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DR. HORN: Mit Erlaubnis des Tribunals setze ich mein Schlußwort auf Seite 79 fort.

Für Herrn von Ribbentrop trifft dieser eben erwähnte Gesichtspunkt in besonderem Maße zu. Die militärische Kriegführung gehörte nicht nur nicht zu seinem Ressort, sondern er war, wie die Beweisaufnahme ergeben hat, ausdrücklich auf wiederholten Befehl Hitlers davon ausgeschlossen. Sein Ressort war nur insoweit von Kriegsverbrechen berührt, als sie zu Verhandlungen mit auswärtigen Mächten führten. Darüber hinaus beweist das Beispiel der Verhinderung der Erschießungen von über 10000 alliierten Kriegsgefangenen nach dem furchtbaren Luftangriff auf Dresden durch Herrn von Ribbentrops Initiative bei Hitler, daß er bei Kenntnis bevorstehender Kriegsverbrechen getan hat, was in seiner Macht und seinem Einfluß stand. Diese Erwägungen und das Ergebnis der Beweisaufnahme zeigen, wie ungerechtfertigt es wäre, wenn man sich auf den Standpunkt der Anklage stellen würde, zum Beispiel einen Außenminister mit beschränkter Kompetenz für Kriegs- und Humanitätsverbrechen verantwortlich zu machen, um so mehr, da eindeutig feststeht, daß er von jeder Einwirkung auf die Kriegführung ausgeschlossen war.

Ich beschäftige mich nun mit Erlaubnis des Gerichts mit der Verschwörung, die sich auf die Planung und Vorbereitung von Angriffskriegen und den Bruch von Verträgen beziehen soll. Im Rahmen dieser Verschwörung soll der Angeklagte offensichtlich in seiner Rolle als Außenminister sowie in seinen vorherigen Stellungen innerhalb des diplomatischen Dienstes zur Verantwortung gezogen werden.

Diese Art der Verschwörung beschäftigt sich offenbar mit all den Handlungen und Planungen, die in irgendeinem Zusammenhang zum Krieg, zu seiner Vorbereitung, zum Ausbruch und zum Verlauf stehen. Da die einzelnen Handlungen, die dieser ungeheure Komplexbegriff umfaßt, für sich allein strafrechtlich irrelevant sind und bisher niemals unter dem Gesichtspunkt eines Straftatbestandes »Kriegsausbruch« erfaßt wurden, enthält diese Art der Verschwörung keinen mit den Mitteln irgendeines Strafrechtssystems der Welt bisher erfaßbaren Tatbestand. Mir bleibt daher nur übrig, diesen Komplex unter dem Gesichtspunkt der Ministerstellung von Ribbentrops und deren Beziehungen zum Deutschen Reich zu untersuchen, das die einzelnen Kriege geführt hat.

Herr von Ribbentrop bekleidete seit dem 4. Februar 1938 die Stellung eines Außenministers des Deutschen Reiches. Wie das Ergebnis der Beweisaufnahme gezeigt hat, wurde Herr von Ribbentrop am 4. Februar 1938 zu einer Zeit in dieses Amt berufen, als bereits die tatsächliche Führung der Außenpolitik auf Hitler in seiner doppelten Eigenschaft als Reichskanzler und Staatsoberhaupt übergegangen war. Wie Hitler in seiner Rede vom 19. Juli 1940 in der Krolloper betonte, die ich als Dokument vorgelegt habe, hatte Herr von Ribbentrop damals bereits seit Jahren nach Hitlers politischen Richtlinien die Außenpolitik durchzuführen. Herr von Ribbentrop besaß also nicht die Ministerstellung, die mit diesem Begriff in den modernen Staatsverfassungen verbunden wird. Er besaß sie weder tatsächlich, wie die eben zitierte Rede zeigt, noch besaß er sie rechtlich. Das zeigt die Betrachtung des Staatsrechts des Dritten Reiches.

Nach dem Verfassungsrecht, das sich im Laufe des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts in den modernen Staatswesen entwickelt hatte, gehört das Ressort des Außenministers zur Exekutive. Der Außenminister hat zusammen mit dem Ministerpräsidenten die Außenpolitik verantwortlich zu führen. Diese Verantwortung besteht in einer parlamentarischen Demokratie gegenüber der Volksvertretung, unter einer monarchischen oder präsidialen Verfassung gegenüber dem Staatsoberhaupt. Die Geltendmachung dieser Verantwortlichkeit ist nur von poetischer Bedeutung. Sie hat zur Folge, daß der Minister, der nicht mehr das Vertrauen des Parlaments genießt, beziehungsweise das des Staatsoberhauptes, von seinem Amt zurücktreten muß. Die meisten Verfassungen kennen außerdem die Anklage eines Ministers durch die Volksvertretung wegen Verletzung der Amtspflichten. Selbst wenn die Verurteilung durch einen Verfassungsgerichtshof in der Art eines Strafverfahrens erfolgt, wird der Minister nicht bestraft, sondern nur sein Verhalten als verfehlt festgestellt.

In der deutschen Verfassung der Weimarer Republik waren beide Möglichkeiten vorgesehen, die Minister zur Verantwortung zu ziehen. Die Ministeranklage ist übrigens niemals praktisch geworden.

Im Staatsrecht des Dritten Reiches trat in diesen Fragen eine grundlegende Änderung ein. Das Parlament wurde kurze Zeit nach dem Regierungsantritt Hitlers unter Hinweis auf die bestehenden Schwierigkeiten im Innern zur Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz veranlaßt. Das deutsche Volk und seine Volksvertreter erwarteten damals, daß diese Ermächtigung nur zur Behebung tatsächlich vorhandener Notlagen für eine vorübergehende Zeit benutzt werden würde.

Dieses Gesetz wurde jedoch die Grundlage einer völligen Umgestaltung der Verfassung.

Die parlamentarische Verantwortungsmöglichkeit fiel weg. Sie verlagerte sich in die Verantwortlichkeit gegenüber dem Führer und Reichskanzler, in dessen Person die vom Parlament preisgegebenen Befugnisse nun ruhten. Es gab nunmehr nur noch eine Verantwortlichkeit: die gegenüber dem Staatsoberhaupt. Über diese parlamentarische Ermächtigung hinaus konzentrierten sich in fortschreitendem Maße sämtliche aus der Staatsgewalt abgeleiteten Funktionen in der Person Hitlers. Die überkommene Gewaltenteilung, das Ergebnis eines über hundertjährigen Verfassungskampfes, wurde durch die Vereinigung aller Machtmittel ausgehöhlt und dadurch obsolet. Die Gewalten wurden konzentriert in der Hand des Führers, der sie seinerseits durch seine Beauftragten getrennt wahrnehmen ließ. Die Staatsrechtslehre des Dritten Reiches bezeichnete dies als Wandlung von der realen zur funktionellen Gewaltenteilung.

Der einzelne Minister handelte im Zuge dieser Umformung nicht mehr aus eigener Verantwortlichkeit, sondern nur kraft erteilten Auftrages des Staatsoberhauptes. Was für den einzelnen galt, galt auch für das ehemalige Reichskabinett. Es hatte keinen Einfluß mehr auf die Staatsführung, sondern war ein Sammelbegriff für einzelne technisch getrennte Verwaltungen. Da die politischen Aufgaben wegfielen, die der Gesamtheit der Minister – also dem Kabinett – normalerweise eigen sind, erledigten sich die Aufgaben des Ministerrates durch das Gewicht der Tatsachen von selbst. Er trat daher, wie die Beweisaufnahme ergeben hat, zur Zeit von Ribbentrops niemals zusammen. Sogar die Bezeichnung »Minister« bedeutete nicht mehr Vorsteher eines Reichsressorts, sondern wurde ein Titel, der einen Rang zum Ausdruck brachte.

