gewollt hätte, wäre es ihm natürlich möglich gewesen, diesen Namen festzustellen.

»Elfte Frage: Hat die Luftwaffe jemals am Schlusse des Krieges den Auftrag erhalten, bei Annäherung des Feindes das Konzentrationslager Dachau durch Bombenabwurf zu zerstören? Ist insbesondere jemals ein solcher Auftrag von dem Gauleiter München unter dem Stichwort ›Wolke‹ erteilt worden? Konnte überhaupt ein Gauleiter der Luftwaffe einen solchen Auftrag geben?«

Auch hier kann ich die Antwort dahin referieren, daß er sagt: Ich kann mich an einen solchen Befehl nicht erinnern, insbesondere weiß er nicht, ob der Gauleiter München einen solchen Befehl gegeben hat. Der Gauleiter war dafür nicht zuständig, und er glaubt auch nicht, daß sich ein höherer Luftwaffenkommandeur bereitgefunden hätte, einen solchen Befehl auszuführen.

»Zwölfte Frage: Was ist Ihnen über die Haltung und die Einstellung des Reichsmarschalls und seiner Luftwaffe gegenüber abgeschossenen feindlichen Fliegern bekannt?

Antwort: Unbeschadet gelegentlicher Mißfallensäußerungen blieb die Haltung des Reichsmarschalls stets korrekt und ritterlich, entsprechend seiner aus dem ersten Weltkrieg herübergebrachten und oft betonten fliegeri schen Tradition. Im selbstverständlichen Ärger über größere Schwierigkeiten in der Luftverteidigung, bedrängt vom Führer, vielleicht einmal gebrauchte härtere Worte wurden schnell vergessen, und ich weiß keinen Fall, daß solche spontanen Äußerungen sich beim Reichsmarschall zu unkorrekten oder harten Maßnahmen oder Anordnungen gegen Angehörige feindlicher Luftwaffen verdichtet hätten.

Auch die Haltung der Gesamtluftwaffe war stets korrekt und menschlich. ›Ritterlich zu kämpfen‹ war Ehrensache der deutschen Flieger.

Nur einige Beispiele von vielen: Obwohl von der fliegenden Truppe die Angriffe des Gegners mit Bordwaffen gegen die deutschen, am Fallschirm hängenden Besatzungen äußerst bitter empfunden wurden, und von einzelnen Heißspornen...«

VORSITZENDER: Dr. Stahmer! Das, was Sie jetzt verlesen, ist doch alles wieder Kommentierung und keine Tatsachenerklärung. Es ist Kommentierung und Argumentation.

DR. STAHMER: Er kommt jetzt, Herr Präsident, zu einem Beispiel, in dem er darüber berichtet, wie...

VORSITZENDER: Gut, gehen wir schon dazu über.

DR. STAHMER: Ja, also... Der Einsatz der Seenotdienste der Luftwaffe von der Deutschen Bucht durch den gesamten Kanal bis Brest, in der Biskaya, im Atlantik und im Mittelmeer in gleicher Weise für die Deutschen wie für die Gegner, Seenotdienstbesatzungen in Seenotflugzeugen und Seenotdienstbooten haben sich unermüdlich und in vorbildlicher Opferbereitschaft ohne Unterschied für Freund und Feind in Not eingesetzt. Auch dann noch...

VORSITZENDER: Dr. Stahmer! Das sind keine besonderen Beispiele. Das sind keine besonderen Tatsachen, das sind nur allgemeine Erklärungen, Kommentierungen und Argumente für die Ritterlichkeit der deutschen Luftwaffe.

DR. STAHMER: Er will damit die Ritterlichkeit der deutschen Luftwaffe beweisen.

VORSITZENDER: Aber er beweist nichts, wenn er eine allgemeine Erklärung abgibt.

DR. STAHMER: Nein. Er kommt nachher... Er wird nachher dazu übergehen, wie viele sie gerettet haben, wie viele davon auf den Feind entfallen und wie viele davon auf Deutsche. Ich glaube, daß diese Tatsachen doch von Bedeutung sind für die Beurteilung der Einstellung der Luftwaffe und auch...

VORSITZENDER: Dr. Stahmer! Ich sagte bereits, wenn Sie sich auf Tatsachen beschränken, wenn Sie zahlenmäßige Angaben machen, dann wird dies zweifellos eine Tatsache sein.

DR. STAHMER: Unter den Tausenden durch die deutschen Luftwaffendienste aus Seenot Geretteten haben die Angehörigen der Gegner, Angehörige von feindlichen Flugzeugen und Schiffsbesatzungen den weit überwiegenden Anteil. Ohne im Augenblick genaue Zahlen angeben zu können, schätze ich, so gut ich mich erinnere, den Anteil auf 70 bis 80 Prozent der Geretteten. Er fährt dann fort: Wenn bei eigenen Einsätzen, bei eigener Aufklärung und auf andere Weise in Seenot befindliche Besatzungen, auch feindliche, in der Nähe feindlicher Küsten oder außerhalb der Reichweite eigener Seenotdienste festgestellt wurden, wurde der Gegner sofort davon verständigt und zur Rettung aufgefordert.

Es kommen dann einige Fragen, die von der Anklagebehörde gestellt sind. Die erste Frage ist, was hatte Kaltenbrunner zu tun mit der...

VORSITZENDER: Dr. Stahmer! Es ist Angelegenheit der Anklage, ihre Fragen vorzulesen, wenn sie sie vorlesen will.

