Die sachliche und personelle Wiederaufrüstung.
Als der Angeklagte Keitel am 1. Oktober 1933 Chef des Wehrmachtsamtes beim Reichskriegsminister von Blomberg wurde, bestand dort eine wehrwirtschaftliche Abteilung unter Oberst Thomas. Dieser war der von Blomberg für die Organisation bestimmte und geeignete fachliche Berater.
Diese »Wehrwirtschafts-Abteilung« – später Wehrwirtschafts-Stab – hatte als ministerielle Dienststelle den Reichskriegsminister bei den maßgebenden und verantwortlichen Stellen der Wirtschaft, später auch bei dem 1935 geschaffenen Generalbevollmächtigten für die Wirtschaft (GBW) zu vertreten. Der Kriegsminister von Blomberg verkehrte auch, als Feldmarschall Keitel Chef des Wehrmachtsamtes war, in der Regel mit Thomas unmittelbar.
Zur Klarstellung des Anteils, den Keitel an der organisatorischen Entwicklung der Wiederaufrüstung in dieser Periode hatte, trage ich folgendes vor:
Die historische Entwicklung.
I.) Die Ausgangslage 1933 (für die Periode 1933 bis 1938) war folgende: Fehlen jeder Produktionsgrundlage infolge Zerstörung der Rüstungsindustrie gemäß Versailler Vertrag.
Folge: Keine Fertigungskapazität, kein Maschinenpark, keine Konstruktionsbüros, keine Erfahrung.
Daher war das erste Stadium für die Aufrüstung: Die Wiederherstellung der fabrikatorischen Voraussetzung; Einrichtung und Umstellung von Fabriken.
II.) Grundlegende Faktoren für den Anlaut einer Rüstungsbeschaffung:
a) Wehrmachtsteile durch Ihre Waffenämter als Auftragserteiler und Besteller bei Firmen, gehemmt durch Etatsmittel und deren Bindung an das Haushaltsjahr.
Folge: Subvention der Firmen mangels langfristiger Aufträge und Kalkulationsmöglichkeit.
b) Wehrwirtschaftsamt im OKW als zentraler Organisator und Vertreter der Produktionsmöglichkeiten (Firmen) durch Wehr-Wirtschafts- (später Rüstungs-) Inspektion als territoriale Mittelinstanz in dem Wehrkreis zur Bedienung der Wehrmachtsteile als deren ausführende Instanz. Aufgabe der Organisation (wehrmachtsmäßig besetzt):
1. Erkundung und Empfehlung der Firmen an Wehrmachtsteile,
2. Ausgleich der Aufträge der Wehrmachtsteile und Kapazität,
3. Vorsorge für Zuteilung der Rohstoffe, Maschinen und Arbeitskräfte,
4. Förderung des Ausbaues und der Kapazität der Betriebe,
5. Schutz der Betriebe vor Fehlinvestitionen, Luftgefahr, Spionage etc.
c) der Generalbevollmächtigte für die Wirtschaft: (GBW) ab Herbst 1935: als ausgesprochener Organisator der gesamten deutschen Wirtschaft für ihren Einsatz im Falle eines Krieges und für ihre Steuerung während eines Krieges.
Aufgaben im Frieden (nur vorbereitender Art):
1. Statistische Erfassung der einzelnen Industrie- und Wirtschaftszweige (Rüstungskapazitäten im Zusammenhang mit OKW und Wehrmachtwirtschaftsamt unter Thomas).
2. Vorsorge und Lagerung von Rohstoffen, die nur durch Einfuhr beschafft werden können.
3. Devisenbereitstellung für die Einfuhr.
4. Finanzierung der inländischen Wiederaufrüstung.
5. Planung der Umstellung auf Kriegsbedarf der gesamten Wirtschaft und Erweiterung der speziellen Rüstungsindustrie.
6. Aufgaben wie schon zu II b) 3 und 4 angeführt zusammen mit Wehrmachtwirtschaftsamt im OKW.
Dazu trat, aber erst im Mobilmachungsfall vorgesehen und wirksam, die Unterstellung der folgenden Ministerien:
a) Wirtschaftsministerium,
b) Ernährungsministerium,
c) Arbeitsministerium.
d) Finanzministerium (Devisen-Rohstoffkäufe),
e) Forstministerium.
Deshalb informatorische Teilnahme eines Vertreters des OKW im Reichsverteidigungsausschuß seit Dezember 1935.
Nach Ausscheiden Dr. Schachts als Wirtschaftsminister war GBW nur noch eine Fiktion, weil die Vollmachten an den Vierjahresplan (Göring) übergingen.