Infolge dieser Umgestaltung hatte der Außenminister auch nicht mehr das Recht, die Grundzüge der Außenpolitik zu bestimmen. Die Beweisaufnahme hat diese Tatsache in der Form von Reden und Äußerungen Hitlers gezeigt, in denen er zum Beispiel nach der Besetzung des Rheinlandes und dem Anschluß Österreichs äußerte, daß er diese, wie er es nannte, »großen Entscheidungen« gegen den Willen seiner Ratgeber aus eigenem Entschluß herbeigeführt habe unter Berufung auf seine Verantwortung vor dem deutschen Volk und der Geschichte. Das heißt, staatsrechtlich gesehen, daß kein Minister die Möglichkeit hatte, die Entscheidungen zu verhindern. Er hatte staatsrechtlich auch nicht die Befugnis, die Rechtmäßigkeit der Entscheidung des Führers nachzuprüfen. Denn die soeben geschilderte Vereinigung aller Funktionen der Staatsgewalt in Hitlers Person hatte zur Folge, daß er sowohl die Befugnis zur Gesetzgebung als auch zur Leitung der Exekutive besaß. Irgendeine Form des Gesetzgebungsaktes war im Dritten Reich nicht mehr vorgesehen. Es gab auch keinen Maßstab, aus dem man aus dem Inhalt der Entscheidung des Führers hätte schließen können, ob er in seiner Eigenschaft als Gesetzgeber oder als Inhaber der ausführenden Gewalt handelte. Der Begriff des materiellen Gesetzes, der in Deutschland wie in allen kontinentalen Staaten bis zur Machtübernahme feststehend war, verlor völlig seinen Inhalt. Auch Einzelanweisungen erfolgten in Gesetzesform.

In den Verfassungen aller Staaten ist es den mit der Anwendung von Gesetzen beauftragten Behörden untersagt, deren Inhalt nachzuprüfen. Das gilt sogar für die Rechtspflege, wieviel mehr für die Verwaltungsdienststellen. Die Anwendung eines auf dem ordnungsmäßigen, von der Verfassung vorgesehenen Weg zustande gekommenen Gesetzes darf von keiner Stelle im Staat abgelehnt werden. Die Nachprüfung selbst der Gerichte beschränkt sich auf die Feststellung, ob der verfassungsmäßig vorgeschriebene Weg eingehalten worden ist. Dies ist auch in Großbritannien und den Vereinigten Staaten der Fall, in denen allenfalls Verordnungen der ausführenden Gewalt einer inhaltlichen Nachprüfung unterliegen, nicht aber vom Parlament beschlossene Gesetze.

Im Staatsrecht des Dritten Reiches war nur eine Stelle für sämtliche Äußerungen des Staatswillens zuständig: der Führer. In welcher Eigenschaft er handelte, war infolge der Auflösung der staatsrechtlichen Begriffe häufig nicht erkennbar. Die Staatsrechtslehre des Dritten Reiches sank daher zu einer Theologie der Führeroffenbarung herab. Die alten Unterscheidungen verschwanden völlig aus dem ministeriellen Denken. Die einzige Frage, die im Staatsrecht des Dritten Reiches auftauchen konnte, war die, ob der Wille des Führers in so konkreter Form ausgesprochen war, daß er den Staatswillen enthielt.

Dieser Verfassungspraxis lag auch in einem nicht zu verkennenden Grade die Übertragung pseudomilitärischen Denkens auf den politischen Sektor zugrunde. Die Begriffe Gehorsam und Disziplin wurden auf ein Gebiet übertragen, auf dem sie keine Daseinsberechtigung hatten.

Im Zuge der Ausschaltung der herkömmlichen Gewaltenteilung muß noch auf eine Tatsache hingewiesen werden, die ebenso charakteristisch für diese despotia sui generis ist, wie sie gegen das Vorhandensein einer Konspiration oder eines gemeinsamen Planes spricht.

Die Beweisaufnahme zeigt keinerlei Beratungs- oder Kontrollorgane des Staatsoberhauptes. Weder das Kabinett noch der Reichsverteidigungsrat, noch sonst ein beratendes Gremium hat irgendeinen Einfluß auf Hitlers Entscheidungen gehabt. Die Schlüsseldokumente und die Zeugenaussagen zeigen nur Monologe Hitlers vor einem wachsenden Personenkreis. Alles, was den Anschein einer Beratung hat, ist in Wahrheit Befehlsempfang. Auf Grund der Beweisaufnahme steht fest, daß Beeinflussungsversuche bei Hitler höchstens zu nicht vorausberechenbaren Reaktionen führten.

Herr von Ribbentrop und mancher der anderen Angeklagten besaßen ohne Zweifel bedeutende Macht in ihrer eigenen, Hitler nicht interessierenden Sphäre. Eine Teilnahme an den großen Entscheidungen über Krieg und Frieden, Waffenstillstand, Friedensangebote und so weiter war ihnen völlig versagt.

In der Stellung des Außenministers, wie Herr von Ribbentrop sie bekleidete, konnte kein selbständiger Kopf gebraucht werden. Herr von Ribbentrop hat dies, wie der Staatssekretär Steengracht hier bekundet hat, auch empfunden. Er hat sich dahingehend geäußert, daß Hitler höchstens einen außenpolitischen Sekretär, aber keinen Außenminister gebrauchen könne.

Diese Entwicklung der Verfassungs- und Regierungspraxis ist mit dem Gedanken an eine gemeinsame Planung oder Verschwörung kaum in Einklang zu bringen. Die Verschwörung verlangt, wie wir gesehen haben, eine Einigung beziehungsweise Übereinstimmung der Ziele, bei der die Teilnehmer ihren Willen frei bilden. Die politische Praxis des Dritten Reiches kannte nur die Akklamation.

Ich habe meine bisherigen Untersuchungen unter Zugrundelegung des in Artikel 6 normierten materiellen Strafrechts vorgenommen. Ich möchte aber mein Plädoyer nicht abschließen, ohne die Aufmerksamkeit des Gerichts auf das Verhältnis der Politik zum Recht zu lenken.

Der Wesensgehalt des Politischen ist und bleibt im Leben souveräner Staaten die Interessenwahrung für das eigene Volk. Um diese Auffassung des Politischen nicht zur Skrupellosigkeit werden zu lassen, hat das Leben der Völker untereinander den Begriff des Interessenausgleichs und als deren Vertretung die Diplomatie geschaffen. Diese ist es gewesen, die die Grundsätze über den Verkehr unter den Staaten und somit das Völkerrecht wesentlich mitbestimmt hat. Das Nebeneinander vieler Staaten, die einander gleichberechtigt gegenübertraten, bedingt die Unvollkommenheit der internationalen Rechtsordnung. Ihre Achillesferse war das Fehlen einer übergeordneten Gewalt, die in der Lage gewesen wäre, die Wertung der Rechtsordnung in der gleichen Weise durchzusetzen, wie es die Staatsgewalt innerhalb ihres Herrschaftsbereiches tun kann. Infolgedessen ist von jeher dem freien Spiel der Kräfte in der zwischenstaatlichen Sphäre ein ungleich größerer Spielraum zugemessen worden. Die Staatsmänner sind verpflichtet, die Interessen ihrer Völker wahrzunehmen. Haben sie Mißerfolge mit ihrer Politik, so tragen die Staaten, für die sie handeln, die Folgen. Sie selbst werden vom Urteil der Geschichte gerichtet. Rechtlich waren sie jedoch für eine Handlung, die dem Staat nach außen als Völkerrechtsdelikt zugerechnet wurde, selbst nur innerstaatlich verantwortlich. Der fremde Staat, den die betreffende Tat benachteiligt hatte, konnte grundsätzlich nicht auf die handelnde Einzelperson Zugriff nehmen. Die Scheidewand, die das Völkerrecht in Achtung der staatlichen Souveränität zwischen der handelnden Einzelperson und fremden Mächten errichtet hat, wurde nur in dem Ausnahmefall der Kriegsverbrechen, von denen ich gesprochen habe, beseitigt.