DR. STAHMER: Ich habe an diesen Fragen kein Interesse.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Herr Vorsitzender! Die Anklage wünscht die Fragen nicht zu verlesen.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird sie lesen. Meinen Sie, daß Sie sie zum Beweis vorlegen, als Beweismaterial?

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wir wollen sie vorlegen, aber wir wollen sie nicht verlesen.

VORSITZENDER: Richtig.

DR. STAHMER: Ich habe schon gesagt, daß ich es als Exhibit Göring Nummer 55 überreiche.

Dann möchte ich noch einen letzten Fragebogen vorlegen.

VORSITZENDER: Dr. Stahmer! Sind Sie sich klar darüber, daß der Gerichtshof all dieses Beweismaterial selbst lesen wird. Daher werden diese Fragebogen gelesen und in Betracht gezogen werden, obwohl sie hier im Gerichtssaal nicht vorgelesen worden sind. Sie haben sie zum Beweis angeboten, und der Gerichtshof wäre dankbar, wenn Sie das Verlesen dieser Affidavits und Fragebogen so kurz wie möglich gestalten würden.

DR. STAHMER: Ich werde mich danach richten, Herr Präsident. Es kommt der Fragebogen Hammerstein, den ich als Exhibit Göring Nummer 52 überreichen werde.

Herr Präsident! Dieser Fragebogen, der liegt noch nicht im Original vor, ich kann ihn zur Zeit nur in beglaubigter Abschrift überreichen. Er hat aber der Anklagebehörde vorgelegen, er ist auch übersetzt, er ist im Moment nicht auffindbar. Ich nehme aber an, daß ich ihn bald auffinden werde. Ich habe Sir David auch davon in Kenntnis gesetzt. Die Englische Anklagebehörde hat ihn schon gehabt; er ist auch schon übersetzt.

VORSITZENDER: Sie sagen, daß das Original verlorengegangen ist?

DR. STAHMER: Nein, es wurde irgendwie verlegt, und ich konnte es im Moment nicht auffinden, es hat aber vorgelegen.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft! Es besteht gegen diese eidesstattliche Versicherung kein Einwand. Wir haben eine Abschrift hier. Es ist ganz allgemein gehalten. Es würde seinem Zweck vorzüglich dienen, wenn ich so sagen darf, wenn Dr. Stahmer es vorlegen und der Gerichtshof es zur gegebenen Zeit erwägen würde.

VORSITZENDER: Ja.

DR. STAHMER: Das Original wird in den nächsten Tagen nachgereicht; es handelt sich um einen Fragebogen des Generalstabsrichters der Luftwaffe Dr. von Hammerstein. Hammerstein war mehrere Jahre oberster Richter der Luftwaffe, und in dieser Eigenschaft hat er monatlich einmal Vortrag gehalten bei dem Angeklagten Göring. Er hat dadurch die Einstellung des Angeklagten Göring als obersten Gerichtsherrn kennengelernt und schildert nun im einzelnen, wie ernst es der Angeklagte Göring mit seinen Pflichten als oberster Gerichtsherr genommen hat. Er schildert ferner, wie der Reichsmarschall Göring sich die Entscheidung in allen wichtigen Angelegenheiten vorbehalten hat, daß er sich um alle Angelegenheiten sorgfältig gekümmert hat, daß er bei den ihm unterstellten Soldaten auf Beachtung strengster Manneszucht gehalten hat und daß er insbesondere darauf geachtet hat, daß die unterstellten Soldaten strengsten Strafen zugeführt wurden, wenn sie sich gegen die Zivilbevölkerung, insbesondere in den besetzten Gebieten, irgendwie ungesetzmäßig verhielten. Er schildert dann weiter, daß der Reichsmarschall Göring insbesondere dann scharfe Bestrafung gefordert habe, wenn es sich um Gewalttaten gegen die Frauenehre gehandelt hat und daß er in zahlreichen Erlassen immer wieder auf die Achtung der Frauenehre als eine selbstverständliche Pflicht des Soldaten hinwies, daß er bei schweren Notzuchtsfällen stets die Todesstrafe gefordert hat, gleichgültig, welcher Nationalität die Frau angehörte. Er hat in zwei Fällen zum Beispiel Urteile aufgehoben, weil diese zu milde waren und das Urteil erst bestätigt, als die Todesstrafe erkannt war...

VORSITZENDER: Gut, sicherlich. Was Sie jetzt vorgetragen haben, Dr. Stahmer, hat uns den Inhalt der eidesstattlichen Versicherung wiedergegeben. Sie haben uns erklärt, daß dieser Mann der oberste Richter der Luftwaffe war und daß die Vorschriften hinsichtlich der Vergehen in der Luftwaffe streng durchgeführt worden sind. Ich bin sicher, daß das alles ist, was Sie zusammenfassend sagen wollen.

DR. STAHMER: Ja. Wesentlich ist aber folgendes, da wollte ich ja..., daß es ohne Rücksicht auf die Nationalität der Frau geschah, daß in einem Fall das Vergehen sich gegenüber einer russischen Frau abgespielt hat...

VORSITZENDER: Gerade das habe ich soeben gesagt; das Gesetz wurde streng durchgeführt. Es ist nur ein Beispiel dafür, wie streng das Gesetz durchgeführt wurde.