Erst mit der Ausweitung der Befugnisse des Ministeriums für »Bewaffnung und Munition« im August 1943 zum Ministerium für »Rüstung und Kriegsproduktion« wurde annähernd die ursprünglich geplante Stellung eines GBW und dessen Vollmachten im Kriege wieder erreicht in organisatorischer Unterstellung unter den Vierjahresplan, in Wirklichkeit mit Generalvollmacht des Führers (wegen Versagens des Vierjahresplans).
III.) In Zusammenarbeit mit GBW und Wehrmachtwirtschaftsamt im OKW wurde der »Mobilmachungsplan Rüstung« unter der Federführung des Generals Thomas geschaffen.
Dieser »Mobilmachungsplan Rüstung« sollte für Wehrmacht und GBW, der die Unterlagen von ihm aus der allgemeinen Gütererzeugung freizugebenden Betriebe zur Umstellung auf die Rüstungsproduktion im Kriege beibrachte, registrieren, einschließlich
a) des Arbeitsbedarfs,
b) des Rohstoffbedarfs und
c) des Maschinenparks (Spezialmaschinen für Waffen etc.)
Der moderne Krieg hat zur Voraussetzung nicht so sehr die Ausnutzung und Organisation der personellen Kräfte eines Landes zu militärischen Formationen, sondern ist ganz ausgesprochen ein Problem der industriellen Kapazität und deren zweckvoller Dienstbarmachung für die Herstellung aller erforderlichen Rohstoffe.
Dieser Prozeß muß zwangsläufig jeder Aufrüstung vorangehen und erfordert Aufwand an Geld und mehr noch an Zeit (Herstellung des Maschinenparks).
Deutschland war, als es die Gleichberechtigung für sein Wehrrecht – die Wehrhoheit – erklärte, nicht im Besitz der Hilfsmittel für eine materielle Aufrüstung, die ihm durch die durchgeführte und anerkannte Abrüstung genommen waren.
Allein um die mit Verkündung der Wehrfreiheit 1935 der Welt bekanntgegebene Friedenswehrmacht materiell mit den bisher verbotenen modernen Waffen und Vorräten, insbesondere auch an Munition, auszustatten, waren zunächst zehn, später sieben bis acht Jahre in Rechnung gestellt und vorgesehen, wie hier im Prozeß von verschiedenen Seiten bestätigt wurde. Dies wird verständlich, wenn man bedenkt, daß selbst die USA mit ihren unbegrenzten und von Kriegswirkungen nicht beeinträchtigten Mitteln für die erforderliche Umstellung und Aufrüstung in diesem Kriege vier bis fünf Jahre benötigten. Daraus ergibt sich, daß eine Aufrüstung, wenn sie dafür vorgesehen ist, die Grenzen einer Defensivrüstung zu überschreiten, für Staaten, die – wie Deutschland 1934 – über eine Rüstung nicht verfügten, nur schrittweise zu erreichen ist.
Erstes Stadium: Schaffung der industriellen und rohstoffmäßigen Voraussetzungen (Kapazitäten) zur Fertigung des Kriegsbedarfs.
Zweites Stadium: Auftragserteilung an die Rüstungsindustrie für die erste Ausstattung des Friedensbestandes der Wehrmacht und Ausführung dieser Beschaffungsaufträge im Rahmen der jährlichen Haushaltsmittel.
Drittes Stadium: Beschaffung der zu lagernden Munitions- und Waffenvorräte zur Ausrüstung der aus dem ständigen Friedensbestande im Falle eines Krieges zu entwickelnden mobilen, der personellen Leistungsfähigkeit eines Volkes angepaßten Kriegswehrmacht, einschließlich des erforderlichen Nachschubs während des Krieges.
Wenn man bedenkt, daß Deutschland 1934 über keine moderne Waffe, kein U-Boot und kein Kriegsflugzeug verfügt hat, so erscheint es glaubhaft, daß jeder urteilsfähige Soldat annehmen mußte, daß unter den gegebenen Umständen an einen Krieg, geschweige denn an einen Angriffskrieg, nicht zu denken sei.
Danach sind die Aufgaben, die der Angeklagte Keitel in seiner Dienststellung als Chef des Stabes des Wehrmachtsamtes hatte, als rein vorbereitend-organisatorisch anzusehen. Selbstverständlich trägt Keitel für den General Thomas als den Chef des Wehrwirtschaftsstabes die Verantwortung. Die technischen Einzelheiten und der Umfang der Tätigkeit ergibt sich aus dem Dokument 2353-PS, das im wesentlichen richtig ist, obwohl Thomas in der Erklärung, die diesem historischen Dokument vorgeheftet ist, es jetzt so darstellen will, als habe er seine ursprünglichen Aufzeichnungen für den befürchteten Fall einer Verhaftung in eine günstigere Darstellung im Sinne Hitlers, also übertrieben dargestellt. Das entspricht nicht den Tatsachen. Was Thomas geschrieben hat, beweist nach Ansicht des Angeklagten Keitel, daß eine »Kriegsrüstung« unter Mobilisierung der industriellen Kapazität und ihrer Umstellung auf Kriegsbedarf erst Anfang Oktober 1939 begann. Es beweist ferner, daß das, was die hier vernommenen Angeklagten, soweit sie mit dieser Aufrüstung in Zusammenhang gebracht sind, insbesondere auch Dr. Schacht bis 1937, ausgesagt haben, in folgendem übereinstimmt: Daß Angriffskriege in diesem Zeitraum nicht erkennbar gewollt waren und nach dem jeweiligen Stand der sachlichen Rüstung unmöglich erscheinen mußten.
