[Pause von 10 Minuten.]
DR. MARX: Man könnte nun versucht sein anzunehmen, daß der »Stürmer« auf die Gliederungen der Partei, die SA und SS einen besonders starken Einfluß ausgeübt habe; aber auch dies war nicht der Fall.
Die SA, die größte Massenorganisation der Partei, lehnte für sich den »Stürmer« ebenso ab, wie es die Massen des Volkes taten. Ihre Zeitschriften waren »Der SA-Führer« und »Die SA«. Aus ihnen entnahm die Masse der SA die Grundlagen für ihre Weltanschauung. Diese Zeitschriften enthalten aber auch nicht einen einzigen Artikel, der aus der Feder des Angeklagten Streicher stammt. Wäre dieser tatsächlich der Mann gewesen, als den ihn die Anklage sieht, der maßgebende und einflußreichste Propagandist des Antisemitismus, so wäre er zur Mitarbeit an diesen Zeitschriften zur Schulung der SA in der Judenfrage zwangsläufig herangezogen worden. Auf die Mitarbeit eines solchen Mannes hätte eine auf weltanschauliche Schulung ausgerichtete Zeitschrift keinesfalls verzichten können.
Der Umstand aber, daß Julius Streicher in diesen Blättern auch nicht einmal zu Wort kam, beweist auf das deutlichste, daß das von ihm durch die Anklagebehörde entworfene Bild den tatsächlichen Gegebenheiten in keiner Weise entspricht. Durch seine Zeitschrift konnte der Angeklagte Streicher auf die SA keinen Einfluß gewinnen; die Spalten der Zeitschriften »Der SA-Führer« und »Die SA« waren ihm verschlossen. Aber auch die Oberste SA-Führung lehnte es ab, seine Gedankengänge zu vertreten. In dieser Richtung hat der als Zeuge vernommene stellvertretende Stabschef der SA, SA-Obergruppenführer Jüttner, am 21. Mai 1946 vor der Kommission folgendes ausgesagt:
»Der frühere Stabschef der SA, Lutze, brachte auf einer Führerbesprechung zum Ausdruck, daß er Propaganda für den ›Stürmer‹ in der SA nicht wünsche. In einzelnen Gruppen sei der ›Stürmer‹ überhaupt verboten gewesen. Der Inhalt des ›Stürmer‹ habe die meisten SA- Männer angewidert und abgestoßen. Die Politik der SA in der Judenfrage sei auch keineswegs auf die Vernichtung der Juden abgestellt gewesen, der Kampf sei nur dahin gegangen, eine Einwanderung der Juden aus dem Osten in größerem Umfange zu verhindern.«
Die Ideologie des »Stürmer« wurde demnach vom einzelnen SA-Mann sowohl wie von der SA-Führung grundsätzlich abgelehnt; von einem Einfluß Streichers auf die SA kann daher keine Rede sein.
Ebensowenig wie der Angeklagte Streicher zur Mitarbeit an den Zeitschriften der SA herangezogen wurde, ebensowenig erschienen Artikel von ihm in anderen Zeitungen und Zeitschriften. Weder im »Völkischen Beobachter« noch in anderen führenden Organen der deutschen Presse kam er je zu Wort, obwohl die Aufklärung in der Judenfrage nach dem Willen des Propagandaministeriums zu den vornehmlichsten Aufgaben der deutschen Presse gehören sollte.
Auch sonst wurde dem Angeklagten Streicher weder von der Staatsführung noch vom Propagandaministerium Gelegenheit gegeben, seine Gedanken auf einen größeren Kreis wirken zu lassen. Der Angeklagte Fritzsche, der mitentscheidende Mann des Propagandaministeriums, hat als Zeuge erklärt, daß Streicher auf die Propaganda niemals einen Einfluß ausgeübt hat, daß man ihn vollkommen links liegen ließ. So wurde er insbesondere nicht mit der Abhaltung von Rundfunkvorträgen betraut, obwohl doch gerade ein Vortrag im Rundfunk eine ganz andere Massenwirkung hätte ausüben können als ein Artikel im »Stürmer«, der zwangsläufig nur auf einen begrenzten Kreis wirken konnte. Die Tatsache, daß selbst die offizielle Propaganda des Dritten Reiches den Angeklagten Streicher nicht zum Einsatz brachte, läßt erkennen, daß man sich von seiner Tätigkeit keinerlei Wirkung versprechen konnte, daß er tatsächlich keinerlei Einfluß ausgeübt hat. Die offizielle deutsche Staatsführung hatte Streicher als das erkannt, was er war: der unbedeutende Herausgeber einer herzlich unbedeutenden Wochenschrift.
Die Grundhaltung des deutschen Volkes, das muß hier noch einmal mit aller Deutlichkeit gesagt werden, war ebensowenig radikal-antisemitisch, wie die der deutschen Jugend und auch der Parteigliederungen. Eine erfolgreiche Aufhetzung und Aufreizung zum verbrecherischen Antisemitismus ist demnach nicht erwiesen.
Ich komme nun zu dem letzten und entscheidenden Punkt der Anklage, nämlich zu der Prüfung der Frage, wer die Hauptverantwortlichen für die Erteilung der Befehle zur Massenvernichtung des Judentums waren, wie es möglich war, daß sich Männer zu der Ausführung dieser Befehle bereitgefunden haben und ob ohne den Einfluß des Angeklagten Streicher weder solche Befehle erteilt, noch solche Befehle ausgeführt worden wären.
Der Hauptverantwortliche für die Endlösung der Judenfrage, die Austilgung des Judentums in Europa, ist ohne Zweifel Hitler selbst. Zwar haftet diesem größten aller Prozesse der Weltgeschichte der Mangel an, daß die Hauptschuldigen nicht auf der Anklagebank sitzen, weil sie entweder den Tod gefunden haben oder nicht auffindbar sind; die getroffenen Feststellungen haben aber doch zwingende Rückschlüsse auf die tatsächliche Verantwortlichkeit ergeben.
Es kann als eindeutig erwiesen angesehen werden, daß es sich bei Hitler um einen Mann von einmaliger, geradezu dämonischer Brutalität und Rücksichtslosigkeit gehandelt hat, wobei in den letzten Jahren noch hinzukam, daß er jedes Maß und jede Selbstbeherrschung verloren hatte.
Daß rücksichtslose Brutalität der Grundzug seines Wesens war, zeigte sich erstmalig in seiner vollen Schärfe bei der Niederschlagung der sogenannten Röhm-Revolte im Juni 1934. Hier schreckte Hitler nicht davor zurück, seine ältesten Mitkämpfer ohne jedes Gerichtsverfahren erschießen zu lassen. Sein hemmungsloser Radikalismus zeigte sich weiter in der Führung des Krieges mit Polen. Nur weil er von den führenden Kreisen des polnischen Volkes eine ablehnende Haltung gegen Deutschland befürchtete, befahl er deren rücksichtslose Vernichtung. Noch schärfer waren seine Befehle bei Beginn des Rußlandfeldzuges. Schon damals ordnete er die Vernichtung des Judentums in Teilaktionen an.
