[Das Gericht vertagt sich bis
8. Juli 1946, 10.00 Uhr.]
1 Halévy.
2 Rede Stalins am Vorabend der Sowjet-Wahlen vom Februar 1946.
3 Herr Richter Jackson versucht, sich in diesem Zusammenhang auf Artikel 4 der Weimarer Verfassung von 1919 zu berufen. Danach gelten die allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechts als bindende Bestandteile des deutschen Reichsrechts. Infolge der Unterschiede in der rechtlichen Wertung des Kellogg- Paktes durch die Großmächte kann man die Auslegung, die ihm die Anklage gibt, nicht als deutsches Reichsrecht ansehen.
Vgl. Reichsgerichtsentscheidungen in Zivilsachen Band 103, Seite 276.
Anschütz: »Die Verfassung des Deutschen Reiches«; 10, Auflage, Seite 58 ff.
Einhundertdreiundsiebzigster Tag.
Montag, 8. Juli 1946.
Vormittagssitzung.
GERICHTSMARSCHALL: Hoher Gerichtshof! Der Angeklagte Fritzsche ist abwesend.
DR. HORN: Mit Erlaubnis des Gerichts fahre ich auf Seite 34 meines Plädoyers fort. Die englische Seitenzahl stimmt mit der deutschen Seitenzahl überein:
Vor dem Versuch zu einer allgemeinen Regelung des Angriffsbegriffes und der Sanktionen gegen den Angreifer waren die politischen Bündnisse für die Verpflichtung der Parteien, zum Kriege zu schreiten, maßgebend. Um diese unbefriedigende, anarchische Situation zu bessern, ergriffen die Vereinigten Staaten in einer Reihe von Einzelverträgen unter dem Staatssekretär Bryan die Initiative, Stillhaltefristen zu vereinbaren, die den Ausbruch von Feindseligkeiten hinauszögern sollen, innerhalb deren sich die Leidenschaften abkühlen konnten.
Die Völkerbundsatzung griff diesen Gesichtspunkt auf, ging aber einen entscheidenden Schritt weiter, indem sie ein Verfahren festlegte, in dem sie die Erlaubtheit oder Unerlaubtheit des Krieges durch die Bundesorgane feststellen ließ. Die Entscheidung beinhaltete, ob der Krieg nach der Satzung erlaubt oder unerlaubt sei. Zweck dieses geregelten Verfahrens war, den Störer der internationalen Ordnung zu treffen. Dieser brauchte aber nicht unbedingt mit dem Angreifer identisch zu sein. Derjenige Staat, der im Einklang mit den Beschlüssen der Völkerbundsorgane zum Kriege schritt, handelte erlaubt, selbst wenn er die ersten Kampfhandlungen vornahm und damit im militärischen Sinne der Angreifer war.
Es zeigte sich also, daß die Unterscheidung Angreifer und Angegriffener nicht ausreichte, um den gerechten Ausgleich der internationalen Beziehungen zu gewährleisten.
Obwohl diese Bestimmungen der Satzung und das auf ihrer Grundlage durchgeführte Verfahren zeigten, daß die Gleichungen gerecht – ungerecht, erlaubt – unerlaubt, Angreifer – Angegriffener nicht aufgingen, bemühte man sich weiterhin, unter dem Begriff des Angreifers den Übertreter der internationalen Ordnung zu brandmarken. Da an den soeben erwähnten Schwierigkeiten die materielle Bestimmung scheiterte, versuchte man, aus dem Rechtsbegriff, der sich nicht fassen ließ, eine politische Entscheidung der zur Wahrung der internationalen Ordnung berufenen Organe des Völkerbundes zu machen. So geschah es in dem Entwurf eines gegenseitigen Beistandspaktes, der im Auftrage der Völkerbundsversammlung im Jahre 1923 ausgearbeitet wurde. Das Genfer Protokoll, das die Unzulänglichkeiten der Satzung in der Frage der Streiterledigung ergänzen sollte, übertrug ebenfalls dem Völkerbundsrat die Entscheidung, wer den Vertrag verletzt habe und infolgedessen Angreifer sei.
Alle anderen von dem Herrn britischen Hauptanklagevertreter angeführten Kriegsächtungs- und Streiterledigungsversuche sind Entwürfe geblieben mit Ausnahme des Kellogg-Paktes.
Dieser Tatsache dürfte es zuzuschreiben sein, daß man auf der Abrüstungskonferenz den Gedanken der juristischen Definition des Angreifers nochmals aufgriff. Auf diese Weise kam es im Jahre 1933 zur Aufstellung der Definition des von dem Griechen Politis geleiteten Ausschusses für Sicherheitsfragen der Generalkommission der Abrüstungskonferenz. Durch das Scheitern dieser Konferenz wurde die Definition im gleichen Jahr bei den Londoner Besprechungen zum Gegenstand einer Reihe von Einzelverträgen gemacht. Als einzige Großmacht beteiligte sich an ihnen die Sowjetunion, auf deren Initiative die Definition auf der Abrüstungskonferenz zurückzuführen war. Diese Definition hat sich auch der Herr Hauptanklagevertreter der Vereinigten Staaten zu eigen gemacht und die Anklage wegen Verbrechens gegen den Frieden vor diesem Tribunal darauf aufgebaut. Sie bildete nichts weiter als einen Vorschlag der Anklage im Rahmen des Statuts, das nichts Näheres über den Begriff des Angriffskrieges sagt. Es muß betont werden, daß Herr Richter Jackson sich dabei nicht auf allgemein anerkanntes Völkerrecht berufen kann.
Der Bericht der Kommission von 1933 wurde nicht Gegenstand eines allgemeinen Vertrags, wie es geplant war, sondern wurde nur zwischen einer Anzahl von Einzelparteien in Abkommen vereinbart, die nur zwischen den Beteiligten verbindlich waren. Es handelte sich praktisch nur um Abmachungen von einer Reihe um die Sowjetunion gruppierter Staaten mit dieser. Keine andere Großmacht nahm die Definition an. Insbesondere Großbritannien hielt sich fern, obwohl die genannten Einzelabkommen gerade in London abgeschlossen wurden. Zur Bildung eines Völkerrechtssatzes von so weittragender Bedeutung für die Neugestaltung der internationalen Beziehungen wäre zumindest die Beteiligung der Großmächte erforderlich gewesen.
Ganz abgesehen von dieser juristischen Betrachtung zeigt das Vorbringen der Herren britischen und amerikanischen Hauptanklagevertreter, daß auch nach der tatsächlichen Seite der Vorschlag unbefriedigend ist. In der wichtigen Frage des Punktes 4 der Definition weicht die britische Anklage von der amerikanischen ab. Der alte Interessengegensatz vom mare liberum und mare clausum hat auf seiten der Anklage dazu geführt, daß Sir Hartley Shawcross die Seeblockade der Küsten und Häfen eines Staates als Angriffshandlung nicht erwähnt hat.
Mag die Definition von 1933 wertvolle Anhaltspunkte für die Feststellung des Angreifers bieten, so kommt man doch nicht um die Tatsache herum, daß eine formaljuristische Definition die Unmöglichkeit zeigt, allen Fällen der politischen Wirklichkeit gerecht zu werden.
Bei dem Versuch der Neuordnung der Welt in der Charta der Vereinten Nationen kehrte man offenbar in der Erkenntnis dieser Wahrheit zu dem Gedanken der Entscheidung durch ein internationales Organ zurück, ohne dessen Ermessen in das Prokustesbett einer starren Definition pressen zu wollen. Die Friedenscharta von San Francisco bestimmt in Kapitel VII, Artikel 39:
»Der Sicherheitsrat wird bestimmen, ob ein Akt der Bedrohung des Weltfriedens und der Weltsicherheit oder Friedensbruch oder gewaltsamer Angriff vorliegt und wird empfehlende Vorschläge machen oder entscheiden, welche Maßnahmen getroffen werden müssen, um den Frieden und die Sicherheit der Welt aufrechtzuerhalten oder wiederherzustellen.«
Im Jahre 1939 gab es weder eine anerkannte Definition des Angreifers noch ein Organ, das zur Bestimmung des Angreifers berufen war.
Der Völkerbund als Organ zur Streiterledigung hatte vollkommen versagt. Das kam äußerlich schon dadurch zum Ausdruck, daß drei Großmächte ausgetreten waren. Wie wenig der Völkerbund-Torso noch internationales Gehör besaß, zeigt das Verhalten der Sowjetunion in der Finnenfrage. Sie nahm keinerlei Rücksicht auf die Entscheidung des Völkerbundes, die in diesem Konflikt getroffen wurde, sondern verfolgte gegenüber Finnland ihre eigenen Interessen.