Dies jedenfalls war zu Beginn des zweiten Weltkrieges die trotz aller gegenteiliger Versuche nicht erschütterte Auffassung des Völkerrechts.

Der Herr französische Hauptanklagevertreter begründet den Zugriff gegen die führenden Männer des vergangenen Regimes damit, daß eine Deutsche Regierung nicht mehr vorhanden sei, die diese Jurisdiktion ausüben könne.

Bei aller Hochachtung für diese geschliffene Beweisführung kann dem kritischen Betrachter nicht verborgen bleiben, daß diese scharfe Logik Fehlschlüssen erlegen ist.

Mit der vollständigen Besiegung der Deutschen Wehrmacht und der Besetzung des gesamten deutschen Staatsgebietes durch die Alliierten war jeder organisierte Widerstand unter Leitung der Staatsführung beendet. Die vier Hauptsiegermächte, die auch diesen Gerichtshof bilden, erwarben mit der tatsächlichen Gewalt einen völkerrechtlichen Rechtstitel zur Bestimmung über das Schicksal des deutschen Staatsgebietes. Sie hätten Deutschland aufteilen können. Sie wählten einen anderen Weg. In der Berliner Deklaration vom 5. Juni 1945 übernahmen sie die »höchste Gewalt in Deutschland einschließlich aller Befugnisse der Deutschen Regierung, des Oberkommandos der Wehrmacht und aller staatlichen, gemeindlichen und örtlichen Regierungen oder Behörden«. Damit erschöpfte sich die Bestimmung. Die Deklaration betont ausdrücklich, daß der Übergang dieser Befugnisse nicht die Annektion Deutschlands bedeute.

Die Ausübung der in Anspruch genommenen Rechte wurde dem Kontrollrat übertragen, der sich aus den Befehlshabern der vier Besatzungszonen zusammensetzt.

Seit der Berliner Erklärung befindet sich Deutschland in dem Übergangszustand, der gegenwärtig noch andauert. Die vier Mächte haben unter sich weitere Abmachungen auf der Potsdamer Konferenz im Juli 1945 getroffen, über die wir durch das Kommuniqué vom 2. August 1945 unterrichtet sind. Das in Potsdam abgeschlossene »Abkommen zur Errichtung eines Rates der Außenminister« überträgt diesem Ausschuß die Vorbereitung einer Friedensregelung, die von der Regierung Deutschlands angenommen werden soll, »wenn eine für diesen Zweck geeignete Regierung eingerichtet worden ist«. In einem zweiten Abkommen werden Bestimmungen über Deutschland während der alliierten Kontrolle getroffen.

Aus diesen Formulierungen ist ersichtlich, daß Deutschland als Staatskörper erhalten bleiben soll, daß es einer alliierten Kontrolle unterworfen wird und daß die Errichtung einer deutschen Regierung in Aussicht genommen ist. Diese Regierung soll die Friedensbedingungen demnächst annehmen. Es muß sich also um eine Regierung handeln, die imstande ist, Verbindlichkeiten für einen völkerrechtsfähigen Partner gegenüber fremden Mächten einzugehen.

Die Sieger haben ihr Wahlrecht, das ihnen die Eroberung gab, also dahingehend ausgeübt, daß sie den Deutschen Staat nicht vernichten wollen. Während der Übergangszeit üben sie selbst die Funktionen der zur Zeit nicht bestehenden Deutschen Regierung aus. Wir sind daher berechtigt, die Potsdamer Erklärung als Anhaltspunkt für die juristische Beurteilung der Lage Deutschlands zu verwenden.

Der Deutsche Staat ist also nicht untergegangen. Es wäre mithin juristisch falsch und würde außerdem uns den Vorwurf mangelnden geschichtlichen Verständnisses eintragen, wenn man den Staat, dessen Leitung durch eine eigene Regierung in Aussicht gestellt ist, als etwas Neues ansehen würde. Deutschland wird mit Verbindlichkeiten belastet, die aus seiner Vergangenheit entstanden sind. Dies ist nur möglich, wenn man den Staat, in dessen Verhalten die Verbindlichkeit begründet wurde, und denjenigen, der dafür mal einstehen muß, als dieselbe Rechtspersönlichkeit ansieht.

Der Deutsche Staat ist zwar im Augenblick nicht durch eigene Organe völkerrechtlich handlungsfähig, aber nicht aus der Sphäre der internationalen Rechtsordnung verschwunden.

Da die Prämisse des Herrn de Menthon somit hinfällig ist, kann man seine Schlußfolgerungen nicht akzeptieren. Die Jurisdiktion der Siegermächte über deutsche Staatsangehörige wegen ihrer mit der Politik zusammenhängenden Handlungen kann also nicht auf dem Boden des bisherigen Völkerrechts begründet werden. Das Statut verläßt deshalb die zwischenstaatliche Rechtsordnung. Außerdem setzt es sich in Widerspruch zu fundamentalen strafrechtlichen Grundsätzen. Wenn der Herr französische Anklagevertreter der Auffassung ist, daß der Gerichtshof die Strafgewalt des seiner Auffassung nach zur Zeit nicht vorhandenen Deutschen Staates wahrnehme, so muß er folgerichtig den Satz »nullum crimen sine lege« auf das in Deutschland herrschende Strafrecht beziehen. Eine Tat könnte also nur dann mit Strafe belegt werden, wenn sie nach deutschem Recht zur Zeit ihrer Begehung bereits strafbar war. Das trifft sowohl für die persönliche strafrechtliche Verantwortlichkeit, für den Bruch völkerrechtlicher Verträge und Zusicherungen, wie für die Teilnahmeform der Verschwörung und des gemeinsamen Planes nicht zu.

Der Kontrollrat für Deutschland hat in seiner Proklamation Nummer 3 in dieser richtigen Erkenntnis die Wiedereinführung zweier rechtsstaatlicher Grundsätze im deutschen Strafrechtssystem verfügt, von denen das Hitler-Regime abgewichen war: Die Verbote der Rückwirkung und der Analogie.

Die politischen Strafbegriffe des Statuts normieren neue Rechtssätze, die als Keim einer Weltrechtsordnung aufgefaßt werden müssen. Zu der Zeit, als sich die inkriminierten Vorgänge abspielten, fehlte Herrn von Ribbentrop das Bewußtsein, daß es eine derartige Weltrechtsordnung gäbe.

Man wird von dem Erfordernis der vorherigen Normierung der Straftat nur in den wenigen Fällen absehen dürfen, in denen die Unmenschlichkeit der Handlung so evident ist, daß ihre Strafwürdigkeit keinem Zweifel unterliegen kann. Das könnte für Taten zutreffen, die nur infolge der anormalen Amoralität gewisser Maßnahmen des Hitler-Regimes in den letzten Jahren in Deutschland nicht bestraft wurden.

Ich habe das Beweisergebnis bisher unter dem Gesichtspunkt des geltenden Völkerrechts und des Statuts vorgenommen, die Sie, Herr Präsident, nochmals in der Sitzung vom 20. Juni 1946 als die Grundlagen für die Rechtsfindung in diesem Verfahren betont haben. Die bisherige Völkerrechtsordnung hat die Probleme, die hier zur Entscheidung stehen, nicht lösen können. Auf Grund dieser Unzulänglichkeit ist der zweite Weltkrieg entstanden.