Diese Beispiele zeigen einwandfrei, daß Rücksichtnahme auf irgendwelche Grundsätze der Menschlichkeit diesem Manne fremd waren. Weiter hat das Verfahren durch die Bekundungen aller Angeklagten zur Gewißheit erhärtet, daß Hitler bei grundsätzlichen Entscheidungen keinem anderen Einfluß zugänglich gewesen ist.
Die grundsätzliche Einstellung Hitlers zur Judenfrage ist bekannt. Er war bereits in den Jahren vor dem ersten Weltkrieg in seiner Wiener Zeit zum Judengegner geworden. Es sind aber keine Anhaltspunkte vorhanden, daß Hitler von Anfang an eine derart radikale Lösung der Judenfrage im Auge hatte, wie sie schließlich in der Vernichtung des europäischen Judentums zur Auswirkung gekommen ist. Wenn die Staatsanwaltschaft behauptet, von dem Buch »Mein Kampf« führe ein direkter Weg zu den Brennöfen von Mauthausen und Auschwitz, so ist dies eben nur eine Annahme; eine Beweisgrundlage hierfür ist aber nicht gegeben. Vielmehr spricht das Beweisergebnis dafür, daß Hitler die Judenfrage in Deutschland ebenfalls im Wege der Auswanderung selbst gelöst wissen wollte.
Dieser Gedanke sowie die Stellung des jüdischen Bevölkerungsteiles unter Fremdenrecht war offiziell Staatspolitik des Dritten Reiches. Mit der Erlassung der Gesetze von 1935 betrachteten viele führende Antisemiten das Judenproblem als abgeschlossen. Auch der Angeklagte Streicher war dieser Auffassung.
Erst Ende 1938, anfangs 1939, ist eine schärfere Einstellung in der Judenfrage bei Hitler zu erkennen, insbesondere daß er für den Fall eines Krieges eine andere Lösung in Aussicht genommen hatte, weil er einen solchen als vom Judentum propagiert ansah. In der Reichstagsrede vom 30. Januar 1939 sagte er die Vernichtung des Judentums voraus für den Fall, daß ein neuer Weltkrieg gegen Deutschland entfesselt würde. Die gleichen Gedankengänge brachte er in einer Rede zur zwanzigjährigen Wiederkehr des Parteigründungstages im Februar 1942 zum Ausdruck. Und schließlich bestätigte auch sein Testament seine ausschließliche Verantwortung für die Hinmordung des europäischen Judentums in seiner Gesamtheit. Wenn auch von Beginn des Krieges an eine Verschärfung der Einstellung Hitlers gegen das Judentum bereits eingetreten war, so sind doch keine Anhaltspunkte gegeben, daß er schon im ersten Stadium des Krieges eine Vernichtung des Judentums ins Auge gefaßt hätte. Der dahingehende letzte Entschluß wurde ohne Zweifel ausgelöst durch die von Hitler vermutlich schon Anfang des Jahres 1942 erkannte Unmöglichkeit, den Krieg mit einem Siege Deutschlands zu beenden.
Es ist fast mit Sicherheit anzunehmen, daß der Vernichtungsentschluß, wie fast alle Planungen Hitlers, ausschließlich aus ihm selbst hervorgegangen ist.
Inwieweit Einflüsse gewisser ihm nahestehender Berater Platz gegriffen haben, ist mit Sicherheit nicht festzustellen.
Wenn schon solche Einflüsse gegeben waren, dann können hierfür nur Männer wie Himmler, Bormann und Goebbels in Frage kommen.
So viel steht jedenfalls einwandfrei fest, daß im entscheidenden Zeitraum zwischen September 1939 und Oktober 1942 eine Einflußnahme Streichers auf Hitler weder erfolgte, noch nach Lage der Sache überhaupt möglich war.
Streicher saß zu dieser Zeit, seiner sämtlichen Ämter entkleidet, völlig kaltgestellt auf seinem Gute in Pleikershof. Weder persönlich noch schriftlich hatte er irgendwelche Verbindung mit Hitler. Dies haben die Aussagen der Zeugen Fritz Herrwerth, Adele Streicher und die eidliche Aussage des Angeklagten selbst einwandfrei erwiesen. Daß aber Hitler durch die Lektüre des »Stürmer« etwa zu seinem Ausmordungsbefehl veranlaßt worden sei, kann doch wohl im Ernst nicht behauptet werden. So ist klargestellt, daß der Angeklagte Streicher auf den entscheidenden Mann und den entscheidenden Befehl zur Ausrottung des Judentums ohne jeden Einfluß geblieben ist. Im Oktober 1942 erging der Erlaß Bormanns, der die Ausrottung des Judentums befahl, Dokument 3244-PS. Dieser Befehl kam von Hitler – das steht einwandfrei fest – und ging an den Reichsführer-SS Heinrich Himmler, dem die aktive Durchführung der Judenvernichtung übertragen worden ist.
Dieser seinerseits übertrug die endgültige Durchführung an den Chef der Gestapo, Müller, und seinen Beauftragten für Judenfragen, Eichmann. Diese drei Männer sind also nach Hitler die Hauptverantwortlichen.
Daß Streicher auf sie irgendwelche Einflußmöglichkeiten hatte oder tatsächlich irgendeinen Einfluß ausgeübt hätte, ist durch nichts erwiesen. Er behauptet unwiderlegbar, daß ihm Eichmann und Müller überhaupt nicht bekanntgewesen seien, während seine Verbindung zu Himmler nur lose und alles andere als freundschaftlich gewesen sei. Daß Himmler einer der radikalsten Antisemiten der Partei gewesen ist, braucht nur erwähnt zu werden.
Er hatte von jeher unerbittlichen Kampf gegen die Juden propagiert und war im übrigen nach allem, was wir von ihm wissen, nicht der Mann, der sich von einem anderen in grundsätzlichen Fragen hätte beeinflussen lassen. Aber abgesehen davon ergibt ein Vergleich der beiderseitigen Persönlichkeiten von vornherein, daß Himmler in jeder Beziehung der Stärkere und Überlegenere war, so daß schon aus diesem Grunde eine Einflußnahme des Angeklagten Streicher auf Himmler ausgeschieden werden kann. Zu diesem Punkt weitere Ausführungen zu machen, kann ich mir wohl ersparen.
Ich komme nun zu der Frage, ob die Tätigkeit des Angeklagten Streicher auf die ausführenden Organe der Exekutionen, die Angehörigen der Einsatzgruppen einerseits und die Exekutionskommandos in den Konzentrationslagern andererseits, von bestimmendem Einfluß gewesen ist, und ob es überhaupt einer geistigen und seelischen Vorbereitung dieser Männer bedurft hätte, um sie zur Durchführung solcher Maßnahmen bereit und willens zu machen.
