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[Das Gericht vertagt sich bis

12. Juli 1946, 10.00 Uhr.]

Einhundertsiebenundsiebzigster Tag.

Freitag, 12. Juli 1946.

Vormittagssitzung.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird sich heute nachmittag um 4.00 Uhr vertagen.

Bitte, Herr Dr. Marx.

DR. MARX: Herr Präsident! Mit Erlaubnis des Hohen Gerichts fahre ich nunmehr in dem Plädoyer des Angeklagten Streicher fort. Ich bin gestern bei dem Punkte stehengeblieben, wo die einzelnen Anklagepunkte gegen Streicher zusammengefaßt waren, und zwar habe ich mir auszuführen erlaubt, daß diese Anklagepunkte sich in drei verschiedene Absätze gliedern lassen: Einmal Unterstützung der Machtergreifung und Festigung der Macht der Partei nach deren Eintritt in die Regierung, dann ferner Vorbereitung von Angriffskriegen durch Propagierung der Judenverfolgung, und schließlich geistige und seelische Vorbereitung und Erziehung des deutschen Volkes, der deutschen Jugend und der aktiven Vernichter des Judentums zum Haß gegen das Judentum.

Was den Anklagepunkt I anbelangt, so stellt der Angeklagte nicht in Abrede, daß er die spätere Machtergreifung der Partei von deren frühesten Anfängen an mit all seinen Kräften unterstützt und gefördert hat. Diese Unterstützung erstreckte sich darauf, daß er eine von ihm selbst in Franken aufgezogene Bewegung der in den Jahren nach dem ersten Weltkrieg denkbar kleinen und lediglich auf Südbayern beschränkten Partei Hitlers zur Verfügung stellte, und daß er weiter nach Hitlers Entlassung aus der Festung Landsberg sofort wieder zu diesem stieß und in der Folgezeit dessen Ideen und Ziele auf das entschiedenste vertrat.

Bis zum Jahre 1933 erschöpfte sich die Tätigkeit des Angeklagten in Propaganda für die Partei und deren Ziele, namentlich auf dem Gebiete der Judenfrage.

In diesem Verhalten des Angeklagten kann aber für sich allein ein Verbrechen nicht gesehen werden. Die Teilnahme an einer Partei innerhalb eines Staates, der eine solche Oppositionspartei gestattet, kann nur dann als verbrecherisch angesehen werden, wenn einmal die Ziele einer solchen Partei objektiv verbrecherisch sind und wenn subjektiv ein Angehöriger einer solchen Bewegung diese verbrecherischen Ziele kennt, billigt und damit auch unterstützt.

Die Grundlage der gesamten Anklagen gegen alle Angeklagten liegt ja nun auch darin, daß der Partei von deren Anfang an verbrecherische Ziele vorgeworfen werden. Nach der Behauptung der Anklagevertretung sollen die Angehörigen dieser Partei bereits vom ersten Anfang an den Plan gehabt haben, die Welt zu unterjochen, fremde Rassen zu vernichten und die Herrenrasse der Deutschen über die ganze Welt zu setzen. Sie werden beschuldigt, daß sie von Anfang an diese Ziele und Pläne durch Angriffskriege, durch Mord und Gewalt hätten durchsetzen wollen.

Wenn also dem Angeklagten Streicher bereits seine Teilnahme an der Partei und deren Unterstützung als Verbrechen zugerechnet werden soll, so muß erwiesen werden, daß diese Partei derartige Pläne hatte und daß der Angeklagte diese kannte und wollte.

Meine Herren Vorredner haben bereits hinreichend dargelegt, daß eine derartige Verschwörung mit derartigen Zielen nicht bestanden hat. Ich kann mir deshalb hierzu weitere Ausführungen sparen und auf das Bezug nehmen, was von den übrigen Herren Verteidigern bereits vorgetragen worden ist. Ich habe mich lediglich mit dem Punkt zu beschäftigen, daß der Angeklagte Streicher jedenfalls an einer derartigen Verschwörung, wenn sie vom Hohen Gericht als erwiesen angesehen werden sollte, nicht beteiligt gewesen ist.

Das offizielle Parteiprogramm strebte die Erlangung der Macht auf legalem Wege an. Die darin propagierten Ziele können nicht als verbrecherisch angesehen werden. Bestanden also solche Ziele tatsächlich, so konnten sie, wie dies im Charakter einer Verschwörung überhaupt liegt, nur im engen Kreis bekannt sein.

Das Parteiprogramm wurde nicht geheimgehalten, sondern in einer öffentlichen Versammlung in München verkündet, so daß nicht nur die gesamte Öffentlichkeit in Deutschland, sondern auch die Weltöffentlichkeit über die Ziele der Partei unterrichtet sein konnte.

Es fehlt demnach das Moment der geheimen Verabredung zu einem gemeinsamen Ziel, wie es das charakteristische Merkmal einer Verschwörung zu sein pflegt.

Die Beweisaufnahme hat auch nichts dafür ergeben, daß schon damals irgendeine geheime Planung eines Revanche- oder eines Angriffskrieges, verbunden mit der vorgängigen oder gleichzeitigen Vernichtung des Judentums vorhanden gewesen sei. Sollte gleichwohl eine Verschwörung bestanden haben, so hätte sich diese lediglich auf den engen Kreis beschränken können, der sich ausschließlich um die Person Hitlers konzentrierte. Zu diesem Kreis gehörte der Angeklagte Streicher jedoch nicht. Keines der von ihm innegehabten Ämter ergibt dafür den geringsten Anhaltspunkt. Als alter Parteigenosse war er lediglich einer unter vielen Tausenden. Als ehrenamtlicher Gauleiter, als ehrenamtlicher SA-Obergruppenführer ebenfalls nur ein Gleicher unter Gleichen. In seinen Ämtern also kann eine Bindung und Verflechtung mit dem innersten Parteikreis nicht gefunden werden. Ebensowenig aber sind seit Ende 1938 persönliche Beziehungen zu den führenden Männern der Bewegung, sei es nun zu Hitler selbst, sei es zu dem Angeklagten Göring, sei es zu Goebbels, Himmler oder Bormann zu erkennen.

Die Anklage hat in dieser Richtung weder Beweis angeboten, noch hat das Verfahren einen Beweis in dieser Richtung erbracht. Nichts von alldem, was in dem monatelangen Verfahren vorgebracht wurde, kann auch nur als Schatten eines Beweises dafür gewertet werden, daß der Angeklagte Streicher so eng mit der höchsten Parteiinstanz verbunden gewesen wäre, daß er deren letzte Ziele hätte kennen können oder gar hätte kennen müssen.

Auch in der Judenfrage waren die Endziele der Partei, deren Auswirkungen sich in den Konzentrationslagern gezeigt haben, vor der Machtergreifung und noch lange Jahre nach ihr nicht so formuliert und fixiert, wie sie sich schließlich gezeigt haben. Das Parteiprogramm selbst sah vor, das Judentum unter Fremdenrecht zu stellen; die im Dritten Reich erlassenen Gesetze ergingen dann auch in dieser Richtung. Erst später hat sich das Programm – das darf hier gesagt werden –, wie auch in vielen anderen Punkten so auch hier, verschärft und sich unter dem Einfluß des Krieges schließlich überschlagen. Gegenüber dem Angeklagten Streicher ist aber ein Nachweis, daß er Ziele anderer Art als solche des offiziellen Parteiprogramms nicht gekannt hat, nicht erbracht.