DR. STAHMER: Ja. Für die... Ich habe ja auch das Wesentliche wiedergegeben. Herr Präsident, ich nehme von Weiterem Abstand, ich überreiche das Dokument.

VORSITZENDER: Dr. Stahmer! Der Gerichtshof erachtet all dies für eine Zeitverschwendung. Wenn die Verteidigung nicht in der Lage ist, den Wünschen des Gerichtshofs Folge zu leisten, die dahin gehen, daß diese Affidavits und Fragebogen als Beweisstücke vorgelegt und dazu eine möglichst kurze Zusammenfassung oder Beschreibung dieser eidesstattlichen Erklärungen oder Fragebogen gegeben werden, so wird der Gerichtshof sich genötigt sehen zu bestimmen, daß diese Fragebogen und eidesstattlichen Erklärungen einfach als Beweisstücke vorgelegt werden und überhaupt keine Bemerkungen dazu anhören.

Die Zeit steht unmittelbar bevor, da die Verteidiger ihre Plädoyers halten werden, und wenn diese eidesstattlichen Erklärungen oder Fragebogen etwas von wirklicher Bedeutung enthalten, so werden sie dann Gelegenheit haben, sie zu kommentieren. Außerdem hat der Gerichtshof die Absicht, nicht nur die mündlichen Beweise, sondern auch das Urkundenbeweismaterial zu diesem Fall zu lesen.

DR. STAHMER: Ich überreiche das dann als Exhibit Nummer 52.

VORSITZENDER: Nun der Verteidiger für den Angeklagten Ribbentrop. Dr. Horn, Sie haben keine eidesstattlichen Erklärungen oder Fragebogen vorzulegen, die vom Gerichtshof genehmigt worden sind?

DR. HORN: Herr Präsident! Ich bitte darum, dem Gericht vier Affidavits einreichen zu dürfen. Es handelt sich um ein Affidavit des Legationsrats Dr. Eberhardt von Thadden. Legationsrat von Thadden war in der Informationsstelle XIV des Auswärtigen Amtes tätig, die sich mit der Behandlung der Judenfrage und der Koordinierung der antijüdischen Propaganda im Ausland mit anderen deutschen Dienststellen zu beschäftigen hatte. Es war...

VORSITZENDER: Dr. Horn! Haben Sie für diese Dokumente einen Antrag gestellt?

DR. HORN: Ich habe schriftlich über den Herrn Generalsekretär um Annahme dieser Affidavits ersucht und habe heute morgen die Bestätigung bekommen, daß sie der Staatsanwaltschaft und der Übersetzungsabteilung zugeleitet worden sind. Ich bitte, dieses Affidavit als Ribbentrop-Exhibit Nummer 319 überreichen zu dürfen.

Ein weiteres Affidavit, um dessen Annahme ich ebenfalls schriftlich gebeten habe über den Herrn Generalsekretär, ist das Affidavit von dem früheren Reichsbevollmächtigten Dr. Werner Best. Dr. Best war Reichsbevollmächtigter...

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Verzeihung, ich habe Dr. Horn mitgeteilt, daß wir noch keine Kopien der Dokumente erhalten haben.

VORSITZENDER: Gut. Mir liegt eine Liste von vier eidesstattlichen Erklärungen vor, Thadden, Best, Ribbentrop und Schulze, und es wird dazu gesagt, daß sie der Gerichtshof nicht genehmigt hat. Deshalb...

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft! Dr. Horn hatte sie mir gegenüber vor ein oder zwei Tagen erwähnt und mich gefragt, ob ich Einwände gegen ihre Übersetzung habe. Ich sagte, ich hätte keinen Einwand gegen ihre Übersetzung. Natürlich habe ich die Dokumente noch nicht einsehen können.

VORSITZENDER: Wäre es nicht am besten, da sie zu der Übersetzungsabteilung gegangen sind, sie jetzt zum Beweis vorzulegen? Soviel ich verstehe, ist das Dr. Horns Absicht. Natürlich vorbehaltlich der Fragen, die hinsichtlich ihrer Zulässigkeit auftauchen könnten.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja.

VORSITZENDER: Sehr gut, wenn Sie uns die Nummer angeben wollen...

DR. HORN: Das Affidavit Best überreiche ich als Ribbentrop-Exhibit Nummer 320. Ich darf dazu noch folgende kurze Erklärung abgeben zur Begründung des Affidavits.

Meinem Mandanten wurde im Kreuzverhör ein Dokument 2375-PS vorgelegt. Es handelt sich dabei um ein Affidavit eines Obersten der Polizei, Dr. Rudolf Mildner. Aus diesem Affidavit wurde meinem Mandanten eine Stelle vorgelesen, die sich auf die Behandlung der Judenfrage in Dänemark bezog. Ich habe nun diese Urkunde einmal... ich habe diese Urkunde nachgeprüft und dabei festgestellt, daß es zwei Urkunden mit der Nummer 2375-PS gibt. Die eine Urkunde ist eine Erklärung von Dr. Mildner, die nicht unter Eid erfolgt ist. In dieser nicht beeidigten Erklärung befindet sich die Stelle, die von der Staatsanwaltschaft meinem Mandanten im Kreuzverhör vorgehalten wurde. In der gleichen Nummer, im gleichen Affidavit, das beeidigt und auch von Dr. Mildner ist, befindet sich diese Stelle über die Einstellung Ribbentrops in der Judenfrage nicht. Aus diesem Grunde habe ich mir von Dr. Best, der die Bearbeitung der Judenfrage im Auftrage Ribbentrops auch nach Angabe von Dr. Mildner durchgeführt hat, dieses Affidavit Nummer 320 geben lassen, das ich hiermit dem Gericht überreiche.