Der Reichsführer-SS hat in seinen hier schon so oft erwähnten Reden in Nikolajew, Posen und Charkow eindeutig klargestellt, daß er nicht nur selbst neben Hitler verantwortlich für die Endlösung der Judenfrage war, sondern auch, daß die Durchführung der befohlenen Maßnahmen nur möglich gewesen sei durch den Einsatz besonders von ihm auserwählter Kräfte aus der SS.
Aus der Aussage Ohlendorfs wissen wir, daß die sogenannten Einsatzgruppen sich zusammensetzten aus Angehörigen der Gestapo und des SD, aus Kompanien der Waffen-SS, aus altgedienter Polizei und aus Landeseinwohnern.
Grundsätzlich ist hier festzustellen, daß der Angeklagte Streicher auf die weltanschauliche Haltung der SS niemals auch nur den geringsten Einfluß ausgeübt hat. In dem umfangreichen Beweismaterial dieses Verfahrens befindet sich auch nicht der Schatten eines Beweises dafür, daß Streicher zur SS in irgendwelcher Beziehung stand. Der angebliche Judenfeind Nummer 1, der große Propagandist der Judenverfolgung, wie ihn die Anklage darstellt, der Angeklagte Streicher, ist in der Zeitschrift der SS, »Das Schwarze Korps«, oder gar in den »SS-Leitheften« niemals zu Wort gekommen. Diese Zeitschriften aber als die amtlichen Organe des Reichsführer-SS bestimmten allein von der weltanschaulichen Seite her die Schutzstaffel. Diese Zeitschriften der SS bestimmten ihre Stellung zur Judenfrage. Der »Stürmer« wurde in diesen Kreisen ebensowenig gelesen, er wurde abgelehnt, wie in allen anderen Kreisen auch.
Himmler selbst hat Streicher ironisch als Ideologen abgelehnt.
Weltanschaulich konnte der Angeklagte Streicher daher die in den Einsatzgruppen stehenden SS-Angehörigen nicht beeinflußt haben, noch weniger die alten Polizeisoldaten und am wenigsten die fremdländischen Einheiten. Auch die Exekutionskommandos in den Konzentrationslagern konnten von ihm weltanschaulich nicht bestimmt sein. Deren Männer stammten größtenteils aus den Reihen der Totenkopfverbände, also der alten Wachverbände, für die das oben Gesagte in erhöhtem Maße zutrifft. Dazu kommt, daß die altgedienten Polizeisoldaten sowohl wie die altgedienten SS-Männer zu absolutem Gehorsam gegenüber ihren Führern erzogen waren. Absoluter Gehorsam gegenüber einem Führerbefehl war für beide selbstverständlich.
Trotzdem aber konnten selbst altgediente und an absoluten Gehorsam gewöhnte Polizeimänner, konnte selbst die altgediente SS nicht so, wie sie war, von Himmler mit der Durchführung der Judenexekutionen betraut werden. Himmler mußte vielmehr Leute persönlichen Vertrauens als Führer dieser Exekutionskommandos bestimmen und sie höchstpersönlich auf ihre Aufgaben verpflichten mit dem ausdrücklichen Hinweis, daß er alle Verantwortung übernehme und daß er selbst nur einen grundsätzlichen Befehl Hitlers weitergebe.
So wenig also waren sogar diese Männer, die nach der Behauptung der Anklage die Elite des Nazismus gewesen waren, zu Judengegnern in dem von der Anklage behaupteten Sinne geworden, daß die ganze Autorität des Staatsoberhauptes und Führers und seines brutalsten Gefolgsmannes Himmler notwendig war, um den verantwortlichen Männern der Vollstreckungskommandos die Überzeugung aufzuzwingen, daß ihr Auftrag auf dem Willen des autoritären Staatsoberhauptes beruhe; auf einem Befehl also, der nach ihrer Überzeugung die Kraft eines Staatsgrundgesetzes besaß, also jeder Kritik entzogen war.
Nicht weltanschauliche Gründe, nicht die von der Anklage behauptete Aufhetzung der mit der Durchführung der Vernichtung Beauftragten durch Streicher war es also, die diese Männer zur Erfüllung der Befehle brachte, sondern ausschließlich und allein ihr Gehorsam gegenüber einem ihnen durch Himmler übermittelten Befehl Hitlers und das Bewußtsein, daß die Nichtbefolgung eines Führerbefehls den Tod für sie bedeuten würde.
Also auch nach dieser Richtung ist ein Einfluß Streichers nicht erwiesen.
Damit sind die gegen den Angeklagten von der Anklage erhobenen Vorwürfe erschöpft.
Um aber zu einem Ergebnis zu kommen, zu einer Beurteilung des Angeklagten, die den tatsächlich gemachten Feststellungen in vollem Umfange gerecht wird, erscheint es erforderlich, seine Persönlichkeit und seinen Einsatz unter der Hitler-Regierung noch einmal kurz zusammenfassend zu beleuchten:
Die Anklage sieht in ihm den führenden Antisemiten und den führenden Vertreter des schärfsten Vernichtungswillens gegenüber dem Judentum.
Diese Auffassung wird aber der Rolle des Angeklagten und seinem tatsächlichen Einfluß ebensowenig gerecht wie seiner Persönlichkeit. Bereits aus der Art, wie der Angeklagte im Dritten Reich eingesetzt und zur Propagierung der Judenfrage und deren endlichen Lösung herangezogen worden ist, ergibt sich die Unrichtigkeit der in der Anklage vertretenen Auffassung. Das einzige Mal, daß der Angeklagte aktiv im Kampf gegen das Judentum eingesetzt war, war seine Verwendung als Vorsitzender des Aktionskomitees für den antijüdischen Boykott-Tag am 1. April 1933. An diesem Tag aber hat er eine Haltung gezeigt, die zu den scharfen Äußerungen im »Stürmer« im geraden Gegensatz steht. Sie läßt erkennen, daß es sich bei den angegriffenen Äußerungen in seinem Blatt um reine Tendenzmache handelt. Er hat, obwohl er an diesem Tage die gesamte Macht des Staates und der Partei gegen das Judentum hätte einsetzen können, lediglich eine Kennzeichnung und eine Bewachung der jüdischen Geschäfte befohlen. Dazu aber hat er ausdrücklich angeordnet, daß jede Belästigung und jede Gewalttätigkeit gegen die Juden, sowie jede Beschädigung jüdischen Eigentums verboten und strafbar sein solle.
Zu einem weiteren Einsatz des Angeklagten kam es in der Folgezeit überhaupt nicht mehr. Nicht einmal zur weltanschaulichen Fundierung der Auseinandersetzung mit dem Judentum wurde auf ihn zurückgegriffen. Weder in der Presse noch im Rundfunk konnte er seine Ideen vertreten. Weder die Partei in ihren Schulungsbriefen noch die Gliederungen in ihren Zeitschriften bedienten sich seiner Feder zur Aufklärung über die Judenfrage.
Nicht ihm, sondern dem Angeklagten Rosenberg übertrug Hitler die weltanschauliche Schulung des deutschen Volkes. Dieser war verantwortlich für das Institut zur Erforschung der Judenfrage in Frankfurt, nicht der Angeklagte Streicher; ja dieser war nicht einmal zu einer Mitwirkung an diesem Institut in Aussicht genommen.