Die Katastrophe, die diese Rechtsordnung nicht verhindern konnte, ist in ihren Auswirkungen heute noch nicht zu übersehen. Ihre Wiederholung in Zukunft zu verhindern, ist das große Menschheitsziel, das dem Londoner Abkommen vom 8. August 1945 zugrunde liegt. Daß es noch nicht erreicht werden konnte, zeigt mit erschreckender Deutlichkeit die Tatsache, daß an dem Tag, an dem das Statut dieses Gerichtshofs der Welt als neues Recht proklamiert wurde, der Krieg zwischen der Sowjetunion und Japan ausbrach. Seine Herbeiführung hatte die Sowjetunion bereits ein halbes Jahr vorher ihren Alliierten zugesagt. Als Begründung führte man unter anderem an, daß Rußland mit diesem Land eine alte Rechnung zu begleichen habe. Es handelt sich also dabei um einen typischen Fall eines unprovozierten Angriffs.

Ich habe dargetan, daß der Angriff und der Angreifer einer allgemeinen, jeden Vorgang der Wirklichkeit erfassenden Definition nicht zugänglich ist. Der Angreifer kann nur von einer Weltinstanz gebrandmarkt werden. Dieses oberste Organ der Menschheit muß nicht nur eine tatsächliche, sondern auch moralische Autorität besitzen. In ihr unparteiisches Urteil muß allgemeines Vertrauen gesetzt werden. Es muß ein über den streitenden Parteien stehender Areopag sein, vor dem die streitenden Parteien nur als Rechtsuchende erscheinen, aber nicht in seiner Mitte als Richter sitzen dürfen.

Wir stehen in der Übergangszeit vom alten Recht, unter dessen Herrschaft die Trümmer entstanden sind, die uns umgeben, zu einem neuen Weltrecht, das sich abzeichnet, aber noch nicht effektiv und moralisch gefestigt ist. Es ist eine schwierige und fast über Menschenkraft hinausgehende Aufgabe, in dieser Periode des Vergehens und Werdens die Taten, die der frühere Reichsaußenminister von Ribbentrop begangen hat, seinen Anteil an dem Geschehen, die Grenzen seiner Unzulänglichkeit und seine persönliche Schuld abzuwägen und strafrechtlich zu würdigen.

VORSITZENDER: Ich rufe Dr. Nelte, den Verteidiger für den Angeklagten Keitel.

DR. NELTE:

»Wir müssen an unsere Aufgabe mit soviel innerer Überlegung und geistiger Unbestechlichkeit herantreten, daß dieser Prozeß einmal in der Nachwelt als die Erfüllung menschlichen Sehnens nach Gerechtigkeit erscheinen möge.«

Diese Worte Justice Jacksons in seiner grundlegenden Anklagerede müssen das Leitmotiv sein, für alle, denen die hohe Aufgabe zugefallen ist, zur Erforschung der Wahrheit in diesem Prozeß beizutragen. Daß diese Wahrheit nicht absolut sein kann, haben schon die Vertreter der Anklagebehörde, Justice Jackson und Herr Dubost, ausgesprochen.

Die Anklage bezweckt nicht die Ermittlung des geschichtlichen, geschweige denn des entwicklungsgeschichtlichen Weltbildes dieser kurzen, aber so tragisch bedeutsamen Epoche, sondern die Feststellung, ob und welchen Anteil die auf dieser Anklagebank sitzenden Angeklagten an dem Geschehen haben, das in seinen Auswirkungen die ganze Welt berührt und so unsagbares Unheil gebracht hat, nicht zuletzt über das deutsche Volk.

Die Anklagebehörde hat in diesem Verfahren durch ihren berufenen Vertreter einmal ausgesprochen, daß es ihre Aufgabe sei, Material zur Belastung der Angeklagten, und zwar nur das Belastungsmaterial vorzutragen. Sie hat damit, im Gegensatz zu dem das deutsche Strafverfahren beherrschenden Grundsatz der objektiven Anklage, ihren rein einseitigen Anklagestandpunkt klargemacht, der es der Verteidigung zur Pflicht mache, alle die Umstände...

VORSITZENDER: Ich habe diese unrichtige Ansicht, die Sie eben zum Gegenstand Ihrer Rede gemacht haben, bereits im Zusammenhang mit der Rede eines anderen Verteidigers richtiggestellt. Es ist nicht die Gepflogenheit der Anklagebehörde, alles zugunsten des Angeklagten sprechende Beweismaterial zu verheimlichen.

DR. NELTE: Ich befürchte, ich höre nicht.

VORSITZENDER: Ich sagte, ich hätte die irrtümliche Ansicht, die Sie an dieser Stelle Ihrer Rede zum Ausdruck brachten, bereits richtiggestellt. Nämlich, daß es die Gepflogenheit der Anklagevertretung sei, alles zugunsten des Angeklagten sprechende Beweismaterial, von dem sie Kenntnis erhalten hat, zu verheimlichen.

DR. NELTE: Herr Vorsitzender! Mr. Justice Jackson hat an dieser Stelle erklärt: »Wir können nicht zwei Herren dienen«, als er auf die Aussage erwiderte, daß nach dem deutschen Strafrecht die Staatsanwaltschaft auch Entlastungsmaterial vortragen würde. Was ich hier vortrage, geschieht nicht, um irgendeinen Vorwurf gegen die Staatsanwaltschaft zu erheben, im Gegenteil, vom Standpunkt, den sie vertreten hat, hat sie alles getan, was möglich war; aber wir wollten die Berechtigung unseres Standpunktes als Verteidiger klarlegen, warum...

VORSITZENDER: Die Ursache meiner Unterbrechung war der Satz Ihrer Rede: »... hat ihren rein einseitigen Standpunkt klargemacht...« Im zweiten Absatz, im zweiten Satz dieses Absatzes, sagen Sie: »Sie« – das heißt die Anklagevertretung – »hat damit im Gegensatz zu dem das deutsche Strafverfahren beherrschenden Grundsatz der objektiven Anklage, ihren rein einseitigen Anklagestandpunkt klargemacht...«

DR. NELTE: Ich sagte »einseitig«, daß im Gegensatz zu dem das deutsche Strafverfahren beherrschenden Grundsatz der objektiven Anklage sie klargemacht hat, ihren rein einseitigen Anklagestandpunkt, der es der Verteidigung zur Pflicht macht, alle die Umstände und Erwägungen vorzutragen, die für eine objektive Rechtsfindung unerläßlich sind.

VORSITZENDER: Fahren Sie fort. Es mag ein Unterschied in der Übersetzung sein.

DR. NELTE: Hierfür ist es notwendig, zunächst einmal gewisse Begriffe zu klären, die für die Erkenntnis einer Verantwortung und Schuld notwendig sind. Soweit es sich hierbei um völkerrechtliche und staatsrechtliche Begriffe handelt, sind sie von Herrn Professor Dr. Jahrreiss untersucht und vorgetragen worden.

Ich möchte für den Bereich des Soldaten einige grundsätzliche Ausführungen machen: Hier sind wiederholt die Begriffe Soldatentum, Gehorsam, Treue, Pflichterfüllung und Vaterlandsliebe genannt worden. Ich glaube, daß diese Begriffe von allen Menschen als gut anerkannt werden. Aber man wird sagen dürfen, daß diese Begriffe nicht eindeutig sind. So stehen sich gegenüber: »Bestes Soldatentum« und »Militarismus«, »Selbstverständlicher Gehorsam« und »Verachtenswerter Kadavergehorsam«, »Der kategorische Imperativ der Pflichterfüllung« und »Überspitztes Verantwortungsgefühl«, »Tiefe Vaterlandsliebe« und »Chauvinismus«.