Demnach ist nicht erwiesen, daß der Angeklagte die Machtergreifung der Partei in Kenntnis bestehender verbrecherischer Ziele unterstützt hatte, und nur hieraus könnte ihm ein strafrechtlicher Vorwurf gemacht werden.

Daß der Angeklagte weiter als Gauleiter bemüht war, nach der Machtergreifung die Macht der Partei zu mehren und zu erhalten, wird von ihm ebenfalls nicht bestritten. Aber auch hierin kann ein strafwürdiges Verhalten nur gesehen werden, wenn der Angeklagte in diesem Zeitpunkt verwerfliche Ziele der Partei kannte.

Hierbei ist rein tatsächlich zu sagen, daß der Angeklagte Streicher im Gegensatz zu nahezu sämtlichen übrigen Angeklagten nicht bis in die letzte Zeit, ja nicht einmal bis zum Kriege, in seiner Stellung verblieb. Amtlich wurde er seiner Stellung als Gauleiter im Jahre 1940 enthoben, aber bereits seit mehr als einem Jahr vorher war er tatsächlich und praktisch einflußlos und kaltgestellt. Solange er aber noch in dem an sich bescheidenen Rahmen, der ihm als Gauleiter zu Gebote stand, wirken konnte, waren irgendwelche verbrecherische Pläne der NSDAP nicht erkennbar. Jedenfalls nicht für einen, der wie der Angeklagte Streicher außerhalb des engsten Kreises Adolf Hitlers stand.

Der gegen den Angeklagten Streicher erhobene Anklagepunkt II, nämlich die Judenverfolgung als Vorbereitung zum Angriffskrieg, kann hier mit einbezogen werden. Bis zum Jahre 1937 war das Bestehen einer Planung für einen Angriffskrieg keinesfalls erkennbar. Jedenfalls hat Hitler, wenn er sich mit einer dahingehenden Absicht getragen haben sollte, dies nach außenhin nicht erkennen lassen. Wenn aber überhaupt, so wurden von ihm zu jener Zeit nur die leitenden Männer in Politik und Wehrmacht ins Vertrauen gezogen, die zu dem engsten Kreis um ihn gehörten. Zu diesen zählte der Angeklagte Streicher aber keinesfalls. Bezeichnend ist dabei insbesondere, daß Streicher bei Ausbruch des Krieges nicht einmal zum Wehrkreiskommissar seines Gaues bestellt wurde. Die einzelnen Besprechungen, aus denen die Anklage den Beweis für die Planung der später eingetretenen Kriege herleitet, sahen jedenfalls den Angeklagten Streicher nicht als Teilnehmer. Sein Name erscheint nirgends, weder in einer schriftlich niedergelegten Verfügung noch in einem Protokoll. Ein Beweis, daß Streicher von einer derartigen angeblich bestehenden Kriegsplanung etwas wußte, ist daher ebenfalls nicht erbracht worden. Damit aber entfällt der Vorwurf, daß er Haß gegen die Juden gepredigt habe, um durch deren Ausschaltung die für eine spätere Zeit geplante Kriegführung zu erleichtern.

Hierzu ist ergänzend zu bemerken:

Ein Hauptprogrammpunkt der NSDAP war der Ruf: »Los von Versailles«. Diesen Programmpunkt hat sich der Angeklagte zu eigen gemacht. Damit ist aber nicht gesagt, daß er sich die Aufhebung dieses Vertrags in Form eines Krieges vorstellte.

Auch die früheren deutschen demokratischen Regierungen haben bei den Verhandlungen mit ihren früheren Gegnern aus dem Weltkrieg stets darauf hingewiesen, daß der Versailler Vertrag keine geeignete Grundlage für eine dauernde Befriedung der Welt und hauptsächlich für eine wirtschaftliche Befriedung darstelle. Nicht nur in Deutschland, sondern in der gesamten übrigen Welt standen die wirtschaftlich klardenkenden Kreise dem Vertrag von Versailles ablehnend gegenüber. Hierbei darf besonders auf das Beispiel der Vereinigten Staaten von Nordamerika hingewiesen werden.

Über die Tatsache, daß der Versailler Vertrag abänderungsbedürftig sei, waren sich nahezu sämtliche politischen deutschen Parteien, ohne Unterschied ihrer sonstigen Zielsetzung, einig. Daß diese Abänderung nur auf vertraglicher Basis möglich war, darüber bestand gleichfalls kein Streit. Jede andere Lösungsmöglichkeit auch nur zu erwägen, wäre mangels jeglicher militärischer Macht des Deutschen Reiches als Utopie erschienen. Auch die NSDAP strebte, jedenfalls soweit dies äußerlich erkennbar war, die Lösung der Probleme auf diesem Wege an. Die Unterstützung einer derartigen Zielsetzung aber kann nicht als ein Verstoß gegen vertragliche Verpflichtungen angesehen und deshalb dem Angeklagten auch nicht zum Vorwurf gemacht werden. Dafür aber, daß er an kriegerische Verwicklungen gedacht und diese gewollt habe, ist keinerlei Beweis erbracht.

Ich komme nun zur Haltung des Angeklagten in der Judenfrage. Hier wird ihm vorgeworfen, daß er jahrzehntelang zur Verfolgung und schließlich Vernichtung des Judentums aufgereizt und aufgehetzt habe und daß er für die schließliche Ausrottung des europäischen Judentums die Verantwortung trage.

Es ist klar, daß dieser Vorwurf den entscheidenden Punkt der Anklage gegen Julius Streicher und vielleicht den entscheidenden Vorwurf der Gesamtanklage überhaupt darstellt; denn in diesem Zusammenhang muß auch die Stellung des deutschen Volkes zu dieser Frage geprüft und entschieden werden.

Die Anklagebehörde steht auf dem Standpunkt, daß an einer Verantwortlichkeit des Angeklagten ebensowenig zu zweifeln sei wie an der schuldhaften Verstrickung des deutschen Volkes.

Als Beweismittel hat sie hierzu vorgebracht:

a) die Reden Streichers vor und nach der Machtergreifung, namentlich eine Rede im April 1925, in der er von der Vernichtung der Juden spricht. Hierin soll nach der Auffassung des Herrn Anklagevertreters der überhaupt erste Beweis für die von der Partei geplante endgültige Lösung der Judenfrage, nämlich die Ausrottung des gesamten Judentums, zu erblicken sein.

b) Aktiver Einsatz der Persönlichkeit und der Autorität des Angeklagten, namentlich beim Boykott-Tag am 1. April 1933.

c) Zahlreiche Artikel aus der Wochenschrift »Der Stürmer«, darunter besonders solche, die sich mit der Frage des Ritualmordes und mit Zitaten aus dem Talmud befassen. Er habe damit bewußt und gewollt das Judentum als eine verbrecherische und minderwertige Rasse dargestellt und Haß und Vernichtungswillen gegen dieses Volk erzeugt und erzeugen wollen.

Die Einlassung des Angeklagten zu diesen Punkten ist folgende:

Er gibt an, daß er lediglich als privater Schriftsteller gearbeitet habe. Sein Ziel sei gewesen, das deutsche Volk über die Judenfrage, so wie er sie sah, aufzuklären. Seine Schilderung des Judentums habe nur bezweckt, dieses als andersartig und fremdrassisch darzustellen und klarzustellen, daß es nach dem deutschen Empfinden fremden Gesetzen lebe. Hetze oder Aufreizung seines Zuhörer- oder Leserkreises habe ihm ferngelegen. Im übrigen aber habe er stets nur den Gedanken propagiert, daß das Judentum eben wegen seiner Fremdartigkeit aus dem deutschen Volks- und Wirtschaftsleben herausgenommen und aus der engen Verbindung mit dem deutschen Volkskörper entfernt werden solle.