Aber auch die personelle Aufrüstung zeigt für diese Periode dasselbe Bild. Im Beweisverfahren hat sich ergeben, daß bis Frühjahr 1938 erst 27 Friedensdivisionen notdürftig bewaffnet und zehn bis zwölf Reservedivisionen in Vorbereitung waren; über Vorräte an Bewaffnung und Ausrüstung darüber hinaus verfügte die Wehrmacht damals nicht.
Wenn es dennoch gelungen ist, bis zum Herbst 1938 ein Heer von fast 40 Divisionen für den Angriff auf die Tschechoslowakei unter Verzicht auf eine Mobilmachung bereitzustellen bei gleichzeitigem dürftigstem Grenzschutz im Westen, so ergibt sich daraus das damals höchstmögliche Kriegspotential.
Unter solchen Umständen und in Kenntnis des Rüstungsstandes und Kriegspotentials der Nachbarstaaten, durch Bündnisse und Beistandspakte untereinander verbunden, konnte keiner der Generale alter Schule daran denken, einen Krieg heraufzubeschwören. Die Tatsache, daß schon ein Jahr später, 1939, der Stand der deutschen Rüstung wesentlich besser war, ist in erster Linie auf den Umstand der Besetzung der Tschechoslowakei zurückzuführen.
Schließlich muß noch darauf hingewiesen werden, daß eine strategische Planung für irgendeine Aggression innerhalb dieser Periode nicht bestanden hat. Generaloberst Jodl hat auf dem Zeugenstand erklärt, daß, als er 1935 in das Wehrmachtsamt kam, überhaupt keine Planung oder dergleichen bestand, mit Ausnahme einer solchen für den Fall innerer Unruhen.
Der Fall der Besetzung der demilitarisierten Zone im Rheinland war nicht geplant, er wurde von Hitler improvisiert.
Die »Aufmarsch- und Kampfanweisungen vom Juni 1937« sind eine allgemeine Anweisung für eventuell mögliche kriegerische Verwicklungen.
Zur Vollständigkeit muß ich noch auf das Dokument EC-194 hinweisen. Es ist dies ein Befehl des Oberbefehlshabers der Wehrmacht, von Blomberg, der die Luftaufklärung und die Beobachtung von U- Bootbewegungen während der Rheinlandbesetzung zum Gegenstand hat. Keitel hat diesen Befehl gezeichnet und weitergeleitet. Das ist das einzige Dokument, das von dieser Periode vorhanden ist.
Die Reichswehr hatte einen auf 100000 Mann fixierten Bestand; das war durch den Versailler Vertrag festgesetzt. Es ist unbestreitbar, daß diese Zahl im Verhältnis zu der Größe des Reiches, seinen ungeschützten Grenzen und der abgetrennten Lage Ostpreußens absolut unzureichend war, um das für ein jedes Land und Volk als Grundrecht zu bezeichnende Gefühl der Sicherheit im Innern und der Verteidigungsmöglichkeit nach außen gegen einen Angriff zu erzeugen. In dieser, durch die Militärklausel des Versailler Vertrags geschaffenen Unzulänglichkeit wurde schon vor 1933 überlegt, wie man diesen Zustand verbessern könne, ohne die eigentlichen Soldaten dazu in Anspruch zu nehmen. Es wurde geprüft und festgestellt, daß eine Reihe von Aufgaben für den Fall einer Mobilmachung von den zivilen Ministerien übernommen werden könnte. Es handelte sich hierbei um Aufgaben rein defensiver Art, die nicht als aggressiv angesehen werden können, um Aufgaben der Landesverteidigung, und zwar in der Hauptsache um folgende:
Ich habe sie in meinem Manuskript aufgeführt; ich bitte Sie, davon Kenntnis zu nehmen, ohne daß ich sie verlese.
Ich möchte gern den Hohen Gerichtshof bitten, davon amtlich Kenntnis zu nehmen. Wie es ganz klar ist, sind diese Angelegenheiten nur für die Verteidigung.
