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[Das Gericht vertagt sich bis

10. Juli 1946, 10.00 Uhr.]

Einhundertfünfundsiebzigster Tag.

Mittwoch, 10. Juli 1946.

Vormittagssitzung.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird heute nachmittag in geschlossener Sitzung tagen; nach 13.00 Uhr wird keine offene Sitzung stattfinden.

DR. THOMA: Hohes Gericht, Herr Präsident! Ich möchte in der Frage der Rechtmäßigkeit der Verordnungen über den Arbeitseinsatz der Bewohner der Ostgebiete fortfahren; Seite 33:

Es ergibt sich also folgender völkerrechtlich anerkannter Grundsatz: Maßnahmen des Okkupanten im besetzten Gebiet sind insoweit rechtmäßig, als nicht ein nachweisbarer Rechtssatz des Kriegsvölkerrechts entgegensteht. Die Vermutung spricht also für die Befugnis des Okkupanten zur unbeschränkten Ausübung aller aus der Gebietshoheit fließenden Befugnisse. Nach einheitlicher Auffassung der Völkerrechtsgelehrten handelt der Okkupant kraft originären, allein durch das Völkerrecht gewährleisteten und inhaltlich bestimmten eigenen Rechts im Interesse seiner eigenen Kriegführung, sowie zum Schutz der im besetzten Gebiet befindlichen Zivilbevölkerung. Ich zitiere Heyland im »Handbuch des Völkerrechts«:

»Die Einwohner des besetzten Gebietes haben nur dem Okkupanten, nicht mehr dem feindlichen Souverän gegenüber Gehorsamspflicht, der Wille des Okkupanten ist im besetzten Gebiet herrschend und ausschlaggebend, der Okkupant ist Vollstrecker seines eigenen Willens; für die Ausübung seines Hoheitsrechts sind für ihn lediglich seine eigenen Interessen maßgebend, er darf daher auch den Interessen des feindlichen Staates zuwiderhandeln.«

– Heyland siehe oben –

Die Zulässigkeit der zwangsweisen Erfassung von Arbeitern im besetzten Gebiet wird im Hinblick auf Artikel 52 der Haager Landkriegsordnung vereint. Hier wird bestimmt, daß unter den Einwohnern des besetzten Gebietes Dienstleistungen gefordert werden dürfen; die Inanspruchnahme muß sich auf die Bedürfnisse des Besatzungsheeres beschränken, im Verhältnis zu den Hilfsquellen des Landes stehen und solcher Art sein, daß sie nicht für die Bevölkerung die Verpflichtung enthält, an Kriegsunternehmen gegen ihr Vaterland teilzunehmen. Ich kann aus dieser Bestimmung durchaus nicht ein Verbot der zwangsweisen Erfassung von Arbeitskräften in den besetzten Gebieten entnehmen, ich glaube im Gegenteil, daß die Zulässigkeit einer Arbeitsdienstpflicht daraus ohne weiteres entnommen werden kann. Die Einsetzung in die Kriegswirtschaft entspricht zweifellos den Bedürfnissen des Besatzungsheeres und bedeutet meines Erachtens ebenso zweifellos nicht einen Einsatz zu Kriegsunternehmungen. Ob die Dienstleistungen nur im eigenen Heimatland gefordert werden dürfen oder ob die Verpflichteten auch zum Zweck der Dienstleistungen in das Heimatgebiet der Besatzungsmacht transportiert werden dürfen, darüber enthält die Landkriegsordnung keine Bestimmung. Es gilt daher der allgemeine Grundsatz, daß die Vermutung für die Befugnis des Okkupanten zur unbeschränkten Ausübung aller aus der Gebietshoheit fließenden Befugnisse spricht.

Wenn man sich auf den richtigen Standpunkt stellt, daß das Kriegsvölkerrecht die Tendenz zur Humanisierung des Krieges und zur Beschränkung der Rechte der Kriegführenden haben soll und in dieser Richtung weiter zu entwickeln ist, so muß man andererseits beachten, daß die rauhe Wirklichkeit des Krieges die entgegengesetzte Tendenz hat.

VORSITZENDER: Herr Dr. Thoma! Der Gerichtshof möchte wissen, ob Sie die Behauptung aufstellen wollen, daß die Haager Bestimmungen die Deportation von Männern, Frauen oder Kindern zum Arbeitsdienst in ein anderes Land gestatten?

DR. THOMA: Herr Präsident! Ich möchte über die Auslegung der Haager Landkriegsordnung sprechen und behandle hier die Frage, ob es zulässig ist, daß für Bedürfnisse des Besatzungsheeres auch Bewohner des Landes transportiert werden dürfen. Ich habe hier den Standpunkt vertreten, daß Arbeiter auch in das Land des Okkupanten transportiert werden dürfen. Über Kinder habe ich natürlich nichts gesagt. Über Juden habe ich auch nichts gesagt, sondern ich habe nur gesprochen von arbeitsfähigen Menschen, die verpflichtet sind, für die Bedürfnisse des Besatzungsheeres zu arbeiten, und vertrete, wie gesagt, den Standpunkt, daß es zulässig ist, daß sie in das Heimatland des Okkupanten transportiert werden können. Ich stelle diese Frage in das Ermessen des Gerichts.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof würde gern Zitate irgendwelcher Autoritäten im Völkerrecht zu dieser Behauptung von Ihnen hören.

DR. THOMA: Herr Präsident! Ich werde später noch Zitate nennen. Ich werde noch ausführliche, wissenschaftliche Zitate zu dieser Frage nennen. Ich habe auch schon diesbezüglich Heyland im »Handbuch des Völkerrechts«, herausgegeben von Stier-Somlo, wiederholt zitiert und werde weitere Zitate machen. Der heutige Krieg ist keineswegs mehr der Krieg, wie man ihn sich 1907...

VORSITZENDER: Wollen Sie mir bitte sagen, in welcher Sprache dieses Buch ist?

DR. THOMA: In deutscher Sprache, Herr Präsident, und zwar im »Handbuch des Völkerrechts«, herausgegeben von Stier-Somlo 1923.