VORSITZENDER: Sehr gut.

DR. HORN: Außerdem sind meinem Mandanten eine Reihe von Urkunden im Kreuzverhör vorgelegt worden, zu denen er sich nur ganz kurz äußern konnte, da es sich um umfangreiche Dokumente handelte, die er zum großen Teil vorher nicht gesehen hatte. Ich möchte das Gericht bitten, noch einige kurze Erklärungen zu diesen Urkunden von seiten meines Mandanten in Form eines Affidavits, dem ich die Nummer Ribbentrop-Exhibit 321 gegeben habe, entgegenzunehmen.

Dann bitte ich, noch kurz zu einer Urkunde Stellung nehmen zu dürfen. Es handelt sich um die Nummer TC-75; TC-75 stellt eine Notiz Ribbentrops an Hitler dar. Sie wurde eingereicht von der Staatsanwaltschaft in stark verkürzter Form. Als ich sie das erstemal mir im Original geben ließ, stimmte die Photokopie mit der Abschrift überein, die die Staatsanwaltschaft hier vorgelegt hat. Als ich mir dieselbe Nummer noch einmal geben ließ, handelte es sich um eine Photokopie von neun Seiten. Ich möchte mich inhaltlich auf diese Urkunde in meinem Plädoyer beziehen. Um die Zeit des Gerichts nicht unnötig in Anspruch zu nehmen, bitte ich, die vollständige Nummer TC-75 überreichen zu dürfen.

Ich habe dann keine weiteren Anträge.

VORSITZENDER: Herr Dr. Horn! Sie haben diesem letzten Affidavit keine Nummer gegeben.

DR. HORN: Ich habe der letzten Nummer TC-75 als unsere Nummer Ribbentrop-Exhibit 322 gegeben,

322.

VORSITZENDER: Gut.

DR. SIEMERS: Herr Präsident! Mit Erlaubnis des Gerichts würde ich gerne die noch ausstehenden restlichen Punkte meiner Beweisaufnahme erledigen. Es handelt sich in erster Linie um den mir vom Gericht genehmigten Zeugen Generaladmiral Boehm. Das Hohe Tribunal wird sich erinnern, daß es mir gestattet war, daß dieser Zeuge nachträglich, und zwar am Ende der Beweisaufnahme vernommen wird. Ich habe inzwischen nach vorheriger Rücksprache mit Mr. Elwyn Jones und Sir David mir in Hamburg ein Affidavit von Generaladmiral Boehm geben lassen, um, wenn möglich, die Vernehmung hier zu sparen.

Ich habe das Affidavit Sir David und Mr. Elwyn Jones vorgelegt, und Mr. Elwyn Jones hat mir gestern nachmittag mitgeteilt, daß Sir David einverstanden ist und auf das Kreuzverhör verzichtet, wobei ich mich gleichzeitig verpflichtete, auf das Verhör zu verzichten und mich mit der Vorlage, und in diesem Falle allerdings dem Vorlesen des Affidavits begnüge. Ich glaube, Sir David ist einverstanden.

Ich darf dieses Affidavit von Generaladmiral Boehm als Raeder-Exhibit Nummer 129 überreichen. Es ist vor dem Notar Dr. Sieveking in Hamburg am 13. Juni dieses Jahres aufgenommen.

VORSITZENDER: Es ist nicht notwendig, es jetzt zu verlesen?

DR. SIEMERS: Ich wäre in diesem Fall, Herr Präsident, dankbar, wenn ich dieses Affidavit vorlesen könnte, weil es einen außerordentlich wesentlichen Teil behandelt. Das Hohe Gericht wird sich erinnern, daß ich...

VORSITZENDER: Aber ich habe Ihnen doch bereits gesagt, Dr. Siemers... Sie können sich sicherlich auf die wirklich wichtigen Teile beschränken und das, was weniger wichtig ist, zusammenfassen. Wir können nicht alle diese Dokumente verlesen lassen.

DR. SIEMERS: Das Hohe Gericht wird mir zugeben, daß ich aus meinen sonstigen Urkunden außerordentlich wenig vorgelesen habe. Wenn ich hier einen Teil vorlesen wollte, so liegt es nur daran, daß die Britische Delegation am Schluß des Kreuzverhörs zwei umfangreiche Zusammenstellungen überreicht hat als GB-464 und GB-465, das sind die Zusammenstellungen über das Schlüsseldokument vom 22....

VORSITZENDER: Dr. Siemers! Sie können uns doch sicherlich mitteilen, wovon dieses Affidavit handelt. Wir würden dann im wesentlichen Bescheid wissen und dann, dachte ich, könnten Sie unsere Aufmerksamkeit auf die wichtigsten Stellen hinlenken. Wir verschwenden nur Zeit, wenn Sie uns hier erzählen, was die Anklagebehörde getan hat.

DR. SIEMERS: Ich bitte um Entschuldigung, wenn ich mißverstanden bin. Genau das war meine Absicht.

