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[Der Gerichtshof zieht sich zurück.]

DR. RUDOLF DIX, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN SCHACHT: Euer Lordschaft! Darf ich das Tribunal bitten, eine ganz kurze Erklärung zu dem Problem entgegenzunehmen, das soeben das Tribunal beschäftigt hat und das von sehr genereller und grundsätzlicher Bedeutung für die meisten von uns Verteidigern ist.

Ich darf daran erinnern, daß die Anregung und die Initiative, gewisse allgemeine Rechtsthemen herauszunehmen und durch Professor Jahrreiss vorauszubehandeln, seinerzeit von der Verteidigung ausgegangen ist, und zwar hatte diese Anregung das ausschließliche Motiv, dem mehrfach geäußerten Wunsch des Tribunals auf Abkürzung Rechnung zu tragen. Nun muß ich das Tribunal sehr bitten, uns davor zu schützen und zu bewahren, daß dieser von uns dem Tribunal seinerzeit unterbreitete und vom Tribunal angenommene Vorschlag nicht zu unserer eigenen Fallgrube wird, indem man nämlich einen Beschluß, der gefaßt worden ist, allzu streng auslegt. Ich habe den Beschluß nicht vor mir, ich habe auch nicht die Absicht, über ihn zu sprechen. Ich möchte nur das eine sagen, Jahrreiss hat gesprochen und sollte sprechen nur über zwei wichtige Themen, allerdings sehr genereller Natur, das ist nämlich a) die individuelle Penalisierung des Angriffskrieges also: nulla poena sine lege, und b) die rechtliche Natur der Führerbefehle. Nur über diese beiden Probleme sollte er auftragsgemäß sprechen und hat er gesprochen. Nun hat ja aber dieses Verfahren noch eine ganze Reihe rechtlicher Probleme, welche genereller Natur sind und jeden Angeklagten mehr oder minder betreffen. Ich erinnere nur an die Auslegung der Conspiracy-Tatbestände, ich erinnere an die verschiedenen Völkerrechtsfragen, die Geiselfrage, die Zwangsarbeiterfrage, die Seekriegsnotrechtsfrage und andere allgemeine Fragen. Es sind eine ganze Menge genereller Fragen und namentlich an erster Stelle das, worüber unser verehrter Kollege Horn soeben gestoppt worden ist, das ist die Frage: »Was ist ein Angriffskrieg?« Es gibt also die großen grundsätzlichen Unterschiede zwischen militärischem Angriffskrieg, politischem Angriffskrieg und juristischem Angriffskrieg, und so weiter, darüber hat Jahrreiss kein Wort gesprochen und sollte auch nicht sprechen. Und bitte... wollen Sie es mir nicht übel nehmen, aber ich habe ihn so verstanden; das ist überhaupt der Ausgangspunkt seiner ganzen Ausführungen.

Es liegt mir nicht zu rechten und mich auf einen Beschluß zu beziehen, sondern ich bitte das Tribunal, uns nicht in die kaum zu verantwortende Lage zu bringen, daß wir, um der Sache einen Dienst zu erweisen, um zu kürzen, einen Komplex Rechtsfragen dem Herrn Professor Jahrreiss delegiert haben, nun in eine Lage kommen, die wir gar nicht verantworten könnten, nämlich über gewisse Themen, die wir rechtlich als von ausschlaggebender Bedeutung für die angeklagten Herren betrachten, nun nicht sprechen können und über die Jahrreiss selbst gar nicht gesprochen hat.

Nur noch einen Satz. Es wäre doch auch möglich – ich glaube da auch Ihrer Zustimmung, meine Herren Richter, sicher zu sein –, daß man eine ganz gegenteilige Auffassung haben kann als die, die Professor Jahrreiss besprochen hat. Ich habe sie nicht, ich werde auch Professor Jahrreiss nicht widersprechen, aber rein theoretisch betrachtet... Ja, sollte nun, weil in einer ganz wichtigen Sache der Vorausredner diese Frage behandelt hat, aber in einem Sinne, den vielleicht ein einzelner Verteidiger für absolut unmöglich, den von ihm vertretenen Interessen abträglich hält, soll er nun gezwungen sein, darüber zu schweigen? Das kann nicht die Absicht des Tribunals gewesen sein.

Der langen Rede kurzer Sinn:

Diese Rede Jahrreiss diente Abkürzungszwecken. Dabei soll es bleiben. Aber wir bitten – ich glaube, ich kann »wir« sagen, ich glaube, daß keiner der Herren anderer Auffassung ist – wir bitten, das nicht so formal auszulegen und uns, daß wenn jemand von uns mit guten Gründen sagt: »Das muß ich erörtern, das ist wesentlich aus den und den Gründen«, wenn Jahrreiss die Themen in einem Sinne behandelte, den wir nicht billigen, die Möglichkeit zu geben, das zu tun und nicht formal von vornherein einen Riegel vorzuschieben, wenn irgendeine allgemeine Rechtsfrage von den einzelnen Verteidigern angestimmt wird.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof hat über diese Angelegenheit beraten und ist sich natürlich der Schwierigkeiten völlig bewußt, die sich möglicherweise aus Meinungsverschiedenheiten über die Fragen, die von Dr. Jahrreiss behandelt worden sind, unter den Verteidigungsanwälten ergeben könnten. Der Gerichtshof hat dies auch erwartet, als er die Verfügung erließ, daß Dr. Jahrreiss über Rechtsfragen sprechen sollte, die sich aus der Anklageschrift und dem Statut ergeben und die für alle Angeklagten zutreffen. Nach dem Wortlaut der Verfügung sollte er sich mit allen Fragen beschäftigen, die alle Angeklagte gemeinsam betreffen würden, und falls keine Meinungsverschiedenheiten aufträten, wären die anderen Angeklagten bereit, seine Argumentation anzuerkennen. Der Gerichtshof ist aber der Ansicht, daß die Rechtsfragen in gewisser Hinsicht sehr verschieden und schwierig sind und daß als einzig mögliche Regel zu diesem Zeitpunkt festgelegt werden kann, daß seitens der Verteidigungsanwälte keine tatsächliche Wiederholung erfolgen darf. Der Gerichtshof nimmt an, daß die Verteidigung die Notwendigkeit einer solchen Regelung einsehen wird. Es kann nicht im Interesse einer Beschleunigung des Prozesses liegen, daß Argumente immer wieder von neuem vorgebracht werden, und der Gerichtshof möchte die Verteidiger darauf hinweisen, daß solche Wiederholungen allgemeiner Fragen nur dazu führen, die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs von der wirklichen Verteidigung der von ihnen vertretenen Klienten abzulenken. Der Gerichtshof hofft daher, daß die Verteidiger sich bemühen werden, in dieser Angelegenheit zusammenzuarbeiten und sich nur auf solche Rechtsfragen zu beschränken, die ihrer Meinung nach mit Recht dem Gerichtshof vorzutragen sind, also Argumente, die von vorhergehenden Verteidigern, wie Dr. Jahrreiss oder anderen, dem Gerichtshof noch nicht unterbreitet worden sind.

Das ist alles, was ich im Augenblick zu sagen habe.

Da es bereits 17.00 Uhr ist, wird sich der Gerichtshof jetzt vertagen.