Der Angeklagte Rosenberg erhielt den Auftrag für die Durchführung eines antijüdischen Weltkongresses im Jahre 1944. Diese Versammlung ist allerdings nie zustande gekommen; aber bezeichnend ist dabei, daß die Teilnahme des Angeklagten Streicher nicht einmal vorgesehen war.
Sämtliche antijüdischen Gesetze und Verordnungen des Dritten Reiches entstanden ohne seine Mitwirkung. Nicht einmal zur Vorbereitung der Rassengesetze, die am Parteitag in Nürnberg 1935 verkündet wurden, war er herangezogen worden. An keiner Beratung über eine auch nur einigermaßen wichtige Frage im Frieden und im Kriege hat der Angeklagte Streicher teilgenommen. Sein Name findet sich in keiner Teilnehmerliste, in keinem Protokoll. Ja nicht einmal in den Besprechungen selbst wird sein Name auch nur einmal genannt.
Der Kampf gegen das Judentum im Dritten Reich verschärfte sich von Jahr zu Jahr, besonders nach Ausbruch und während der Dauer des Krieges. Im Gegensatz dazu aber ging der Einfluß des Angeklagten Streicher von Jahr zu Jahr zurück. Schon im Laute des Jahres 1939 war er fast kaltgestellt, ohne jede Beziehung zu Hitler oder sonstigen führenden Männern des Staates und der Partei. Seit 1940 war er seines Amtes als Gauleiter enthoben und von da ab politisch ein toter Mann.
Wäre der Angeklagte Streicher tatsächlich der Mann gewesen, für den ihn die Anklage hält, so hätte sein Einfluß und seine Tätigkeit automatisch mit der Verschärfung des antijüdischen Kampfes wachsen müssen. Am Ende hätte nicht, wie es tatsächlich der Fall war, politische Einflußlosigkeit und Verbannung stehen müssen, sondern Beauftragung mit der Durchführung der Vernichtung des Judentums.
Durch seine jahrelange schriftstellerische Tätigkeit, die bis zum Überdruß das gleiche Thema in manchmal plumper, derber und scharfer Form behandelte, hat sich der Angeklagte Streicher, das soll nicht geleugnet werden, die Feindschaft der Weltöffentlichkeit zugezogen. Er hat hierdurch eine Stimmung gegen sich erzeugt, aus der heraus seine Bedeutung und sein Einfluß weit über das wirkliche Maß hinaus überschätzt wurde und die jetzt für ihn die Gefahr bedeutet, daß auch seine Verantwortlichkeit in gleicher Weise verkannt wird.
Der Verteidiger, der in diesem Falle vor einer undankbaren und schweren Aufgabe stand, mußte sich darauf beschränken, die Gesichtspunkte und Tatsachen aufzuzeigen, welche die Bedeutung dieses Mannes und die Rolle, die er in der Tragödie des Nationalsozialismus gespielt hat, in ihrem wahren Umfang erkennen lassen. Es kann aber nicht Aufgabe der Verteidigung sein, unleugbare Tatsachen abzustreiten und Handlungen in Schutz zu nehmen, die eben einfach keine Entschuldigung finden können.
So bleibt bestehen, daß dieser Angeklagte bei der Abtragung der Hauptsynagoge in Nürnberg mitgewirkt und damit zugelassen hat, daß die Kultstätte einer Religionsgemeinschaft der Zerstörung anheimfiel. Der Angeklagte führt zu seiner Entlastung an, daß es ihm hierbei nicht um die Abtragung eines zum Gottesdienst bestimmten Bauwerkes zu tun gewesen sei, sondern um die Beseitigung eines Bauwerkes, das in der Nürnberger Altstadt stilwidrig und störend wirkte und daß diese seine Ansicht auch von Kunstsachverständigen geteilt worden sei. Daß dem so sei, ergäbe sich daraus, daß er das zweite jüdische Gotteshaus in Nürnberg unangetastet habe stehen lassen, bis dieses schließlich in der Nacht vom 9. auf 10. November 1938 ohne sein Zutun in Flammen aufgegangen sei. Wie dem auch sei, der Angeklagte hat jedenfalls hier die gleiche Bedenkenlosigkeit an den Tag gelegt, die auch seinen übrigen Handlungen anhaftet. Seine Handlungsweise hat er hier allein zu vertreten, die Verteidigung kann sich insoweit nicht schützend vor ihn stellen. Aber auch hierbei ist hervorzuheben, daß die Bevölkerung Nürnbergs diesen Vorgang klar und unverkennbar abgelehnt hat. Für jeden unbefangenen Beobachter war es klar, daß das Volk solchen Aktionen mit eisiger Kühle gegenüberstand und nur durch Knebelung und Zwang dazu veranlaßt werden konnte, solche Maßnahmen über sich ergehen zu lassen und Zeuge solcher Sinnlosigkeiten zu sein.
Ebensowenig kann die Verteidigung zur Wiederaufrollung der Ritualmordmythe Stellung nehmen. Diese Artikel fanden zwar keinerlei Interesse, ihre Tendenz ist aber klar ersichtlich. Das einzige Moment, das dem Angeklagten neben dem ihm zuzubilligenden guten Glauben zur Seite stehen kann, ist das, daß nicht er es war, auf den diese Artikel zurückgingen, sondern Holz; er muß sich aber entgegenhalten lassen, daß er es geschehen ließ.
Unverständlich muß erscheinen, daß sich der Angeklagte noch immer an der Herausgabe des »Stürmer« beteiligte, auch als er schon längst politisch lahmgelegt und in die Verbannung geschickt worden war. Nichts zeigt besser seine geistige Einbahnigkeit als gerade diese Tatsache. Wenn die Anklagebehörde dem Angeklagten zum Vorwurf macht, er habe die physische Vernichtung des Judentums angestrebt und er habe mit seinen Veröffentlichungen diesen späteren Erfolg vorbereitet, so ist demgegenüber auf die Darlegungen des Angeklagten in seiner eidlichen Vernehmung als Zeuge zu verweisen, auf welche ich im vollen Umfang hieher Bezug nehme.
Der Angeklagte nimmt für sich in Anspruch, daß in der langen Reihe der Artikel im »Stürmer« seit dessen Erscheinen nie ein solcher enthalten gewesen sei, in welchem zu tatsächlichen Gewalttätigkeiten gegen das Judentum aufgefordert worden wäre. Und weiter, daß in den mehr als 1000 Nummern nur etwa 15 gefunden werden könnten, welche Ausdrücke enthielten, die im Sinne der Anklage gegen ihn geltend gemacht werden könnten.