Wir sehen, daß alle diese Begriffe die Skala des Guten und Bösen durchlaufen können. Der Ursprung und der Kern dieser Begriffe ist überall derselbe, die Gestaltung durch Tradition und Erziehung und deren Auswirkung ist sehr verschieden.

Wenn das aber der Fall ist, wer soll unterscheiden und entscheiden, ob das Gefühl noch im Bereich des Guten liegt oder die Sphäre des Bösen schon erreicht hat?

Wir leben alle in einer Zeit, deren jahrhundertelanges Streben auf die Schaffung einer Ordnung gerichtet war. Ordnung ist zwar auch ein relativer Begriff, aber überall ist es die Festlegung des Verhältnisses der Menschen zueinander, das unter Berücksichtigung der Eigenart jeden Landes das bestmögliche Zusammenleben gewährleistet.

Das gilt im Staat und gilt im Verhältnis der Völker zueinander.

Wer soll nun in dieser Ordnung bestimmen, was Recht und was Unrecht ist. Der Maßstab hierfür konnte nach der bisherigen Erkenntnis nur ein staatlicher, also nationaler, sein. Die Annäherung der Staaten im Weltverkehr und die allgemeine Zivilisation brachten es mit sich, daß die verschiedenen nationalen Begriffe, trotz mancher Differenzierung, sich anglichen. Es muß zugegeben werden, daß diese Angleichung durch gewisse nationalsozialistische Lehren und deren Methoden einen unheilvollen Rückschlag erlitten hat. Nichtsdestoweniger bleibt der Grundsatz unantastbar, daß der Maßstab für das, was Recht und Unrecht ist, national bedingt sein muß, wenn die Ordnung nicht aufgelöst werden soll. Erstrebenswert kann nur sein, die Nationen und die national-fundamentalen Begriffe einander anzugleichen, wie es jetzt durch die Weltorganisation erstrebt wird.

Wenn nun der nationale Maßstab, das heißt das nationale Werturteil über Gut und Böse, über Recht und Unrecht, bisher jedenfalls feststehend war, so waren die Begriffe niemals ihrer Relativität entkleidet, insbesondere dann, wenn aus anderen Gründen nationale Gegensätze bestanden. Ein überzeugendes Beispiel hierfür ist die Beurteilung der Widerstandsbewegung. Es wird in allen Ländern als höchste Vaterlandsliebe gefeiert, wenn jemand sein Leben für das Vaterland unter der höchsten Gefahr einsetzt. Es steht aber nach der Haager Landkriegsordnung fest, daß eine solche Widerstandsbewegung verboten ist. Wir haben hier ein klares Beispiel für den Widerspruch zwischen ethischer und rechtlicher Wertung. Es beweist dies, daß es keine absoluten Begriffe für Gut und Böse, für Recht und Unrecht gibt, daß es über allem geschriebenen Recht ungeschriebene Gesetze gibt, die den Schuldigen freisprechen, weil er höheren Gesetzen gehorchte. Diese höheren Gesetze sind aber auch subjektiv und national – also kollektiv subjektiv – bedingt. Wenn Menschen etwas für gut oder für richtig halten, so kann dieser Glaube entstehen aus wirklichem höheren Recht, aus einer wirklich höheren Idee; er kann aber auch erwachsen aus einem irregeleiteten Glauben, aus einer falschen Idee. Wer will oder wer kann darüber urteilen, ob ein Glaube oder eine Idee richtig war oder nicht? Die Geschichte lehrt, daß meist die erfolgreiche Idee als richtig anerkannt wird, gewissermaßen weil es das Gottesgericht ist. Ob das immer wahr ist, will ich nicht entscheiden. Worauf es aber hier ankommt ist, ob die Menschen, über deren Schuld geurteilt werden soll, reinen Herzens gehandelt haben, aus einer solchen Idee, aus einem solchen Glauben. Wenn das Gottesgericht diesen Glauben als falsch bezeichnet hat, dann bleibt die Frage offen, ob die Menschen aus verständlichen oder erklärlichen Gründen glauben durften, daß diese Idee gut war.

Diese Frage ist das Problem, das nicht nur für den Angeklagten Keitel gilt, sondern für das ganze deutsche Volk. Nach dem Vortrag der Französischen Anklagebehörde sind nicht nur die Angeklagten in diesem Prozeß die wirklich Schuldigen, sondern das ganze deutsche Volk. Die Tragweite dieser These ist ungeheuer. Wenn das Gericht – sei es auch nur in seinen Entscheidungsgründen – zu dem Ergebnis kommen sollte, daß das ganze deutsche Volk schuldig ist, dann würde jeder Deutsche für unabsehbare Zeit mit einem Makel behaftet sein, mit dem Kainszeichen, das schließlich zur Vernichtung dieses Volkes und zu seiner Auflösung führen müßte.

Von berufenster Seite ist hier ausgesprochen worden, daß nicht die Absicht besteht, das ganze deutsche Volk zu beschuldigen. Wir sind durch die bedingungslose Kapitulation den Siegermächten auf Gnade und Ungnade ausgeliefert. Es ist aber gesagt, daß das Urteil dieses Gerichts gerecht sein soll. Hier an dieser Stelle soll nicht Gnade und Ungnade das Leitmotiv sein, sondern Gerechtigkeit. Gerechtigkeit bedeutet nicht Milde. Gerecht wird ein Urteil aber nur dann sein, wenn es alle Umstände berücksichtigt, die die Handlungsweise und das Verhalten des Angeklagten analysieren. Für das, was geschehen ist und was den Gegenstand dieser Anklage bildet, gibt es keine Entschuldigung. Ich kann nur versuchen, eine Analyse zu geben. Das Leid, das Unglück, das über die ganze Menschheit gekommen ist, ist so groß, daß Worte es nicht auszudrücken vermögen. Gerade das deutsche Volk hat, nachdem es erfahren hat, welche Katastrophe die Völker im Westen und Osten und die Juden betroffen hat, ein von Grauen geschütteltes Mitleid mit den Opfern. Das deutsche Volk weiß, was dieses Unglück bedeutet; denn es ist wie kaum ein anderes Volk geschlagen, nicht nur militärisch, sondern durch die unheimlichen Folgen der Fliegerangriffe, durch die Millionenverluste seiner Jugend im Felde, durch die Evakuierungen, die Fluchten bei Schnee und Eis. Wir wissen also, was es heißt, im Unglück zu sein und leiden zu müssen. Aber während die anderen Völker all dieses Leiden und all dieses Unglück als ein Kapitel in der Vergangenheit betrachten können und im Schutze staatlicher Ordnung die beglückende Hoffnung haben, wieder zu einem geordneten Dasein und zu einer glücklichen Zukunft zurückzukehren, lastet auf diesem Volke zunächst noch das Dunkel der Hoffnungslosigkeit. Das Urteil dieses Gerichts würde, wenn es die Schuld des ganzen deutschen Volkes bestätigte, die Hoffnungslosigkeit verewigen. Das deutsche Volk erwartet keinen Freispruch. Es erwartet nicht, daß man über alles, was geschehen ist, den Mantel christlicher Nächstenliebe und des Vergessens ausbreitet. Das deutsche Volk ist bis zum letzten bereit, die Folgen auf sich zu nehmen. Es will es als sein Schicksal hinnehmen und alles tun, um an der Beseitigung der Folgen mitzuwirken. Es hofft aber auch, daß die Seelen und Herzen der übrigen Menschen nicht so verhärtet sind, daß die bestehende Spannung, ja der bestehende Haß zwischen diesem Volk und der übrigen Menschheit bestehen bleibt.