Er habe weiter stets eine internationale Lösung der Judenfrage im Auge gehabt, von einer deutschen oder auch nur europäischen Teillösung habe er nichts gehalten und eine solche abgelehnt. In dieser Linie sei es auch gelegen, daß er in einem Leitartikel des »Stürmer« aus dem Jahre 1941 die französische Insel Madagaskar als Siedlungsgebiet für die Juden in Aussicht genommen wissen wollte.

Demzufolge habe er die Endlösung der Judenfrage nicht in der physischen Vernichtung des Judentums, sondern in dessen Aussiedlung gesehen.

Es kann nicht Ziel der Verteidigung sein, sich mit der schriftstellerischen und rednerischen Tätigkeit des Angeklagten, namentlich mit seinem »Stürmer« und mit seiner Einlassung zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen näher auseinanderzusetzen. Seine Weltanschauung und Gesinnung soll ebensowenig erklärt, entschuldigt oder verteidigt werden wie seine Schreib- und Redeweise. Hier zu prüfen und zu entscheiden obliegt allein dem Gericht.

Nur so viel kann gesagt werden, daß zwischen den tatsächlichen Handlungen des Angeklagten und den häufig von ihm gebrauchten Ausdrücken ein nicht zu überbrückender Gegensatz klafft. Es kann behauptet werden, daß der Angeklagte jedenfalls dann, wenn er mit der Leitung eines judenfeindlichen Unternehmens beauftragt war, es zu keinerlei Gewaltmaßnahmen gegen die jüdische Bevölkerung kommen ließ, wie es eigentlich zwangsläufig zu erwarten gewesen wäre, wenn die von der Anklage erhobenen Vorwürfe zutreffend wären.

Ich sehe meine Aufgabe als Verteidiger darin, zu untersuchen und darzulegen, ob der Angeklagte Streicher mit seinen Reden, seinen Handlungen und mit seinen Veröffentlichungen den von der Anklage behaupteten Erfolg nicht nur angestrebt, sondern tatsächlich erreicht hat.

Im folgenden ist daher zu prüfen, ob Streicher in der Tat das deutsche Volk in einem Grade zum Antisemitismus erzog, der es der Führung des deutschen Volkes erst möglich machte, Verbrechen, wie die tatsächlich begangenen, zu begehen. Weiter ist zu untersuchen, ob der Angeklagte die deutsche Jugend in einem derartigen Umfange mit Haß gegen das Judentum erfüllt hat, wie es ihm vorgeworfen wird.

Schließlich ist zu prüfen, ob Streicher tatsächlich der Mann gewesen ist, der die ausführenden Organe der Judenverfolgung zu ihren Taten seelisch und moralisch vorbereitet hat.

Eingangs dieser Darlegung erscheint es wichtig, darauf hinzuweisen, daß ein erheblicher Teil der »Stürmer«-Artikel, aus denen die Anklage die Aufforderung zur Ausrottung und Vernichtung der Juden herleiten will, nicht von Streicher selbst verfaßt sind, sondern aus der Feder von Mitarbeitern, insbesondere aus der des als äußerst radikal bekannten stellvertretenden Gauleiters Karl Holz, stammen.

Wenn auch der Angeklagte Streicher für diese Artikel formell die Verantwortung trägt und diese vor Gericht ausdrücklich übernommen hat, so erscheint dieser Gesichtspunkt für das Ausmaß seiner strafrechtlichen Verantwortlichkeit doch sehr erheblich.

Weiter darf in diesem Zusammenhang erwähnt werden, daß nach der unwiderlegten Behauptung des Angeklagten gerade die schärfstens formulierten Artikel als Erwiderung auf Artikel und Schriftwerke in der ausländischen Presse geschrieben worden sind, die ebenfalls aus der Kriegspsychose heraus besonders radikale Vernichtungsvorschläge gegen das deutsche Volk enthielten.

Der Angeklagte Streicher hat, das kann nicht bestritten und soll nicht verteidigt werden, im »Stürmer« fortlaufend Artikel geschrieben und auch öffentlich Reden gehalten, die stark judenfeindlich waren und die zum mindesten auf eine Ausschaltung des Judentums in Deutschland hinzielten.

In den ersten Jahren fand Streicher für seine judengegnerischen Tendenzen auch einen verhältnismäßig günstigen Nährboden vor. Der erste Weltkrieg hatte mit einer Niederlage Deutschlands geendet, weite Kreise aber wollten die Tatsache eines militärischen Sieges der damaligen Gegner Deutschlands nicht gelten lassen. Sie schrieben dessen Unterliegen ausschließlich der von innen heraus erfolgten Zersetzung des Wehr- und Widerstandswillens des deutschen Volkes zu und bezeichneten das Judentum als Hauptschuldigen an dieser inneren Aushöhlung. Geflissentlich wurde dabei übersehen, welche innen- und außenpolitischen Fehler vor und während des Krieges von der damaligen Regierung gemacht worden waren, ebenso auch die Fehler auf strategischem Gebiet.

Ein Sündenbock für den verlorenen Krieg wurde gesucht und diesen glaubte man, im Judentum gefunden zu haben. Neid, Mißgunst und auch Außerachtlassen eigener Unzulänglichkeit taten das übrige, um die Stimmung gegen die jüdische Bevölkerung ungünstig zu beeinflussen.

Dazu trat dann die Inflation und in den folgenden Jahren die Wirtschaftskrise mit ihrer ständig steigenden Not, die erfahrungsgemäß jedes Volk für Radikalismus jeder Art reif macht.

Auf diesem Boden und aus diesem Milieu heraus entstand der »Stürmer«. Er fand aus diesen Gründen anfänglich ein gewisses Interesse und einen nicht unbeträchtlichen Leserkreis. Einfluß im großen aber hatte er selbst in den letzten Jahren vor der Machtübernahme nicht. Seine Verbreitung ging über Nürnberg und dessen engere Umgebung kaum hinaus. Durch Angriffe auf Persönlichkeiten, die in Nürnberg und auch in anderen Orten lokal bekannt waren, verstand er es, in diesen Orten jeweils ein gewisses Interesse zu erwecken und dadurch seinen Leserkreis zu erweitern. Gewisse Teile der Bevölkerung nahmen an der Verbreitung solcher Skandalgeschichten Interesse und legten sich aus diesem Grunde den »Stürmer« zu.

Eine verbrecherische Handlungsweise aber kann hierin – und das ist wohl auch die Auffassung der Anklage – nur erblickt werden, wenn diese Art literarischer und rednerischer Tätigkeit zu einem verbrecherischen Erfolg geführt hat. Wurde nun das deutsche Volk tatsächlich in dem von der Anklage behaupteten Sinne und Ausmaße durch den »Stürmer« und durch die Reden Streichers mit Judenhaß erfüllt?

Die Anklage hat die Beweisführung zu diesem Punkt sehr kurz gestaltet. Sie zieht Schlußfolgerungen, aber tatsächliche Beweise hat sie nicht erbracht. Sie behauptet zwar den Eintritt eines Erfolges, aber sie kann für ihre Annahme keine Beweistatsachen vorbringen.

Der Herr Anklagevertreter hat behauptet, daß ohne die jahrelange Hetze Streichers das deutsche Volk die Judenverfolgung nicht gebilligt und daß Himmler für die Durchführung der Judenvernichtungsmaßnahmen aus dem deutschen Volke keine Organe gefunden hätte.