1. Grenzschutz durch Verstärkung des Zolldienstes,
2. Postschutz durch Organe der Reichspost (Verstärkerämter),
3. Bahnschutz durch Personen der Reichsbahn,
4. Bau von Kabeln statt oberirdischer Telegraphenleitungen,
5. Bau von Eisenbahnüberführungen und Beseitigung von schienengleichen Bahnübergängen an wichtigen Verkehrsstraßen,
6. Bau von Grenzbefestigungen im Osten; Oder-Warthestellung, Pommern-Stellung, Oder-Stellung (Enteignung des Geländes),
7. Verbesserung der Seeverbindung nach Ostpreußen und des Eisenbahn-Transits durch den Korridor,
8. Befestigungsbauten in Ostpreußen,
9. Verstärkungen des Grenzschutzes in Ostpreußen,
10. Bereitstellung fahrbarer Eisenbahn-Laderampen durch die Reichsbahn,
11. Verstärkung des Küstenzolldienstes,
12. Ausbau des Funknetzes durch die Reichspost (verstärkte Sender und Empfänger),
13. Besetzung ständiger Heeresnachrichten-Stationen durch Postbeamte,
14. Entlastung der Reichswehr von jeder Abstellung von Soldaten für Dienste, die auch von zivilen Personen geleistet werden können,
15. Sicherung der Grenzübergänge durch die örtlichen Behörden (Landräte),
16. Erfassung von Kraftfahrzeugen und so weiter.
Das Organ, das diese Aufgaben und deren Durchführung beraten sollte, war bis 1933 der Referentenausschuß. Er bestand aus Referenten der einzelnen zivilen Ministerien, die nach Anerkennung des Innenministeriums (bis Ende 1933 Severing) zu Besprechungen im Reichsministerium zusammentraten. Der Reichswehrminister hatte den damaligen Oberst Keitel beauftragt, diese Zusammenkünfte zu leiten. Diese bestanden darin, daß die Referenten die Wünsche des Reichswehrministeriums in Bezug auf die schon erwähnten Aufgaben, die die einzelnen Minister im Falle einer Mobilmachung übernehmen konnten, entgegennahmen und besprachen.
Wie sich diese Zusammenarbeit zur Zeit des Ministers Severing reibungslos und im Sinne einer möglichen Befriedigung der Wünsche des Reichswehrministers abspielte, setzte sie sich auch nach dem 30. Januar 1933 fort. Die Aufgabenbereiche und die Zusammensetzungen blieben dieselben. Als am 4. April 1933 durch Beschluß der neuen Reichsregierung Hitlers ein Reichsverteidigungsrat geschaffen wurde, blieb dieser Ausschuß bestehen, er änderte nur die Bezeichnung: Aus dem Referentenausschuß wurde der Reichsverteidigungsausschuß; er änderte nicht sein Aufgabengebiet und erhielt keine neue Zuständigkeit. Nur der Umfang wuchs mit fortschreitender Entwicklung, insbesondere seit Einführung der allgemeinen Wehrpflicht. Nach wie vor war der Reichsverteidigungsausschuß ein Gremium, das diejenigen Aufgaben der Landesverteidigung zu beraten hatte, die den zivilen Sektor berührten und von den zivilen Ministerien vorbereitet, teilweise auch übernommen werden mußten. Es muß für diesen Punkt der Anklage ganz klargemacht werden, daß sich nach dem 4. April 1933 auch die Stellung Keitels nicht änderte, daß er insbesondere nicht Mitglied des Reichsverteidigungsrates war.
Der Reichsverteidigungsrat, der in den Ausführungen der Anklagebehörde einen großen Raum eingenommen hat, darf nach dem Ergebnis der Beweisführung als faktisch nicht existent angesehen werden. Auf die Zeit nach 1938 komme ich später zurück. Jedenfalls hat die Anklagebehörde keine Sitzung des Reichsverteidigungsrates während dieser Periode nachweisen können. Die vorgelegten Protokolle betrafen ausnahmslos die Sitzungen des Reichsverteidigungsausschusses, dessen Mitglieder ihren zuständigen Ministerien berichteten, die wiederum Gelegenheit hatten, im Rahmen des Kabinetts den im Reichsverteidigungsausschuß besprochenen Anregungen und Vorschlägen die erforderliche feste Gestalt zu geben. Deshalb kam es eben nicht zu Sitzungen des formal- juristisch bestehenden Reichsverteidigungsrates, so daß Zeugen mit Recht sagen konnten, dieser Reichsverteidigungsrat habe nur auf dem Papier bestanden.
Keitel war bis 30. September 1933 als Oberst und Abteilungsleiter im Kriegsministerium und später, ab Oktober 1935, als Generalmajor – Chef im Wehrmachtsamt des Reichskriegsministeriums – Mitglied des Reichsverteidigungsausschusses.
