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Die Behandlung der französischen Kriegsgefangenen.

Infolge des Abkommens von Montoire war das Stichwort für das Verhältnis zu den französischen Kriegsgefangenen »Collaboration«. In der hierdurch vorgezeichneten Richtung bewegte sich ihre Behandlung, die durch Besprechungen mit Botschafter Scapini zu ganz wesentlichen Erleichterungen für sie führte. Ich nehme in diesem Zusammenhang auf die eidliche Beantwortung des Fragebogens durch Botschafter Scapini Bezug, der unter anderem aussagte:

»Es ist richtig, daß General Reinecke die vorliegenden Fragen objektiv und ohne Feindseligkeit prüfte und daß er versuchte, sie verständnisvoll zu regeln, wenn es von seiner Kompetenz allein abhing. Er nahm eine andere Stellung ein, wenn der auf das OKW vom Arbeitsdienst« – das heißt durch den Arbeitseinsatz – »und manchmal von der Partei ausgeübte Druck sich fühlbar machte.«

Die in der Arbeit eingesetzten Kriegsgefangenen wurden kaum überwacht. Die auf dem Lande eingesetzten Kriegsgefangenen hatten fast freie Bewegungsmöglichkeit. Auf Grund der unmittelbaren Verständigung mit der Vichy-Regierung bestanden erhebliche Erleichterungen gegenüber den Bestimmungen der Genfer Konvention, nachdem die Rückführung auf Grund der Waffenstillstandsabmachungen die Zahl der ursprünglichen Kriegsgefangenen sehr erheblich gemindert hatte.

Um nur einiges zu erwähnen...

VORSITZENDER: Dr. Nelte! Enthalten die nächsten Seiten etwas sehr Wichtiges, bis Sie auf Seite 183 gelangen?

DR. NELTE: Es ist die Behandlung des französischen und...

VORSITZENDER: Sie sollten sich damit nur ganz allgemein befassen. Ich habe nicht den Eindruck, daß Sie etwas besonders Wichtiges vorzutragen haben, bis Sie auf Seite 183 kommen, wo Sie sich mit der Anklage im Saganfall beschäftigen. Es ist schon 12.00 Uhr.

DR. NELTE: Ich glaube, bis 1.00 Uhr werde ich fertig werden. Oder habe ich Ihre Bemerkung so aufzufassen, daß Sie meine Redezeit auf eine gewisse Stunde beschränkt haben? Ich hatte in meinem Antrag gebeten, mich sieben Stunden sprechen zu lassen, und Sie...

VORSITZENDER: So lautete die Verfügung des Gerichtshofs.

DR. NELTE: Ich hatte daraufhin dem Gericht meine Bitte unterbreitet und glaubte, annehmen zu dürfen, daß Sie diese Bitte in diesem besonderen Fall gewähren. Wenn das nicht der Fall ist, werde ich mich jetzt nach...

VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird Ihnen im Hinblick auf einige Unterbrechungen, die ich verursacht haben mag, bis 12.30 Uhr Zeit geben. Ich weise Sie jedoch nochmals darauf hin, daß sich auf Seite 178 bis 183 nichts tatsächlich Wichtiges befindet.

DR. NELTE: Ich hoffe, Herr Präsident, daß das nicht bedeutet, daß diese Ausführungen als unerheblich angesehen werden sollen. Ich meine, ich darf meine subjektiven Ansichten...

VORSITZENDER: Ich sagte »nichts tatsächlich Wichtiges«.

DR. NELTE:

1. Entlassung aller Kriegsgefangenen aus den Jahrgängen 1900 und älter in die Heimat.

2. Entlassung der Väter aller kinderreichen Familien und der Witwer mit Kindern in die Heimat.

3. erhebliche Erleichterung des Brief- und Paketverkehrs, gesteigerte deutsche Unterstützung in den Oflags und Stalags bei Schaffung von Einrichtungen zur geistigen Unterhaltung und körperlichen Gesundhaltung der Kriegsgefangenen.

4. Für Offiziersaspiranten Ermöglichung der weiteren Ausbildung für ihren Zivilberuf und Betreuung durch einen französischen General (Didelet).