Der heutige Krieg ist keineswegs mehr der Krieg, wie man ihn sich 1907 vorgestellt hat; der Krieg hat sich zu einem totalen Krieg, zu einem Vernichtungskampf auf Leben und Tod entwickelt, in welchem die letzten und entlegensten physischen und seelischen Kräfte des Volkes mobilisiert werden und dessen Verlust, wie das Beispiel Deutschlands zeigt, totale Kapitulation und völlige Vernichtung seiner staatlichen Existenz bedeutet.

Kann man da behaupten, daß dem Deutschen Reich in diesem Kampf auf Leben und Tod nicht das völkerrechtlich anerkannte Grundrecht der Selbsterhaltung zuzubilligen war.

Siehe Strupp im »Handbuch des Völkerrechts«, herausgegeben von Stier-Somlo, Stuttgart 1920, 3. Abteilung: »Das völkerrechtliche Delikt«, Seite 128 folgende.

Es stand zweifellos die Existenz des Staates auf dem Spiel, es lag also ein Notstand vor, der zum Zwangseinsatz von Arbeitskräften berechtigte, selbst wenn es völkerrechtlich nicht gestattet gewesen wäre. Es liegt im Wesen jener großen Anomalie, die sich Krieg nennt, begründet, daß im weitesten Umfang, sobald der Kriegszustand hergestellt ist, im Interesse des Kriegsziels, der Niederringung des Gegners, Völkerrecht außer Kurs gesetzt wird.

Ich zitiere Strupp, siehe oben Seite 172:

»Mit den Fortschritten der Kultur ist zwar in ständig wachsendem Maße eine Milderung der Auffassung eingetreten, wonach alles im Krieg bis zur Vernichtung des Gegners erlaubt sei, immerhin stellt das Kriegsrecht noch heute einen Kompromiß zwischen den Erfordernissen der militärischen Notwendigkeit mit ihrer prinzipiellen Schrankenlosigkeit und geläuterten Humanitäts- und Zivilisationsanschauungen dar. Und eines steht jedenfalls fest, daß echter Notstand auch gegenüber den Bestimmungen der Haager Landkriegsordnung geltend gemacht werden kann. In den Verhandlungen, die der Schaffung des Artikels 46 der Landkriegsordnung vorangingen, wurde im Plenum der Konferenz wörtlich ohne Widerspruch erklärt:«Les restrictions sauraient entraver la liberté d'actions des belligérants dans certaines eventualités extremes», es wird also für die äußersten Notfälle die Berufung auf Notstand zugelassen. Daß eine Berufung auf Notstand im Falle der unmittelbaren Existenzgefährdung auch dem Angreifer nicht versagt werden darf, ist anerkanntes Völkerrecht.« (Strupp Seite 170.)

Einschaltend möchte ich zu dem Kapitel Ostverwaltung noch erwähnen, ohne ausdrücklich auf all das hinzuweisen, was der Angeklagte zu den Beschuldigungen der Sowjet-Anklagebehörde, besonders zu den Berichten der staatlichen Kommissionen und zu den Molotow-Berichten in der Beweisaufnahme erklärt hat – Dokument USSR-39, 41, 51, 89, Protokoll vom 16. April 1946 –, daß ich bitte, der Hoffnung Ausdruck geben zu dürfen, daß die sachliche Richtigstellung des Angeklagten vom Gericht entsprechend gewertet wird.

Ich komme nun zu einem neuen Thema:

Entgegen der Annahme der Anklage ist Rosenberg in keinem Fall der Inspirator einer Judenverfolgung gewesen, wie überhaupt nicht einer der Führer und Schöpfer der von der Partei und vom Deutschen Reich verfolgten Politik, wie die Anklage sagt (Walsh am 13. Dezember 1945, Protokoll Band III, Seite 601). Rosenberg war sicher ein überzeugter Antisemit, der seiner Überzeugung und ihrer Begründung in Schrift und Rede Ausdruck gegeben hat. Der Antisemitismus steht bei ihm jedoch nicht im Vordergrund seines Wirkens. In seinem Buch »Blut und Ehre«, Reden und Aufsätze 1919 bis 1933, hat von 64 Aufsätzen zum Beispiel nur ein einziger eine Überschrift mit dem Hinweis auf das Judentum. Das gleiche gilt für die beiden anderen Bände seiner Reden. Er fühlte als seine geistigen Ahnen den Mystiker Meister Ekkehard, Goethe, Lagarde, Houston Stewart Chamberlain; das Antijüdische war für ihn ein negatives Moment, sein hauptsächliches und positives Streben ging auf Verkündung einer neuen deutschen Geisteshaltung und einer neuen deutschen Kultur. Weil er diese nach 1918 gefährdet sah, wurde er Gegner des Judentums. Selbst so verschiedene Persönlichkeiten wie von Papen, von Neurath, Raeder bekannten sich auch jetzt zur Anschauung, daß die Überfremdung durch das jüdische Element im ganzen öffentlichen Leben derart war, daß hier eine Änderung herbeigeführt werden mußte. Als besonders wichtig aber erscheint mir, daß die Art seines Antisemitismus eine geistige war; auf dem Parteitag 1933 zum Beispiel sprach er ausdrücklich von einer ritterlichen Lösung der Judenfrage. Äußerungen wie »Wir müssen die Juden vernichten, wo wir sie finden; wir werden Eingriffe vornehmen, die zu einem sicheren Erfolg führen; wir müssen uns allen Mitgefühls entledigen«, haben wir von Rosenberg nie gehört. Die Anklage selbst zitiert folgendes als programmatische Äußerung Rosenbergs:

»Die Judenfrage wird nach der selbstverständlichen Ausscheidung der Juden aus allen öffentlichen Stellen eine entscheidende Lösung erfahren durch die ›Errichtung von Ghettos‹...« (Walsh, Protokoll Band III, Seite 590).