Er war also vom 30. September 1933 bis 30. September 1935 nicht im Kriegsministerium, also auch nicht in einer Funktion, die mit diesem Anklagepunkt in Zusammenhang stand; er nahm während dieser Zeit auch nicht an den Sitzungen des Reichsverteidigungsausschusses teil, deren Protokolle als besonders beweiskräftig von der Anklagebehörde vorgelegt worden sind. Die Sitzung vom 22. Mai 1933, bezeichnet als zweite Sitzung des Arbeitsausschusses der Referenten, war die letzte Sitzung, an der der Angeklagte Keitel vor seiner Versetzung zur Truppe teilnahm. Die erste Sitzung nach seiner Versetzung in das Reichskriegsministerium fand am 6. September statt, sie ist bezeichnet als elfte Sitzung des Reichsverteidigungsausschusses. Obwohl daher für die Untersuchung der Verantwortlichkeit Keitels diese Protokolle..., wie überhaupt die Arbeit des Reichsverteidigungsausschusses in der dritten bis zehnten Sitzung während zweier Jahre ausgeschaltet werden muß, mache ich sie zum Gegenstand meiner Ausführungen, weil gerade aus diesen Protokollen erkennbar wird, womit sich der Reichsverteidigungsausschuß beschäftigte.
Nur die Kenntnis dieser Protokolle macht es klar, warum eine Einrichtung, die in dieser oder jener Form in allen Staaten besteht, die dem von allen Staaten als rechtmäßig anerkannten Zweck der Landesverteidigung dient, als ein bedeutsames Argument in der Beweisführung der aggressiven Planung und Vorbereitung vorgetragen worden ist.
Die Protokolle der Reichsverteidigungsausschußsitzungen 1933, 1934 und 1935 lassen den Charakter der Arbeiten als Vorbereitungen für den Fall eines Krieges erkennen. Ebenso klar ist aber auch, daß es sich um Vorarbeiten handelt, die einen verbesserten Bereitschaftsgrad der Landesverteidigung im Falle einer Mobilmachung herbeiführen sollen.
Wenn die »politische Lage« zweimal erwähnt wird, so zeigen diese Andeutungen die Sorge vor militärischen Sanktionen der Nachbarstaaten. Es wird auf den Abessinienfall hingewiesen, der zu Sanktionen gegen Italien führte.
Alles geht von dem Gedanken aus, den Zustand der militärischen Ohnmacht zu überwinden, die es unmöglich machte, die offenen Grenzen des Reiches zu sichern.
Die immer wiederkehrenden Geheimhaltungsverpflichtungen können nur aus der damaligen Situation als Befürchtung angesehen werden, daß ein Bekanntwerden der Maßnahmen, obwohl sie einen defensiven Charakter trugen, Präventivmaßnahmen der Siegermächte auslösen würden.
Daß diese Befürchtungen begründet waren, ergibt sich aus der intransigenten Stellung gewisser Staaten nach vollständiger Entwaffnung Deutschlands. Diese Frage ist für die Einstellung Keitels wichtig; denn er behauptet, daß die aus der Geheimhaltevorschrift gezogene Schlußfolgerung irrig ist, die Geheimhaltung beweise das schlechte Gewissen, und das schlechte Gewissen die Kenntnis der Rechtswidrigkeit.
Der Reichsverteidigungsausschuß hat zu keiner Zeit Beschlüsse gefaßt; er war ein beratendes Gremium zum Zwecke der Landesverteidigung, soweit der zivile Sektor von einer Mobilmachung berührt wurde. Er hat zu keiner Zeit Beratungen gepflogen, die die personelle oder materielle Wiederaufrüstung oder Planung von Aggressionen berühren.
Die Anklagebehörde hat in einem Fall versucht, den Nachweis zu erbringen, daß der Reichsverteidigungsausschuß sich mit aggressiven Planungen befaßt habe.
Ich will das nächste nicht verlesen, es handelt sich um den berühmten Fall der Freimachung des Rheinstromes; eine Frage, die in der Aussage Görings behandelt wurde, die als die technische Befreiung des Rheinstromes bezeichnet wurde.
Sie hat auf das Dokument EC-405, das Protokoll des Reichsverteidigungs-Ausschusses, Sitzung vom 26. Juni 1934 verwiesen, in dem von »der Beteiligung an Mobilmachungs-Vorbereitungen« die Rede ist. In diesem Protokoll heißt es zu c):
»Vorbereitungen der Freimachung des Rheines«.