Der Angeklagte führte in seiner Verteidigung im Gegenteil aus, daß seine Artikel und Reden jeweils unverkennbar die Tendenz aufwiesen, eine Gesamtlösung der Judenfrage über die ganze Welt gleichzeitig herbeizuführen, da eine Teillösung irgendwelcher Art keinerlei Zweck haben könne und den Kern des Problems gar nicht erfasse. Schon aus diesem Gesichtspunkt heraus hätte er sich von jeher gegen Gewaltmaßnahmen jeglicher Art gegen das Judentum unzweideutig ausgesprochen und eine Aktion, wie sie schließlich Hitler in solch grausiger Art durchführen ließ, niemals gutgeheißen. Ob dem Angeklagten sonach nachgewiesen erscheint, daß er die erfolgten Massenmorde am Judentum je gebilligt hat, muß stark in Zweifel gezogen werden, und ich überlasse die Entscheidung hierüber dem Gerichtshof. Er selbst beruft sich jedenfalls darauf, daß er von diesen Massenmorden erst im Jahre 1944 einigermaßen sichere Kenntnis erhalten habe, welche Angaben durch die Zeugen Adele Streicher und Hiemer gestützt werden.
Die Veröffentlichungen im »Israelitischen Wochenblatt« habe er für Zweckpropaganda erachtet und deshalb nicht geglaubt. Für ihn spricht nach dieser Richtung, daß er bis zum Herbst 1943 in keinem Artikel einer Befriedigung über das Schicksal des Judentums im Osten Ausdruck verliehen hat. Wenn er damals über das Verschwinden des jüdischen Reservoirs im Osten schrieb, so ist auch hier nicht zu erkennen, daß ihm irgendeine authentische Bestätigung zur Verfügung stand. Er konnte also sehr wohl der Auffassung sein, daß dieses Verschwinden nicht mit einer physischen Vernichtung des Judentums identisch sei, sondern daß möglicherweise eine Überstellung der aufgesammelten jüdischen Bevölkerung nach dem neutralen Ausland oder in das Gebiet der Sowjetunion in Frage käme.
Da keinerlei Beweis dafür erbracht ist, daß der Angeklagte von irgendeiner Seite von der beabsichtigten Ausrottung des Judentums irgendwelche Andeutung erhalten hätte, so konnte er ein derart satanisches Geschehen überhaupt nicht in seine Vorstellung aufgenommen haben, da ein solches außerhalb jeglicher Vorstellungsmöglichkeit des menschlichen Geistes überhaupt gelegen erscheint. Bestimmt kann auch nicht angenommen werden, daß die geistige Kapazität des Angeklagten diesen etwa in die Lage gesetzt haben sollte, vorschauend eine solche Lösung der Judenfrage, die nur dem Gehirn eines nicht mehr im Besitz seiner geistigen Kräfte befindlichen Menschen entsprungen sein kann, zu erahnen. Der Angeklagte bezeichnet sich selbst als Wahrheitsfanatiker und Wahrheitssucher. Er will nichts geschrieben und nichts in seinen Reden zum Ausdruck gebracht haben, was er nicht aus irgendwelchen authentischen Quellen entnommen und entsprechend belegt habe.
Daß er ein Fanatiker war, steht außer Zweifel. Der Fanatiker aber ist ein Mensch, der von einer Idee oder einer Einbildung so besessen und durchdrungen ist, daß er jeder anderen Erwägung nicht zugänglich und nur einseitig von der Richtigkeit seiner Auffassung durchdrungen ist. Für den Psychiater mag es sich dabei vielleicht um eine Art geistiger Verkrampfung handeln. Jede Art von Fanatismus ist nicht weit von manischen Vorstellungen. Hand in Hand damit geht in der Regel eine erhebliche Selbstüberschätzung und eine Überwertung der eigenen Persönlichkeit und des von ihr ausgehenden Einflusses auf die Umwelt.
Bei keinem der hier zur Beurteilung stehenden Angeklagten geht Schein und Sein aber soweit auseinander wie bei dem Angeklagten Streicher. Als was er der Außenwelt erschien, hat die Anklage vorgetragen. Was er tatsächlich war und ist, hat das Verfahren aufgezeigt.
Nur tatsächliche Feststellungen aber können Grundlage des Urteils sein.
Legen Sie, meine Herren Richter, Ihrem Urteil auch zugrunde, daß der Angeklagte in seiner Stellung als Gauleiter in Franken auch viele menschliche Züge an den Tag gelegt hat, daß er die Entlassung einer großen Anzahl politischer Häftlinge aus den Konzentrationslagern herbeiführte, was sogar die Einleitung eines Strafverfahrens gegen ihn zur Folge hatte. Nicht unerwähnt soll bleiben, daß er auch die auf seinem Hofe beschäftigten Kriegsgefangenen und Fremdarbeiter in jeder Hinsicht gut behandelt hat.
Mag das Urteil gegen den Angeklagten Streicher aber lauten wie es will, es handelt sich dabei immer nur um das Schicksal eines einzelnen. Festgestellt aber erscheint, daß das deutsche Volk und dieser Angeklagte in dieser hier maßgeblichen Frage niemals eine Einheit gebildet haben. Das deutsche Volk hat sich von den Bestrebungen des Angeklagten, wie er sie in seinen Veröffentlichungen zum Ausdruck brachte, stets distanziert und sich seine eigene Meinung und Einstellung gegenüber dem Judentum bewahrt. Damit ist aber die Annahme der Anklage, daß die tendenziösen Artikel im »Stürmer« irgendeine Resonanz oder eine Aufnahmebereitschaft im deutschen Volke gefunden oder in demselben gar eine zu verbrecherischen Maßnahmen bereite Gesinnung vorbereitet hätten, voll widerlegt. Das deutsche Volk in seiner weitaus überwiegenden Mehrheit hat sich den gesunden Sinn bewahrt und sich allen Gewalttätigkeiten abhold gezeigt. Es kann daher auch Anspruch darauf erheben, daß es vor dem Forum der Weltöffentlichkeit von jeder moralischen Mitschuld und Mitverantwortung an jenen Verbrechen frei erklärt wird, um seinen Platz in der Reihe der Nationen einst wieder einnehmen zu können.
Die Entscheidung über Schuld oder Nichtschuld dieses Angeklagten aber lege ich in die Hände des Hohen Gerichts.
VORSITZENDER: Ich rufe Herrn Dr. Sauter für den Angeklagten Funk auf.
DR. FRITZ SAUTER, VERTEIDIGER DER ANGEKLAGTEN FUNK UND VON SCHIRACH: Meine Herren Richter! Ich habe die Aufgabe, den Fall des Angeklagten Dr. Walter Funk zu untersuchen, also ein Thema zu behandeln, das leider besonders trocken und wenig interessant ist.