GENERAL R. A. RUDENKO, HAUPTANKLÄGER FÜR DIE SOWJETUNION: Herr Vorsitzender! Ich unterbreche ungern den Verteidiger und nehme die Zeit des Gerichtshofs nicht gern in Anspruch, aber das, was ich soeben gehört habe, spottet jeder Beschreibung. Als die hier auf der Anklagebank sitzenden faschistischen Verschwörer ihre faschistischen Ansichten hier auszudrücken versuchten, wurden diese Äußerungen als unangebracht erachtet und vom Gerichtshof unterbunden. Um so mehr ist es unzulässig, daß ein Verteidiger den Gerichtssaal für menschenhassende Propaganda benutzt. Wie soll man denn anders die Behauptung des Verteidigers Thoma bewerten, wenn er sagt, daß es angeblich einen edlen, geistigen Antisemitismus gibt, dessen Vertreter Rosenberg sein soll, wenn er behauptet, daß Rosenbergs Vorschlag, alle Juden in einem Ghetto zu sammeln, ein ritterlicher sei. Bitte beachten Sie, daß der Verteidiger dabei keine Äußerungen der Nazi-Führer zitiert, sondern seine eigene Meinung ausspricht.

Ich sehe es als meine Pflicht an, einen entschiedenen Protest dagegen zu erheben, daß ein Verteidiger die Bühne des Internationalen Militärgerichtshofs für faschistische Propaganda mißbraucht. Ich bitte den Gerichtshof, meine Erklärung zu erwägen und das Erforderliche zu veranlassen.

DR. THOMA: Hohes Gericht! Darf ich darauf etwas erwidern?

VORSITZENDER: Dr. Thoma! Wir glauben nicht, daß es notwendig ist, daß Sie sich damit aufhalten. Der Gerichtshof ist der Meinung, daß natürlich verschiedene Ansichten über die Ausdrücke, die Sie im Laufe Ihrer Argumentation anwandten, bestehen können; aber das ist noch kein Grund, Sie in Ihren Ausführungen zu unterbrechen, die Sie gerade dem Gerichtshof vortragen.

DR. THOMA: Ich danke, Mylord!

Hohes Gericht! Ich möchte im Anschluß an Herrn General Rudenko die einzige Erklärung abgeben, daß ich mich bei meinem Plädoyer bemüht habe, mich mit den fortgesetzten Erklärungen der Staatsanwaltschaft auseinanderzusetzen, mit nichts anderem. Und ich möchte noch etwas sagen: Dieses Wort »ritterliche Lösung der Judenfrage« ist kein Wort von mir, sondern ich habe es als einen Ausspruch Rosenbergs, längst bevor er hier auf der Gerichtsbank saß, zitiert. Die Anklage selbst zitiert folgendes als programmatische Äußerung Rosenbergs »Die Judenfrage...« und so weiter. Das war das, was ich eben vorgetragen habe.

Es ist kein Zufall, daß Rosenberg nicht beteiligt war am Judenboykott 1933, nicht herangezogen wurde zur Bearbeitung der Judengesetze 1933, 1934, 1935 und so weiter – Ausbürgerung, Eheverbot, Entziehung des Wahlrechts, Ausschließung aus allen bedeutenden Stellen und Ämtern. Er war vor allem auch nicht beteiligt an der Judenaktion von 1938, nicht an Synagogenzerstörungen und antisemitischen Demonstrationen. Er ist auch nicht Drahtzieher im Hintergrund gewesen, der etwa die kleinen Leute zu Aktionen vorgeschickt oder befohlen hätte. Rosenberg ist allerdings der getreue Jünger Hitlers gewesen, der die von Hitler ausgegebenen Parolen auffängt und weitergibt. Etwa die Parole: »Die Judenfrage wird erst dann gelöst sein, wenn der letzte Jude Deutschland und den europäischen Kontinent verlassen hat«, oder einmal die Parole von der »Ausrottung des Judentums«.

Übertriebene Worte gehörten seit je zum Propagandarüstzeug des Nationalsozialismus, eine Hitler-Rede ohne Beschimpfung seiner innen- und außenpolitischen Gegner, ohne Vernichtungsdrohungen war kaum denkbar. Nach jeder Rede Hitlers gab es ein millionenfaches Echo, angefangen von Goebbels bis zum letzten Redner der Partei in dem kleinen Dorfwirtshaus; es kehrten immer die gleichen Sätze und die gleichen Worte wieder, die Hitler gebraucht hatte; aber nicht nur in allen politischen Reden, auch in der deutschen Presse in allen Leitartikeln und Aufsätzen, bis nach Wochen und Monaten eine neue Rede kam, die ein neues Echo gleicher Art auslöste. Rosenberg hat hiervon keine Ausnahme gemacht. Er sprach, wie alle, die Parolen Hitlers nach, auch die von der »Lösung der Judenfrage«, einmal auch die von der »Ausrottung des Judentums«. Vermutlich hat er sich dabei so viel und so wenig Gedanken wie die meisten Anhänger Hitlers gemacht darüber, daß alle diese Worte eigentlich unklar sind und einen unheimlichen Doppelsinn haben, daß nämlich damit eine wirkliche Aussiedlung gemeint sein kann, aber auch die physische Vernichtung und der Judenmord.

Ich darf hier einschaltend daran erinnern, daß Rosenberg bei seiner Zeugenvernehmung die Äußerung des britischen Premierministers in seiner amtlichen Rede vor dem Unterhaus September 1943 zitiert hat, daß der preußische Militarismus und der Nationalsozialismus mit Stumpf und Stil auszurotten sei. Kein Deutscher hat dies so ausgelegt – und ich glaube nicht, daß er sich darin getäuscht hat –, daß die deutschen Soldaten und Nationalsozialisten physisch zu vernichten sind.

Abseits vom Wissen und Willen des deutschen Volkes, aber auch abseits vom Wissen und Willen des allergrößten Teils der Führerschaft, nämlich nur in Kenntnis von Bormann, Himmler und Eichmann, wurde seit dem Jahre 1941 ein Massen verbrechen ausgebrütet und zur Ausführung gebracht, das alle menschlichen Verstandes- und Moralbegriffe hinter sich läßt. Die »Judenfrage« entwickelte sich weiter und wurde nun einer sogenannten »Endlösung« zugeführt. Das Gericht wird die Frage entscheiden müssen: Ist auch Rosenberg, der besonders markante Exponent der Partei, der Reichsminister für die besetzten Ostgebiete, für die Judenmorde, insbesondere die Judenmorde im Osten verantwortlich? Ist er also ein Judenmörder? Oder muß man erkennen und ihm zugestehen, daß er zwar haarscharf am Abgrund steht, daß aber doch ausschließlich äußere Umstände zu dem allen geführt haben, Umstände, die außerhalb seiner Verantwortung und seiner Schuld liegen?