Hieraus hat die Anklagebehörde den Schluß gezogen, daß sich der Ausschuß des Reichsverteidigungsrates schon am 26. Juni 1934 mit der »Befreiung der Rheinlande« befaßt habe. Der Zeuge Reichsmarschall Göring hat bei seiner Vernehmung darauf hingewiesen, daß es sich hier nach dem unzweideutigen Wortlaut des deutschen Textes um die technische Freimachung des Rheinstromes handele, nicht aber um eine strategische oder politische Angelegenheit. Ich erwähne diesen offenen Irrtum der Anklagebehörde, der nur durch einen groben Übersetzungsfehler entstanden sein kann deshalb, weil er zu einer irrigen Auffassung der Anklagebehörde über die Zuständigkeit des Reichsverteidigungsausschusses geführt hat und es sich um den einzigen Fall handelt, der in Bezug auf diesen Komplex vorgetragen worden ist.
Der wahre Charakter der Tätigkeit des Reichsverteidigungsausschusses ist einfach und klar aus dem »Mobilmachungsbuch für die zivile Verwaltung« (Dokument 1639-PS und 1639a-PS) zu ersehen.
Es handelt sich hier um das Ergebnis der Beratungen sämtlicher Referenten im Reichsverteidigungsausschuß und ist das Seitenstück zu dem Mobilmachungsplan der Wehrmacht, sowie zu dem Mobilmachungsplan der Rüstung.
Diese drei Mobilmachungspläne bilden in ihrer Gesamtheit die Unterlage Ihrer Entscheidung. Aus ihnen mögen Sie ersehen, ob die Behauptung der Anklagebehörde richtig ist – eine Gesamtplanung mit dem Ziele von Angriffskriegen –, oder ob der Angeklagte Keitel recht hat, wenn er in seiner Vernehmung dargelegt hat:
»Was hier beraten und geplant wurde, ist dasselbe, was jedes Land zu tun berechtigt ist und die verantwortlichen Stellen zu tun gehalten sind, wenn sie nicht ihre höchste Pflicht verletzen wollen, nämlich die Verteidigung ihres Landes sicherzustellen.«
Die Entscheidung des 4. Februar 1938 war schicksalsmäßig, sowohl für den damaligen General Keitel als auch für die deutsche Wehrmacht: für Keitel, der die neugeschaffene Dienststelle »Oberkommando der Wehrmacht« noch nicht beurteilen konnte, für die Wehrmacht, die an diesem Tage ihre – relative – Selbständigkeit verlor.
Hitler beseitigte die letzte Schranke zwischen sich und der Wehrmacht – dem Volk in Waffen – durch die Beseitigung des Oberbefehlshabers der Wehrmacht und des verfassungsmäßig verantwortlichen Reichskriegsministers. Diese wahrhaft schicksalsmäßige Entscheidung wurde Keitel und dem deutschen Volk zum Verhängnis, ohne daß dies im Zeitpunkt des Entstehens von den Beteiligten erkannt wurde. Daß es schuldhaft nicht erkannt wurde, läßt sich rückschauend leicht sagen. Das Urteil im damaligen Augenblick mußte für jeden, der nicht grundsätzlich Skeptiker und Pessimist war, abhängig sein von der Entwicklung der Dinge und der Stärke der hierbei beteiligten Persönlichkeiten. Weder das eine noch das andere konnte am 4. Februar 1938 klar erkannt werden.
Für den Angeklagten Keitel, der damals Hitler nicht persönlich kannte und ihm in den Vorbesprechungen zur Entscheidung zum erstenmal von Mensch zu Mensch gegenübertrat, war es keine eigene Entscheidung. Hitler übertrug ihm die neugeschaffene Stelle eines Chefs OKW; Keitel nahm an. Auch wenn man die menschlichen Regungen eines solch glanzvollen Aufstiegs ganz außer acht läßt, bestand kein begründeter Anlaß für den damaligen Chef des Wehrmachtsamtes im Reichskriegsministerium, das Angebot abzulehnen, zumal von Blomberg ihn selbst in Vorschlag gebracht hatte.
Wie Hitler dieses Amt auffaßte, war für Keitel nicht erkennbar.
Ich gehe über zur nächsten Seite...
Der Erlaß gab Keitel eine wundervolle Dienststellenbezeichnung: »Chef des Oberkommandos der Wehrmacht«. Die geschichtliche Grundlage ist die Beseitigung der Befehlsgewalt über die gesamte Wehrmacht, die bis 4. Februar 1938 In den Händen des Feldmarschalls von Blomberg ruhte und an diesem Tage von Hitler selbst übernommen wurde. Gleichzeitig schaffte Hitler das verantwortliche Kriegsministerium, das bis dahin auch von Feldmarschall von Blomberg verwaltet wurde, ab.