Ich darf vielleicht eine Bemerkung vorausschicken: Ich werde grundsätzlich keine allgemeinen Ausführungen bringen, weder in juristischer noch in politischer, weder in historischer noch in physiologischer Hinsicht, obwohl solche allgemeine Ausführungen gerade im Rahmen dieses Prozesses besonders verlockend wären. Solche allgemeine Ausführungen sind bereits von anderen Verteidigern in größerem Umfange gebracht worden und werden wohl von einigen weiteren Verteidigern noch ergänzt werden. Ich will mich also darauf beschränken, vom Standpunkt der Verteidigung aus zu untersuchen und Ihnen vorzutragen, welches Bild die Beweisaufnahme dieses Prozesses geliefert hat von der Persönlichkeit des Angeklagten Funk, von den Handlungen, die er vorgenommen hat, von den Motiven, die ihn dabei geleitet haben. Meine Herren Richter! Der gesamte Verlauf dieses Prozesses und die besondere Beweiserhebung in seinem eigenen Fall haben ergeben, daß der Angeklagte Funk zu keiner Zeit der nationalsozialistischen Staatsführung und in keinem der hier zur Anklage stehenden Fälle eine entscheidende Rolle gespielt hat.
Funks Entscheidungsbefugnisse waren immer durch übergeordnete Vollmachten anderer Personen erheblich eingeschränkt. Die Bemerkung des Angeklagten bei seiner persönlichen Vernehmung, daß er immer nur bis zur Türe kam und niemals eintreten durfte, ist durch die Beweiserhebung als durchaus richtig bewiesen worden.
In der Partei – im Gegensatz zum Staat – wurden dem Angeklagten Funk lediglich im letzten Jahre vor der Machtergreifung, also im Jahre 1932, einige Aufgaben übertragen. Diese erlangten jedoch keine praktische Bedeutung, weil sie nur von ganz kurzer Dauer waren.
Seit der Machtübernahme hat Funk niemals ein Parteiamt innegehabt. Er gehörte auch keiner Parteiorganisation an, weder der SS noch der SA, auch nicht dem Korps der Politischen Leiter. Ein Reichstagsmandat hatte Funk nur etwa über ein halbes Jahr lang kurz vor der Machtübernahme. Er gehörte also dem Reichstag nicht an zu der Zeit, als die grundlegenden Gesetze zur Festigung der nationalsozialistischen Macht beschlossen wurden. Diese auch dem Angeklagten Funk zur Last gelegten Gesetze aus jener Zeit, insbesondere das Ermächtigungsgesetz, wurden vielmehr zu einer Zeit vom Reichskabinett angenommen, als Funk noch nicht Mitglied des Reichskabinetts war. Er wurde dies bekanntlich erst mit seiner Ernennung zum Reichswirtschaftsminister zu Ende des Jahres 1937, also zu einer Zeit, als keine Kabinettssitzungen mehr stattfanden. Als Pressechef der Reichsregierung endlich hatte Funk weder Sitz noch Stimme im Kabinett, und er konnte als Pressechef auch keinen Einfluß auf den Inhalt der Gesetzentwürfe nehmen. Ich verweise auf die Aussagen des Zeugen Dr. Lammers zu diesem Punkte. Das gleiche trifft zu hinsichtlich der Rassegesetze, der sogenannten Nürnberger Gesetze.
Engere Beziehungen zu Hitler hatte Funk nur in den eineinhalb Jahren, in denen er in seiner Eigenschaft als Pressechef der Reichsregierung bei Hitler regelmäßig Pressevorträge zu halten hatte, also vom Februar 1933 bis August 1934, nämlich bis zum Tode des Reichspräsidenten von Hindenburg. Später ist Funk nur noch sehr selten zu Hitler gekommen. Der Zeuge Dr. Lammers bekundet hierüber folgendes – ich zitiere wörtlich:
»Später, als Reichswirtschaftsminister, ist Funk außerordentlich selten zu Hitler gekommen. Er ist zu vielen Besprechungen nicht zugezogen worden, und zwar auch nicht zu Besprechungen, zu denen er eigentlich hätte hinzugezogen werden müssen. Er hat sich bei mir häufig darüber beschwert. Der Führer hat vielfach Einwendungen gemacht. Es wären verschiedene Gründe gegen Funk vorhanden. Er stünde Funk skeptisch gegenüber und wolle ihn nicht haben.«
So wörtlich die Zeugenaussage Dr. Lammers vom 8. April 1946. Und auf die Frage an diesen Zeugen, ob Funk ihm öfter sein Leid geklagt habe über die unbefriedigende Stellung, die er als Reichswirtschaftsminister habe, und über die Sorgen, die ihn wegen der allgemeinen Zustände bedrückten, erklärte Dr. Lammers:
»Ich weiß, daß Funk schwere Sorgen hatte, und er wollte gern, daß auch er einmal Gelegenheit fände, diese an den Führer selbst heranzubringen. Er hatte den innigsten Wunsch, dem Führer einen Vortrag zu halten, um überhaupt etwas über die Kriegslage zu hören.«
Das war in den Jahren 1943 und 1944. Und Lammers fährt fort:
»Funk ist es mit bestem Willen nicht gelungen, zum Führer zu kommen, und mir ist es nicht gelungen, ihn zum Führer zu bringen.«
Meine Herren! Die auffallende Tatsache, daß Funk während der ganzen Zeit seiner Ministertätigkeit nur insgesamt vier- oder fünfmal zu Besprechungen mit Hitler hinzugezogen wurde, erklärt Funk damit, daß Hitler ihn nicht brauchte. Hitler habe seine Anweisungen für die wirtschaftlichen Angelegenheiten bis 1942 an Göring als den für die gesamte Wirtschaftsführung verantwortlichen Beauftragten für den Vierjahresplan gegeben und seit Anfang 1942 an Speer, der ab 1942 als Rüstungsminister auf Grund besonderer Vollmachten für alle Produktionszweige Weisungen erteilen konnte und der ab 1943 die gesamte Produktion selbst lenkte.
Funk hatte also in der Wirtschaftsführung des nationalsozialistischen Reiches niemals die Hauptrolle, sondern immer nur eine Nebenrolle. Das hat auch der Mitangeklagte Göring ausdrücklich in seiner Aussage am 16. März bestätigt:
»Selbstverständlich«, so sagte Göring, »hatte Funk nach den Generalvollmachten, die mir« – also Göring – »gegeben waren, meinen wirtschaftlichen Weisungen auf dem Gebiete des Wirtschaftsministeriums und der Reichsbank zu folgen gehabt. Die Anweisungen und die Wirtschaftspolitik, die der Reichswirtschaftsminister Funk und der Reichsbankpräsident Funk ausführte, treffen voll und ganz verantwortlich ausschließlich mich«.
Und ebenso, meine Herren, hat der Angeklagte Speer hier in der Sitzung vom 20. Juni als Zeuge erklärt, daß er als Rüstungsminister von vornherein die Entscheidungsbefugnisse auf den wichtigsten Wirtschaftsgebieten, wie insbesondere Kohle, Eisen und Stahl, Metalle, Aluminium, Maschinenbau und so weiter für sich in Anspruch nahm. Die gesamte Energiewirtschaft und das ganze Bauwesen unterstanden schon vor Speers Beauftragung – zu Beginn des Jahres 1942 – seinem Vorgänger, dem Rüstungsminister Todt.