Ihre Aufgabe, meine Herren Richter, ist ungeheuer schwer. Wir sprechen nicht nur verschiedene Sprachen, wir fühlen alle mit der Seele unserer Heimat. Vieles von dem, was in diesem Lande geschehen ist, wird Ihnen unverständlich erscheinen. Die Gefühle des deutschen Volkes in seinen verschiedenen Kategorien sind nicht Ihre Gefühle. Einer der wesentlichsten Punkte, besonders in den Fällen der Soldaten, erscheint mir die Beurteilung dessen, was als Freiheit empfunden wird. Auch in diesem Lande wurde das Ideal der Freiheit proklamiert. Wir wissen alle, daß der extremste Begriff der Freiheit die Anarchie ist. Kein Staat wünscht die Anarchie, weil es seine Selbstaufgabe bedeutet. Wenn somit alle Staaten darüber einig sind, daß der absolute Begriff der Freiheit niemals erstrebenswert ist und gebilligt werden kann, ergibt sich zwangsläufig die Relativität des Freiheitsbegriffes. Mit keinem Begriff ist soviel Mißbrauch getrieben worden als mit dem Begriff der Freiheit, und doch verkündet jedes politische System, daß die Freiheit das höchste aller Güter sei.

Ich will damit keineswegs sagen, daß der Begriff der Freiheit, wie ihn der Nationalsozialismus proklamiert hat, die richtige Lösung war. Was ich sagen will, ist nur, daß auch der Nationalsozialismus den Begriff der Freiheit kannte und dem Volke durch Propaganda klarmachte, daß sein Begriff der Freiheit der richtige sei. Es kam ihm hierbei zu Hilfe, daß Deutschland tatsächlich unter den Auswirkungen des Versailler Vertrags keinen Anspruch darauf erheben konnte, wirklich frei zu sein. Die Beschränkungen seiner Souveränität waren so stark und sichtbar, daß der Nationalsozialismus leichtes Spiel hatte, wenn er den Kampf um die Freiheit des Vaterlandes proklamierte. Solange in der Welt das Vaterland als das höchste irdische Gut anerkannt ist, solange wird man die Bestrebungen, sich dieses Gut zu erhalten, verstehen müssen und wird sie auch von der Seite eines Gegners nicht mißbilligen können. Man wird über die Methode verschiedener Ansichten sein, wie diese Bestrebungen zu verwirklichen sind und wie die Freiheit zu erreichen ist. Darüber entscheidet aber nicht der einzelne, sondern derjenige oder diejenigen, die die Macht im Staate haben.

Jeder Mensch will einen Halt im Leben haben, er muß ihn haben, will er nicht in Anarchie versinken. Die staatliche Ordnung ist – neben der sittlichen Ordnung – der feste Halt und die Grundlage seines Daseins, die ihm das Gefühl der Sicherheit der Lebensführung und seiner Berufsausübung gewährleistet. Es ist die tiefe Sehnsucht aller zivilisierten Menschen nach Ordnung, die ihre höchste Erfüllung in den Institutionen des Staates findet. Der Staatsbürger muß demgegenüber zum Staat das Vertrauen haben, daß er, das heißt seine Organe, die Ordnung und das Recht wahren. Hierbei darf es nicht darauf ankommen, welche Partei die Hüter der unantastbaren Grundsätze stellt. Gerade darin äußert sich das Vertrauen der Volksgesamtheit, daß sie der jeweiligen Mehrheit die Führung überläßt. Der Nationalsozialismus hat zweifellos bezweckt und erreicht, in weiten Kreisen des deutschen Volkes den Glauben zu erwecken, daß seine Bestrebungen von der Mehrheit des Volkes getragen seien. Er hat sich damit das Alibi der Legalität verschafft.

Die Wehrmachtführung, fern aller politischen Erwägungen, hat, wie hier alle Generale und Admirale bekundet haben, an die Rechtsmäßigkeit der Regierung Hitlers geglaubt. Sie hat sich als das Instrument der legalen Regierung betrachtet, wie sie es getan hat, als der Kaiser, Ebert und von Hindenburg die Repräsentanten Deutschlands waren.

Wie alle Veranlagungen, alle Ausdrucksformen des Gefühls, trägt das Gefühl der Vaterlandsliebe und der soldatischen Einstellung in sich die Tendenz der Verschärfung und damit der Entartung, wenn äußere Umstände hierfür eine aktuelle Voraussetzung schaffen. Wir haben die Übersteigerungen des gesunden vaterländischen Gedankens zum nationalen Chauvinismus erlebt, wir können rückschauend feststellen, wie der gesunde soldatische Gedanke sich durch artfremde Einflüsse zur militärischen Ausdrucksform steigerte.

Alle diese Entwicklungen sind nicht sprunghaft, wodurch sie leicht erkennbar und regulierbar würden. Die Triebkräfte treten meist für die, die es angeht, nicht in Erscheinung. Sie sind wie ein Gift, das langsam und unmerklich wirkt und dessen Wirkung eines Tages erschreckend zum Ausbruch kommt. Es bedarf keiner besonderen Begründung, daß ein Teil des soldatischen und militärischen Menschen, der auf den möglichen Krieg eingestellt wird, Härte ist und in seiner Steigerung zur Brutalität wird. Man findet bei berühmten, nicht nur deutschen Feldherrn den Standpunkt, daß der brutale Krieg häufig der mildeste ist, wenn er zu einem schnellen Ende führt. Das will natürlich jeder Feldherr. Es bleibt, wenn der Krieg die friedensmäßigen Hemmungen beseitigt hat, die Brutalität. Es enthüllt sich die Ursache des totalen Krieges und die Quelle des furchtbaren Unheils, das daraus entstand.

Die Aufgabe der Verteidigung in diesem Prozeß ist schwer. Das deutsche Volk blickt nach Nürnberg – zwiespältig in sich. Die einen stehen unserer Aufgabe skeptisch und teilweise feindlich gegenüber, weil sie eine Verteidigung der Angeklagten für eine Begünstigung der von ihnen als Kriegsverbrecher angesehenen Menschen halten und glauben, daß die Verteidiger diese Angeklagten einer gerechten Strafe entziehen wollen. Die anderen bezeichnen diesen Prozeß als Schauprozeß, an dem die Verteidiger als Statisten mitwirken, um diesem Prozeß den Anschein eines gerechten Verfahrens zu geben. Danach würden wir uns in den Augen dieser Deutschen der Feindbegünstigung schuldig machen.

Wir haben keinen Anlaß, uns zu rechtfertigen, denn wir erfüllen, dem Gebot unseres Standes getreu, durch unsere Teilnahme an diesem Prozeß eine Aufgabe, deren Bedeutung keiner Rechtfertigung bedarf. Sie besteht in der Mitwirkung an der für unser Volk in ihrer Tragweite und in ihrer Auswirkung heute noch gar nicht zu übersehenden Klarstellung der Wahrheit, an der Ergründung der Ursachen und in der Beantwortung der Frage, wie es dahin kommen konnte.

Nur die klare Erkenntnis der Ursachen, der Kräfte und der Menschen, die zu dem Unheil führten, das über die Welt gekommen ist, schafft für die Zukunft unseres Volkes die Möglichkeit, den Weg zu der übrigen Welt wiederzufinden.

Die Aufgabe dieses Tribunals besteht nicht darin, die politischen, wirtschaftlichen und metaphysischen Ursachen dieses zweiten Weltkrieges zu ergründen, auch nicht den Gesamtablauf der Ereignisse zu untersuchen, vielmehr lediglich darin, zu entscheiden, ob und welchen Anteil diese Angeklagten an dem haben, was die Siegermächte zum Gegenstand dieses Verfahrens gemacht haben.