Wenn ich nunmehr nach diesen Darlegungen dem Gericht einen Vorschlag mache, was unter dem Begriff des Angriffs in Artikel 6 a des Statuts zu verstehen sei, so kann diese Qualifizierung nicht an eine in der internationalen Rechtsordnung anerkannte Definition anknüpfen. Es bleibt vielmehr nichts weiter übrig, als von der Voraussetzung auszugehen, die die Praxis der Staaten und die Tradition der Diplomatie damit zu verbinden pflegt.
Nach der im Jahre 1939 bestehenden Auffassung wurde der Kriegsausbruch, gleichgültig wie er zustande gekommen war, rechtlich nicht gewertet. Der Kellogg-Pakt und die an ihn sich anschließenden Verhandlungen haben diese in jahrhundertelanger Entwicklung entstandene Tatsache nicht beseitigen können. Man muß dies aufs tiefste bedauern, kann an der Wirklichkeit aber nicht vorübergehen. Daß diese Ansicht sich in Übereinstimmung mit der völkerrechtlichen Auffassung der hauptbeteiligten Signatarmächte des Statuts zum Ausbruch des Krieges befand, geht aus der Tatsache hervor, daß international anerkannte Völkerrechtler von Ruf den Standpunkt einnahmen, daß bei Versagen des Kellogg-Paktes und des kollektiven Sicherheitssystems die herkömmliche Rechtsauffassung vom Kriege in Kraft geblieben sei1.
Mußte Herr von Ribbentrop im Jahre 1939 der Meinung sein, daß seine Handlungen, an den Methoden des überkommenen diplomatischen Spiels gemessen, als ein international strafbares Verbrechen gewertet würden?
Ich habe bereits darauf hingewiesen, daß allgemein und daher auch von Herrn von Ribbentrop die damalige Grenzziehung im Osten als auf die Dauer unhaltbar und daher als änderungsbedürftig empfunden wurde.
Die Versailler Konferenz schuf durch die Befriedigung der polnischen Ansprüche bei Neugründung dieses Staates Probleme, die durch keine internationale Zusammenarbeit zwischen den beiden Weltkriegen gelöst werden konnten. Eine Garantierung dieser Grenzen im Rahmen eines europäischen Paktsystems konnte nie erreicht werden. Im Rahmen der Locarno- Verträge kam durch die widerstreitenden Interessen der daran beteiligten Mächte eine Garantie für die durch Versailles geschaffenen Ostgrenzen nicht zustande, während sie für die Westgrenze erreicht werden konnte. Alles, was nach unendlichen Bemühungen zustande kam, waren die mit dem Locarno-System verbundenen Schiedsverträge zwischen Deutschland und Polen, und Deutschland und der Tschechoslowakei. Sie beinhalteten keine Grenzgarantien, sondern nur ein Streiterledigungsverfahren. Auf sie werde ich eingehen bei Behandlung der Herrn von Ribbentrop vorgeworfenen einzelnen Vertragsbrüche.
Nachdem Hitler durch Austritt aus der Abrüstungskonferenz und dem Völkerbund auch sein Mißtrauen gegenüber der kollektiven Sicherheit zum Ausdruck gebracht hatte, ging er zum System der bilateralen Abmachung über. Dabei wurde bei den Vorverhandlungen zur Vereinbarung zwischen Deutschland und Polen von 1934 klar ausgesprochen, daß zwischen den beiden Staaten eine Bereinigung der Probleme im Geiste des Vertrags erfolgen solle. Es soll hier nicht unterschlagen werden, daß für diese Austragung nur friedliche Mittel vorgesehen und ein zehnjähriger Nichtangriffspakt vereinbart waren. Ob Hitler aufrichtig an die Durchführbarkeit dieses Problems glaubte oder ob er sich der Hoffnung hingab, auf dem Wege der Evolution eine Änderung des unhaltbaren Zustandes im Osten herbeizuführen, ist für die Beurteilung des Verhaltens des Herrn von Ribbentrop gleichgültig. Er hat nicht die Initiative zu diesem Schritt ergriffen, sondern fand diese Übereinkunft als politisch-rechtliche Tatsache vor.
Die Erfahrung des Interessenausgleichs der Staaten lehrt, daß Abkommen nur dann Bestand haben, wenn sie der politischen Wirklichkeit gerecht werden. Ist dies nicht der Fall, so schreitet die Gewalt der Tatsachen selbst über den ursprünglichen Willen der Vertragschließenden hinweg.
Ein großer Staatsmann des 19. Jahrhunderts hat dieser Wahrheit Ausdruck verliehen, indem er sagte: »Für geschriebene Verträge ist das Element des politischen Interesses ein unentbehrliches Unterfutter.«
So wurde die Ostfrage durch das Abkommen von 1934 nicht beseitigt, sondern belastete fernerhin die internationalen Beziehungen. Wie die Beweisaufnahme ergeben hat, zeigte sich im Laufe der politischen Entwicklung immer deutlicher, daß über kurz oder lang in irgendeiner Weise Lösungen angestrebt werden mußten. Das den ethnologischen, kulturellen und wirtschaftlichen Wirklichkeiten widersprechende Statut der Freien Stadt Danzig, sowie die Isolierung Ostpreußens durch die Schaffung eines Korridors, hatten Konfliktsstoffe geschaffen, deren Entladung eine Reihe von Staatsmännern schon in Versailles befürchteten.
Die am 21. März 1939 gegebene englische Garantieerklärung an Polen, die am 25. August 1939 zu dem gegenseitigen Beistandsabkommen ausgebaut wurde, war bei Auftauchen der Konfliktsmöglichkeit mit diesem Staat bei Berücksichtigung dieses Zustandes geeignet, die Polen von vornherein einer vernünftigen Revision – selbst in bescheidenem Rahmen – abgeneigt zu machen.
Diese Garantieerklärung zeigt wiederum, wie sehr Großbritannien in realpolitischer Betrachtung die Konsequenz aus dem Verfall des Systems der kollektiven Sicherheit zog und wie wenig Zutrauen es in die praktische Wirkung der moralischen Verurteilung des Krieges durch den Kellogg-Pakt hatte.
Herr von Ribbentrop mußte also aus dem Verhalten Großbritanniens den Schluß ziehen, daß sich die Haltung der Polnischen Regierung, von der Deutschland ein Entgegenkommen erwarten konnte, nunmehr zu völliger Unnachgiebigkeit versteifen würde. Die Entwicklung der nächsten Monate zeigte, daß diese Voraussicht zutraf.
Daß die heraufziehende Gefahr im Rahmen der üblichen Grundsätze der Politik und der Durchsetzung der Interessen des eigenen Staates sich vollziehen würde, zeigt insbesondere der Eintritt der Sowjetunion in den Konflikt. Auch sie hatte damit ihrerseits den Boden des kollektiven Sicherheitssystems verlassen. Sie betrachtete den aufkommenden Konflikt ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der russischen Interessen. Nach diesem Stand der Dinge bemühte sich Herr von Ribbentrop, die drohende Auseinandersetzung im Falle der Nichtverhütung wenigstens zu lokalisieren. Er konnte mit Recht hoffen, daß ihm in dieser Bemühung Erfolg beschieden sei, denn die beiden in Osteuropa in erster Linie interessierten Mächte, die Sowjetunion und Deutschland, schlossen vor Ausbruch der bewaffneten Auseinandersetzung nicht nur den Nichtangriffs- und Freundschaftspakt. Sie einigten sich gleichzeitig im Wege eines Geheimabkommens über das künftige Schicksal des polnischen Gebietes und der baltischen Staaten.
Der Mechanismus der Beistandspakte wurde aber trotzdem ausgelöst, und dadurch wurde der lokale Konflikt in Osteuropa zu einem Weltbrand.
Will man mit der Anklage einen rechtlichen Maßstab an diese Vorgänge legen, so kann man es nicht ohne Berücksichtigung der Sowjetunion unter dem Gesichtspunkt der Teilnahme.
Der Konflikt in Osteuropa erweiterte sich durch die Beteiligung Großbritanniens und Frankreichs zu einem europäischen, dem der Weltkonflikt zwangsläufig folgte. Der Eintritt dieser Mächte in den Krieg erfolgte in den vom dritten Haager Abkommen über die Eröffnung von Feindseligkeiten vorgesehenen Formen, nämlich einem Ultimatum mit bedingter Kriegserklärung.
Herr Richter Jackson hat in der Sitzung vom 19. März 1946 die Anklage dahingehend präzisiert, daß es sich bei der durch die Westmächte herbeigeführten Kriegsausweitung nicht um eine strafbare Angriffshandlung Deutschlands handle. Er befindet sich in dieser Auffassung im Einklang mit seinen allgemeinen Ausführungen über den Begriff des Angriffs. Wollte er sie ganz konsequent durchführen, so müßte er folgerichtig Großbritannien und Frankreich zu Angreifern gegenüber Deutschland erklären, weil sie den Kriegszustand durch das Ultimatum herbeigeführt haben.