Ich glaube, sagen zu können, daß Rosenberg niemals offen oder versteckt auf die physische Vernichtung der Juden hingewirkt hat. Sicherlich ist seine Zurückhaltung und Mäßigung keine bloße Taktik gewesen. Das Abgleiten des Antisemitismus ins Verbrecherische geschah ohne sein Wissen und Wollen. Die Tatsache allein, daß er Antisemitismus gepredigt hat, rechtfertigt so wenig seine Bestrafung als Judenmörder, als man Rousseau und Mirabeau für die späteren Greuel der französischen Revolution verantwortlich machen darf. So sehr der erste Anschein dazu verleiten möchte, kann eine verbrecherische Schuld auch nicht aus seiner Stellung als Reichsminister für die besetzten Ostgebiete abgeleitet werden. Wie schon ausgeführt, kann der »verantwortliche Minister« nicht ohne weiteres für strafbare Handlungen in seinem Geschäftsbereich oder Territorium verantwortlich gemacht werden. Eine strafrechtliche Verantwortlichkeit besteht nach dem deutschen Strafgesetzbuch, Paragraph 357, dann, wenn ein Amtsvorgesetzter eine strafbare Handlung seiner Untergebenen wissentlich geschehen läßt und wenn – diese Ergänzung geben die Kommentare – der Vorgesetzte in der Lage ist, die Tat zu verhindern.

Ich möchte an Hand der hierfür vorgelegten Dokumente die Frage seiner Verantwortlichkeit erörtern:

1. Die Judenaktion Sluzk (Dokument 1104-PS).

Am 27. Oktober 1941 wurde durch ein Polizeibataillon in Stärke von vier Kompanien in Sluzk unter den dortigen Juden ein furchtbares Blutbad angerichtet, weil der Kommandeur von seiner vorgesetzten Stelle einen Auftrag erhalten hatte, die Stadt ohne Ausnahme von Juden freizumachen. Der Gebietskommissar erhob sofort schärfsten Protest dagegen, verlangte, die Aktion, sofort einzustellen und hielt die Polizeibeamten, soweit er konnte, mit gezogenem Revolver in Schach; er berichtete an den Generalkommissar Kube in Weißruthenien in Minsk, der wegen der »bodenlosen Schweinerei« gegen die beteiligten Offiziere Strafanträge beim Reichskommissar Ostland, Lohse, stellte. Dieser berichtete an das Reichsministerium Ost mit der Bitte, es mögen von höherer Stelle Sofortmaßnahmen ergriffen werden. Der Reichsminister für die besetzten Ostgebiete schickte den gesamten Bericht an den Chef der Sicherheitspolizei und des SD, Heydrich, mit dem Ersuchen um weitere Veranlassung.

Infolge des raffinierten Systems, eine dem zuständigen Verwaltungschef nicht verantwortliche und nicht einmal zum Bericht verpflichtete Polizei zu etablieren, war Rosenberg in diesem wie in anderen derartigen Fällen zu irgendwelchen weiteren Maßnahmen nicht imstande. Er war nicht Vorgesetzter der Polizei und konnte hoffen, daß die Weitergabe der Meldung an Heydrich genügen würde, solche nach seiner Auffassung regionalen Exzesse der Polizei abzustellen. Aus der Empörung aller Verwaltungsstellen über die gemeldeten Vorfälle ergibt sich, daß sie keine Ahnung davon hatten, daß es kein Exzeß war, sondern eine von Heydrich und Himmler befohlene Aktion. Bei aller Ablehnung Heydrichs und Himmlers konnte auch Rosenberg etwas Derartiges nicht vermuten.

2. Ebenfalls aus dem Oktober 1941 stammt das Dokument Nummer 3663-PS, in welchem der »Reichsminister für die besetzten Ostgebiete«, unterzeichnet »im Auftrag Dr. Leibbrandt«, den Reichskommissar Ostland zum Bericht darüber auffordert, daß seitens des Reichssicherheitshauptamtes Beschwerde darüber geführt wird, daß der Reichskommissar Ostland Judenexekutionen in Libau untersagt habe, worauf der Adressat geantwortet hat:

»Ich habe die Judenexekution in Libau untersagt, weil sie in der Art ihrer Durchführung nicht zu verantworten war.«

Es folgt eine Bitte um weitere Weisungen. Zu diesem Dokument, das vom Abteilungsleiter Leibbrandt unterzeichnet ist und in keiner Hinsicht auf ein Wissen des Angeklagten Rosenberg hinweist, ist vorsorglich kurz folgendes zu sagen: Es hat nicht den Sinn eines Vorwurfes des Reichsministers Ost, daß die Judenexekutionen nicht fortgesetzt worden seien, sondern bedeutet lediglich die Weitergabe einer Beschwerde des Reichssicherheitshauptamtes mit der Aufforderung zum Bericht. Vermutlich war die Beschwerde damit begründet, daß der Reichskommissar Ostland in die Zuständigkeit des Reichssicherheitshauptamtes eingegriffen habe, und vermutlich ist die Aufforderung zum Bericht in diesem Sinn ergangen. In dem Schreiben vom 18. Dezember 1941 hat ja auch der Reichsminister Ost, gezeichnet »Im Auftrag: Bräutigam«, den Reichskommissar Ostland gebeten, auftauchende Fragen unmittelbar mit den Höheren SS- und Polizeiführern zu regeln.

Die Abzeichnung »R« als Rosenbergs Initiale in diesem Dokument identifizieren zu wollen, weil dem Ankläger offenbar Rosenbergs Kenntnis der Dinge selbst mehr als zweifelhaft war, ist ebenfalls mißlungen. Dieses »R« stammt nicht von Rosenberg.

3. Das Dokument Nummer 3428-PS betrifft ein Schreiben des Generalkommissars für Weißruthenien an den Reichskommissar für das Ostland. Es ist ein erschütterndes Dokument über Massenausrottungen von Juden in Weißruthenien; für die Anklage gegen Rosenberg ist aber daraus nichts zu entnehmen; denn die entsetzlichen Vorkommnisse können ihm ja nur dann zur Last gelegt werden, wenn er davon Kenntnis hatte und es pflichtwidrig unterlassen hat, dagegen einzuschreiten. Für eine solche Kenntnis ergibt sich auch hier kein Anhaltspunkt.