Das Beweismaterial, das die Anklagebehörde zum Falle des Angeklagten Funk vorgebracht hat, bezieht sich zum weitaus größten Teil nicht auf persönliche Handlungen Funks oder auf Anordnungen, die er erlassen hat, sondern auf die verschiedenen und sehr verschiedenartigen Stellungen, die er innehatte. Und schon auf Seite 29 des Trialbriefes hat seinerzeit der Ankläger erklärt, daß die Beweisführung gegen Funk als eine abgeleitete bezeichnet werden müsse. Die Anklage unterstellt, daß Funk von den verschiedenen Vorgängen, die den Gegenstand der Anklage bilden, Kenntnis gehabt haben müsse, weil man das auf Grund seiner Stellungen annehmen müsse, die er innehatte. Auf Anordnungen, die Funk selbst erlassen hat, oder auf Weisungen, die er persönlich gab, bezieht sich die Anklage im wesentlichen überhaupt nur bei den Durchführungsverordnungen, die Funk zu den Erlassen des Vierjahresplanes zur Ausschaltung der Juden aus dem Wirtschaftsleben im November 1938 herausgegeben hat. Aber dieses Kapitel werde ich später gesondert behandeln. Zu politischen und militärischen Besprechungen endlich wurde Funk nicht hinzugezogen. Seine Stellung war also die etwa eines Fachministers mit weitgehend eingeschränkten Entscheidungsbefugnissen.
Als Reichswirtschaftsminister war er dem Vierjahresplan, also Göring, unterstellt. Später hatte der Rüstungsminister übergeordnete Vollmachten. Und schließlich wurde das Reichswirtschaftsministerium, wie durch die Zeugenaussagen Görings, Lammers und Haylers erwiesen ist, ein reines Handelsministerium, das sich im wesentlichen mit der Verteilung der Verbrauchsgüterproduktion und mit der technischen Durchführung des Außenhandels zu beschäftigen hatte.
Bei der Reichsbank bestimmte in ähnlicher Weise der Vierjahresplan über den Einsatz von Gold und Devisen. Hinsichtlich der inneren Kriegsfinanzierung wurde – sogleich beim Amtsantritt Funks als Reichsbankpräsident – der Reichsbank die Entscheidung über die Höhe der dem Reich zu gewährenden Kredite genommen. Damit schied Funk aus der Verantwortung für jegliche Kriegsfinanzierung überhaupt aus. Die entscheidende Stelle für diese war stets nur der Reichsfinanzminister, also nicht Funk. Und schließlich, meine Herren, als Generalbevollmächtigter für die Wirtschaft hat Funk lediglich im August 1939 die zivilen Wirtschaftsressorts für die Maßnahmen koordiniert, die einen reibungslosen Übergang von der Friedens- in eine etwaige Kriegswirtschaft gewährleisten sollten. Das Ergebnis dieser Beratungen sind dann die Vorschläge geworden, die Funk am 25. August 1939 Hitler in einem Brief unterbreitet hat, der als Nummer 699-PS hier mehrfach zitiert wurde. Funk hat in seiner Vernehmung erklärt, daß dieser Brief die Dinge nicht ganz korrekt darstelle, da es eben ein rein privater Brief, ein Dankbrief für Hitlers Geburtstagswünsche war. Weil die Anklage die Stellung Funks als Generalbevollmächtigter für die Wirtschaft besonders hervorgehoben hat, muß ich auch auf diesen Punkt später noch eigens zurückkommen. Die Beweiserhebung zeigt nun, daß gerade die Stellung als Generalbevollmächtigter für die Wirtschaft die am meisten umstrittene, aber andererseits auch die schwächste Position Funks gewesen ist.
Hinsichtlich der besetzten Gebiete hatte Funk überhaupt keine Entscheidungsbefugnisse. Das haben sämtliche zu dieser Frage vernommenen Zeugen übereinstimmend bekundet. Ebenso haben aber auch alle Zeugen bestätigt, daß Funk sich stets gegen die Ausplünderung der besetzten Gebiete gewandt hat. Er hat die Aufkäufe von deutscher Seite auf schwarzen Märkten scharf bekämpft. Er war gegen die Aufhebung der Devisengrenze mit Holland, eine Maßnahme, die die deutschen Aufkäufe in Holland erleichtern sollte. Er hat nach Griechenland, wie wir von dem Zeugen Neubacher gehört haben, eine Wareneinfuhr aus Deutschland und aus den osteuropäischen Staaten organisiert und sogar Gold nach Griechenland gegeben. Er trat auch wiederholt gegen die finanziellen Überbelastungen der besetzten Gebiete auf, insbesondere 1942 und 1944, ebenso gegen die Erhöhung der französischen Besatzungskosten. Er schützte die Währungen der besetzten Länder vor den immer wieder auftretenden Abwertungsversuchen. Im Falle Dänemark setzte er sogar allen Widerständen zum Trotz eine Aufwertung der Währung durch. Funk bekämpfte ferner willkürliche Kursfestsetzungen bei den Währungsregelungen mit den besetzten Ländern. Die Clearingschulden Deutschlands hat Funk stets als echte Warenschulden anerkannt, und zwar auch hinsichtlich der besetzten Länder. Das geht insbesondere aus seinem hier erörterten Vorschlag hervor, diese Clearingschuld Deutschlands durch eine von Deutschland in allen europäischen Staaten aufzulegende Anleihe zu kommerzialisieren. Funk war auch ein Gegner der allzustarken und insbesondere der zwangsweisen Beschäftigung ausländischer Arbeiter in Deutschland. Das hat auch der Angeklagte Sauckel hier in seiner Zeugenaussage bereits bestätigt. Alle diese für die besetzten Länder sich günstig auswirkenden Tatsachen und Handlungen Funks wurden von den Zeugen Hayler, Landfried, Puhl, Neubacher und dem Mitangeklagten Seyß-Inquart bekundet.
Nach diesen Aussagen war Funk stets bemüht, in den besetzten Gebieten die Wirtschaft und das soziale Leben in Ordnung zu halten und vor Erschütterungen möglichst zu bewahren. Radikalen und willkürlichen Maßnahmen gegenüber war er stets abgeneigt und ablehnend. Er war vielmehr immer auf Verständigung und Ausgleich bedacht. Funk dachte eben auch im Kriege schon stets an den Frieden. Das haben die Zeugen Landfried und Hayler bekundet und ausdrücklich hinzugefügt, daß dem Angeklagten Funk diese seine Einstellung von führenden Staats- und Parteistellen wiederholt zum Vorwurf gemacht worden ist. Auch der Mitangeklagte Speer hat bei seiner Vernehmung erklärt, daß Funk im Kriege eher zuviel Arbeiter in der Verbrauchsgüterwirtschaft beschäftigen ließ und daß gerade das mit ein Grund dafür war, daß Funk 1943 die Lenkung der Verbrauchsgüterproduktion abgeben mußte.