Ich glaube, mich im Einklang mit der Anklage zu befinden, wenn ich die Vermutung ausspreche, daß dieses Ergebnis nicht ihrer Auffassung entsprechen würde. Die Anklage hat ihr Beweismaterial so vorgetragen, daß sie auf die politisch historischen Hintergründe des Krieges eingeht. Sie hat sich also nicht damit begnügt, sich auf die formaljuristische Definition oder einzelne ihrer Kriterien zu stützen. Sie bestätigt damit meine Schlußfolgerung, die ich dem Gericht vorgetragen habe, daß nämlich die von der Anklage vorgeschlagene Definition keine geeignete Basis zur Qualifizierung des unbestimmbaren Begriffes Angriff ist.
Ich darf als Ergebnis der Vorgänge bei Kriegsausbruch feststellen: Kellogg-Pakt und Angriffsbegriff, die Säulen der Anklage, tragen diese nicht. Der Kellogg-Pakt hatte keinen rechtlich faßbaren Inhalt, weder für die Staaten und erst recht nicht für die einzelnen. Der Versuch, ihn durch einen formellen Begriff des Angriffs nachträglich mit Leben zu füllen, scheiterte an der politischen Wirklichkeit.
An der Erweiterung des Konflikts auf Skandinavien wirkte Herr von Ribbentrop in so geringem Maße mit, daß sie ihm wohl schwerlich als Einzelhandlung zur Last gelegt werden kann. Wie die Vernehmung der Zeugen Großadmiral Raeder und Generalfeldmarschall Keitel beyond doubt ergeben haben, wurde Herr von Ribbentrop von diesem Unternehmen buchstäblich erst 36 Stunden vorher zum erstenmal in Kenntnis gesetzt. Seine Mitwirkung bestand einzig und allein in der Ausfertigung von Noten, die ihm nach Inhalt und Form vorgeschrieben waren.
Hinsichtlich der tatsächlichen Seite, nämlich der unmittelbar bevorstehenden Verletzung der skandinavischen Neutralität durch die Westmächte, war er auf die ihm mitgeteilten Informationen angewiesen. Wie die Beweisaufnahme gezeigt hat, und wie ich in späteren Rechtsausführungen darlegen werde, war er als Außenminister für die Nachprüfung nicht zuständig und verfügte über keinerlei tatsächliche Hilfsmittel, sie vornehmen zu lassen. Unter der Voraussetzung, daß diese Informationen richtig waren, konnte er mit Recht annehmen, daß das Deutsche Reich mit dem beabsichtigten Vorgehen im Einklang mit dem Völkerrecht handelte. Die näheren Ausführungen über diese Rechtsfrage überlasse ich meinem eingehend damit vertrauten Kollegen Herrn Dr. Siemers, dessen Mandant, Großadmiral Raeder, Hitler einen großen Teil der Feindnachrichten und den Vorschlag zur deutschen Besetzung Skandinaviens unterbreitet hatte.
Im Falle Belgien-Niederlande ist durch die Beweisaufnahme festgestellt worden, daß die uneingeschränkte Aufrechterhaltung der Neutralität des belgisch-niederländischen Raumes durch diese Mächte nicht gewährleistet werden konnte. Schon vor dem Kriege bestanden zwischen den Generalstäben der Westmächte und denen der beiden neutralen Länder Abmachungen und laufende Erfahrungsaustausche über das Verhalten und die Besetzung im Falle eines Konflikts mit Deutschland. Detaillierte Aufmarschpläne und unter Attachierung von Offizieren der Westmächte ausgebaute Stellungssysteme sollten die Aufnahme alliierter Truppen vorbereiten. Diese Planungen erstreckten sich nicht nur auf eine Zusammenarbeit der beteiligten Armeen, sondern auch auf Einschaltung gewisser Zivilbehörden zur Durchführung der Versorgung und des Vormarsches der Verbündeten.
Wesentlich an diesen Vorbereitungen ist die Tatsache, daß sie nicht nur für den Fall der Defensive, sondern auch für die Offensive gedacht waren. Aus diesem Grunde wollten oder konnten sich Belgien und die Niederlande auch nicht gegen laufende Überfliegungen durch britische Kampfverbände wehren, die als Nahziel die Zerstörung des Ruhrgebietes, der Achillesferse der deutschen Kriegsindustrie, im Auge hatten. Dieses Gebiet war auch im Falle einer Offensive auf dem Lande das Hauptziel der Alliierten.
Diese Absichten, sowie intensivste Vorbereitungen von Offensivmaßnahmen auf seiten der Westmächte, wurden durch Nachrichtenquellen einwandfrei festgestellt. Die Gruppierung der Offensivkräfte ergab die Einbeziehung des belgisch-niederländischen Raumes in das Operationsgebiet. Diese Nachrichten wurden, wie bereits anläßlich der vorangegangenen Konfliktsfälle geschildert, Herrn von Ribbentrop von Hitler beziehungsweise dessen Beauftragten laufend zur Kenntnis gegeben. Auch hier mußte sich Herr von Ribbentrop auf die Richtigkeit dieser Nachrichten verlassen, ohne das Recht und die Pflicht zu haben, sie nachzuprüfen. Auch er kam dadurch zu der Überzeugung, daß zur Abwendung einer tödlichen Gefahr – nämlich Vorstoß der Alliierten in das Ruhrgebiet – vorbeugende Gegenmaßnahmen erforderlich waren. Von diesen Erwägungen ausgehend, konnte aus Gründen des Ausmaßes moderner militärischer Operationen Luxemburg einfach nicht ausgespart werden.
Die Anklage legt bei diesem Vorgehen unter anderem der deutschen Außenpolitik und damit Herrn von Ribbentrop zur Last, im Widerspruch mit dem fünften Haager Abkommen, betreffend die Rechte und Pflichten der neutralen Mächte und Personen im Falle eines Landkrieges, den Einmarsch vorgenommen zu haben.
Sie übersieht dabei, daß sich dieser Vertrag nicht auf die Einbeziehung eines Neutralen in einen Krieg zwischen anderen Mächten bezieht, sondern lediglich auf die Rechte und Pflichten der Neutralen und der Kriegführenden, solange der Neutralitätszustand besteht. Die Anklage ist dem Irrtum unterlegen, ihre, wie ich gezeigt habe, fälschliche Interpretation des Kellogg-Paktes dem 20 Jahre vorher geschlossenen Abkommen beizulegen. Es ist ganz unzweifelhaft, daß zur Zeit der zweiten Haager Friedenskonferenz der Kriegsausbruch eine vom Recht nicht gewertete Tatsache der historischen Ereignisse war. Sämtliche Abkommen, die das Kriegsrecht betreffen, also insbesondere die Landkriegsordnung und die Neutralitätsabkommen für den Land- und Seekrieg, bauen auf der Tatsache eines vorhandenen Kriegszustandes auf, regeln also nicht das jus ad bellum, sondern das jus in bello.
Mit dieser Feststellung erledigt sich die Verweisung der Anklage auf das fünfte Haager Abkommen in allen Fällen der Kriegsausweitung gegenüber Neutralen, die dieses Abkommen ratifiziert haben.
Es ist ferner durchaus zweifelhaft, ob im Zusammenhang mit der Einbeziehung Belgiens in den Krieg der Locarno-Vertrag, wie es die Anklage tut, Erwähnung finden kann. Das Locarno-System war mit der Lossagung Deutschlands im Jahre 1935 zusammengebrochen, wie der Verteidiger des Freiherrn von Neurath darlegen wird. Alle Versuche, eine neue Einigung zustande zu bringen, die an seine Stelle treten sollte, gingen von der Tatsache aus, daß die von Deutschland geschaffene tatsächliche Lage der Ausgangspunkt einer neuen Vereinbarung sein müsse. Das zeigen insbesondere die britischen und französischen Pläne für das beabsichtigte neue Abkommen. Es gelang nicht, eine Einigung herbeizuführen. Die eingehenden und langwierigen Verhandlungen zeigen jedoch mit aller Deutlichkeit, daß die Locarno-Mächte von keinem der Vertragspartner mehr als gültig angesehen wurden. Vielmehr gingen die Westmächte dazu über, unter sich die Wirkungen zu erörtern, welche die Verpflichtungen zur Garantie der Westgrenzen nach dem Ausscheiden Deutschlands noch haben. Ohne Rücksicht darauf, wie man das Verhalten Deutschlands im Jahre 1935 beurteilt, bleibt festzustellen, daß das Vertragssystem damit hinfällig geworden war. Im Jahre 1940 bestanden also keine deutschen Verbindlichkeiten mehr aus dem Westpakt von 1925.
Die im Zusammenhang mit dem Locarno-Vertrag stehenden Schieds- und Vergleichsabkommen mit Belgien, Polen und der Tschechoslowakei werde ich später bei der allgemeinen Betrachtung der Verpflichtungen des Deutschen Reiches zur friedlichen Streiterledigung erörtern.