Die Behauptung, diese Dokumente seien ja bei Rosenberg gefunden worden, kann den Tatsachen nicht entsprechen, da sie ja den Reichskommissar in Riga als Adressaten haben.

4. In der »Aktennotiz für den Führer vom 18. Dezember 1941« (Dokument Nummer 001-PS) hat der Angeklagte folgendes vorgeschlagen, was ich wörtlich zitieren muß:

»Die Attentate auf deutsche Wehrmachtsangehörige haben nicht aufgehört, sondern werden fortgesetzt. Es tritt hier ein eindeutiger Plan in Erscheinung, die deutsch-französische Zusammenarbeit zu stören, Deutschland zu Vergeltungsmaßnahmen zu zwingen und damit eine neue Abwehr seitens der Franzosen Deutschland gegenüber hervorzurufen. Ich rege beim Führer an, doch an Stelle von 100 Franzosen jeweilig 100 oder mehr jüdische Bankiers, Rechtsanwälte usw. erschießen zu lassen.«

Es ist nicht meine Aufgabe, hier über die Zulässigkeit von Geiselerschießungen zu sprechen; sicher ist aber wohl eines, daß Rosenberg von der Zulässigkeit einer solchen Maßnahme überzeugt war. Dann aber muß diese Anregung in diesem Rahmen aufgefaßt werden und kann sicherlich nicht als selbständige Aufforderung zum Mord gewertet werden. Die Anregung ist übrigens ohne jede Folge geblieben; in seinem Antwortschreiben vom 31. Dezember 1941 ist Lammers im Auftrag des Führers nur auf den Vorschlag betreffend Verwertung jüdischer Wohnungseinrichtungen, nicht aber auf die Geiselerschießungen überhaupt zurückgekommen, ebenso auch nicht mehr Rosenberg.

Ich möchte hier folgendes einschalten:

Der Herr französische Anklagevertreter hat Rosenberg, als er im Zeugenstand saß, vorgeworfen, das sei Mord.

Meine Herren Richter! Ein Mord war es deshalb nicht, weil ja keine Ausführungshandlung erfolgt ist. Es war aber auch keine Anstiftung zum Mord. Angestiftet kann nur einer werden, der noch zu überzeugen ist. Wenn aber der Haupttäter ein zu allem bereits Entschlossener ist, ein omni modo facturus, dann kann er nicht mehr angestiftet werden, und es kommt lediglich das Vergehen einer Aufforderung zu einer strafbaren Handlung in Frage, die, wenigstens nach deutschem Recht, als ein Vergehen zu beurteilen ist, das nur gering bestraft wird, weil sie nämlich keine Folgen hatte.

Ich möchte gerade an dieser Stelle daran erinnern, daß Rosenberg als Zeuge bekundet hat, das Gericht habe einmal einen Gebietskommissar im Osten deshalb zum Tode verurteilt, weil er bei einer jüdischen Familie sich Wertsachen erpreßt hatte, und das Urteil sei auch vollstreckt worden. Ich bitte, es nicht als abwegige Verteidigerargumentation zu betrachten, wenn ich sage: Erhellt nicht daraus zur Evidenz, daß Rosenberg verbrecherische Aktionen gegen die Juden verabscheut hat?

5. Das Dokument R-135, USSR-289, betrifft den Bericht des Generalkommissars in Weißruthenien in Minsk vom 1. Juni 1943 über die Vorgänge im Gefängnis von Minsk betreffend Goldplomben an den Reichskommissar für das Ostland, der den Bericht am 18. Juni 1943 mit stärkster Entrüstung weitergegeben hat.

Bei seinem Verhör vor dem Hohen Gericht am 16. April 1946 hat der Angeklagte sich hierzu schon erklärt. Ich möchte dies in Kürze wiederholen:

Er war am 22. Juni 1943 von einer Dienstreise aus der Ukraine zurückgekehrt und fand eine Menge von Vormerkungen über Besprechungen, viele Briefe und vor allen Dingen den Führererlaß von Mitte Juni 1943 vor, in welchem Rosenberg angewiesen wurde, sich nur auf das Grundsätzliche in der Gesetzgebung zu beschränken und sich nicht um Einzelheiten zu kümmern. Herr Rosenberg hat den Brief nicht gelesen, er muß aber annehmen – erinnern kann er sich daran nicht –, daß der Brief ihm von seinem Büro vorgetragen worden ist, vermutlich wurde ihm im Laufe des Vertrags über viele Schriftstücke mitgeteilt, daß wieder eine große Beschwerde zwischen Polizei- und Zivilverwaltung vorliege, und vermutlich hat Rosenberg gesagt: Geben Sie das dem Gauleiter Meyer, oder geben Sie das dem Verbindungsmann, um diese Dinge zu prüfen. Die furchtbaren Einzelheiten wären Rosenberg sonst sicherlich im Gedächtnis geblieben.

Niemand ist darüber irgendeinen Augenblick im Zweifel, daß die furchtbaren Verbrechen, die aus diesen Dokumenten hervorgehen, und all das viele sonstige Fürchterliche, was mit keinem Dokument belegt werden kann und doch geschehen ist, nach Sühne verlangt. Niemand ist darüber im Zweifel, daß nicht nur die kleinen Henkersknechte, die auf höheren Befehl handelten, bestraft werden sollen, sondern auch und vor allem diejenigen, die Befehle gegeben haben und diejenigen, die für die Missetaten verantwortlich sind. Rosenberg hat keinen Judenmordbefehl gegeben, so viel steht wohl fest. Ist er aber dennoch verantwortlich für die fürchterlichen Morde?

Kein handschriftliches Zeichen des Angeklagten ist auf einem der Morddokumente festzustellen. Es war aber auch in keinem Fall festzustellen, daß er von den Vorgängen überhaupt Kenntnis gehabt hat. Können wir aber auf vermutete, wahrscheinliche Kenntnis hin über Rosenberg den Stab brechen? Rosenberg hat keineswegs die Absicht, ein feiges und falsches Versteckspiel hinter seinen Referenten und Beamten zu treiben; aber erinnern wir uns, mit welch raffiniertem System die sogenannten Judenexekutionen nicht nur vor der Öffentlichkeit, sondern sogar vor den höchsten Mitarbeitern Hitlers geheimgehalten wurden! Ist es nicht möglich, ja sogar glaubhaft, daß man sogar und gerade vor Rosenberg ein Versteckspiel getrieben hat? Die Gedanken und Absichten keines Führers der NSDAP lagen wohl so offen und klar vor aller Welt zutage, wie gerade die des Schriftstellers Rosenberg, bei keinem wußte man so genau, daß er das Unmenschliche, Verbrecherische mit Empörung ablehnen werde.