Soll aber der Angeklagte Streicher hierfür rechtlich verantwortlich gemacht werden, so muß nicht nur die tatsächlich durchgeführte Aufreizung als solche und ein in dieser Richtung liegender Erfolg bewiesen werden, sondern – und das ist das Entscheidende – es muß der schlüssige Nachweis geführt werden, daß die ausgeführten Taten auf die verübte Aufreizung zurückzuführen sind. Nicht die Frage des eingetretenen Erfolges ist in erster Linie mit aller Sicherheit zu erweisen, sondern die Kausalität zwischen Aufreizung und Erfolg.

Wie ist nun der Einfluß des »Stürmer« auf das deutsche Volk zu bewerten, und welches Bild entwickelt sich in der Behandlung der Judenfrage im Laufe der Jahre von 1920 bis 1944?

Hier lassen sich unschwer drei Stufen der Entwicklung erkennen.

Der erste Zeitraum umfaßt die Zeitspanne im Wirken des Angeklagten von 1923 bis 1933, der zweite die von 1933 bis zum 1. September 1939 beziehungsweise Februar 1940, der dritte die Zeit von 1940 bis zum Zusammenbruch.

Was den ersten Zeitraum anbelangt, so würde es eine erhebliche Verkennung der in Deutschland schon seit längerer Zeit bestehenden Strömungen und damit eine völlig grundlose Überschätzung der Einwirkung Streichers bedeuten, wenn der Hinweis darauf unterbliebe, daß es schon lange vor Streicher in Deutschland einen gewissen Antisemitismus gegeben hat. So hat ein Theodor Fritsch in seiner Zeitschrift »Der Hammer« längst vor Streicher die jüdische Frage angeschnitten und insbesondere auf die angeblich aus dem Osten drohende Überflutung und Überfremdung durch die Einwanderung jüdischer Elemente hingewiesen.

Gleich nach Ende des ersten Weltkrieges trat der sogenannte »Deutsch-Völkische Schutz- und Trutzbund« auf den Plan, der im Gegensatz zum »Stürmer« und der von Streicher ins Leben gerufenen Bewegung über ganz Deutschland verbreitet war und sich die Zurückdrängung des jüdischen Einflusses zum Ziel gesetzt hatte. Im Süden wie im Norden bestanden längst vor Streicher antisemitische Gruppen.

Diesen weitverbreiteten Bestrebungen gegenüber konnte der »Stürmer«, lediglich regional gebundene Bedeutung haben. Schon aus diesem Grunde ist es erklärlich, daß sein Einfluß niemals und nirgends entscheidend ins Gewicht fiel.

Maßgebend bleibt aber, daß sich das deutsche Volk in seiner Gesamtheit weder im geschäftlichen Verkehr noch in seiner Einstellung zum Judentum durch all diese Gruppen beeinflussen ließ und daß sich auch in den letzten Jahren vor der Machtergreifung durch die NSDAP nirgends Gewaltaktionen aus dem Volke heraus gegen das Judentum ereigneten.

Wenn gleichwohl gegen das Ende des zweiten Jahrzehntes nach dem ersten Weltkrieg ein starkes Anschwellen der NSDAP erkennbar wurde, so waren dafür nicht antisemitische Gründe verantwortlich, sondern nur der Umstand, daß der bestehende Parteienwirrwarr nicht in der Lage war, einen Ausweg aus der immer stärker werdenden wirtschaftlichen Not zu zeigen. Der Ruf nach dem starken Mann wurde immer dringender. Die Überzeugung, daß nur eine von wechselnden Mehrheiten unabhängige Persönlichkeit die Lage meistern könnte, wurde in weiten Volkskreisen immer zwingender.

Die NSDAP verstand es, diese allgemeine Stimmung für sich auszunützen und durch die Häufung von Versprechungen in jeder Richtung das in Verzweiflung versinkende Volk für sich zu gewinnen. Niemals aber dachte die Masse, die damals die NSDAP wählte, daran, daß sich aus deren Programm eine derartige Entwicklung anbahnen würde, wie wir sie erlebt haben.

Mit der Machtübernahme durch die NSDAP im Jahre 1933 wurde die zweite Epoche eingeleitet. Die Macht im Staate befand sich ausschließlich in den Händen der Partei, und niemand hätte Gewaltanwendung gegen die jüdische Bevölkerung verhindern können.

Jetzt wäre also der Zeitpunkt gewesen, in der sich die von der Anklage behauptete Hetze des Angeklagten Streicher hätte auswirken müssen. Wären damals weite Kreise des Volkes, zum mindesten aber die alten Angehörigen der Partei, tatsächlich zu so radikalen Gegnern erzogen gewesen, wie die Anklage es darstellt, so hätten sich zwangsläufig aus dieser angestauten Haßstimmung heraus Gewalttaten größeren Umfangs gegen die jüdische Bevölkerung ergeben müssen. Pogrome größten Ausmaßes wären die naturnotwendige Folge einer wirklich antisemitischen Einstellung des Volkes gewesen. Aber nichts von alledem geschah. Abgesehen von einigen kleineren Vorkommnissen, die ohne weiteres als örtlich und persönlich bedingt erscheinen, kam es nirgends zu Angriffen gegen Juden oder deren Eigentum.

Eine Haßstimmung gegen das jüdische Volk war, das ergibt sich hieraus mit aller Deutlichkeit, bis zum Jahre 1933 jedenfalls nirgends vorhanden, und damit entfällt der dem Angeklagten gemachte Vorwurf, er habe bereits in den ersten Jahren seines Kampfes erfolgreich das deutsche Volk zum Haß gegen den Juden erzogen.

Das Jahr der Machtergreifung durch die NSDAP stellte aber auch den »Stürmer« vor die entscheidende Probe. Wäre der »Stürmer« von den breiten Massen des deutschen Volkes als der für sie maßgebliche Vorkämpfer gegen das Judentum empfunden und demgemäß für diesen Kampf notwendig gehalten worden, so hätte eine außerordentlich starke Steigerung der Auflage eintreten müssen. Ein solches Interesse zeigte sich aber keineswegs. Im Gegenteil wurde häufig, selbst in Parteikreisen verlangt, daß der »Stürmer« sein Erscheinen einstellen solle oder zum mindesten, daß seine Bildgebung, seine Schreibweise und seine Tonart sich ändern sollte. Es zeigte sich immer mehr und mehr, daß das ohnehin geringe Interesse für Streichers Judenpolitik eine ständig sinkende Tendenz aufwies.

Es kam hinzu, daß mit dem Machtantritt der Partei der gesamte deutsche Presseapparat unter die Kontrolle der Partei geriet, welche dazu überging, die Presse gleichzuschalten, das heißt von einer Zentralstelle aus im Sinne der nationalsozialistischen Politik und Weltanschauung zu lenken. Dies geschah auf dem Wege über den Propagandaminister und Reichspressechef durch die parteiamtliche »Nationalsozialistische Korrespondenz«. Insbesondere der Propagandaminister Dr. Goebbels, der von verschiedenen Zeugen, wie von Göring, Schirach, Neurath und anderen, als der schärfste Vertreter der antisemitischen Richtung in der Regierung bezeichnet wurde, ließ es sich angelegen sein, jede Woche mehrere Male judengegnerisch ausgerichtete Leitartikel über die gesamte deutsche Presse zu geben, wovon mehr als 3000 Tageszeitungen und illustrierte Zeitungen erfaßt wurden. Nimmt man noch hinzu, daß Dr. Goebbels auch über den Rundfunk in judengegnerischem Sinne wirkte, so bedarf es keiner weiteren Ausführungen, daß hierdurch zwangsläufig das Interesse an einem einseitig ausgerichteten Antisemitenblatt schwinden mußte, und dieser Umstand ist auch tatsächlich eingetreten. Besonders bezeichnend ist, daß in jener Zeit wiederholt erwogen wurde, den »Stürmer« überhaupt zu verbieten. Es ergibt sich dies insbesondere aus der Zeugenaussage Fritzsches vom 27. Juni 1946, der auch weiter bekundet hat, daß weder Streicher noch der »Stürmer« irgendwelchen Einfluß im Propagandaministerium hatte, daß er gewissermaßen als nicht vorhanden betrachtet wurde.