Von dem Affidavit unter Punkt I werde ich nichts verlesen und lediglich referieren, daß es eine Unterhaltung zwischen Raeder und General Boehm aus dem Sommer 1939 gewesen ist, in der Boehm Raeder darlegte, daß er sich wegen der politischen Entwicklung Sorge mache und Großadmiral Raeder fragte, ob er, Raeder, Hitler auf die großen Gefahren aufmerksam gemacht habe und darauf, daß die deutsche Marine nicht in der Lage sei, einen Seekrieg zu führen.

»Großadmiral Raeder erwiderte mir, daß er dies mehr als einmal Hitler gegenüber vorgetragen habe und daß er seine Darlegungen an Hitler abgeschlossen habe mit dem fundamentalen Satze, die Marine könne in einem solchen Falle nichts anderes tun ›als in Schönheit sterben‹.«

Punkt II des Affidavits von Generaladmiral Boehm:

»Am 22. August 1939 hielt Hitler vor den Spitzen der deutschen Wehrmacht eine Rede auf dem Obersalzberg. Ich war während der ganzen Rede zugegen. Sie dauerte etwa 2 bis 21/2 Stunden. Die Rede wurde im Arbeitszimmer von Hitler gehalten...«

Ich überspringe die nächsten Punkte und fahre fort:

»Ich habe die Rede«, die als Raeder-Exhibit Nummer 27 dem Gericht vorgelegt ist, »mit absoluter Genauigkeit aufgezeichnet und kann unter Eid bestätigen, daß sie in dieser Form gehalten ist; insbesondere bestätige ich, daß alle schwerwiegenden und besonderen Gedankengänge und Worte in meiner Aufzeichnung enthalten sind.

Dr. Siemers hat mir die von der Anklage vorgelegten Fassungen dieser Rede, nämlich die Dokumente 798-PS und 1014-PS vorgelegt. Ich habe meine Fassung jetzt mit diesen beiden Fassungen verglichen.«

Ich überspringe dann wieder einen Absatz:

»Ich erkläre unter Eid, daß die nachfolgend aufgeführten Redewendungen in diesen Dokumenten von Hitler bei seiner Rede teils überhaupt nicht, teils in anderer Form und in anderem Sinne gebraucht worden sind:

Zu Dokument 798-PS. Bemerkung: Die nachfolgenden Zahlen der Seiten stimmen mit der mir ebenfalls vorgelegten von Sir David Maxwell-Fyfe eingereichten Zusammenstellung überein.«

Ich darf das Hohe Gericht daran erinnern, es ist die zehn Seiten lange Zusammenstellung GB-464. Dort findet sich der Satz:

»›Danach werden wir militärische Einzelheiten besprechen.‹

Stellungnahme: Dieser Satz ist nicht gebraucht. Militärische Einzelheiten sind auch in 798-PS nicht gefolgt.

Zeile 7 bis 10:

Ich faßte den Entschluß bereits im Frühjahr, dachte aber, daß ich mich zunächst in einigen Jahren gegen den Westen wenden würde und dann erst gegen den Osten.‹

Stellungnahme: Die Fassung meiner Aufzeichnung, Seite 1, Zeile 5 bis 8, ist unbedingt richtig. Insonderheit ist die Redewendung, daß Hitler sich zunächst gegen den Westen wenden würde, auf keinen Fall gebraucht worden.

Zeile 12 bis 14:

Ich wollte zunächst mit Polen ein tragbares Verhältnis herstellen, um zunächst gegen den Westen zu kämpfen.‹

Stellungnahme: Der Satz ist nicht gebraucht worden. Es gilt das gleiche, wie vorher ausgeführt, daß Hitler auf keinen Fall eine Absicht, gegen den Westen kämpfen zu wollen, zum Ausdruck gebracht hat.

Ich überspringe den nächsten Punkt; dann

Seite 2, Zeile 15 bis 18:

Bei uns ist das Fassen von Entschlüssen leicht. Wir haben nichts zu verlieren, nur zu gewinnen. Unsere wirtschaftliche Lage ist infolge unserer Einschränkung so, daß wir nur noch wenige Jahre durchhalten können.‹

Stellungnahme: Die Fassung in meiner Aufzeichnung, Zeile 21 bis 26 ist unbedingt richtig. Vor allem ist der Satz: ›Wir haben nicht...‹«

VORSITZENDER: Dr. Siemers! Kommt es nicht darauf heraus: Es gibt zwei oder drei Fassungen von dieser Rede, und dieser Admiral sagt, daß seine Fassung richtig ist. Das ist alles, was sich daraus ergibt. Ich meine, er hält die anderen Fassungen nicht für richtig. Gut, der Gerichtshof wird ohne Zweifel die drei Fassungen miteinander und dann auch mit dieser eidesstattlichen Erklärung vergleichen müssen. Aber was der Zweck oder der Nutzen ist, es jetzt hier in dieser Phase vorzulesen, weiß ich nicht.

DR. SIEMERS: Schon, danke schön, Herr Präsident.