Dr. Lammers sagt über die Entstehung des Führererlasses vom 4. Februar 1938 folgendes aus: (Sitzungsprotokoll vom 8. April 1946, Vormittagssitzung Band XI, Seite 38)
»Der Führer teilte mir mit, daß der Reichskriegsminister von Blomberg aus seinem Amt ausscheide und daß er bei dieser Gelegenheit einige Veränderungen in der Reichsregierung vornehmen wolle, im besonderen, daß Herr Außenminister von Neurath zurücktreten werde, daß auch hier eine Änderung eintreten werde, daß auch im Oberbefehl des Heeres eine Änderung eintreten werde.
Im Anschluß daran gab der Führer den Auftrag, einen Erlaß auszuarbeiten über die Führung der Wehrmacht. Ich sollte dabei mitwirken, im Benehmen mit dem Wehrmacht-Kriegsministerium. Als Richtlinie hierfür gab der Führer mir folgende Weisung:
Ich will in Zukunft keinen Kriegsminister mehr haben, und ich will auch in Zukunft keinen Oberbefehlshaber der Wehrmacht mehr haben, der zwischen mir als Oberstem Befehlshaber und den Oberbefehlshabern der Wehrmachtsteile steht.
Dementsprechend wurde nun der Erlaß formuliert, indem zunächst das Oberkommando der Wehrmacht eingerichtet wurde als ein militärischer Stab, der dem unmittelbaren Befehl des Führers unterstehen sollte.
Der Führer wünschte an dieser Stelle keine selbständige Dienststelle, wie sie zwischen ihm und den Oberbefehlshabern der Wehrmachtsteile eingeschaltet war. Infolgedessen hatte der damals zum Chef OKW ernannte General der Artillerie Keitel keine eigene Kommandogewalt über die Wehrmachtsteile. Eine solche Kommandogewalt wäre ja wohl schon auch aus anderen Gründen nicht in Frage gekommen.«
Feldmarschall von Blomberg hat in dem von mir vorgelegten Affidavit bekundet:
Auf Frage 24:
»Bei unserer letzten Besprechung deutete Hitler an, daß er vermutlich meine Stelle nicht wieder besetzen würde und somit er der tatsächliche Oberbefehlshaber der deutschen Armee sein würde...«
Er forderte einen Vorschlag für die Ernennung eines »Chefs du bureau«, der unter ihm und somit unter Hitlers Verantwortung die anfallenden Geschäfte leiten und abwickeln sollte.
»Ich nannte ihm Keitel, der unter mir dieses Amt sehr gut ausgeführt hatte.«
Antwort auf Frage 27: »Ich habe Keitel als ›Chef du bureau‹ vorgeschlagen und glaubte damit, ihn auf den richtigen Platz gestellt zu haben.
In solcher Dienststellung war er nicht ein militärischer Berater Hitlers; ob und inwieweit dieser ihn um seinen Rat gefragt hat, weiß ich nicht. Eine Verantwortlichkeit Keitels wäre auch damit nach meiner Ansicht nicht aufgerichtet worden.«
Frage 29: »War es nicht die Absicht Hitlers, sich in der Person Keitels ein Instrument zu schaffen, dessen organisatorische Fähigkeiten und dessen Arbeitskraft ihm als ausführendes Organ für seine Entschlüsse und Befehle wertvoll erschien?«
Antwort: »Diese Frage wird von mir ausdrücklich bejaht... Die ursprüngliche Absicht Hitlers war damals unbedingt, ein zuverlässiges Unterorgan und keineswegs einen Berater, etwa gar mit Verantwortlichkeit ausgestattet, zu seiner Verfügung zu haben.«
Der Erlaß über die Führung der Wehrmacht vom 4. Februar 1938 ist dem Gerichtshof bekannt. Ich brauche ihn daher nicht zu verlesen. Für die Stellung des Angeklagten Keitel und damit für die Fragen seiner Zuständigkeit und Verantwortlichkeit ergibt sich daraus und aus der Beweisaufnahme...:
1. Hitler wollte weder ein verantwortliches Reichskriegsministerium, noch wollte er, daß ein anderer als er die oberste Befehlsgewalt über die gesamte Wehrmacht ausüben sollte. Er vereinigte in seiner Person diese beiden Institutionen, indem er sowohl bezüglich der Befehlsgewalt erklärte, er werde diese von jetzt ab unmittelbar und persönlich ausüben, als auch die Funktionen des Reichskriegsministeriums, die Keitel in seinem Auftrag verwalten sollte.
2. Hitler schuf also zu seinem militär-technischen Programm einen militärischen Stab. Diesem legte er die Bezeichnung Oberkommando der Wehrmacht bei. Dieses »Oberkommando der Wehrmacht« war daher nicht mehr – ich füge hinzu, und nicht weniger – als die militärische Kanzlei des Führers und Obersten Befehlshabers. Solche Kanzleien bestanden schon als Reichskanzlei, Präsidialkanzlei und Parteikanzlei. Zum Chef dieser militärischen Kanzlei wurde der Angeklagte Keitel mit der Bezeichnung: »Chef des Stabes des Oberkommandos der Wehrmacht« (kurz bezeichnet: Chef W) berufen.