Gehen wir aber noch einen Schritt weiter und nehmen zweitens den Fall an, daß Rosenberg volle Kenntnis gehabt hat von diesem größten Verbrechen – es ist das nicht bewiesen, aber man könnte es annehmen, vermuten –, ist er dann auch verantwortlich? Eigenartig, ja raffiniert war ja auch, wie wir wissen, die ressortmäßige Zuständigkeit und damit die Verantwortlichkeit in den Oststaaten gestaltet. Der gesamte Komplex der Polizei war aus dem Einflußbereich Rosenbergs herausgezogen, die oberste Spitze war Himmler und unter ihm Heydrich. Von ihren Befehlen und Maßnahmen hatte Rosenberg regelmäßig keine Kenntnis und keine Ahnung. Die nachgeordneten Polizeiführer und Polizeiorgane waren sachlich ihren polizeilichen Vorgesetzten und sonst niemandem unterstellt und verantwortlich. Es war ganz gleich, ob Rosenberg von den Maßnahmen der Polizei etwas wußte oder nicht, er konnte daran so wenig ändern wie irgendein anderer Volksgenosse im Dritten Reich. Man könnte einwenden: Doch, er hätte Gegenvorstellungen bei Hitler oder bei Himmler erheben können, er hätte zurücktreten können. Sicherlich hätte er das tun können. Das entscheidende Moment ist aber nicht, ob er das hätte tun können, sondern entscheidend ist, ob er wahrscheinlich damit Erfolg gehabt hätte. Also, ob er damit die Exekution hätte verhindern können. Denn nur in einem solchen Fall könnte seine Verantwortlichkeit auf Grund seines Unterlassens bejaht werden, und nur in einem solchen Fall könnte man von Kausalität sprechen, ohne welche eine strafrechtliche Schuld nicht denkbar ist. Man kann weiter sagen, immer unter der Fiktion des Wissens Rosenbergs um diese Dinge: Dann hätte Rosenberg wenigstens gegen die Reichskommissare einschreiten können, die offenbar in diese Dinge verstrickt waren. Wir wissen, daß die Verwaltungsorganisation, die Verteilung der endgültigen Zuständigkeit im Osten mindestens unklar war. Die Reichskommissare waren souveräne Herren ihres Gebietes, die über Geiselerschießungen und sonstige Vergeltungsmaßnahmen von größter Tragweite selber in letzter Instanz entschieden. Und wie waren die tatsächlichen Machtbefugnisse? Wenn der Reichskommissar mit Rosenberg nicht zufrieden war – und er war es meistens nicht –, dann ging er zu Hitler. Glaubt jemand ernsthaft, daß Rosenberg bei einer Meinungsverschiedenheit mit Koch wegen der Judenexekution bei einer Vorsprache bei Hitler Recht bekommen hätte? Es fehlt also wiederum an der Kausalität, die zu einer rechtmäßigen Verurteilung unbedingt erforderlich wäre.

Ich komme zum Einsatzstab Rosenberg. Nicht weniger als drei Ankläger sind gegen Rosenberg in diesem Prozeß aufgetreten mit der Anschuldigung, Dinge der Kunst und Wissenschaft in Ost und West in größtem Umfang systematisch gestohlen zu haben (Storey am 18. Dezember 1945, Gerthoffer am 6. Februar 1946, Smirnow am 15. Februar 1946). Ich muß mich zunächst gegen einige offensichtliche Übertreibungen und Ungerechtigkeiten wenden, so die Behauptung, daß sich die Tätigkeit des Sonderstabes im Westen auf öffentliches und privates Eigentum ohne Unterschied erstreckte (Protokoll vom 6. Februar 1946, vormittag, Band VII, Seite 69), daß das, was Deutschland an Kunstgegenständen sich aneignete, die Schätze des Metropolitan-Museums in Neuyork, des Britischen Museums in London, des Louvre in Paris und der Tretjakow-Galerie zusammen übertrifft. Als unrichtig muß ich ferner die Behauptung bezeichnen, daß das »Plünderungsprogramm« Rosenbergs den Zweck hatte, die besetzten Länder um den ganzen Bestand von Jahrhunderten an Kunst und Wissenschaft zu berauben. Schließlich setzt die Anklage die Aktion Rosenbergs in Gegensatz zu den Kunstplünderungen in früheren Kriegen; sonst sei Eigenliebe, Eitelkeit, Geschmack und persönliche Neigung des Eroberers das Motiv zu solchen Plünderungen gewesen, während die Nationalsozialisten in erster Linie die verbrecherische Absicht gehabt hätten, Wertreserven aufzuspeichern (Protokoll vom 6. Februar 1946, vormittag, Band VII, Seite 79). Ich glaube, daß es nicht notwendig ist, auf die Kunstplünderung früherer Zeiten bis herauf zu Napoleon einzugehen, weil sich die völkerrechtlichen Auffassungen und Regeln inzwischen geändert haben, aber ein Doppeltes möchte ich doch bemerken: 1. Wie viele der berühmtesten Kunstwerke in den berühmtesten Galerien der Welt sind wohl auf kriegerischem und wie viele auf friedlichem Wege dorthin gekommen? 2. Ich kann es ruhig hinnehmen, wenn die Ankläger dem Angeklagten Rosenberg die Freude an der Kunst, die Leidenschaft des Kunstbesitzes als mögliches Motiv seiner Handlungen absprechen; denn Rosenberg war überhaupt kein Kunsträuber, kein Kunstplünderer. Er hatte nicht die Absicht, die Kunstwerke sich oder einem anderen zuzueignen.

Wie war der Sachverhalt?