Was Luxemburg betrifft, so hat selbst die Anklage nicht auf die Neutralisierung dieses Landes Bezug genommen. Sie ist dabei offenbar von der Erwägung ausgegangen, daß das Deutsche Reich im Versailler Vertrag zum Verzicht auf seine Rechte aus dem Londoner Abkommen von 1867 gezwungen worden war.
Als am 24. März 1941 die Jugoslawische Regierung ihren Beitritt zum Dreimächtepakt erklärte, konnte Herr von Ribbentrop nach allen ihm vorliegenden Nachrichten nicht annehmen, daß wenige Tage nach dem Beitritt aus politischen Gründen ein militärisches Eingreifen Deutschlands auf dem Balkan erforderlich würde. Diese Lage wurde durch den gewaltsamen Regierungswechsel in Belgrad herbeigeführt. Die Reaktion auf den Beitritt der Regierung Stojadinowitsch zum Dreimächtepakt hatte zur Folge, daß ein neuer politischer Umschwung in Jugoslawien unter der Führung von Simowitsch eintrat, der eine enge Zusammenarbeit mit den Westmächten – entgegen den Gedanken des Dreierpaktes – zum Ziele hatte.
In Anbetracht dieser Ungewissen Lage im Innern Jugoslawiens, die sich in der Mobilisierung der jugoslawischen Armee und ihrem Aufmarsch an die deutsche Grenze zu einer Gefahr für das Reich verdichtete, entschloß sich Hitler plötzlich zu militärischen Operationen auf dem Balkan. Er traf diese Entscheidung ohne Wissen Herrn von Ribbentrops mit dem Gedanken, eine dem italienischen Bundesgenossen drohende schwere Gefahr auszuschalten.
Die Vernehmung des Zeugen Generaloberst Jodl hat einwandfrei ergeben, daß Herr von Ribbentrop nach Hitlers Entschlußfassung und dem Simowitsch- Putsch sich ernsthaft bemüht hat, vor Auslösung der militärischen Operationen die Ausschöpfung diplomatischer Möglichkeiten versuchen zu dürfen. Generaloberst Jodl hat hier bestätigt, daß Herr von Ribbentrop mit diesen Bemühungen so schroff abgewiesen wurde, daß bei der Natur Hitlers und den herrschenden Methoden eine Einflußnahme auf ihn ausgeschlossen war.
In Anbetracht der Tatsache, daß bereits seit dem 4. März 1941 starke englische Verbände von Südgriechenland nach Norden vorstießen, war eine weitere Lokalisierung des italienisch-griechischen Konflikts nicht mehr möglich. Er war zwar im Herbst 1940 entgegen den deutschen Wünschen begonnen worden, doch konnte Hitler die bevorstehende Niederlage des italienischen Bundesgenossen mit Rücksicht auf die Gesamtkriegslage unmöglich hinnehmen.
Als am 23. August 1939 Herr von Ribbentrop in Moskau die zwischen Deutschland und der Sowjetunion abgeschlossenen Verträge einschließlich des Geheimabkommens über die Teilung Polens und Überlassung der baltischen Staaten an Rußland unterzeichnete, waren die zum Teil mit äußerster Schärfe geführten ideologischen Auseinandersetzungen zwischen Nationalsozialismus und Bolschewismus zunächst als Gefahrenelement aus der internationalen Sphäre ausgeschaltet. Dieses Vertragssystem, das im Laufe des nächsten Monats ergänzt wurde, hatte weite Kreise des deutschen Volkes in seiner Einstellung zu Hitlers Außenpolitik günstig beeinflußt, die durch die weltanschaulichen Gegensätze beunruhigt waren. Seit dem von Bismarck abgeschlossenen Rückversicherungsvertrage mit Rußland war man in Deutschland allgemein überzeugt, daß die Erhaltung freundschaftlicher Beziehungen zu Rußland stets das Ziel unserer Außenpolitik sein müsse.
Herr von Ribbentrop hat damals aus den eben erwähnten traditionellen Gründen in diesen Verträgen eine starke Stütze der deutschen Außenpolitik erblickt. Aus dieser Überzeugung heraus lud er auch den Außenkommissar der Sowjetunion, Molotow, im Winter 1940 zu einem Besuche nach Berlin ein, um inzwischen aufgetretene Fragen zu klären. Leider führte die zweite Aussprache nicht zu den gewünschten Ergebnissen.
Bei Hitler riefen das Ergebnis dieser Unterredung und geheime Nachrichten starke Besorgnisse über das weitere Verhalten der Sowjetunion gegenüber Deutschland hervor. Insbesondere sah Hitler in dem Verhalten Rußlands in den baltischen Ländern, sowie in dem sowjetischen Einrücken nach Bessarabien und in die Bukowina Akte, die geeignet waren, die deutschen Interessen in den Ostsee-Randstaaten und im rumänischen Erdölgebiet zu gefährden. Außerdem erblickte er in dem Verhalten der Sowjetunion die Möglichkeit einer Einflußnahme auf Bulgarien. Er konnte eine Bestätigung seines Mißtrauens in dem Abschluß des am 5. April 1941 geschlossenen Freundschaftspaktes mit Jugoslawien erblicken, der zu einem Zeitpunkt geschah, als Jugoslawien nach dem Regierungswechsel in das Lager der Westmächte überzugehen drohte.
Trotz dieser verschiedentlichst auch Herrn von Ribbentrop mitgeteilten Bedenken Hitlers bemühte sich der Angeklagte, die Spannungen zu vermeiden. Das Gericht hat mir erlaubt, ein Affidavit vorzulegen, durch das bestätigt wird, daß Herr von Ribbentrop noch im Dezember 1940 versucht hat, in einem ausführlichen Gespräch Hitler zu bewegen, ihm nochmals Vollmachten zur Einbeziehung Rußlands in den Dreierpakt zu geben. Dieses Beweisstück bestätigt, daß Herr von Ribbentrop nach seiner Unterredung der Auffassung sein konnte, daß ihm dieser Schritt durch die Zustimmung Hitlers gelingen würde. In der Folgezeit kam Hitler jedoch immer wieder auf seine Bedenken zurück, die durch die ihm über seinen eigenen Nachrichtendienst zugegangenen Nachrichten über militärische Vorgänge jenseits der Ostgrenze bestärkt wurden. Im Frühjahr 1941 versuchte Herr von Ribbentrop den damaligen Botschafter in Moskau und einen seiner Untergebenen zu Hitler nach Berchtesgaden zu bringen. Beide Diplomaten wurden nicht vorgelassen. Damit waren Herrn von Ribbentrops Möglichkeiten im Rahmen seiner Stellung unter dem Regime gescheitert. Er glaubte dann auch, sich den ihm zur Kenntnis gebrachten Unterlagen nicht weiter verschließen zu können.
Wie Generaloberst Jodl bekundet hat, ging seine Überzeugung und die sämtlicher Oberbefehlshaber, die am Beginn des Rußlandfeldzuges beteiligt waren, dahin, daß man mitten in einen offensiven Aufmarsch hineingestoßen war. Das beweist neben anderem das vorgefundene Kartenmaterial, das sich auf den Raum diesseits der deutsch-russischen Interessengrenze erstreckte. Kann man wirklich annehmen, daß dieses Verhalten der Sowjetunion mit dem Nichtangriffspakt im Einklang stand?
Um diese Zeit herum begann sich die Erweiterung des europäischen Krieges zu einem Weltkrieg immer drohender abzuzeichnen. Die Vereinigten Staaten von Amerika waren in den Krieg mit einem Neutralitätsgesetz hineingegangen, in dem sie sich im voraus für den Fall eines künftigen Krieges feststehenden Regeln unterworfen hatten. Der Mechanismus des Neutralitätsgesetzes wurde in Gang gesetzt durch eine Proklamation des Präsidenten. Sie bezeichnete gleichzeitig die Gefahrenzone, innerhalb welcher amerikanische Schiffe nicht auf den Schutz ihrer Regierung rechnen durften.
Dieses Verhalten zum Kriegsausbruch bestätigt, daß die Vereinigten Staaten, die Urheber des Kellogg- Paktes, nicht der Auffassung waren, daß das herkömmliche Neutralitätsrecht in irgendeiner Weise dadurch modifiziert worden wäre.
Die Vereinigten Staaten wichen jedoch im Laufe der Erweiterung und Verschärfung des europäischen Krieges mehr und mehr von der ursprünglichen Linie ab, ohne daß seitens des Deutschen Reiches Konfliktsstoff ihnen gegenüber geschaffen worden wäre.