Ich bitte, dann von den weiteren Ausführungen Kenntnis zu nehmen. Ich darf nur noch darauf hinweisen, daß ausdrücklich von Generaladmiral Boehm versichert wird, daß der mehrfach hier zitierte Satz: »Ich habe nur Angst, daß mir noch im letzten Moment irgendein Schweinehund einen Vermittlungsplan vorlegt«,... daß er ausdrücklich unter Eid erklärt, daß Hitler diesen Satz nicht gebraucht hat. Und bezüglich Dokument 1014-PS möchte ich lediglich den von der Anklage etwa sechs- bis achtmal hervorgehobenen Satz vorlesen:

»Vernichtung Polens im Vordergrund. Ziel ist Beseitigung der lebendigen Kräfte, nicht die Erreichung einer bestimmten Linie.«

Dazu sagt Boehm:

»Es ist nie von der Vernichtung Polens oder der Beseitigung der lebendigen Kräfte des polnischen Volkes als solchem gesprochen worden, sondern stets nur von dem Zerbrechen der militärischen Kräfte.«

Im übrigen bitte ich, von den sehr genauen Zusammenstellungen Kenntnis zu nehmen, weil sie meines Erachtens eine große Bedeutung für die Frage des Beweiswertes der Urkunden der Anklage haben.

Unter »III« hat Generaladmiral Boehm die Zeit geschildert, in der er Kommandierender Admiral in Norwegen war. Ich bitte, auch hiervon nur Kenntnis zu nehmen. Es handelt sich hauptsächlich um den von Raeder und Boehm geführten Kampf gegen Terboven, gegen die deutsche Zivilverwaltung und um die Bestrebungen, mit Norwegen zu einem Frieden zu kommen.

Herr Präsident! Nach vielen Wochen ist dann auch jetzt der Fragebogen Albrecht in der endgültigen Fassung eingegangen. Ich habe ihn zur Übersetzung gegeben vor mehreren Tagen, die Übersetzung aber noch nicht erhalten. Der Fragebogen war genehmigt, ich überreiche ihn als Raeder-Exhibit Nummer 128.

Ich bitte, auch von diesem Fragebogen im wesentlichen Kenntnis zu nehmen.

Ich darf nur dazu erwähnen: Generaladmiral Albrecht war lange Jahre einer der engsten Mitarbeiter von Raeder. Er schied jedoch bereits 1939 im Oktober aus. Er kennt die Einstellung von Raeder und kennt die Führung der Marine in der ganzen Zeit von vor 1933 bis 1938. Auch er bestätigt, daß Raeder fortgesetzt Hitler gewarnt hat davor, es zu irgendwelchen Komplikationen kommen zu lassen und daß Hitler immer wieder erklärt hat: Ich habe die Sache in der Hand, ich lasse es zu keinem Kriege kommen.

Von sämtlichen übrigen Punkten bitte ich, da das Gericht dies so wünscht, Kenntnis zu nehmen.

Ich darf dann noch auf folgendes hinweisen:

Es steht noch ein Fragebogen von Generaladmiral Schulze aus. Meine Bemühungen, diesen Fragebogen zu beschaffen, datieren seit März 1946. Ich habe die Adresse angegeben. Der Zeuge ist pensioniert und befindet sich in Hamburg-Blankenese. Der Fragebogen ist zu meinem Leidwesen bisher nicht in Hamburg eingegangen. Ich wäre dem Hohen Gericht außerordentlich dankbar, wenn es mir gestatten würde, unter diesen Umständen, wo ich selbst keine Möglichkeit habe, die Sache zu beschleunigen, diesen Fragebogen nachträglich einzureichen. Ich weiß nicht, wann er eingehen wird. Er ist inzwischen aus Gründen, die ich nicht verstehe, nach Washington gesandt worden, ich hoffe aber, daß er irgendwann wieder ankommt.

Ich habe dann als letztes, Herr Präsident, nur formal...

VORSITZENDER: Verzeihen Sie! Was meinen Sie damit, der Fragebogen sei nach Washington geschickt worden? Sagten Sie Washington?

DR. SIEMERS: Als letztes ist mir vom Generalsekretariat mitgeteilt worden, daß der Fragebogen nach Washington geschickt sei, und zwar deshalb, um den Zeugen dort zu finden. Der Zeuge ist aber in Hamburg-Blankenese. Ich habe leider keine Möglichkeit, trotz meiner dreimonatigen Bemühungen, hierauf einen Einfluß zu nehmen.

VORSITZENDER: Ohne Zweifel bemüht sich das Generalsekretariat, den Zeugen zu finden. Welche Daten haben Sie erwähnt? Sie haben den Fragebogen vor drei Monaten vorgelegt? Wurde der Fragebogen nach Hamburg geschickt oder wohin sonst?

DR. SIEMERS: Ich habe den Fragebogen...

VORSITZENDER: Sicherlich, Dr. Siemers, Sie sollten dies wissen. Sie waren doch in diesen drei Monaten ständig mit dem Generalsekretariat in Verbindung, und Sie behaupten, es habe ihn nach Washington geschickt. Sie sollten es wissen. Haben Sie ihm irgendeine Adresse in Hamburg angegeben? Was ist Ihre Beschwerde?

DR. SIEMERS: Herr Präsident! Ich wurde mißverstanden. Ich habe mich nicht beschwert, sondern ich habe den Sachverhalt geschildert, um zu zeigen, warum der Fragebogen noch nicht da ist und gebeten, daß ich den Fragebogen, wenn er wieder da ist, noch einreichen darf, obwohl dann die Beweisaufnahme...

VORSITZENDER: Ich weiß, so sagten Sie bereits, aber der Gerichtshof will wissen, wo der Fragebogen zuerst hingeschickt worden ist und warum er nach Washington geschickt wurde, und warum er nicht nach Hamburg geschickt wurde und was Sie über die Tatsache, die behauptete Tatsache, wissen, daß die Person, die den Fragebogen beantworten sollte, in Hamburg wohnt?

