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[Pause von 10 Minuten.]

VORSITZENDER: Herr Dr. Dix, bitte!

DR. DIX: Herr Präsident, meine Herren Richter!

Die Singularität des Falles Schacht ergibt sich schon prima vista bildhaft aus dem Anblick der Anklagebank und der Geschichte seiner Haft und seiner Verteidigung. Auf der Anklagebank sitzen Kaltenbrunner und Schacht. Die Zuständigkeiten des Angeklagten Kaltenbrunner mögen gewesen sein, wie sie wollen, jedenfalls war er Chef des Reichssicherheitshauptamtes. Schacht war bis in die Maitage 1945 Gefangener des Reichssicherheitshauptamtes in verschiedenen Konzentrationslagern. Es ist ein selten groteskes Bild, daß oberster Kerkermeister und Häftling dieselbe Anklagebank teilen.

Allein dieses merkwürdige Bild mußte alle Prozeßbeteiligten, Richter, Ankläger und Verteidiger schon an der Schwelle des Strafprozesses nachdenklich stimmen.

In das Konzentrationslager wurde Schacht, wie wir hier festgestellt haben, auf Befehl Hitlers verbannt. Der gegen ihn erhobene Vorwurf lautete auf Hochverrat gegen das Hitler-Regime. Als Richter hätte ihn der Volksgerichtshof mit dem Blutrichter Freisler an der Spitze abgeurteilt, wenn nicht seine Haft in eine solche der alliierten Siegermächte verwandelt worden wäre. Seit Sommer 1944 hatte ich Auftrag, Schacht vor dem Volksgerichtshof Adolf Hitlers zu verteidigen; im Sommer 1945 wurde ich gebeten, seine Verteidigung vor dem Internationalen Militärgerichtshof zu führen. Auch dies ist ein an sich widerspruchsvoller Tatbestand. Auch er zwingt alle Prozeßbeteiligten, was die Person Schachts anlangt, zum Nachdenken. Man wird unwillkürlich an das Schicksal Senecas erinnert. Nero, als Pendant zu Hitler, machte Seneca den Prozeß wegen revolutionärer Umtriebe. Nach dem Tode Neros wurde Seneca wegen Mitschuld an der Mißregierung und den Greueltaten Neros, also wegen einer Conspiracy mit Nero, angeklagt. Es entbehrt nicht einer gewissen Pikanterie, daß Seneca dann schon im 4. Jahrhundert vom Christentum zum heidnischen Heiligen erklärt worden ist. Wenn sich auch Schacht nicht derartigen Erwartungen hingibt, so zwingt uns doch dieser historische Vorgang, uns immer bewußt zu bleiben, daß das von diesem Hohen Gericht zu verkündende Urteil sich auch vor dem Richterstuhl der Geschichte wird bewähren müssen.

In einer eingehenden und sorgfältigen Beweisaufnahme ist dem Tribunal das Bild des Dritten Reiches enthüllt worden. Es ist ein stark hintergründiges Bild. Es wurde Gelegenheit gegeben, im Rahmen des Möglichen auch diese Hintergründe plastisch zu machen. Im Rahmen des Möglichen! Dies bedeutet aber gleichzeitig die Begrenztheit einer solchen Tiefenforschung durch eine gerichtliche Beweisaufnahme, welche zwar gründlich war, aber immerhin laut Gebot des Statuts möglichst bald zu Ende geführt werden sollte. Um zu erfassen, wie es unter Hitler in deutschen Landen aussah, verbleibt noch genug allein der Intuition des Gerichts vorbehalten. Staatsrechtlich, nach den wissenschaftlichen Begriffen und Anschauungen von Menschen mit Rechtskultur Hitler- Deutschland zu erfassen, ist nicht möglich und wird niemals möglich sein. Ein wissenschaftliches Thema: »Die Verfassung unter Adolf Hitler« ist ein lucus a non lucendo. Wohlverstanden: »Die Verfassung«! Also eine rechtliche Ordnung des Hitler-Staates, nicht der Versuch im Plädoyer Jahrreiss, die Willkürherrschaft eines Despoten irgendwie rechtswissenschaftlich zu beleuchten.

Möglich, aber schwierig und deshalb bisher auch noch nicht erschienen, wäre eine wissenschaftliche Soziologie des Dritten Reiches. Die wenigsten Deutschen, welche in Deutschland wohnten, kannten die Machtverhältnisse und die Machtverteilungen innerhalb derjenigen Menschenkreise, welche scheinbar oder tatsächlich berufen waren, das Ihrige zur politischen Willensbildung beizutragen. Die meisten Deutschen werden nach der Entschleierung dieses Bildes überrascht sein. Wieviel weniger war es zur Zeit der Erhebung der Anklage einem Ausländer möglich, die staatsrechtlichen, soziologischen und innerpolitischen Verhältnisse Hitler-Deutschlands richtig zu beurteilen. Die richtige Beurteilung derselben war aber Voraussetzung einer in tatsächlicher und rechtlicher Beziehung richtig fundierten Anklage. Ich bin der Auffassung, daß die Anklagebehörde damit vor einer für sie nicht lösbaren Aufgabe stand.