Nach den Erfahrungen des ersten Weltkrieges war die deutsche allgemeine Meinung und so auch die des Herrn von Ribbentrop darauf eingestellt, eine Intervention der Vereinigten Staaten mit allen Mitteln zu vermeiden. Seit der Quarantänerede des Präsidenten Roosevelt im Jahre 1937 wurden jedoch starke Gegensätze in den ideologisch-politischen Gedankengängen der Weltöffentlichkeit in wachsendem Maße sichtbar. Die Situation wurde verschärft durch die Vorfälle im November 1938 in Deutschland, die der Grund dafür waren, daß der Berliner Botschafter zur Berichterstattung nach Washington zurückberufen wurde, von wo er nicht auf seinen Posten zurückkehrte.
Wenn trotzdem die Neutralitätspolitik weiterhin durch gesetzgeberische Akte vorbereitet wurde, und zu Beginn des Krieges in Wirksamkeit trat, konnte die deutsche Außenpolitik und damit Herr von Ribbentrop die Schlußfolgerung ziehen, daß die bestehenden Meinungsverschiedenheiten über die innerpolitische Gestaltung des Staatswesens die neutrale Haltung der Vereinigten Staaten nicht ändern würde. Auf Grund dieser Erwartung wurde auch seit Kriegsausbruch nicht nur alles vermieden, was von ungünstiger Wirkung auf die Vereinigten Staaten sein konnte, vielmehr wurde eine ganze Reihe Deutschland schwächender Handlungen der Vereinigten Staaten, die mit der strikten Neutralität unvereinbar waren, schweigend hingenommen.
Die Weltöffentlichkeit wurde von der Übereinstimmung der politischen Ziele des neutralen Amerikas mit dem kriegführenden Großbritannien unterrichtet, als die leitenden Männer der beiden Staaten im August 1941 die Atlantik-Charta als das Programm der neuen Ordnung des Zusammenlebens der Völker proklamierten. Sie trug einen offenbar feindseligen Charakter gegen die Achsenmächte und ließ ihnen keinen Zweifel darüber, daß die Vereinigten Staaten für die Gegenseite Partei ergriffen hatten.
Es folgten die Zwischenfälle zur See, die, wie die Beweisaufnahme ergeben hat, auf das Konto der materiellen Hilfeleistung der Vereinigten Staaten für Großbritannien zu setzen sind.
Mit der Besetzung Islands und Grönlands im Sommer und Herbst 1941 nahmen die Vereinigten Staaten dem damals schwer ringenden Britischen Weltreich den Schutz seiner wichtigsten Verbindungslinien ab. Es handelte sich um eine militärische Intervention schon vor Ausbruch des offiziell erklärten Krieges. Der sogenannte Schießbefehl des Präsidenten führte eine Gefahrenlage herbei, die täglich den Ausbruch des bewaffneten Konflikts zur Folge haben konnte. Schon mehrere Monate vor dem 11. Dezember 1941 waren also seitens der USA Maßnahmen ergriffen worden, die nur in einem Kriege vorgenommen zu werden pflegen. Der Kriegsausbruch war lediglich ein Glied in einer Kette aufeinanderfolgender Vorgänge, vielleicht nicht einmal das wichtigste. Er wurde ausgelöst durch den japanischen Angriff auf Pearl Harbor, den, wie die Beweisaufnahme ergeben hat, Deutschland weder veranlaßte noch voraussehen konnte.
Nach der formellen Definition des Angriffs ist die Kriegserklärung eines der Kriterien zur Bestimmung des Angreifers. Wie ich bereits im Zusammenhang mit der Kriegsausweitung in Europa ausgeführt habe, ist dieses Kriterium allein ohne den sachlichen Hintergrund kein ausschließliches Indiz für den Angriff. Als Reaktion auf die zahlreichen Neutralitätsverletzungen der Vereinigten Staaten, die schon Kriegshandlungen darstellten, wäre das Deutsche Reich bereits seit längerer Zeit berechtigt gewesen, seinerseits mit Kampfhandlungen zu antworten. Ob dieses Recht nach vorheriger Ankündigung, das heißt also einer Kriegserklärung, ausgeübt wurde oder nicht, ist ohne Bedeutung.
Ich habe bisher die von der Anklage vorgetragenen Angriffshandlungen von Beginn des Polenfeldzugs bis zum Eintritt der Vereinigten Staaten in den Krieg beleuchtet. Es bleibt noch übrig, rechtlich Stellung zu den von Deutschland geschlossenen Verträgen zu nehmen, die eine friedliche Regelung politischer Streitigkeiten vorsahen.
Es wird Herrn von Ribbentrop nicht nur zur Last gelegt, daß er sich an Angriffshandlungen beteiligt habe, sondern daß er verpflichtet gewesen sei, den Mechanismus dieser Verträge in Bewegung zu setzen, bevor es zu einem bewaffneten Konflikt kam. Die Anklage schließt daraus, daß die in den Verträgen vorgesehenen Wege der friedlichen Regelung nicht beschritten worden sind, daß diese Unterlassungen Herrn von Ribbentrop strafrechtlich zugerechnet werden können. Mit dieser Auffassung dürfte sie sich jedoch in einem rechtlichen Irrtum befinden.
Stellen wir uns zunächst auf den Standpunkt der Anklage, so werden wir sehen, daß selbst auf diesem Boden die von ihr gezogenen Konsequenzen sich nicht halten lassen. Selbst wenn ein einzelner Minister für das Nichtfunktionieren eines Vertragswerkes strafrechtlich verantwortlich sein würde, so müßte auch die Anklage fragen, ob der Minister überhaupt in der Lage war, durch sein Tätigwerden eine rechtlich erhebliche Wirkung zu erzielen. Nach einem Grundsatz, der jedem Strafrechtssystem der Welt seiner Natur nach imminent ist, kann ein Angeklagter wegen einer Unterlassung nur dann bestraft werden, wenn er tatsächlich dazu in der Lage und rechtlich verpflichtet war zu handeln. Wie gering die tatsächliche Einflußmöglichkeit Herrn von Ribbentrops war, werde ich eingehend im Rahmen meiner Ausführungen über die Verschwörung zeigen. Entscheidend ist dabei, daß er rechtlich gar nicht in der Lage war, verbindliche Erklärungen für das Deutsche Reich gegenüber fremden Mächten abzugeben, zu denen er nicht vom Staatsoberhaupt beauftragt war. Hitler war als Staatsoberhaupt der völkerrechtliche Repräsentant des Deutschen Reiches. Nur er war in der Lage, verbindliche Erklärungen nach außen abzugeben. Alle anderen Personen waren zur Verpflichtung des deutschen Staates mit rechtlicher Wirkung nur in der Lage auf Grund einer Ermächtigung des Staatsoberhauptes, es sei denn, daß der betreffende Vertrag ausdrücklich etwas anderes beinhaltete.
Es ist nicht nur eine Eigenart des deutschen Führerstaates, daß der Außenminister selbständig nicht mit verbindlicher Kraft nach außen auftreten kann. Es ist vielmehr eine allgemeine Regel des internationalen Verkehrs, daß nur das zur Vertretung des Staates berechtigte Organ für diesen zu handeln in der Lage ist. Der Unterschied zwischen den deutschen Verhältnissen und denjenigen der demokratischen Verfassungen besteht nur darin, daß in jenen der Außenminister in der Regel eine größere Einwirkung auf die Willensbildung des Staatsoberhauptes innehat. Der Angeklagte hätte also keinerlei rechtliche Wirkung erzielen können, wenn er die in den zahlreichen Schieds- und Vergleichsverträgen vorgesehenen Möglichkeiten der Streitschlichtung von sich aus gegen den Willen des Führers zu ergreifen versucht hätte. Nur Hitler hätte ein solches Verfahren in Gang setzen können. Der Angeklagte wäre nur in seinem Auftrag dazu in der Lage gewesen. Er besaß nicht einmal das Recht, mit seinem Rat gehört zu werden, wenn Hitler ihn ignorierte.
Diese Gesichtspunkte gelten zum Beispiel für folgende, von der Anklage angeführten Verträge: Konvention für friedliche Regelung von internationalen Streitfragen aus den Jahren 1899 und 1907, sowie der Schiedsvertrag von 1929 zwischen Deutschland und Luxemburg.
Außerdem muß erwähnt werden, daß diese Abkommen keineswegs eine obligatorische Erledigung politischer Streitigkeiten vorsahen.
Für die Schieds- und Vergleichsverträge mit Polen, der Tschechoslowakei und Belgien, die im Zusammenhang mit dem Locarno-Vertrag abgeschlossen wurden, gilt – abgesehen von der soeben angestellten rechtlichen Erwägung – der zusätzliche Gesichtspunkt, daß sie mit dem Westpakt eine politische Einheit bilden. Rein äußerlich kommt dies schon dadurch zum Ausdruck, daß diese Abkommen und der Locarno-Pakt zusammen Anlagen zu dem gemeinsamen Schlußprotokoll der an der Locarno-Konferenz beteiligten Mächte sind. Man könnte daher die Frage aufwerfen, ob die Vergleichsverträge das Schicksal des Hauptvertrags, also des Westpaktes, teilen.