Auf der gleichen Linie mag es auch gelegen sein, daß der »Stürmer« nicht einmal zu einem Presseorgan der NSDAP erklärt wurde, er war nicht einmal berechtigt, das Hoheitszeichen zu führen, er war sonach, vom Standpunkt der Partei- und Staatsführung aus gesehen, im Gegensatz zu allen Blättern, die als irgendwie bedeutend angesehen wurden, die Privatzeitung eines einfachen Privatschriftstellers.

Der Verlag des »Stürmer«, der damals einem gewissen Härdel gehörte, war aber nicht geneigt, die Tatsache des Schwindens seines Leserkreises einfach hinzunehmen, denn nun war ihm ja der Umstand zu Hilfe gekommen, daß Streicher der oberste Politische Leiter in Franken war, und er hat es verstanden, diesen Umstand weidlich auszunützen. Schon zu jener Zeit wurde daher auf viele Kreise der Bevölkerung ein Druck dahin ausgeübt, ihre einwandfreie politische Haltung und Zuverlässigkeit durch ein Abonnement des »Stürmer« unter Beweis zu stellen. Auch der Zeuge Fritzsche hat auf diesen Umstand hingewiesen und dabei dargelegt, daß viele Deutsche sich nur aus dem Gesichtspunkt zu einem Bezug des »Stürmer« entschlossen, weil sie meinten, sich dadurch für den beabsichtigten Eintritt in die Partei den Weg zu ebnen.

Um nicht eine falsche Meinung über die Auflageziffern des »Stürmer« in den Jahren 1923 bis 1933 aufkommen zu lassen, seien im nachfolgenden die Entwicklungsstadien des »Stürmer« aufgeführt:

In den Jahren 1923 bis 1933 vermochte der »Stürmer« von einer Auflage von etwa 3000 bis auf etwa 10000 Exemplaren aufzusteigen, die sich kurz vor der Machtergreifung auf etwa 20000 erhöhte. Im Durchschnitt betrug aber die Auflage von 1923 bis 1931 nur etwa 6000 Stück.

Mit der Machtübernahme stieg sie bis Ende 1934 auf durchschnittlich 28000 Stück an. Erst im Jahre 1935 ging dann der Verlag des »Stürmer« in das Eigentum des Angeklagten Streicher über, der nach seinen Angaben diesen der Witwe des bisherigen Verlegers um – sage und schreibe – 40.000 Reichsmark, also einen nicht sehr beträchtlichen Betrag abkaufte.

Von 1935 ab übernahm die Leitung des Verlages ein Fachmann, der es verstand, durch geschickte werbetechnische Tätigkeit die Auflageziffer zunächst auf über 200000 und dann in weiter steigendem Maße auch auf über das Doppelte zu erhöhen. Die bis Anfang 1935 verhältnismäßig niedrige Auflageziffer des »Stürmer« zeigt, daß trotz der Machtübernahme durch die Partei ein aus dem Volke kommendes Interesse an dem »Stürmer« nur in geringem Umfang vorhanden war. Das von Anfang 1935 an einsetzende außerordentlich starke Ansteigen der Auflageziffern ist auf die erwähnten geschickten Werbemethoden des neuen Verlagsleiters Fink zurückzuführen. Der Einsatz der Arbeitsfront, zu erklären aus dem Aufruf Dr. Leys in Nummer 36 des »Stürmer« vom Jahre 1935 – ich habe mir erlaubt, Herr Präsident, diese als Exhibit zu übergeben – und damit die Gewinnung von vielen Tausenden von Zwangsbeziehern, ist zurückzuführen auf Ausnutzung persönlicher Beziehungen des Verlagsleiters Fink zu Dr. Ley.

Ich verweise in diesem Zusammenhang weiter auf ein Zitat aus dem »Pariser Tageblatt« vom 29. März 1935, das sich in der »Stürmer«-Nummer vom Mai 1935 befindet. Auch hierin kommt zum Ausdruck, daß die Auflagesteigerung des »Stürmer« nicht auf das Begehren des deutschen Volkes nach solcher geistigen Nahrung zurückzuführen ist. Es ist weder anzunehmen noch irgendwie wahrscheinlich, daß diese auf solche Art den Mitgliedern der Arbeitsfront aufgezwungene Abnahmepflicht des »Stürmer« die Bezieher auch zu Lesern des »Stürmer« und Anhängern der von ihm vertretenen Gedankengänge gemacht haben sollte. Im Gegenteil ist bekannt, daß die jeweiligen »Stürmer«-Nummern in den Originalbündeln in Kellern und Dachböden abgelegt wurden und daß man sie erst hervorholte, als der Papiermangel immer fühlbarer wurde.

Wenn daher der Angeklagte Streicher in seiner Zeitung aus dem Jahre 1935 – Dokument Nummer GB-169 – schrieb, daß die fünfzehnjährige Aufklärungsarbeit des »Stürmer« dem Nationalsozialismus bereits ein Millionenheer von Wissenden zugeführt habe, so hat er sich damit einen Erfolg zugerechnet, für den keinerlei Grundlage vorhanden war.

Die Männer und Frauen, die nach 1933 in die Partei eintraten, hatten nicht zufolge der sogenannten Aufklärungsarbeit des »Stürmer« Anschluß an die Partei gesucht, sondern entweder weil sie den Versprechungen der Partei glaubten und sich von ihr einen Vorteil erhofften, oder weil sie sich durch die Zugehörigkeit zur Partei, wie der Zeuge Severing es ausdrückte, gegen politische Verfolgung immunisieren wollten.

Die Sympathien für die Partei und deren Führung nahmen bald im stärksten Umfange ab. So verlor auch der Angeklagte Streicher mindestens vom Jahre 1937 ab selbst in seinem Gau Franken in immer steigendem Maße an Autorität und Einfluß. Die Gründe hierfür sind hinreichend bekannt.

Gegen Ende des Jahres 1938 sah er sich bereits fast jedes politischen Einflusses selbst in seinem Gau entkleidet. Der Streit zwischen ihm und Göring hatte mit dessen Sieg geendet. Hitler hatte auf Drängen des Angeklagten Göring hin Streicher völlig fallen gelassen, da der Oberbefehlshaber der Luftwaffe zu jener Zeit selbstverständlich wichtiger und weitaus einflußreicher war als der Gauleiter Streicher. Der Angeklagte mußte es sich sogar gefallen lassen, daß die im Gau Franken durchgeführten Arisierungen durch eine von Göring entsandte Sonderkommission auf ihre Korrektheit nachgeprüft wurden. Im Laufe des Jahres 1939 wurde Streicher völlig kaltgestellt. Er wurde sogar mit einem Redeverbot belegt. Bei Ausbruch des Krieges aber wurde er im Gegensatz zu sämtlichen anderen Gauleitern nicht einmal zum Wehrkreiskommissar seines Gaues ernannt.