3. Hieraus ergibt sich, daß das OKW nicht Zwischendienststelle zwischen dem Obersten Befehlshaber der Wehrmacht und den drei Wehrmachtsteilen sein sollte. Die gegenteilige Annahme der Anklagebehörde, die mit einer graphischen Darstellung verbunden ist, beruht auf einer irrtümlichen Beurteilung.
Zwischen dem Obersten Befehlshaber und den drei Oberbefehlshabern von Heer, Marine und Luftwaffe hat es eine Zwischeninstanz, wie sie vor dem 4. Februar 1938 bestanden hat, mit eigenen Befugnissen, nicht mehr gegeben. Das OKW, dessen Stabschef der Angeklagte Keitel war, war keine selbständige militärische Dienststelle oder Behörde, sondern ganz ausschließlich der militärisch-technische Stab Hitlers und seine kriegsministerielle Dienststelle. Das OKW hatte keinerlei selbständige Befugnisse, weder Befehlsbefugnisse noch eine Kommandogewalt. Es konnte als OKW deshalb auch keine eigenen Befehle geben. Vielmehr waren alle Anordnungen, Erlasse, Richtlinien oder Befehle, die vom OKW ausgingen, Willensakte des Obersten Befehlshabers der Wehrmacht. Die Oberbefehlshaber der drei Wehrmachtsteile waren sich stets bewußt, daß zwischen ihnen und dem Obersten Befehlshaber keine Zwischeninstanz bestanden hat, und sie haben das OKW auch niemals als eine solche angesehen oder anerkannt. Es ist dies durch die beschworenen Affidavits der Mitangeklagten Großadmiral Dönitz und Großadmiral Raeder, sowie durch das Zeugnis des Reichsmarschalls Göring und Dr. Lammers bestätigt. Die Auffassung, daß das OKW oder der Angeklagte Keitel als Chef OKW befugt gewesen wäre, von sich aus Anordnungen zu treffen oder Befehle zu geben, ist daher irrig. Jeder über einen Gedankenaustausch mit anderen militärischen Dienststellen oder Behörden hinausgehende mündliche oder schriftliche Dienstverkehr unterlag der alleinigen Entscheidung des Obersten Befehlshabers persönlich. Das OKW war lediglich Arbeitsstab des Obersten Befehlshabers.
4. Wenn daher Schriftstücke, die vom Obersten Befehlshaber oder vom OKW ausgingen, Unterschriften oder Initialen des Angeklagten Keitel oder eines Amtschefs beziehungsweise Abteilungsleiters aufweisen, so kann hieraus nicht die Folgerung abgeleitet werden, daß eine eigene, selbständige Befehlsbefugnis bestanden hat. Es handelt sich in jedem Falle immer nur um die Kenntnisnahme, die Weiterleitung oder Übermittlung von Befehlen des Obersten Befehlshabers selbst. Bei der Inanspruchnahme Hitlers in seiner Stellung als Staatsoberhaupt, Reichskanzler, Parteiführer und Oberster Befehlshaber der Wehrmacht war es unmöglich, immer die eigenen Unterschriften zu erwirken, es sei denn, daß es sich um Angelegenheiten handelte, die von besonders schwerwiegender oder grundsätzlicher Bedeutung waren. Zu beachten ist, daß in allen Fällen die persönliche Entscheidung oder Zustimmung Hitlers eingeholt werden mußte.
Wenn die Anklagebehörde bei dieser Sachlage die Auffassung vertritt, daß dem Angeklagten Keitel aus der Unterzeichnung von Schriftstücken oder aus dem Vorhandensein von Initialen eine Mitverantwortung an dem sachlichen Inhalt der Schriftstücke trifft, so kann dies nicht gebilligt werden. Es wäre formal-juristisch, gegen den Angeklagten Keitel als Leiter der Militärkanzlei aus der Weiterleitung oder Zeichnung von Befehlen, Anordnungen und dergleichen eine Verantwortung herzuleiten, die meines Erachtens nur den treffen kann, der den Befehl auf Grund seiner Befehlsgewalt gibt oder veranlaßt. Eine materielle Verantwortung hierfür könnte den Angeklagten Keitel nur treffen, wenn nachgewiesen würde, daß er an der Entstehung dieser Befehle, Anordnungen und so weiter willensmäßig kausal teilgenommen hat.
VORSITZENDER: Herr Dr. Nelte! Wäre das ein günstiger Zeitpunkt für eine Unterbrechung?