Die Aufgabe der Verteidigung besteht im Rahmen ihrer Mitwirkung an der Wahrheitsfindung darin, zu prüfen, ob und welche tatsächlichen oder rechtlichen Gesichtspunkte zugunsten des vertretenen Angeklagten vorgetragen werden können. Hierzu muß gesagt werden, daß bei allem Entgegenkommen, das der Verteidigung in Bezug auf die Beweisführung entgegengebracht ist, die tatsächliche Möglichkeit, Entlastungsmaterial für den Angeklagten zu produzieren, beschränkt war. Justice Jackson hat in seiner grundlegenden Anklagerede ausgesprochen...

VORSITZENDER: Sie scheinen auf weitere Angriffe gegen die Art und Weise der Prozeßführung zurückzukommen. Das ist nicht Ihre Aufgabe hier. Sie sind jetzt dazu hier, den Fall des Angeklagten Keitel zu plädieren.

Außerdem muß ich feststellen, daß Sie sich noch immer darüber beschweren, es seien verschiedene Dokumente Ihnen nicht vorgelegt worden, und auf eine Erörterung dieser Angelegenheit hinweisen, die vor langer Zeit, nämlich im Februar 1946, stattgefunden hat. Damals gab ich im Namen des Gerichtshofs unsere Stellungnahme bekannt, daß es für die Französische Anklagevertretung zulässig sei, Ihnen ihre Dokumente zu zeigen oder Ihnen Gelegenheit zu geben, diese Dokumente einzusehen. Von damals bis heute, das ist vom Februar bis zum Juli, übermittelten Sie dem Gerichtshof weder eine Mitteilung noch eine Beschwerde, daß dies nicht geschehen sei; und jetzt, in Ihrem Plädoyer bringen Sie die Beschwerde vor, man hätte Ihnen nicht erlaubt, die Dokumente einzusehen, obwohl ich im Februar im Namen des Gerichtshofs der Meinung Ausdruck gab, daß Sie solche Dokumente einsehen dürften.

Es scheint mir lediglich Zeitverschwendung zu bedeuten, diese Beschwerden nach so vielen Monaten vorzubringen, abgesehen von der Tatsache, daß Sie bereits geraume Zeit mit dem Lesen von elf Seiten Ihrer Rede in Anspruch genommen haben, ohne etwas zu sagen, was wirklich für den Angeklagten Keitel von Bedeutung wäre.

DR. NELTE: Herr Präsident! Ich glaube, daß Sie damals, im Februar, der Anklagebehörde gesagt haben, laut Protokoll, sie möge mir diese Urkunden zur Verfügung stellen. Die Anklagebehörde hat mir leider diese Urkunden nicht zur Verfügung gestellt.

VORSITZENDER: Warum haben Sie sich dann nicht an den Gerichtshof gewandt? Sie wußten ganz genau, daß ich im Namen des Gerichtshofs meine Meinung zum Ausdruck gebracht hatte. Wenn ein Grund zur Beschwerde vorhanden war, so stand Ihnen doch von Februar bis heute der Weg zum Gerichtshof völlig frei. Es scheint mir eine leichtfertige Beschwerde zu sein, wenn sie erst jetzt vorgebracht wird.

DR. NELTE: Ich hoffe, Herr Präsident, daß das Tribunal gleichwohl die Tatsachen, die ich in meinem Manuskript Ihnen vorlege, berücksichtigt. Sie werden finden, daß ich auf die Angelegenheit später auch zurückkommen will. Am 1. Februar war eine Sitzung, in welcher die Angelegenheit vor sich ging, und am 11. Februar habe ich mich an die Französische Anklagebehörde gewandt.

VORSITZENDER: Das habe ich ja soeben gesagt, Dr. Nelte. Ich habe es Ihnen bereits auseinandergesetzt.

DR. NELTE: Und die Französische Anklagebehörde gab es mir nicht.

VORSITZENDER: Warum sind Sie dann nicht zum Gerichtshof gekommen, wenn Sie eine Beschwerde vorzubringen hatten? Ich habe gesagt – und ich wiederhole –, daß es leichtfertig ist und einen Versuch, Vorurteile zu schaffen, darstellt, wenn jetzt eine Beschwerde vorgebracht wird, die während all dieser Monate nicht vorgetragen wurde. Ich wäre für eine Aufklärung dankbar.

DR. NELTE: Herr Präsident! Es ist der Versuch, Ihnen darzulegen, daß ich nicht geneigt bin, eine Beschwerde über die Anklagebehörde vorzutragen, wenn ich erkenne, daß die Anklagebehörde mir nicht helfen will. Ich habe nicht die Neigung in meinem Leben gezeigt, mich über höhere Instanzen zu beschweren und tue es auch hierdurch nicht.

VORSITZENDER: Dr. Nelte! Ich halte das für eine sehr ungeeignete und unangebrachte Bemerkung seitens eines verantwortungsbewußten Anwalts. Ich glaube, die Erwähnung einer derartigen Beschwerde ist, wie ich bereits sagte, ein bloßer Versuch Ihrerseits, Vorurteile gegen die Französische Anklagebehörde und gegen die gerechte Führung dieses Prozesses zu schaffen.

DR. NELTE: Nach meiner Auffassung, Herr Präsident, sollte es bloß eine Darlegung sein, wie schwierig es für uns war, Entlastungsmaterial vorzutragen.

VORSITZENDER: Vielleicht versuchen Sie, auf etwas zu kommen, das für den Gerichtshof wirklich Gegenstand einer Beurteilung sein kann.

DR. NELTE: Ich bitte Sie, auf Seite 15 aufzuschlagen, wo ich unter Ziffer 3 über das Dokument spreche.

Das Dokument beherrscht das Beweisverfahren vor diesem Tribunal. Die Zeugen treten demgegenüber in den Hintergrund. Um so größer ist die Bedeutung der Prüfung dieser Dokumente auf ihre Verwertungsmöglichkeit und ihren Beweiswert.

Die Anklagebehörde hat bei ihrer Beweisführung in großem Umfang amtliche Dokumente vorgelegt, die gemäß Artikel 21 des Statuts als Beweis zugelassen sind. Ich hatte die Absicht, an Hand einer Reihe dieser Dokumente den nur bedingten Beweiswert solcher Berichte darzutun. Ich will mich aber auf einige grundsätzliche Ausführungen hierzu beschränken, im Vertrauen, daß Sie, meine Herren Richter, bei der Überprüfung dieser Art Beweismittel meine Darlegungen in Betracht ziehen werden.