Insbesondere möchte ich darauf hinweisen, daß das in diesen Verträgen vorgesehene Verfahren im Falle der Nichteinigung beim Völkerbundsrat endete, in dem zur Zeit des Westpaktes die vier beteiligten Großmächte ständige Sitze einnahmen, beziehungsweise – dies gilt für Deutschland – erhalten sollten. Mit dem Ausscheiden Italiens und Deutschlands aus diesem Gremium war die politische Basis, auf der die Vergleichsverträge ruhten, grundlegend erschüttert. Die Gruppierung der Mächte hatte sich außerdem so verschoben, daß ein Teil der Locarno-Mächte, nämlich Großbritannien und Frankreich, durch Bindungen an Polen im Jahre 1939 bereits im voraus für den möglichen Streitfall Partei ergriffen hatten.
Hinsichtlich der Schieds- und Vergleichsverträge mit Dänemark und den Niederlanden von 1926 darf ich bemerken, daß die Anrufung des darin vorgesehenen Verfahrens überhaupt nicht in Betracht kam, da ja keine Streitigkeiten Deutschlands mit diesen Ländern vorlagen. Die deutschen Maßnahmen richteten sich vielmehr gegen die gegnerischen Kriegführenden, denen man in der Besetzung dieser Länder zuvorkommen wollte.
Die Anklage spricht ferner von einer Anzahl von Zusicherungen, die Hitler den Staaten gegeben hatte, mit denen Deutschland hinterher in Krieg geraten ist. Da Herr von Ribbentrop sie nicht selbst abgegeben hat, sondern es sich um Äußerungen des Führers handelte, könnte seine Beteiligung nur dann in Frage kommen, wenn er Hitler in dieser Richtung beraten hätte. Dafür hat die Beweisaufnahme keinen Anhaltspunkt ergeben. Ein großer Teil dieser sogenannten Zusicherungen ist in Reden enthalten, die Hitler vor deutschem Publikum, sei es in Massenversammlungen, sei es vor dem Reichstag, gehalten hat. Es kann zweifelhaft sein, wie weit solche Erklärungen, die in erster Linie an die deutsche Öffentlichkeit gerichtet waren, verbindliche Wirkungen in der völkerrechtlichen Ebene begründeten.
Während ich bisher über die Handlungen gesprochen habe, die zum Ausbruch des Krieges und seiner Ausweitung geführt haben, gehe ich nunmehr zu dem zweiten großen Komplex der Anklageschrift über, der die Verbrechen während des Krieges behandelt.
Das Statut stellt in Artikel 6b Verletzungen der Gesetze und Gebräuche des Krieges unter Strafe. Es erläutert diesen Begriff durch die Aufzählung einer Reihe von Beispielen, wie Deportation, Geiselerschießungen und so weiter. Diese Beispiele füllen aber den Begriff nicht aus. Wir sind also, ebenso wie bei Artikel 6a, darauf angewiesen, dem Gericht eine Qualifikation vorzuschlagen, die es seiner Entscheidung zugrunde legen kann.
Ich befinde mich mit dieser Auffassung im Einklang mit dem von der Französischen Anklage vorgeschlagenen Verfahren. Sie hat sich dahin ausgesprochen, daß es ihr unbenommen sei, nicht erschöpfende Definitionen der Straftaten des Statuts zu qualifizieren.
Was der Anklage recht ist, ist der Verteidigung billig.
Die Verwendung des Ausdruckes »Gesetze und Gebräuche des Krieges«, sowie die Aufzählung der Beispiele zwingt zu der Auffassung, daß das Statut die Verletzung des klassischen »jus in bello« treffen wollte. Ich qualifiziere die Kriegsverbrechen also als Verstöße gegen das zwischen den kriegführenden Staaten vertraglich festgelegte oder ohne vertragliche Vereinbarungen allgemein anerkannte und bindende Gewohnheitsrecht. Die einzelnen Tatbestände, die unter den Sammelbegriff Kriegsverbrechen fallen, müssen also jeweils einzeln darauf untersucht werden, ob sie nach den herkömmlichen Regeln der bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Staaten als solche angesehen werden. Während im allgemeinen das klassische Völkerrecht nur den Staat als Einheit verantwortlich machte, bestand im Kriegsrecht von jeher die Ausnahme, daß auch der Zugriff auf die einzelnen handelnden Personen zulässig war. Wie weit diese Verantwortlichkeit des einzelnen nach dem Krieg in einer Strafverfolgung geltend gemacht werden kann, ist Gegenstand vielfacher Erörterung gewesen. Man wird als die herrschende Staatenpraxis feststellen können, daß derjenige Kriegführende, der durch ein Kriegsverbrechen verletzt worden ist, auch nach dem Krieg den Täter zur Verantwortung ziehen darf. Bilden mehrere Staaten, die Seite an Seite im Kriege gekämpft haben, ein gemeinsames Gericht gegen die Kriegsverbrecher des besiegten Gegners, so besitzen sie die zusammengefaßte Zuständigkeit aller den Gerichtshof bildenden oder seinem Statut beigetretenen Staaten.
Spricht man von Strafbarkeit des einzelnen wegen Verbrechen, die während des Krieges gegenüber dem Gegner begangen sind, der hinterher über ihn zu Gericht sitzt, so denkt man in erster Linie an die ehemaligen Angehörigen der kämpfenden Streitkräfte. Schon in Versailles entstanden Schwierigkeiten bei der Beurteilung der Frage, wie weit man die militärischen Befehlshaber verantwortlich machen könne. Der Gedanke, einen Ressortminister strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen, ist bisher niemals aufgetaucht. Auch in Versailles beschäftigte sich die Kriegsverbrecherkommission mit der Frage der Verantwortlichmachung nichtmilitärischer Persönlichkeiten nur unter politischen Gesichtspunkten. Sie unterschied scharf zwischen den Kriegsverbrechern, die vor dem Alliierten Gerichtshof abgeurteilt werden sollten, und der Schuld am Kriegsausbruch, für deren Untersuchung und Verurteilung ein besonderer politischer internationaler Gerichtshof ins Leben gerufen werden sollte.
Die herkömmlichen Begriffe versagen also, um einen Ressortminister für Verletzungen des »jus in bello« verantwortlich zu machen. Die Anklage kann diesen Erfolg nur auf dem Umweg über die Conspiracy erreichen. Folgt man der Auslegung, die diesem Begriff gegeben wird, so müßte der Reichsaußenminister zum Beispiel für die Vernichtung des Dorfes Oradour verantwortlich gemacht werden. Er müßte also für eine Handlung einstehen, die mit der Außenpolitik des Reiches nicht das mindeste zu tun hat und lediglich Einzelaktionen irgendwelcher Stellen sind.
Wie die Beweisaufnahme gezeigt hat, war der Reichsaußenminister nicht nur nicht zuständig für die Kriegführung, sondern er hatte auch tatsächlich nicht die geringste Möglichkeit, hemmend oder fördernd auf militärische Maßnahmen einzuwirken.
Wollte man die einzelnen Fachminister als eine Verschwörergemeinschaft auch hinsichtlich der Kriegsverbrechen ansehen, so müßte bewiesen werden, daß die zur Führung des Krieges berufenen militärischen Stellen im Einverständnis oder wenigstens nach Unterrichtung der Minister gehandelt haben.
Die Zusammenfassung der militärischen Befehlsstellen und der Minister zu einer Willenseinheit, die auf die Begehung solcher kriminellen und von jedem anständigen Menschen verabscheuten Handlungen gerichtet gewesen wäre, ist eine wirklichkeitsfremde nachträgliche Konstruktion der Anklage. Die Einheit, die zu der Zeit, in der sie angeblich gehandelt hat, nicht bestand, wird jetzt erst als Begriff konzipiert. Dem Begriff sollten sich nun die Tatsachen nachträglich anpassen. Es liegt auf der Hand, daß ein Strafverfahren nicht auf einer solchen Methode aufgebaut sein kann.
Herr von Ribbentrop kann also nicht wahllos für alle Kriegsverbrechen bestraft werden, die im Verlauf des vergangenen Krieges auf deutscher Seite begangen worden sind. Eine solche Erfolgshaftung wäre geradezu grotesk. Er könnte vielmehr nur dann mit der Verantwortung einzelner Taten belastet werden, wenn er selbst an einer bestimmten konkreten Einzeltat beteiligt gewesen wäre.