Wie Botschafter Scapini selbst ausgesagt hat, hatte er und die Mitglieder seiner Delegation Korrespondenz- und Bewegungsfreiheit mit und in alten Lagern und Arbeitskommandos, wenn nicht besondere militärische Gründe in Einzelfällen zu Einschränkungen zwangen. Die Angehörigen der Delegation konnten ohne Zeugen wie jeder Vertreter einer Schutzmacht mit ihren kriegsgefangenen Kameraden sprechen, insbesondere eingehende Erkundigungen über die Verhältnisse bei dem französischen Lagerältesten oder den durch die Kriegsgefangenen selbst gewählten Vertrauensleuten einziehen. Außerdem waren Offiziere, die von ihm selbst ausgewählt waren, als seine Organe zur Verfügung gestellt.

Die späteren bedauernswerten Vorkommnisse, die hier von der Französischen Anklagebehörde vorgetragen worden sind, standen im Zusammenhang mit der Zuspitzung der politischen und militärischen Lage. Eines dieser Ereignisse war die Flucht des Generals Giraud, die Hitler benutzte trotz aller vom OKW vorgetragenen Gegengründe, um verschärfte Maßnahmen gegen die französischen Generale und Offiziere anzuordnen. Das zweite entscheidende Ereignis war die Landung der Alliierten in Afrika, die zu einer allgemeinen Unruhe und zu zahlreichen Fluchtversuchen führte. Schließlich kam es in der Zeit des Endstadiums des Krieges zu Maßnahmen, die nur durch die – ich möchte sagen – Katastrophenstimmung erklärt werden können.

Bei der Prüfung der Verantwortlichkeit des Angeklagten Keitel muß berücksichtigt werden, daß er auf die Vorkommnisse in den Lagern und Arbeitsplätzen keinen unmittelbaren Einfluß hatte. Seine Verantwortlichkeit kann nur festgestellt werden, wenn nachgewiesen wird, daß er es an der erforderlichen Aufsicht hat fehlen lassen oder aber, daß er nach Kenntnis solcher Vorkommnisse nicht eingegriffen hat. In dieser Beziehung liegen aber Beweise für eine Schuld des OKW nicht vor.

Die Französische Anklagebehörde hat zur Belastung des Angeklagten Keitel unter der Sammelnummer F-668 eine Note des Botschafters Scapini an den Deutschen Botschafter Abetz vom 4. April 1941 vorgelegt. Diese betrifft die Zurückhaltung französischer Zivilpersonen in Deutschland als Kriegsgefangene. In diesem Dokument heißt es auf Seite 5:

»Um die Überprüfung der zu befreienden Kategorien Gefangener zu erleichtern, füge ich in der Anlage eine zusammenfassende Tabelle bei. Ich füge ebenfalls die Abschrift der Note der Deutschen Waffenstillstandskommission Nummer 178/41 vom 20. Januar 1941 bei, die die Entscheidung des OKW betrifft, alle französischen Zivilpersonen, die als Kriegsgefangene behandelt werden, zu befreien.

Ich hoffe, daß die Ausführungen dieser Entscheidung durch diesen Bericht, den ich die Ehre habe, Ihnen zu unterbreiten, beschleunigt wird.«

Ich habe die Französische Anklagebehörde gebeten, mir die Note der deutschen Waffenstillstandskommission Nummer 178/41 vom 20. Januar 1941, in welcher diese Entscheidung des OKW erwähnt ist, zu überlassen. Ich glaube, daß die Abschrift dieser Note, die dem Schriftstück vom 4. April 1941 (Dokument F-668) beigefügt war, mit diesem Dokument hätte übergeben werden sollen; denn sie war ein Teil dieses Schriftstücks. Leider ist dies nicht geschehen.

Aus der Bezugnahme ergibt sich, daß das OKW und damit der Angeklagte Keitel die Ansicht vertreten, daß entsprechend den Vereinbarungen mit Frankreich in korrekter Weise gehandelt werden müsse und daß das OKW, das für diese grundsätzlichen Anordnungen bezüglich der Kriegsgefangenen zuständig war, entschieden hat, alle französischen Zivilpersonen, die als Kriegsgefangene behandelt wurden, zu befreien.

Es ist schwer zu erkennen, wie dieses Dokument für eine Schuld des Angeklagten Keitel dienen kann.

Man wird dieses Dokument vielleicht für ein Symptom dafür ansehen müssen, daß der Angeklagte Keitel, wenn ihm Verstöße gegen die bestehenden Abmachungen zur Kenntnis kamen, für deren Abhilfe Sorge getragen hat.