Diese zahlreichen vorgelegten amtlichen Berichte enthalten Feststellungen, die sich zu einem großen Teil auf Zeugenaussagen stützen. Diese Zeugenaussagen sind nicht immer in Form von Protokollen, sondern als zusammenfassende Berichte wiedergegeben. Ich will nicht bestreiten, daß diese Zeugenaussagen so gemacht sind, wie sie in den Berichten niedergelegt sind. Ich tue aber keinem dem Gerichtshof unbekannten und mangels eines persönlichen. Eindrucks schwer nachprüfbaren Zeugen unrecht, wenn ich sage, daß es sich hier häufig um sehr subjektive Bekundungen handelt. Es gibt eine Reihe von Urkunden, in denen dies deutlich erkennbar ist, ja ausgesprochen wird, ja, sogar solche, in denen der Haß unverhüllt zum Ausdruck kommt. Ich kann den Haß dieser, dieser schwergetroffenen Menschen, verstehen. Die Leiden, die sie erduldeten, waren so groß, daß man von ihnen Objektivität nicht erwarten kann. Ich darf aber auch wohl sagen, daß solche persönlichen Gefühle die Aussagen dieser Schwergeprüften nicht als eine geeignete Unterlage zur Findung der wirklichen Wahrheit erscheinen lassen. Ich denke an die hier so oft von Zeugen gehörte Eidesformel: »Schwören Sie, daß Sie ohne Haß oder Furcht sprechen...« Diese amtlichen Berichte enthalten aber vielfach nicht nur tatsächliche Feststellungen, sondern Schlußfolgerungen und Urteile. Insoweit kann eine Beweiskraft dieser amtlichen Berichte nicht anerkannt werden. Diese Urteile gehen zum Teil so weit, daß sie über den Rahmen der unmittelbar Beteiligten Vorwürfe gegen Dienststellen, zum Beispiel OKW und Keitel erheben, ohne daß sich aus dem Dokument selbst erkennen läßt, worauf die gezogene Schlußfolgerung beruht. Soweit es sich um die Anklage gegen eine Einzelperson, wie den Angeklagten Keitel handelt, muß von einem Beweisdokument gefordert werden, daß sich aus ihm selbst konkrete Tatsachen für eine Verantwortlichkeit ergeben, mindestens aber, daß ein ursächlicher Zusammenhang erkennbar wird. Es kann vor allen Dingen nicht genügen, um die Verantwortlichkeit Keitels als erwiesen anzusehen, wenn in solchen Berichten Verbrechen von Soldaten und Offizieren des Heeres oder der Wehrmacht behauptet werden, um aus dieser Tatsache allein eine Verantwortung des Angeklagten Keitel abzuleiten, weil er der Chef des Stabes OKW war.

Es kommt hinzu, daß in diesen Berichten militärische Dienststellen häufig irrtümlich bezeichnet und verwechselt worden sind, so, wenn von dem Angeklagten Keitel als »Oberkommandierender der Wehrmacht« gesprochen wird, das »OKW« statt »OKH« genannt ist. Es läßt sich nicht immer entscheiden, inwieweit es sich hier um eine irrtümliche Auffassung der Anklagebehörde oder um eine nicht sinngemäße Übersetzung handelt. Um die Befehlsverhältnisse und Zuständigkeiten für das Tribunal in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise zwecks Nachprüfung der Verantwortlichkeit des Angeklagten Keitel klarzumachen, habe ich dem Gericht zwei Affidavits überreicht:

a) »Die Befehlsverhältnisse im Osten« (Dokumentenbuch II, K-10).

b) »Die Entwicklung der Verhältnisse in Frankreich 1940-1945 und die militärischen Zuständigkeiten« (Dokumentenbuch II, K-13).

Das letztgenannte Affidavit ist auch von dem Mitangeklagten Jodl unterzeichnet.

Auf diese Affidavits nehme ich Bezug und mache sie zum Inhalt meines Vortrags, ohne daraus zu verlesen.

Ich will schließlich die Aufmerksamkeit des Gerichts auf andere Umstände hinweisen, die geeignet sind, den Beweiswert der von der Anklage vorgelegten und von Ihnen angenommenen Dokumente zu beeinträchtigen. So, wenn Urkunden keine Unterschriften tragen, auch nicht feststellbar ist, daß es sich um Abschriften von Schreiben handelt, die tatsächlich herausgegangen sind. Ich verweise als Beispiel auf Dokument 081-PS, das von der Anklagebehörde zur Belastung Keitels in der Frage der Behandlung von Kriegsgefangenen vorgelegt wurde. Es ist inhaltlich ein unerhörtes Dokument- Keitel erinnert sich nicht, diesen Bericht gesehen und von den darin mitgeteilten Einzelheiten Kenntnis erlangt zu haben. Nach dem äußeren Anschein muß man diese Urkunde als den Entwurf eines Berichts ansehen, der nicht herausgegangen ist, denn: a) er trägt weder eine Unterschrift noch ein bei Kopien übliches Initial, b) wenn dieser Brief herausgegangen wäre, müßte er eine offen gelassene Journalnummer haben, c) das Schreiben ist nicht beim Adressat gefunden.

In solchen Fällen kann die Kenntnis des Adressaten, hier des Angeklagten Keitel, und die daraus abgeleitete schuldhafte Unterlassung abändernder Maßnahmen nicht als bewiesen angenommen werden.

Ich lasse den nächsten Absatz aus und komme zu der Anklage gegen den Feldmarschall Keitel. Hier werde ich die Seiten 19 bis 21 verkürzen.

Die Verlesung der allgemeinen Anklage und der speziellen Anklage in dem Trialbrief kann unterbleiben, denn es gibt vielleicht mit Ausnahme der Judenfrage und der Kirchenverfolgung keine Beschuldigungen der Anklagebehörde, die dem Angeklagten Keitel erspart geblieben sind. Ich möchte nur darauf hinweisen, daß die ursprüngliche allgemeine Anklage Keitel nur für die Zeit von 1938 unter Anklage stellte, und zweitens, daß an der Spitze dieser Anklage Keitel als Chef der Obersten Heeresleitung der deutschen Wehrmacht bezeichnet ist. Nach der Beweisführung der Anklagebehörde wurde der Angeklagte Keitel auf jeden Fall ab 1933 unter Anklage gestellt, allerdings scheinen die amerikanische, englische und französische Anklage die Behauptung, daß Keitel Chef der Obersten Heeresleitung der deutschen Wehrmacht gewesen sei, fallen gelassen zu haben. Die Anklage gegen Feldmarschall Keitel zerfällt demnach zeitlich in die Perioden 1933 bis 1938, und zwar bis 4. Februar 1938, und vom 4. Februar 1938 bis Ende.

Ich fahre auf Seite 21, letzter Absatz, fort.

Damit ist der Angeklagte nicht nur als Mitglied der Verschwörung, sondern auch persönlich der Teilnahme an sämtlichen Verbrechen der Anklage beschuldigt. Dieser umfassenden Anklage entspricht auch der Raum, den die Anklagebehörde in ihren Ausführungen dem Angeklagten Keitel gewidmet hat. Der Name keines anderen Angeklagten ist von der Anklagebehörde so häufig erwähnt worden, wie der des Angeklagten Keitel. Immer wieder hörten wir die Worte »Keitel-Befehl«, »Erlaß von Keitel« und ebensooft »Befehl des OKW«, »Richtlinien des OKW«, in Verbindung mit dem Namen Keitel als »Chef OKW« seit dem 4. Februar 1938.

Daraus ergibt sich der Kernpunkt der Anklage, nämlich die Stellung, die der Angeklagte Keitel seit 4. Februar 1938 innehatte. Daraus ergibt sich aber auch der Rahmen der Rechtfertigung. Es kann hierbei nicht darauf ankommen, die Einzeltatbestände, die sich aus den sogenannten »Keitel-Befehlen« und »OKW-Anordnungen« letzten Endes ergeben haben, daraufhin zu untersuchen, inwieweit der Angeklagte daran beteiligt ist, sondern darauf, welche Stellung er hatte, ob und welchen Anteil er an der Planung und der Durchführung dieser Befehle und Anordnungen hatte und schließlich und hauptsächlich, ob sein Anteil hieran kausal und schuldhaft im Sinne des hier zur Anwendung kommenden Rechtes war.

Es scheint wichtig, von vornherein auf einige Gesichtspunkte hinzuweisen, die für die Behandlung des Falles und seine Beurteilung von Bedeutung sind.

VORSITZENDER: Vielleicht wäre es ein günstiger Zeitpunkt abzubrechen?