Ich bin des weiteren der Auffassung, daß die Anklage ihre strafrechtlichen Vorwürfe gegen die Angeklagten niemals unter den Tatbestand einer Conspiracy subsumiert hätte, wenn sie die politische Machtverteilung in Hitler-Deutschland so hätte sehen können, wie dies einem klugen und mit politischer Intuition begabten Beobachter und Ohrenzeugen dieser Verhandlung vielleicht heute möglich ist, wenn auch schwer genug. Im Dritten Reich Adolf Hitlers war faktisch eine Verschwörung im Sinne der Anklage nicht möglich, worauf auch meine Kollegen schon hinwiesen.

Möglich war im Dritten Reich nur eine Verschwörung der Opposition gegen Adolf Hitler und sein Regime. Solche Verschwörungen haben mehrfach stattgefunden, wie hier festgestellt wurde. Verschwörer sind zueinander etwas anderes als der Gehilfe zum Haupttäter. Die Rolle des einzelnen Verschwörers bei der Durchführung des gemeinsamen Planes mag eine verschiedene sein. Einzelne oder auch einer der Verschwörer kann eine führende Stellung innerhalb der Verschwörung einnehmen. Immer aber ist ein Zusammenwirken notwendig. Schon der Sprachgebrauch schließt es aus, von einer Verschwörung zu reden, wenn nur einer befiehlt und alle anderen nur ausführende Organe sind. Ich bin deshalb der Auffassung, daß das, was in diesem Saale an Verbrechen festgestellt worden ist, niemals unter den strafrechtlichen Tatbestand einer Verschwörung subsumiert werden kann. Die etwa sonst in Frage kommenden gesetzlichen Tatbestände interessieren mich als Verteidiger des Angeklagten Schacht nicht, weil Schacht persönlich, individuell, ohne Zusammenhang mit Taten anderer, also nur auf Grund eigenen Handelns, überhaupt kein krimineller Vorwurf gemacht werden kann. Schacht persönlich hat Erlaubtes und Bestes gewollt; und diesem Wollen diente sein Handeln. Soweit er politisch geirrt hat, stellt er sich freimütig dem Urteil der Geschichte. Den politischen Irrtum kann aber auch die größte Dynamik des Völkerrechts nicht pönalisieren. Täte sie es, so würde der Beruf des Staatsmannes und Politikers unmöglich. Die Weltgeschichte bewegt sich mehr durch Fehler und Irrtümer als durch richtige Erkenntnisse. Die Erkenntnis der absoluten Wahrheit ist nach Lessings weisem Wort ein Reservat Gottes. Den Menschen bleibt nur das Streben nach Wahrheit als höchstes Gut. »Nescis, mi fili, quanta stultitia mundus regitur« sagte schon, und wohl mit Recht, der alte Axel Oxenstierna. Schacht hat hier erklärt, daß er sich durch Adolf Hitler gröblichst getäuscht fühle. Damit hat er die Irrigkeit gewisser seiner Entschlüsse und Handlungen seinerseits zugegeben. Die Anklage bestreitet den guten Glauben Schachts und unterstellt ihm den Dolus, als der Finanzagent Adolf Hitlers bewußt auf einen Angriffskrieg hingearbeitet zu haben und damit implicite unter dem Gesichtspunkt der Conspiracy strafrechtlich verantwortlich zu sein für alle die Greueltaten und Scheußlichkeiten, welche von anderen in diesem Kriege begangen worden sind. Einen direkten Beweis für diese Behauptungen konnte die Anklage selbst nicht führen. Sie versuchte ihn zunächst mit dem angeblich urkundlichen Nachweis mißdeuteter und aus dem Zusammenhang gerissener Äußerungen Schachts. Die Anklage hat hierfür sich auf Zeugen bezogen, welche für das Verhör in diesem Gerichtssaal nicht zur Verfügung gestellt werden konnten, weil sie teils abwesend, teils verstorben waren. Ich erinnere zum Beispiel an die Affidavits Messersmith und Fuller und an die Tagebuchnotizen Dodds. Ihr mangelnder Beweiswert ist durch Schacht in seinem Verhör dem Tribunal eingehend dargelegt worden. Im Interesse der Zeitersparnis möchte ich Gesagtes und sicherlich noch im Gedächtnis des Gerichts Befindliches nicht wiederholen. Des weiteren machte die Anklage den Versuch, ihre Beschuldigungen aus den zweifelsfrei festgestellten Handlungen Schachts zu begründen. All diese Ausführungen der Anklage sind falsche Schlußfolgerungen aus angeblichen Indizien. Ich beschränke mich darauf, die wesentlichsten Fehlschlüsse aufzuzählen. Die anderen ergeben sich zwangsläufig entweder unmittelbar oder analog aus diesen.