In der letzten Phase in den Kriegsjahren hatte der Angeklagte Streicher überhaupt keinen politischen Einfluß mehr. Er war ab Februar 1940 seiner Stellung als Gauleiter enthoben und saß, abgeschnitten von jeglicher Verbindung, auf seinem Gut in Pleikershof. Selbst den Parteigenossen waren Besuche bei ihm verboten. Seit Ausgang des Jahres 1938 war er auch ohne jede Verbindung mit Hitler, der ihn seit dieser Zeit vollkommen links liegen ließ.

Wie stand es nun mit dem Einfluß, den der »Stürmer« während der Kriegszeit ausübte?

Es kann gesagt werden, daß der »Stürmer« während des Krieges überhaupt keine nennenswerte Beachtung mehr fand. Der Ernst der Zeit, die Sorge um die im Felde stehenden Angehörigen, die Kämpfe an der Front und schließlich die schweren Fliegerangriffe lenkten das deutsche Volk völlig von den im »Stürmer« behandelten Fragen ab. Das Volk hatte es satt, die ständigen Wiederholungen der gleichen Behauptungen entgegenzunehmen. Der beste Beweis, wie wenig der »Stürmer« als Lesestoff begehrt wurde, ist wohl darin zu finden, daß in Gaststätten und Cafés der »Stürmer« stets am Zeitungshalter zu sehen war, während andere Zeitungen und Zeitschriften ständig vergriffen waren.

Die Auflageziffern gingen auch in diesen Jahren ständig und unaufhaltsam zurück. Ein Einfluß des »Stürmer« nach der politischen Richtung war keinesfalls mehr gegeben.

In den eben erwähnten Zeitspannen wurde der »Stürmer« in weiten Kreisen der Bevölkerung von vornherein abgelehnt. Seine derbe Schreibweise, seine oft anstößig empfundene Bildgebung und seine Einseitigkeit erregten vielfach geradezu Mißfallen; von einer Einwirkung auf das deutsche Volk oder sogar auf die Partei kann nicht die Rede sein.

Obwohl das deutsche Volk schon jahrelang mit Nazi-Propaganda geradezu überschüttet worden war oder vielleicht gerade deshalb, konnte eine Zeitung wie der »Stürmer« auf seine innere Haltung keinen Einfluß gewinnen.

Wäre das deutsche Volk, wie die Anklage behauptet, tatsächlich mit dem Geiste fanatischen Rassenhasses erfüllt gewesen, so wären bestimmt andere Einflüsse hierfür weitaus maßgebender gewesen als gerade der »Stürmer« und hätten wesentlich entscheidender zu einer feindlichen Einstellung gegen die Juden beigetragen.

Aber nichts von alledem ist festzustellen. Die Gesamteinstellung des deutschen Volkes war nicht judenfeindlich, jedenfalls nicht in einem solchen Sinn und Ausmaß, daß es die physische Vernichtung des Judentums gewollt oder gebilligt hätte. Auch die parteiamtliche Propaganda in der Judenfrage hatte auf die Masse des deutschen Volkes keinerlei Einfluß ausgeübt und sie nicht in der von der Staatsführung gewollten Richtung erzogen. Dies ergibt sich schon daraus, daß eine Reihe von gesetzlichen Vorschriften erlassen werden mußten, um die deutschen von den jüdischen Bevölkerungskreisen zu trennen. Das erste Beispiel hierfür sind die sogenannten Rassenschutzgesetze vom September 1935, die jegliche blutsmäßige Verbindung des deutschen Volkes mit jüdischen Bevölkerungsteilen sogar unter Todesstrafe stellten. Wäre das deutsche Volk antijüdisch eingestellt gewesen, so hätte es der Erlassung derartiger Gesetze überhaupt nicht bedurft, denn dann hätte sich das Volk ohnehin aus sich heraus vom Judentum abgesondert.

Auf der gleichen Linie liegen die im November 1938 erlassenen Gesetze zur Ausschließung der jüdischen Bevölkerung aus dem deutschen Wirtschaftsleben. In einem judengegnerischen Volke wäre zwangsläufig jeder Wirtschaftsverkehr mit den jüdischen Kreisen unterblieben und deren Geschäfte wären von selbst zum Erliegen gekommen. So aber bedurfte es staatlichen Eingreifens, um das Judentum aus der Wirtschaft auszuschalten.

Der gleiche Schluß ergibt sich aus der Reaktion des weitaus überwiegenden Teiles der deutschen Bevölkerung auf die in der Nacht vom 9. auf 10. November 1938 durchgeführten Demonstrationen gegen die Juden.

Es ist erwiesen, daß diese Gewalttätigkeiten nicht spontan aus dem deutschen Volk heraus entstanden sind, daß sie vielmehr auf Anweisung Dr. Goebbels in Berlin organisiert und unter Zuhilfenahme des Staats- und Parteiapparates zur Durchführung gelangt sind.

Der Erfolg und die Auswirkung dieser staatlich gelenkten Demonstrationen, die dem Ausland gegenüber in zynischer Weise als Ausbruch der Empörung des deutschen Volkes über die Ermordung des Botschaftssekretärs vom Rath in Paris hingestellt wurden, war aber eine ganz andere, als es sich die Urheber dieser Demonstrationen vorgestellt hatten.

Diese auf die niedrigsten Instinkte abgestellten Gewalthandlungen und Übergriffe fanden einhellige Ablehnung, selbst in den Kreisen der Partei und ihrer Führerschaft selbst. Anstatt Feindschaft gegen die jüdische Bevölkerung hervorzurufen, erregten sie Mitgefühl und Anteilnahme an deren Schicksal. Kaum irgendeine andere Maßnahme der Partei wurde derart allgemein abgelehnt. Die Wirkung auf die Öffentlichkeit war so einschneidend, daß es der Angeklagte Streicher in seiner Eigenschaft als Gauleiter für notwendig hielt, in einer Ansprache in Nürnberg vor allzugroßem Mitgefühl mit den Juden zu warnen. Seiner Angabe nach tat er dies nicht aus dem Grunde, weil er diese Maßnahmen gebilligt hätte, sondern nur, um das schwer angeschlagene Prestige der Partei durch seinen Einfluß zu heben.

Vorher hatte er, wie aus der Aussage des hier vernommenen Zeugen Fritz Herrwerth hervorgeht, gegenüber dem SA-Obergruppenführer von Obernitz für sich persönlich eine Teilnahme an den geplanten Demonstrationen abgelehnt und diese als zwecklos und schädlich bezeichnet. Diesen Standpunkt hat er auch später öffentlich in einer Versammlung des Juristenbundes in Nürnberg zum Ausdruck gebracht. Er nahm es dabei in Kauf, sich zur offiziellen Staatspolitik in offenen Gegensatz zu setzen.

Alle diese Tatsachen zeigen, daß im Volke selbst trotz der von Staats wegen betriebenen Propaganda gegen das Judentum eine tatsächliche Feindschaft gegen die jüdische Bevölkerung nicht bestanden hat. Und damit ist auch bereits nachgewiesen, daß die Veröffentlichungen Streichers im »Stürmer« wie auch seine Reden ebensowenig eine aufreizende Wirkung auf das deutsche Volk in dem von der Anklage behaupteten Sinne gehabt haben.

Aus dem allgemeinen Verhalten des deutschen Volkes kann also der Nachweis für eine von dem Angeklagten Streicher mit Erfolg betriebene und zu einem verbrecherischen Erfolg führende Aufreizung zum Judenhaß nicht erbracht werden. Die Anklagebehörde hat aber ihren dahingehenden Vorwurf weiter durch die spezielle Behauptung unterbaut, daß nur ein von Männern wie dem Angeklagten zu absolutem Judenhaß erzogenes Volk derartige Maßnahmen, wie sie die Massenvernichtung der Juden darstellten, billigen konnte. Damit wird der Gesamtheit aller Deutschen der Vorwurf gemacht, daß sie von der Ausmordung des Judentums gewußt und diese gebilligt hätte. Ein Vorwurf also, dessen Schwere und dessen Auswirkungen auf die gesamte Zukunft des deutschen Volkes überhaupt nicht abzuschätzen sind. Hat nun aber tatsächlich das deutsche Volk diese Maßnahmen gebilligt?