DR. SIEMERS: Herr Präsident! Ich bin selbst aus Hamburg und habe mit dem Zeugen im November vorigen Jahres bereits gesprochen und habe die Adresse bei meinem ersten Antrag dem Generalsekretariat bekanntgegeben. Vielleicht ist dann irgendein Mißverständnis entstanden bei den weiteren Stellen, die den Fragebogen vermittelten, die dann einen Mann namens Schulze anderswo gesucht haben. Das ist natürlich, da dieser Generaladmiral Otto Schulze heißt, bei dem häufigen Namen durchaus denkbar. Ich persönlich habe nur die Antwort bekommen, daß der Zeuge gesucht wird und habe darauf meinerseits geantwortet, daß der Zeuge nicht gesucht zu werden brauche.

MR. DODD: Ich denke, den Gerichtshof wird es interessieren zu erfahren, daß Dr. Siemers selbst erst vor einigen Tagen aus Hamburg zurückgekehrt ist, und ich glaube, daß er zwei oder drei Male dort war, seit er den Fragebogen beantragt hat. Nun, wenn er weiß, wo sich dieser Zeuge aufhält, hätte er doch dort nur zu einem Offizier der Militärregierung zu gehen brauchen, seine Fragen vorzulegen, sie beantworten zu lassen, um sie dann zurückzubringen, und ich halte es für etwas unfair, nun den Generalsekretär für diese Umstände zu tadeln.

DR. SIEMERS: Ich bedauere außerordentlich, daß Mr. Dodd es für nötig hält, mir den Vorwurf der Unfairneß zu machen. Mir ist gesagt worden, daß ein Fragebogen nicht durch mich an den Zeugen gebracht werden kann. Den Fragebogen für General Albrecht, den habe ich jetzt aus Hamburg mitgebracht, und zwar auf Bitte des Generalsekretariats, weil lediglich die Eidesformel versehentlich vergessen war. Es ist für mich eine Selbstverständlichkeit, in einem solchen Fall mit dem Generalsekretariat zusammenzuarbeiten. Wenn aber der Fragebogen von mir eingereicht ist, verstehe ich nicht, wie Mr. Dodd mir einen Vorwurf machen kann, wenn ich den Fragebogen nicht mitbringe.

VORSITZENDER: Nun, das ist doch alles Zeitverschwendung. Wir sollten lieber das Generalsekretariat um einen Bericht ersuchen.

DR. SIEMERS: Herr Präsident! Ich glaube, ich wurde immer noch nicht verstanden. Ich mache keinen Vorwurf, sondern ich bitte um die Erlaubnis, daß ich den Fragebogen nachträglich einreichen darf.

VORSITZENDER: Wir werden dies erwägen. Wir werden keine Entscheidung treffen, bevor wir einen Bericht darüber vom Generalsekretär über diese Umstände gehört haben.

DR. SIEMERS: Herr Präsident! Ich darf dann nur noch darauf hinweisen, daß mir zwei Anträge genehmigt worden sind, die nicht vollständig zur Durchführung kamen. Das eine ist der Antrag gewesen auf die Akten der Britischen Admiralität betreffend die Planungen der Alliierten in Skandinavien und Finnland. Ich möchte nur rein formal feststellen, daß die dem Gericht bekannte Antwort des Foreign Office vorliegt, und danach war die Vorlage der Akten vom Gericht genehmigt, aber vom Foreign Office abgelehnt worden. Ich möchte nur gerne, da über diesen Punkt bisher nicht gesprochen worden ist, daß dies formal klarliegt.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof hat, glaube ich, die Mitteilung des Foreign Office.

DR. SIEMERS: Sie ist allerdings nicht von mir eingereicht worden, infolgedessen wußte ich auch nicht, unter welcher Nummer oder Exhibit-Nummer sie sich unter den Gerichtsakten befindet. Wäre es möglich, daß das Schreiben...

VORSITZENDER: Sie können ihm eine Nummer geben, sicherlich. Geben Sie ihm die Nummer, die Sie für richtig halten. Welche Nummer wollen Sie ihm geben?

DR. SIEMERS: Dann darf ich den Brief heute nachmittag oder spätestens morgen früh als Raeder-Exhibit Nummer 130 einreichen?

VORSITZENDER: Ja.

DR. SIEMERS: Ich habe dann noch die Bitte geäußert, daß mir von Hitlers Buch »Mein Kampf« die Erstausgabe zur Verfügung gestellt wird. Ich möchte auch hier nur formal darauf hinweisen, daß sich, soweit ich orientiert bin, das Generalsekretariat dankenswerterweise sehr bemüht hat, es aber nicht gelungen ist, diese Erstausgabe zu beschaffen. Ich darf daran erinnern, daß die Ausgabe, auf die sich die Anklage stützt, aus dem Jahre 1933 stammt und infolgedessen keine Grundlage sein kann für die Argumentation der Anklage hinsichtlich der Zeit vor 1933.

VORSITZENDER: Das ist eine Sache der Argumentation.

DR. SIEMERS: Ja. Während meiner Abwesenheit sind vier Urkunden überreicht worden von Sir David Maxwell-Fyfe. Soweit ich feststellen konnte, sind diese Urkunden, die sämtlich von Admiral Aßmann stammen, eingereicht worden mit dem Bemerken, daß Admiral Aßmann zum Stab von Großadmiral Raeder gehört. So findet es sich auch mehrfach in den früheren Protokollen. Ich möchte der Ordnung halber diesen rein tatsächlichen Irrtum richtigstellen. Aßmann saß in einer Abteilung für Geschichtsschreibung und hatte nichts mit dem Stab von Raeder zu tun. Hiermit hängt zusammen...