Daß sich Funk – ebenso wie Speer – gegen die furchtbare Parole der »verbrannten Erde« gewandt hat, hat außer Speer selbst auch der Zeuge Hayler am 7. Mai dem Gericht gegenüber eidlich bekundet. Dieser Zeuge erklärte, daß er Funk kaum jemals so erregt gesehen hat als in dem Augenblick, wo Funk diesen Zerstörungsbefehl zur Kenntnis erhielt. Funk erließ, wie Hayler bezeugt hat, Anweisungen sowohl als Reichswirtschaftsminister wie als Reichsbankpräsident, die vorhandenen Warenlager vor der befohlenen Zerstörung zu schützen, um die lebensnotwendige Versorgung der Bevölkerung mit Verbrauchsgütern, ebenso wie den Geldverkehr in den aufgegebenen deutschen Gebieten sicherzustellen.
Funks wirtschaftspolitische Ziele, ja man kann sagen, der Inhalt seines Lebenswerkes, war eine europäische Wirtschaftsgemeinschaft auf der Grundlage eines gerechten und natürlichen Interessenausgleichs souveräner Länder. Unaufhörlich hat sich Funk auch im Kriege bemüht, dieses Ziel anzustreben, obwohl naturgemäß die elementaren Kriegsnotwendigkeiten und die kriegsbedingte Entwicklung allenthalben diese Bestrebungen hemmten. Das wirtschaftliche Europa, wie Funk es sah und wie er es erstrebte, hat er in mehreren großen wirtschaftspolitischen Reden eindrucksvoll dargestellt. Auszüge aus einigen dieser, vielfach auch im neutralen und feindlichen Ausland beachteten Reden sind im Dokumentenbuch vorgelegt worden.
Bei der Beurteilung der Handlungen des Angeklagten Funk spielte naturgemäß seine ganze Persönlichkeit eine gewisse Rolle, wenn die Motive ermittelt werden sollen, aus denen heraus dieser Angeklagte gehandelt hat. Funk wurde im deutschen Volke, soweit man ihn überhaupt kannte, niemals als ein Parteimensch betrachtet, den man für fähig gehalten hätte, sich an rohen Exzessen zu beteiligen, Gewalt und Terror auszuüben oder sich auf fremde Kosten zu bereichern. Er teilte vielmehr zum Beispiel mit seinem Freund Schirach die Neigung für Kunst und Literatur. Ursprünglich hatte er, wie Sie gehört haben, Musiker werden wollen und sah in der Folgezeit in seinem Hause Dichter und Künstler weit lieber als die Männer aus Partei und Staat. In Fachkreisen war er bekannt und geschätzt als Wirtschaftspolitiker, als ein Mann mit umfassenden theoretischen und historischen Kenntnissen, der aus dem Journalismus hervorgegangen und ein glänzender Stilist gewesen war. Als Chefredakteur an der angesehenen »Berliner Börsenzeitung« hatte er eine wirtschaftlich gut gesicherte Position, so daß er sich finanziell sogar verschlechterte, als er anfangs 1933, nach der Machtergreifung Hitlers, das ihm angebotene Amt eines Pressechefs der Reichsregierung annahm. Er gehörte also nicht zu den Desperados, die froh sein mußten, durch Hitler einen gutbezahlten Posten zu bekommen. Im Gegenteil, er brachte ein finanzielles Opfer, als er das ihm angebotene Staatsamt übernahm, und es erscheint daher durchaus glaubhaft, daß er dies aus Patriotismus, aus Pflichtgefühl gegenüber seinem Volke tat, um sich in schwerer Notzeit in den Dienst des Vaterlandes zu stellen.
Für die Beurteilung der Persönlichkeit und der Haltung des Angeklagten Funk erscheint es weiterhin von einer gewissen Bedeutung, daß er niemals irgendeinen Rang in der Partei hatte oder anstrebte. Andere Leute, die hohe Staatsstellen im Dritten Reich einnahmen, wurden zum Beispiel mit dem Titel eines SS-Obergruppenführers bedacht oder erhielten den Rang eines SA-Obergruppenführers. Funk dagegen war von 1931 bis zum Ende des Dritten Reiches immer nur einfacher Parteigenosse, der sich wohl um die gewissenhafte Führung seiner Staatsämter bemühte, aber keinerlei Ehrungen innerhalb der Partei anstrebte.
Das einzige, was dem Angeklagten Funk in dieser Beziehung von der Anklage vorgeworfen wurde, war die Tatsache, daß er im Jahre 1940 zu seinem 50. Geburtstag eine Dotation angenommen hat. Das war an sich natürlich keine strafbare Handlung, wurde aber von der Anklage offenbar als moralische Belastung des Angeklagten gewertet. Deshalb sei dazu kurz Stellung genommen. Es ist uns in Erinnerung, wie es zu dieser Dotation kam: Der Präsident und das Präsidium der Reichswirtschaftskammer, also die oberste Standesvertretung der deutschen Wirtschaft, haben ihm zu seinem 50. Geburtstag einen Bauernhof in Oberbayern mit 55 Hektar Grund geschenkt. Dieser Bauernhof stand allerdings zunächst nur auf dem Papier der Schenkungsurkunde und sollte erst gebaut werden. Diese Schenkung war vom Staatsoberhaupt, nämlich von Adolf Hitler, ausdrücklich genehmigt, also nicht etwa heimlich dem Reichswirtschaftsminister gemacht worden, sondern in aller offizieller Form, ohne daß etwas verschwiegen oder vertuscht worden wäre. Das Geschenk erwies sich dann aber in der Folgezeit für Funk als ein ausgesprochenes Danaer-Geschenk, weil der Bau des Gebäudes viel teuerer kam, als man erwartete und weil Funk eine sehr hohe Schenkungssteuer zu bezahlen hatte. Funk, der bis dahin nie Schulden gehabt und stets in geordneten Verhältnissen gelebt hatte, geriet nun gerade durch diese »Schenkung« eines Bauernhofes in Schulden. Göring hörte davon; er half Funk mit einer größeren Summe aus. Als Hitler von diesen finanziellen Schwierigkeiten Funks durch den Minister Lammers Kenntnis erhielt, ließ er ihm den zur Ordnung seiner wirtschaftlichen Lage erforderlichen Betrag als Dotation überweisen. Damit konnte dann Funk die Steuern und seine Schulden bezahlen. Den Rest verwendete Funk, um zwei gemeinnützige Stiftungen zu machen, die eine für die Hinterbliebenen der im Kriege gefallenen Beamten der Reichsbank, die andere für das Personal des Wirtschaftsministeriums zum gleichen Zweck. Auch der Hof sollte einmal eine Stiftung werden. Funk hat mit dieser Sachbehandlung bewiesen, daß er auch in diesem Punkt das richtige Gefühl hatte. Denn wenn auch juristisch solche Dotationen nicht anfechtbar waren, so sagte ihm doch sein natürliches Empfinden, daß es richtiger sei, sich von derartigen Dotationen zu distanzieren und sie lieber gemeinnützigen Zwecken zuzuführen, wenn man schon nicht die Möglichkeit hatte, sie gegenüber dem Staatsoberhaupt vollständig abzulehnen.
Herr Präsident! Ich komme dann zu einem neuen Kapitel; ich würde vorschlagen, Pause zu machen.
VORSITZENDER: Wir vertagen uns nunmehr.