Gebilligt werden kann nur ein Vorgang, der bekannt ist. Sollte also diese Behauptung der Anklagebehörde als bewiesen angesehen werden, so müßte logischerweise als gleichfalls erwiesen angesehen werden können, daß das deutsche Volk von diesen Vorgängen tatsächlich Kenntnis hatte.

Die Beweisaufnahme hat in dieser Richtung aber ergeben, daß der von Hitler mit der Durchführung der Massenmorde beauftragte Reichsführer-SS Himmler und seine unmittelbaren Mitarbeiter diese ganzen Geschehnisse mit dem Schleier tiefsten Geheimnisses umgeben hatten. Durch Androhung schärfster Strafen für jeden Bruch des auferlegten absoluten Schweigeverbotes verstand er es, vor den Ereignissen im Osten in den Vernichtungslagern einen eisernen Vorhang niederzulassen, der diese Taten hermetisch von der Öffentlichkeit abschloß.

Selbst dem obersten Führerkorps der Partei und des Staates wurde durch Hitler und Himmler jeder Einblick und jede Kenntnisnahme unmöglich gemacht. Hitler scheute nicht davor zurück, selbst seine engsten Mitarbeiter, wie den hier als Zeugen vernommenen Reichsminister Dr. Lammers, mit unwahren Angaben zu bedienen und ihn glauben zu machen, daß der Abtransport des europäischen Judentums nach dem Osten dessen Ansiedlung im Ostraum, aber keinesfalls dessen Vernichtung bedeute. Soweit auch die Angaben der Angeklagten in manchen Punkten voneinander abweichen, in diesem Zusammenhang stimmen sie so völlig in sich selbst und mit den Angaben anderer Zeugen überein, daß an der Wahrheit ihrer Bekundungen schlechterdings nicht gezweifelt werden kann. Wenn es dem Angeklagten Dr. Frank nicht einmal in seiner Eigenschaft als Generalgouverneur von Polen möglich war, bis nach Auschwitz vorzudringen, weil selbst ihm ohne Spezialgenehmigung Hitlers der Eintritt versagt wurde, so spricht diese Tatsache für sich selbst.

Waren aber schon die führenden Persönlichkeiten des Dritten Reiches bis auf einen ganz engen Kreis nicht unterrichtet und hatten selbst sie zum mindesten nur sehr vage Kenntnisse, wie hätte dann die große Öffentlichkeit Kenntnis haben können? Die Möglichkeiten, unter diesen Umständen über die Vorgänge in den Lagern unterrichtet zu werden, waren denkbar gering.

Ausländische Nachrichten schieden für den Großteil des Volkes als Erkenntnisquelle aus. Das Abhören ausländischer Sender stand unter schärfsten Strafandrohungen und unterblieb deshalb. Soweit sie gleichwohl abgehört wurden, waren die von ausländischen Rundfunksendern verbreiteten Nachrichten, die Meldungen über die Vorgänge im Osten brachten, obwohl und gerade weil sie den Tatsachen entsprachen, so kraß, so über jedes menschliche Begreifen hinaus entsetzlich, daß sie jedem normalen Menschen als Zweckpropaganda erscheinen mußten und auch tatsächlich erschienen sind.

Kenntnis der Vernichtungsmaßnahmen gegen das Judentum konnte also Deutschland im wesentlichen nur von Leuten erlangen, die entweder selbst in den Lagern tätig waren, mit diesen selbst oder mit Häftlingen in Berührung kamen und letztlich von ehemaligen KZ-Häftlingen selbst.

Daß Angehörige des Lagerpersonals, die mit den Vorgängen zu tun hatten, schwiegen, nicht nur weil sie unter schärfstem Schweigezwang standen, sondern auch in ihrem eigenen Interesse, braucht wohl nicht weiter ausgeführt zu werden. Es ist aber weiter bekannt, daß Himmler die Todesstrafe auf jede Mitteilung aus den Lagern und auf die Verbreitung von Nachrichten über die Lager gesetzt hatte und daß diese Strafe nicht nur dem unmittelbaren Täter, sondern auch seinen Familienangehörigen angedroht war. Schließlich ist bekannt, daß die eigentlichen Vernichtungslager selbst so hermetisch von jeder Berührung mit der Welt abgeschnitten waren, daß nichts über die sich in ihnen abspielenden Vorgänge an die Öffentlichkeit dringen konnte.

Die in den Lagern befindlichen Häftlinge, die mit Arbeitskollegen bei ihrem Arbeitseinsatz in Berührung kamen, schwiegen, weil sie schweigen mußten. Leute, die in die Lager kamen, standen gleichfalls unter dieser Strafandrohung, soweit sie überhaupt irgendwelche Einblicke gewinnen konnten, was bei den Vernichtungslagern nahezu unmöglich war.

Aus diesen Quellen also konnte eine Kenntnis des deutschen Volkes nicht fließen.

Das absolute Schweigegebot band aber in noch verstärktem Maße jeden KZ-Insassen, der zur Entlassung gekommen war. Aus den eigentlichen Mordlagern kam ohnehin kaum jemand mehr ins Leben zurück.

Wurde aber doch einmal ein Mann oder eine Frau entlassen, so schwebte über ihnen zusätzlich zu den übrigen Strafandrohungen die ihnen beim Bruch des Schweigegebotes angedrohte Wiedereinschaffung ins Lager. Und diese Wiedereinschaffung hätte grauenvollen Tod bedeutet.

Es war demnach nahezu unmöglich, von entlassenen KZ-Häftlingen Positives über die Vorgänge in den Lagern zu erfahren. Galt dies schon für die im Reich befindlichen normalen Konzentrationslager, so galt es im verstärkten Maße für die Vernichtungslager.

Jeder Anwalt, der gleich mir Leute vor ihrer Einschaffung ins Konzentrationslager verteidigt hatte, und der von ihnen nach ihrer Entlassung wieder aufgesucht wurde, wird bestätigen können, daß es selbst in dieser Vertrauensstellung und unter dem Schutz der anwaltlichen Schweigepflicht nicht möglich war, ehemalige KZ-Häftlinge zum Reden zu veranlassen.

Wenn weiter selbst Männern, wie dem hier vernommenen Zeugen Severing, einem alten Sozialdemokraten, der das Vertrauen seiner Parteigenossen in hohem Maße genoß und der mit vielen ehemaligen KZ-Häftlingen aus diesem Grunde Fühlung hatte, die wahren Vorgänge bei der Judenvernichtung erst sehr spät und erst nach dem Kriege bekanntgeworden sind und auch dann nur in einem sehr beschränkten Umfange, so mußte dies erst recht für jeden normalen Deutschen gelten.

Aus diesen Tatsachen aber ergibt sich jedenfalls mit absoluter Gewißheit, daß die Staatsführung, daß Hitler und Himmler die Ausmordung des Judentums unter allen Umständen geheimgehalten wissen wollten, und hieraus fließt ein weiteres, meines Erachtens zwingendes Argument gegen die von der Anklage behauptete Judenfeindschaft des deutschen Volkes.