VORSITZENDER: Haben Sie für diese Tatsachen, die Sie behaupten, einen Beweis, und akzeptiert sie die Anklagebehörde?

DR. SIEMERS: Ich glaube, Sir David wird diese Behauptung nicht bestreiten.

MR. DODD: Euer Lordschaft! Ich bin sicher, daß wir das schon in der Beweisaufnahme hatten. Und wir akzeptieren es, daß er in der marinegeschichtlichen Abteilung des Oberkommandos der deutschen Kriegsmarine war. Wenn ich »Stab« sagte, so meinte ich den Stab im allgemeinen. Ich meinte nicht den Operationsstab.

VORSITZENDER: Dann brauchen wir keine Zeit mehr damit zu vergeuden.

DR. SIEMERS: Zu diesen vier Urkunden, D-879, D-881, D-892 und D-854 darf ich nur auf einen Punkt hinweisen, und ich hoffe, daß ich auch da mit Sir David einig gehe. Sämtliche englischen Übersetzungen tragen die Überschrift »Tagebuch...«

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft! Es handelt sich nur darum, wie diese Kompilation von Admiral Aßmann genannt werden soll. Ich bin ganz damit einverstanden, daß sie dieselbe Überschrift wie das Original tragen.

VORSITZENDER: Gut...

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Dr. Siemers ist mit der Überschrift »Tagebuch« nicht einverstanden und erklärt, es sollte als ein Verzeichnis beschrieben werden. Euer Lordschaft, ich lege keinen Wert darauf, als was es bezeichnet wird.

VORSITZENDER: Was macht das aus? Wir wollen es also Verzeichnis nennen. Ist das alles, was Sie vorbringen wollen?

DR. SIEMERS: Herr Präsident! Es ist insofern wesentlich, als hier im Gerichtssaal sehr viele Tagebücher unter der englischen Bezeichnung »Diary« vorgelegt worden sind. Dann waren es effektiv Aufzeichnungen aus der betreffenden Zeit.

VORSITZENDER: Sir David hat gesagt, daß er das Wort »Diary« zurücknehmen will, und Sie können es nennen, wie Sie wollen. Wirklich, es ist nur eine Zeitverschwendung, solche technischen Punkte zu erörtern. Sir David stimmt mit Ihnen überein und ist bereit, das Wort »Diary« zurückzuziehen.

DR. SIEMERS: Jawohl.

VORSITZENDER: Sehr gut, dann wollen wir nicht mehr darüber reden.

DR. SIEMERS: Jawohl, ich bin völlig einig, Herr Präsident. Die sonstigen sehr zahlreichen Übersetzungsfehler habe ich, um die Zeit des Gerichts nicht in Anspruch zu nehmen, nicht vorgebracht. Bezüglich dieses Dokuments Aßmann wird man aus meinem Plädoyer ersehen, wie wichtig der Punkt war. Die übrigen Übersetzungsfehler habe ich, der Anregung des Gerichts entsprechend, nur dem Gerichtssekretariat mitgeteilt.

VORSITZENDER: Wenn bei der Übersetzung Fehler unterlaufen sind, so kann die Sache über das Generalsekretariat mit der Übersetzungsabteilung erledigt werden.

Dr. Siemers! Es ist für einen Anwalt in Ihrer Stellung sehr unpassend, derartige Erklärungen zu machen, für die Sie überhaupt keinen Beweis haben. Sie wissen doch ganz genau, daß im Falle einer behaupteten Fehlübersetzung das Generalsekretariat mit der Übersetzungsabteilung in Verbindung getreten ist, und diese Fehler dann korrigiert worden sind. Und daß Sie in diesem Stadium des Prozesses aufstehen und sagen, es gäbe viele Fehlübersetzungen, überhaupt ohne Beweis, einfach auf Ihre eigene Behauptung gestützt, ist ein äußerst unpassendes Verhalten für einen Anwalt, und das ist die Ansicht des Gerichtshofs.

DR. SIEMERS: Herr Präsident! Ich bitte sehr um Entschuldigung, aber ich glaube dann, daß ich mich wahrscheinlich nicht richtig ausgedrückt habe. Ich brachte es nicht als Vorwurf vor, es ist nur bei vielen Urkunden... ist es bei einem so großen Apparat nicht verwunderlich, daß diese Fehler entstehen. Ich selbst mache ja auch Versehen und Fehler. Ich bedauere, wenn das falsch verstanden worden ist.

VORSITZENDER: Fehler kann jeder machen, und jeder kann hinsichtlich von Übersetzungen verschiedener Ansicht sein. Aber Sie selbst und alle anderen Mitglieder der Verteidigung wissen, daß diese Fehler – falls es Fehler sind –, wenn möglich, korrigiert werden, und Sie wissen, wie das gemacht wird, und daher, wie gesagt, halten wir es für sehr unpassend, aufzustehen und zu behaupten, daß eine Menge von Fehlübersetzungen unterlaufen sind. Ich will jetzt nichts mehr darüber hören.

Der Gerichtshof unterbricht jetzt die Sitzung.