Rosenbergs Einsatzstab wurde im Westen und im Osten tätig, er hatte zwei Aufgaben: 1. Bibliotheken, Archive und so weiter nach Material zu untersuchen, das für die geplante »Hohe Schule« der Partei geeignet war, dieses Material zu beschlagnahmen und zwecks Erforschung abzutransportieren; 2. solche Kulturgüter zu erfassen, die im Besitz oder Eigentum von Juden waren, oder herrenlos oder nicht einwandfrei zu klärender Herkunft. Die Anklage sagt: Das wahre und einzige Motiv, der wahre und einzige Zweck dieser »Erfassung« war Raub und Plünderung, von einer beabsichtigten bloßen »Sicherstellung« könne keine Rede sein.

Am 20. August 1941 schreibt Rosenberg an den Reichskommissar Ostland, er wolle ausdrücklich untersagen, daß irgendwelche Kulturgüter ohne Genehmigung des Reichskommissars von irgendwelchen Stellen fortgeführt werden (Dokument 1015c-PS). Das Oberkommando des Heeres hat im Einvernehmen mit Rosenberg am 30. September 1942 einen Befehl erlassen (Dokument 1015n-PS), in dem es heißt:

»Von Ausnahmefällen abgesehen, in denen die Sicherung gefährdeter Kulturgüter dringlich ist, wird deren vorläufiger Verbleib an Ort und Stelle angestrebt.«

Später heißt es: Die Truppen und alle im Operationsgebiet eingesetzten militärischen Dienststellen sind unverändert angewiesen, wertvolle Kulturdenkmäler nach Möglichkeit zu schonen und vor Zerstörungen und Beschädigungen zu bewahren.

In dem Bericht »Sonderstab Bildende Kunst« (Arbeitsbericht über die Zeit vom Oktober 1940 bis 1944, 1015b-PS) heißt es, daß sich in den besetzten Ostgebieten die Tätigkeit des Sonderstabes »Bildende Kunst« auf die wissenschaftliche und photographische Erfassung der öffentlichen Sammlungen beschränke und ihre Sicherung und Betreuung in Zusammenarbeit mit den militärischen und zivilen Dienststellen geschehen sei. Es heißt dort weiter, daß im Zuge der Räumung der Gebiete einige hundert wertvolle Ikone und Gemälde und so weiter in Zusammenarbeit mit einzelnen Heeresgruppen geborgen und in ein Bergungslager ins Reich gebracht worden seien. – Schließlich hat am 12. Juni 1942 Rosenberg ein Rundschreiben an die Obersten Reichsbehörden erlassen, in dem es heißt:

»In den besetzten Ostgebieten ist eine Reihe von Dienststellen und Einzelpersonen mit der Bergung von Kulturgütern befaßt; sie arbeiten nach verschiedenen Gesichtspunkten und unabhängig voneinander. Es ist zur Verwaltung dieser Gebiete unbedingt erforderlich, daß ein Überblick über die vorhandenen Kulturgüter geschaffen wird. Außerdem muß angestrebt werden, daß sie in der Regel vorläufig an Ort und Stelle verbleiben. Ich habe deshalb eine Zentralstelle zur Erfassung und Bergung von Kulturgütern im Osten als Sonderdezernat in meinem Ministerium errichtet.«

Rosenberg stand also nachweislich auf dem Standpunkt, daß die Kulturgüter im Lande bleiben müssen, und nur wegen des Rückmarsches der deutschen Armeen sind einige hundert wertvolle Ikone und Bilder nach Deutschland gebracht worden.

Kulturgüter, bewegliche wie unbewegliche, sind im Kriege ebenso der Gefahr der Vernichtung ausgesetzt wie alle anderen Werte. Rosenberg hat gegen unnötige Zerstörungen, Diebstähle und Verschleppungen einen Riegel vorgeschoben, er hat die Sicherstellung der Kulturwerte zentralisiert und durch seinen Einsatzstab im Osten und Westen das Erforderliche vornehmen lassen (so zum Beispiel den Bericht Abels über die Bibliothek in Minsk, 076-PS). Es entspricht durchaus völkerrechtlichen Rechtsanschauungen (ich zitiere Scholz, Privateigentum im besetzten und unbesetzten Feindesland, Berlin 1919, Seite 36), daß nicht nur für Schonung, sondern auch für Sicherung und Bergung von Kulturschutzgegenständen seitens der Okkupanten gesorgt wird, soweit dies nach Kriegslage möglich ist; ja, es wird sogar als Kulturpflicht des Besetzenden angesehen, besonders wertvolle Kunstgegenstände aus der Feuerzone zu retten und so gesichert wie möglich unterzubringen; unter Umständen kann es nach völkerrechtlicher Auffassung Recht und Pflicht des Okkupanten werden, Gegenstände von besonders wissenschaftlichem oder künstlerischem Wert im Bergungsinteresse in sein eigenes Heimatland abzuführen. Eine unzulässige »saisie« (Artikel 56, Absatz 2, Landkriegsordnung) ist dies nicht, denn darunter sind nur kulturfeindliche, nicht kulturfreundliche Handlungen zu verstehen. (Siehe Scholz, am angeführten Ort, Seite 37.)

Schließlich verweise ich auf das Dokument Nummer 1109-PS, einen Bericht, wonach gerettete wissenschaftliche Institute bereitstünden, beim erhofften neuen Einmarsch sofort wieder in die Ukraine zurückgeführt zu werden. Auch aus diesem klaren Wortlaut eine Plünderung herauszulesen, halte ich für gänzlich unmöglich.

Sicherlich sind im Osten große Mengen und bedeutende Werte an Kulturgütern durch unmittelbare Kriegseinwirkung oder durch mutwillige Zerstörungen, Plünderungen vernichtet worden. Es wäre eine grundsätzliche Verkennung der wahren Sachlage und eine große Ungerechtigkeit, wenn man diese Verluste auf das Konto des Einsatzstabes und seines Chefs schreiben würde, denn sein Wirken ging gerade in gegenteiliger Richtung.