Wäre das deutsche Volk tatsächlich von einem derartigen Haß gegen das Judentum erfüllt gewesen, wie die Anklage behauptet, so hätte es derart scharfer Geheimhaltungsmethoden nicht bedurft, im Gegenteil.

Hätte Hitler die Überzeugung gehabt, daß das deutsche Volk im Judentum seinen Hauptfeind erblicke, daß es die Vernichtung des Judentums billige und wolle, so hätte er zwangsläufig die geplante und ebenso die durchgeführte Vernichtung eben dieses Feindes bekanntgeben müssen. Im Zeichen des von Hitler und Goebbels ständig propagierten totalen Krieges hätte es doch wohl kein besseres Mittel gegeben, die Siegeszuversicht und den Kampfwillen des Volkes zu stärken, als die Mitteilung, daß Deutschlands angeblicher Hauptfeind, eben das Judentum, bereits vernichtet sei. Ein so skrupelloser Propagandist wie Goebbels hätte sich ein derart schlagendes Argument bestimmt nicht entgehen lassen, wenn er die hierfür notwendige Voraussetzung, nämlich den absoluten Vernichtungswillen des deutschen Volkes gegen das Judentum, hätte zugrunde legen können.

So aber mußte selbst vor dem seit Jahren unter schärfstem Druck der Gestapo stehenden deutschen Volk die Endlösung der Judenfrage mit allen Mitteln verheimlicht werden. Selbst führenden Männern des Staates und der Partei durfte davon nichts mitgeteilt werden.

Hitler und Himmler waren sich offenbar selbst darüber klar, daß sogar im totalen Krieg und nach jahrzehntelanger Erziehung und Knebelung durch den Nationalsozialismus, das deutsche Volk und namentlich seine Wehrmacht in schärfster Weise auf die Bekanntgabe einer derartigen Judenpolitik reagiert hätte.

Mit Rücksichtnahme auf das feindliche Ausland läßt sich die hier geübte Tarnpolitik nicht erklären. In den Jahren 1942 und 1943 stand bereits die ganze Welt im erbitterten Kampf gegen das Deutschland des Nationalsozialismus. Eine Verschärfung dieses Kampfes erschien kaum möglich, jedenfalls nicht durch die Bekanntgabe von Tatsachen, die dem Ausland bereits längst nicht mehr verborgen geblieben waren. Abgesehen davon konnte aber die Rücksichtnahme auf eine Stimmungsverschlechterung bei den gegnerischen Mächten Männer wie Hitler, Goebbels und Himmler nicht beeinflussen. Hätten sie sich von der Bekanntgabe der Ausmordung des Judentums beim deutschen Volke auch nur die geringste positive Wirkung versprochen, so hätten sie Veröffentlichungen in dieser Richtung bestimmt nicht unterlassen, im Gegenteil, sie hätten mit allen Mitteln angestrebt, die Siegeszuversicht des deutschen Volkes hierdurch zu stärken. Daß sie das unterlassen haben, ist der beste Beweis dafür, daß das deutsche Volk auch von ihnen nicht als radikal judenfeindlich angesehen worden ist und ist weiter der beste Beweis dafür, daß von einer derartigen Judenfeindschaft im deutschen Volk nicht die Rede sein kann.

Zusammenfassend ist daher zu sagen, daß die gesamten vorgetragenen Momente die Behauptung der Anklage, das deutsche Volk sei von dem Angeklagten Streicher zu einem Judenhaß erzogen worden, der es die Vernichtung des Judentums billigen ließ, widerlegen.

Selbst wenn der Angeklagte also ein derartiges Ziel mit seinen Veröffentlichungen verfolgt haben sollte, erreicht hat er diesen Erfolg nicht.

In diesem Zusammenhang ist auch die Rolle zu beleuchten, die die Anklagebehörde dem Angeklagten Streicher nach der Richtung beimißt, daß er die deutsche Jugend in judengegnerischem Geiste erzogen und das Gift des Judenhasses so tief in die Herzen der Jugend eingesenkt habe, daß sich diese verderbliche Wirkung noch lange über sein – Streichers – tatsächliches Leben hinaus geltend machen würde.

Der Kernpunkt der dem Angeklagten in dieser Richtung gemachten Vorwürfe wird darin zu erblicken sein, daß sich junge Menschen auf Grund der Erziehung Streichers zum Judenhaß zur Begehung von Verbrechen gegen die Juden hätten bereitfinden lassen, die sie sonst nicht begangen hätten, und daß von einer derart erzogenen Jugend auch für die Zukunft die Ausführung solcher Verbrechen zu erwarten sei.

Die Anklage stützt sich hier im wesentlichen auf die im Verlag des »Stürmer« erschienenen Jugendbücher und einige an die Jugend gerichteten Veröffentlichungen in dieser Zeitschrift.

Es liegt mir ferne, diese Erzeugnisse zu beschönigen oder zu verteidigen. Ihre Würdigung kann und muß ich dem Gericht überlassen. Hier wird nach der Grundlinie der Verteidiger nur zu erörtern sein, ob der Angeklagte auf diesem oder einem anderen Wege die Erziehung der Jugend zu verbrecherischem Judenhaß beeinflußt hat oder nicht.

Was die erwähnten Bücher anbelangt, ist zu sagen, daß sie in der deutschen Jugend im wesentlichen Umfang überhaupt nicht bekannt waren, geschweige denn, daß sie gelesen worden wären. Für die gegenteilige Annahme der Anklagebehörde ist keinerlei Beweis erbracht worden.

Der gesunde Sinn der deutschen Jugend lehnte derartige Machwerke ab. Die deutschen Jungens und Mädels bevorzugten anderen Lesestoff. Hierbei darf betont werden, daß weder Inhalt noch Bildausstattung dieser Bücher auf junge Menschen irgendwie anziehend wirken konnten. Sie mußten vielmehr zwangsläufig Ablehnung finden.

Von besonderer Wichtigkeit ist zu diesem Punkte, daß der für die Erziehung der gesamten deutschen Jugend verantwortliche Mann, der Angeklagte Baldur von Schirach, als Zeuge unter Eid erklärt hat, daß die erwähnten Jugendbücher des Verlages weder von der HJ-Führung propagiert worden sind, noch daß sie von sich aus einen Leserkreis in der HJ gefunden hätten.

Die gleichen Angaben machte dieser Zeuge über den »Stürmer« selbst. Dazu hat einer seiner engsten Mitarbeiter, der Zeuge Lauterbacher, bekundet, daß der »Stürmer« durch den Angeklagten von Schirach für den Bereich der HJ überhaupt verboten worden sei.

Es ist klar, daß schon allein die Schreibweise des »Stürmer« und seine Bildausstattung nicht geeignet war, auf einen jungen Menschen anziehend zu wirken oder ihm eine ethische Stütze zu bieten. Die Maßnahme der Reichsjugendführung ist daher ohne weiteres begreiflich.

Wenn aus einigen der von der Anklage vorgelegten »Stürmer«-Artikeln hervorzugehen scheint, daß der »Stürmer« in Jugendkreisen gelesen wurde und dort eine gewisse Wirkung ausübte, so ist hierzu zu sagen, daß es sich um typisch bestellte, und zwar zu Propagandazwecken bestellte Arbeiten gehandelt hat. Für die Behauptung der Anklage, daß die deutsche Jugend einen verbrecherischen Judenhaß in sich getragen habe, ist keinerlei Beweis erbracht. Demnach kann weder das deutsche Volk noch seine Jugend als verbrecherisch...

VORSITZENDER: Dr. Marx! Vielleicht wäre jetzt ein passender Zeitpunkt, abzubrechen.