Herrn von Ribbentrop ist von der Anklage vorgeworfen worden, daß er laut Aussage des Generals Lahousen Admiral Canaris »Anweisungen« gegeben habe, ukrainische Dörfer in Flammen aufgehen zu lassen und die dort lebenden Juden totzuschlagen. Zunächst stelle ich fest, daß auch ein Außenminister keine Anweisungen irgendwelcher Art an eine militärische Dienststelle geben kann. Es wäre ferner völlig widersinnig gewesen, derartige Anweisungen zum Niederbrennen der ukrainischen Dörfer zu geben. Die Ukrainer unterstützten den deutschen Kampf gegen die Polen. Es wird daher kaum jemand glauben, daß Herr von Ribbentrop damals zur Vernichtung des eigenen Bundesgenossen geraten hat. Mein Mandant behauptet kategorisch weiter, daß auch über das Totschlagen von Juden bei jener Besprechung kein Wort gefallen sei, um so weniger, da in diesem Zusammenhang dazu gar keine Veranlassung bestand.
Ich bitte das Gericht, bei der Entscheidung über die Herrn von Ribbentrop zur Last gelegten Kriegs- und Humanitätsverbrechen die allgemeine Haltung des Angeklagten in Humanitätsfragen zugrunde zu legen. Herr von Ribbentrop hat, wie durch die Beweisaufnahme einwandfrei festgestellt wurde, 10000 alliierten Kriegsgefangenen durch persönliches energisches Eingreifen das Leben gerettet. Er hat, wie ich im Rahmen der Conspiracy weiter zeigen werde, die Entfesselung englischer Kriegsgefangener herbeigeführt und sich für die Aufrechterhaltung der Genfer Konvention eingesetzt. Er hat sich gegen die Brandmarkung russischer Kriegsgefangener aufgelehnt. An diesen Beispielen mag das Gericht seine Grundeinstellung in Fragen der Humanität sehen.
Dieser Maßstab scheint mir auch geeignet, um an das übrige Verhalten des Angeklagten in Fragen der Menschlichkeit angelegt zu werden, an denen er nicht handelnd beteiligt ist.
Herrn von Ribbentrop ist ferner als Kriegsverbrecher seine Einstellung in der Frage der Behandlung der Terrorflieger zur Last gelegt worden.
Mein Mandant bestreitet ebenso wie der Angeklagte Göring, daß die in dem Dokument 735-PS erwähnte Unterredung auf Schloß Kleßheim stattgefunden hat. Ich möchte betonen, daß der General Warlimont, der diese Aufzeichnung machte, selbst nicht an der Besprechung teilgenommen hat. Die in dem Dokument Herrn von Ribbentrop zugeschriebene Meinungsäußerung steht übrigens im Gegensatz zu dessen sonstigem Verhalten in dieser Frage. Staatssekretär Steengracht hat hier ausgesagt, daß Herr von Ribbentrop nach Erscheinen des berüchtigten Artikels im »Reich« über die Lynchjustiz sofort energisch dagegen protestierte.
Die weitere Beweisaufnahme bezüglich der Terrorfliegerfrage durch die Vernehmung der Zeugen Generaloberst Jodl und Generalfeldmarschall Keitel hat ferner ergeben, daß nicht nur das Auswärtige Amt, sondern Herr von Ribbentrop persönlich grundsätzlich für Aufrechterhaltung der Genfer Konvention eingetreten ist und daß sich Herr von Ribbentrop zusammen mit anderen führenden Persönlichkeiten auch bei Hitler selbst in dessen radikalster Periode um die Beibehaltung der letzten menschlichen Grundsätze bemüht hat. Es muß trotz allem, was geschehen ist, als ein Erfolg angesprochen werden, daß die Konvention infolge dieser Schritte nicht gekündigt wurde. Dabei darf gerade im Fall der Terrorflieger niemals übersehen werden, daß es sich bei sogenannten Terrorfliegerangriffen um eine Form des Luftbombardements handelte, die dann unbestreitbar ein Kriegsverbrechen darstellt, wenn es sich um unterschiedslose Angriffe auf Städte handelt, ohne daß nur militärische oder Rüstungsziele angegriffen werden. Bei der Reaktion in Deutschland auf die Luftkriegführung der Westmächte muß in Rechnung gestellt werden, daß Angriffe gegen die Zivilbevölkerung nach den feststehenden überkommenen Vorstellungen von einer bewaffneten Auseinandersetzung zwischen Staaten verboten sind. Dieser Gedanke ist nicht nur in der Haager Landkriegsordnung zum Ausdruck gebracht, sondern auch eine besondere vertragliche Festlegung allgemein verbindlichen Völkerrechts, das nicht nur auf dem Landkriegsschauplatz Geltung besitzt. In dieser Erkenntnis gestatteten zwar die Haager Luftkriegsregeln von 1923 den Angriff aus der Luft auf militärische Objekte in nicht verteidigten Ortschaften, aber nicht das Bombardement von Wohnstätten der Zivilbevölkerung. Die Haager Regeln sind zwar nicht ratifiziert, aber in der Praxis von den Kriegführenden seitdem befolgt und damit als Gewohnheitsrecht anerkannt worden.
Besonders aktuell wurde dieses Thema vor allem nach Erringung der völligen Luftherrschaft durch die Alliierten und den dann in ständigem Maße einsetzenden Tiefangriffen mit Bordwaffen auf die Zivilbevölkerung. Diese Erscheinungen führten überhaupt erst zur Diskussion darüber, ob es bei dieser Art von unbestreitbar völkerrechtswidriger Kriegführung noch Zweck habe, die Genfer Konvention in ihrer Substanz beizubehalten. Diese Erwägung und entsprechende Betrachtungen haben zur Niederschrift der Urkunden geführt, die Gegenstand des Beweisverfahrens wurden und bei denen es sich, wie die Beweisaufnahme ergeben hat, nur um Entwürfe, aber nicht um Entscheidungen in dieser Frage handelte. Sie können daher nicht Grundlage einer Beurteilung werden, da es selbstverständlich einem Staate freistehen muß, daß entsprechende Dienststellen sich gutachtlich zu dieser Frage äußern.
Mit Erlaubnis des Tribunals habe ich dargelegt, welches die Rolle Herrn von Ribbentrops vor dem Kriege, bei seinem Ausbruch und während seines Verlaufs gewesen ist.
Darüber hinaus macht die Staatsanwaltschaft sämtliche Angeklagten für alle hier vorgetragenen Verbrechen verantwortlich. Sie bedient sich zur Begründung dieser generellen Haftung des Begriffs der Verschwörung.
Würde man die Konsequenzen aus dieser uferlosen Anklage ziehen, so müßte jeder der Verteidiger zu sämtlichen von der Anklage vorgetragenen Einzelheiten Stellung nehmen. Schon die offenbare Unmöglichkeit, die Zeit des Gerichts so lange in Anspruch zu nehmen, zeigt, wie fragwürdig der Ausgangspunkt der Anklage ist.
Ich muß mich daher darauf beschränken, die Teilnahme an einer Verschwörung nur unter dem Gesichtspunkt der tatsächlichen und rechtlichen Stellung des Außenministers im Dritten Reich zu untersuchen.
Im Sinne des Statuts und der Anklage wird unter Conspiracy eine Art Teilnahmeform an einer strafbaren Handlung gesehen. Diese Deliktsart war bisher dem deutschen und kontinentalen Rechtsdenken unbekannt. Sie existiert nur im angelsächsischen Recht. In diesem Rechtskreis wird unter Conspiracy eine Teilnahme an einer strafbaren Handlung verstanden, die als Mindestmerkmale eine Einigung zur Begehung eines Verbrechens erfordert.
Weitere Voraussetzung ist, daß der gemeinsame Plan die Verwirklichung einer bestimmten Straftat zur Folge hat.
Von dieser Form der Beteiligung an einem Delikt geht auch das Statut aus, indem es sämtliche in Paragraph 6 aufgezählten Straftatbestände unter Zugrundelegung des Bestehens einer Verschwörung oder eines gemeinsamen Planes als besondere Form der Teilnahme an diesen Verbrechen unter Strafe stellt. In Paragraph 6a stipuliert das Statut dann noch eine spezielle Form der Verschwörung, indem es hier nochmals die Beteiligung an einem gemeinsamen Plan oder an einer Verschwörung zur Ausführung von Angriffskriegen und Kriegen unter Verletzung internationaler Verträge unter Strafe stellt.
Unter dem Begriff »gemeinsamer Plan« verstehen dabei Statut und Anklage offensichtlich etwas über den Rahmen der Conspiracy Hinausgehendes. Herr Richter Jackson hat selbst zugegeben, daß man hier über den strafbaren Tatbestand der Conspiracy nach angelsächsischem Recht hinausgegangen ist und damit einen juristisch noch gar nicht faßbaren Begriff geschaffen hat.
Beide Arten der Conspiracy begründen eine Haftung für alle Handlungen, die von irgendeiner Person in Ausführung dieser beiden Arten von Verschwörung begangen wurden.