Im Westen (siehe die Aussage des Zeugen Robert Scholz vom 29. Mai 1946, Dokument Nummer Ro- 41) war der Sachverhalt anders gelagert, aber auch hier kann meines Erachtens dem Angeklagten nicht Plünderung und Kunstraub vorgeworfen werden. Als im Sommer 1940 die Pariser mit Ausnahme der Juden wieder zurückgekehrt waren, kam man auf den Gedanken, die nunmehr herrenlosen Wohnungen, Häuser und Schlösser nach Büchern und Bibliotheken zu durchforschen und dieses wissenschaftliche Material, soweit von Interesse, nach Deutschland zu bringen. Von verschiedenen Wehrmachtsstellen kam die Meldung, daß besonders in jüdischen Schlössern Kunstsammlungen vorhanden seien, deren unversehrten Bestand man bei einer längeren Besetzung nicht garantieren könne. Darauf hat Rosenberg den Vorschlag gemacht, daß sein Einsatzstab auch auf die Kunstgegenstände sein Augenmerk richten und sich ihrer annehmen dürfe, was von Hitler dann angeordnet wurde. Was hat der Einsatzstab mit diesen Kunstwerken getan? Er hat eine genaue Kartothek mit Vermerk des jeweiligen Eigentümers jedes Bildes hergestellt, die Kunstwerke photographiert, wissenschaftlich begutachtet, soweit notwendig, fachmännisch repariert, sorgfältig verpackt und nach den bayerischen Schlössern Neuschwanstein und Chiemsee transportiert. Aus Gründen der Luftgefahr wurden sie dann in einem alten österreichischen Bergwerk untergebracht. Rosenberg hat besonderen Wert darauf gelegt, daß die vom Einsatzstab betreuten Gegenstände geschlossen aufbewahrt und nicht vermischt werden mit den großen Einkäufen, die Hitler für die beabsichtigte Linzer Galerie gemacht hat.

War das Plünderung, Raub, Diebstahl? Plünderung ist die wahllose und mutwillige Wegnahme von Gegenständen in Situationen allgemeiner Not und Gefahr, Raub die Wegnahme mit Gewalt, Diebstahl die Wegnahme ohne Gewalt. Immer muß die Absicht vorhanden gewesen sein, den Gegenstand sich oder einem anderen rechtswidrig zuzueignen. Welche Absicht hatte Rosenberg? Er hat nie geleugnet, daß er und seine Mitarbeiter die Hoffnung hatten, daß die Bilder in Deutschland bleiben würden, vielleicht als Kompensation oder als Pfand für die Friedensverhandlungen. Seine Absicht aber ging lediglich dahin, die Gegenstände zu beschlagnahmen und sicherzustellen, und nachgewiesenermaßen ist es bis zum Schluß offengeblieben und keine grundsätzliche Entscheidung darüber getroffen worden, was mit den beschlagnahmten Sachen geschehen solle. Ganz bestimmt hatte Rosenberg nicht die Absicht, die Sachen sich oder einem anderen rechtswidrig zuzueignen. Wenn Rosenberg ein Kunstplünderer gewesen wäre, hätte er sicherlich nicht genaue Aufzeichnungen über Datum und Ort der Beschlagnahme und über den Namen des Besitzers gemacht. Vorsorglich möchte ich aber noch darauf hinweisen, daß die Sachen infolge Flucht ihrer Eigentümer herrenlos waren und daß die Frage der Herrenlosigkeit und die Frage der Rechtmäßigkeit ihrer Inbesitznahme durch Rosenberg nicht nach normalen Verhältnissen, sondern nach Maßnahme der außergewöhnlichen Kriegsverhältnisse zu beurteilen ist. Wenn die Anklage behauptet, daß wahllos öffentliches und privates Kunstgut geraubt worden ist, so möchte ich hierauf erwidern, daß nur jüdischer Besitz, und zwar, wie bemerkt, herrenlose Gegenstände beschlagnahmt wurden. Vor allem ist es nicht richtig, daß auch staatlicher Besitz angegriffen worden sei. Schließlich hat er nicht auf eigene Faust gehandelt, sondern in Durchführung eines Staatsbefehls; und letztlich bitte ich, es nicht unbeachtet zu lassen, daß Rosenberg ohne jegliches egoistisches Motiv gehandelt hat. Nicht ein einziges Bild ging in seinen Privatbesitz über, nicht eine einzige Mark hatte er Gewinn bei dieser Transaktion von Millionenwerten, und sämtliche Kunst- und Kulturgüter sind ja auch wieder aufgefunden worden. Ich möchte der Französischen Anklage den Dank aussprechen, daß sie dies öffentlich hier auch anerkannt hat.

Göring hat die Arbeit des Einsatzstabes unterstützt und, wie er angibt, mit Zustimmung des Führers einiges für seine Zwecke »abgezweigt«.

Rosenberg hat dies beunruhigt, weil der Einsatzstab auf seinen Namen ging und hat erklärt, daß er grundsätzlich nichts auch den Museen abgeben will. Seine Aufgabe sei lediglich zu registrieren und sicherzustellen; am Ende solle der Führer über diese Kunstwerke bestimmen. Gegen Göring hat Rosenberg nichts unternehmen können. Er hat aber seinem Beauftragten Robert Scholz den Auftrag gegeben, wenigstens genau zu registrieren, was an Göring abgegeben worden ist und diesen über den Empfang quittieren zu lassen, was dieser auch getan hat. Ganz bestimmt ist also Rosenberg nicht die Absicht nachzuweisen, die Kunstgegenstände sich oder einem anderen zuzueignen. Robert Scholz hat ferner bestätigt, daß Rosenberg auch allen seinen Mitarbeitern verboten hat, irgendein Kunst- und Kulturgut, selbst nicht auf Grund einer amtlichen Taxation, zu erwerben (Dokument Ro-41).

Die Anklagebehörde sagt, daß mit dem Einsatzstab Rosenberg eine Bande von Vandalen in das Kunsthaus Europas eingebrochen sei, um hier in barbarischer Weise zu plündern. Denkt man an die gewaltige Arbeit der Inventarisierung, Katalogisierung, der Restaurierung und wissenschaftlichen Zuschreibung, und hält man sich schließlich vor Augen, daß diese Kostbarkeiten sorgfältigst aufbewahrt und den Krieg sicher besser überstanden haben, als es der Fall gewesen wäre, wenn sich die deutschen Behörden nicht darum gekümmert hätten, dann glaube ich, daß man bei objektiver Betrachtung von allem eher als von »Vandalismus« sprechen kann. Ich komme zur Möbelaktion...

VORSITZENDER: Ich glaube, jetzt wäre ein geeigneter Zeitpunkt für eine Pause.