Die Anklage bedient sich, um die Teilnahme dieser angeblichen Verschwörung als Einheit erscheinen zu lassen, als Norm der Piraterie. Die Verschwörer befinden sich alle auf einem Piratenschiff, das wider Gesetz und Recht aller Nationen auf Raub ausgeht und darum vogelfrei ist. Jeder, der die Besatzung bestraft, trägt zur Wiederherstellung des Rechts bei.
Dieses Bild hat auf den ersten Blick etwas Bestechendes. Bei näherem Zusehen jedoch stellt sich heraus, daß es sich um ein Schlagwort handelt, welches die Gemeinschaft der Schiffsbesatzung, die auf Gedeih und Verderb mit dem Fahrzeug verbunden ist, auf die ungleich komplizierteren Verhältnisse einer modernen Staatsorganisation zu übertragen trachtet. Zur Bekämpfung der Piraterie auf hoher See sind nach hergebrachter, allgemein anerkannter und unbestrittener Auffassung die Schiffe sämtlicher Nationen zuständig, die einem Piraten begegnen. Das Strafrecht fast aller Nationen kennt ausdrücklich Bestimmungen zu ihrer Bekämpfung. Das Besondere an diesem Delikt, das es von anderen, in jedem Land und sowohl gegen eigene wie fremde Staatsangehörige unter Strafe gestellten Handlungen – wie zum Beispiel Frauenhandel, Münzverbrechen und so weiter – unterscheidet, ist der Umstand, daß die Jurisdiktion auf der hohen See ausgeübt wird. Dadurch mag irrigerweise der Anschein entstehen, als ob es sich um ein Verbrechen in der völkerrechtlichen Ebene handle. Das ist jedoch nicht der Fall. Piraterie ist ein gemeines Delikt, dessen Verfolgung die Völkerrechtsordnung nicht nur in Küstengewässern, sondern auch auf der allen Nationen gehörenden See gestattet. In den Vereinigten Staaten ist zu dieser Auffassung bereits zu Beginn des vorigen Jahrhunderts durch die Rechtsprechung des Oberrichters Marshall der Grund gelegt worden.
Die Handlungen, die Herrn von Ribbentrop zur Last gelegt werden, sind zu einer Zeit begangen worden, in der das Deutsche Reich und seine Gegner sich auf der Ebene des internationalen Verkehrs zunächst im Frieden und dann im Krieg gegenübertraten. Ein Beispiel aus der Sphäre des innerstaatlichen gemeinen Strafrechts ist also nicht geeignet, eine plastische Vorstellung von einer Verschwörung eines gesamten Staatsapparates zu vermitteln. Der Pfeil trifft überdies den Schützen selbst. Zunächst wird der Begriff des Staates, der nach der in der Völkerrechtsgemeinschaft herkömmlichen Auffassung der einzige Träger von Rechten und Pflichten ist, zerschlagen, um die hinter ihm stehenden, für ihn handelnden Personen einzeln strafrechtlich erfassen zu können. Da aber an den zur Last gelegten Handlungen jeweils nur wenige Personen unmittelbar als Teilnehmer beteiligt waren, faßt man die Vielzahl dieser Menschen wiederum zu einer künstlichen Einheit zusammen, um sie auch für die Taten verantwortlich machen zu können, die sie nicht selbst begangen haben.
Hier muß die Kritik des Juristen einsetzen. Nach unserem Rechtsempfinden und auch nach dem Rechtsempfinden aller zivilisierten Staaten ist die strafrechtliche Verantwortlichkeit an nur wenig voneinander abweichende Grundsätze gebunden. So kann nach kontinentalem Recht eine strafbare Handlung nur dem zugerechnet werden, der vorsätzlich oder fahrlässig zur Förderung einer bestimmten Tat beigetragen hat. Der Täter muß also nach einhelliger Auffassung den Plan, zu dem er beigetragen haben soll, kennen, die in seiner Ausführung begangenen Taten voraussehen und sie billigen.
Die Teilnahme in Form der Conspiracy war bisher nur einem begrenzten Rechtskreis als Delikt bekannt. Sie ist mithin nur einem Teil der Rechtsordnungen derjenigen Staaten geläufig, die das gegenwärtige Verfahren führen oder ihm beigetreten sind. Sie war dem deutschen Rechtsdenken und damit Herrn von Ribbentrop zur Zeit seiner politischen Tätigkeit völlig unbekannt.
Diese Teilnahmeform zieht den Kreis des strafbaren Verhaltens ungleich weiter, als ihn Herr von Ribbentrop zur Zeit seiner außenpolitischen Betätigung für strafbar halten konnte.
Aber selbst wenn man diese Teilnahmeform als Grundlage der Rechtsfindung nach dem Statut annehmen sollte, wären weder die amtliche Stellung als Reichsaußenminister, die Herr von Ribbentrop bekleidete, noch die einzelnen Handlungen, die er in dieser Tätigkeit vorgenommen hat, geeignet, ihn als Glied einer Verschwörung erscheinen zu lassen.
Der Fall von Ribbentrop zeigt insbesondere, daß durch das Einführen des Begriffs der Verschwörung Verantwortlichkeiten miteinander verquickt werden, die nach Dienststellung, Dienstbefugnissen und der persönlichen Einstellung der einzelnen Verschwörer gar nicht miteinander in Beziehung gebracht werden können.
Die Anklage faßt, um ihren Zweck trotzdem zu erreichen, eine ganz willkürliche Vielzahl von Handlungen und Persönlichkeiten, die in keinerlei Beziehung zueinander standen, zu einer künstlich und nachträglich geschaffenen Einheit zusammen. Es ergebe sich, wollte man dem Statut und der Anklage folgen, hier das völlig wirklichkeits- und rechtlichem Denken fremde Ergebnis, daß Herr von Ribbentrop, obgleich er, wie die Beweisaufnahme einwandfrei ergeben hat, persönlich und sachlich von jeder Einflußnahme auf die besetzten Ostgebiete ausgeschaltet war, für alle dort geschehenen Humanitäts- und Kriegsverbrechen verantwortlich gemacht werden müßte, während andererseits zum Beispiel der Angeklagte Streicher für die Außenpolitik trotz seines Spezialgebietes haftbar wäre.
Die Bejahung der Konspiration zur Begehung von Kriegs- und Humanitätsverbrechen würde praktisch dazu führen, daß beispielsweise Herr von Ribbentrop und das Auswärtige Amt für Kriegs- und Humanitätsverbrechen verantwortlich wären, obgleich die Beweisaufnahme ergeben hat, daß sich gerade diese Behörde ständig bemüht hat, die völkerrechtlich gebotenen Regeln der Kriegführung einzuhalten und für die Beibehaltung der Genfer Konvention selbst unter schärfstem Kampf gegenüber Hitler einzutreten.
Die Verschwörung zur Begehung von Kriegs- und Humanitätsverbrechen kann sich nur auf konkrete Verstöße wider das Kriegsrecht beziehen, sei es auf individuelle Handlungen, zum Beispiel die Erschießung der entwichenen englischen Fliegeroffiziere, sei es auf bestimmte kriegsrechtswidrige Maßnahmen. Jedenfalls muß die Einigung der Verschwörer sich auf eine bestimmte Tat oder auf bestimmte Gruppen gleichartiger Taten beziehen. Es ist nicht möglich, daß ein Angeklagter für Handlungen verantwortlich gemacht wird, die er selbst nicht billigte oder um deren Verhinderung er sich bemüht hat.
Dabei wird man sich, glaube ich, in Übereinstimmung mit der Anklage befinden, wenn man feststellt, daß es eine Verschwörung zur Verletzung der Gesetze und Gebräuche des Krieges schlechthin nicht geben kann; denn dieser Begriff ist so umstritten und in der Staatenpraxis und Völkerrechtswissenschaft so wenig abgegrenzt, daß die einzelnen Handlungen, die im Laufe eines Krieges etwa als Kriegsverbrechen bezeichnet werden können, von den Verschwörern gar nicht in ihren Plan aufgenommen werden könnten. Dabei darf man nicht unberücksichtigt lassen, daß sich durch Entwicklung der Kampfmittel und Methoden auch der Inhalt des Begriffes des Kriegsverbrechens ändert. Es gibt also nur eine Verschwörung zur Begehung bestimmter oder gleichartiger Kriegsverbrechen. Man kann mithin nicht jeden der sogenannten Verschwörer für alle Taten verantwortlich machen, die eine objektive Beurteilung nachträglich als Kriegsverbrechen bezeichnen muß. Insbesondere würde es dem Gedanken, die Schuldigen zu treffen, nicht entsprechen, wenn nur auf Grund des allgemeinen, unnatürlichen Begriffes der Verschwörung die Angeklagten sogar für diejenigen Kriegsverbrechen bestraft würden, die sie mit allen Mitteln zu verhindern strebten.
VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird jetzt eine Pause machen.