Schacht war ein Gegner des Vertrags von Versailles, sagt die Anklage. Er war es in der Tat. Diese Gegnerschaft als solche macht ihm die Anklage auch nicht zum Vorwurf. Sie folgert aber aus ihr, daß Schacht diesen Vertrag mit Gewalt beseitigen wollte. Schacht war für koloniale Betätigung, sagt die Anklage. Er war es in der Tat. Sie macht ihm auch hieraus keinen Vorwurf, folgert aber aus dieser Feststellung, daß er die Kolonien mit Gewalt erobern wollte, und so geht es fort Schacht arbeitete mit Hitler zusammen als Reichsbankpräsident und Wirtschaftsminister, folglich vertrat er die Nazi-Ideologie. Schacht gehörte dem Reichsverteidigungsrat an, folglich war er für einen Angriffskrieg. Schacht half die Wiederaufrüstung in ihrem ersten Abschnitt bis Anfang 1938 finanzieren, folglich wollte er den Krieg. Schacht begrüßte den Anschluß Österreichs, folglich war er mit einer Gewaltpolitik gegen dieses Land einverstanden. Schacht ersann den handelspolitischen »Neuen Plan«, folglich wollte er Rüstungsrohstoffe beschaffen. Schacht sorgte sich um die Lebensmöglichkeiten der überzähligen Bevölkerung in Mitteleuropa, folglich wollte er fremde Länder überfallen und erobern, sowie fremde Völker austilgen. Schacht warnte die Welt immer wieder vor einer anti-deutschen Bedrückungspolitik und der moralischen Diffamierung Deutschlands, folglich drohte Schacht mit Krieg. Da sich kein schriftlicher Beweis dafür vorgefunden hat, daß Schacht wegen seiner Kriegsgegnerschaft aus seinen amtlichen Stellungen ausschied, ist zu folgern, daß er aus diesen Ämtern nur wegen seiner Rivalität mit Göring ausschied.

Die Liste dieser Fehlschlüsse ließe sich beliebig fortsetzen. Sie kulminiert in dem Trugschluß: Nie wäre Hitler zur Macht gelangt, wenn Schacht nicht gewesen wäre; nie hätte Hitler aufrüsten können, wenn Schacht nicht geholfen hätte. Ja, meine Herren, dies ist eine Beweiswürdigung, welche den Automobilfabrikanten verurteilt, weil der Taxichauffeur in der Betrunkenheit einen Passanten überfahren hat. Niemals hat Schacht in seinen Reden oder Schriften die Gewalt oder gar den Krieg propagiert. Gewiß hat er nach Versailles immer wieder auf die Gefahren hingewiesen, die aus der moralischen Ächtung und aus der wirtschaftlichen Abschnürung Deutschlands resultieren würden. Mit dieser Auffassung befindet er sich in der besten internationalen Gesellschaft. Es ist nicht notwendig, daß ich diesem Tribunal die zahlreichen Stimmen nicht Deutscher, sondern Angehöriger der Siegerstaaten zitiere, und zwar bald beginnend nach dem Versailler Vertrag, welche sich in der gleichen Richtung bewegen wie diese Warnungen Schachts. Die Richtigkeit dieses beschwörenden Hinweises wird übrigens für alle Zeiten absolute Geltung haben. Aber niemals hat Schacht andere Wege empfohlen oder auch nur für möglich erklärt, als solche einer friedlichen Verständigung und Zusammenarbeit. Ihm als ausgesprochenen Wirtschaftspolitiker war es ja mehr als jedem anderen klar, daß ein Krieg niemals eine Lösung bringen kann, auch ein gewonnener Krieg nicht. In allen Äußerungen Schachts kommt seine pazifistische Einstellung immer wieder zum Ausdruck, am kürzesten, am treffendsten vielleicht in jener Äußerung auf dem Berliner Kongreß der Internationalen Handelskammer, als Schacht in Gegenwart Hitlers, Görings und anderer Größen des Regimes der Versammlung zurief: »Glauben Sie mir, meine Freunde, die Völker wollen leben und nicht sterben.« Diese ausgesprochene pazifistische Einstellung Schachts ist im übrigen ja auch durch alle Zeugen und Affidavits ebenfalls bestätigt.

Gewiß war es für die wenigen in der Welt – ich sage bewußt in der Welt und nicht nur in Deutschland –, welche Adolf Hitler und sein Regime von Anfang an richtig erkannt hatten, eine Sorge und ein Kummer, zum mindesten eine Problematik, zu sehen, daß ein Schacht Adolf Hitler nach der Machtergreifung seine Dienste und sein großes fachmännisches Können zur Verfügung stellte. Auch der Zeuge Gisevius hat diese Sorge geteilt, wie er hier bekundet hat. Er hat sich von dem reinen Wollen Schachts später durch dessen kämpferische und mutige Haltung in den Jahren 1938 und 1939 überzeugt, Schacht hat uns in seiner Vernehmung die Gründe auseinandergesetzt, welche ihn zu dieser Handlungsweise veranlaßten. Ich brauche sie und will sie im Interesse der Zeitersparnis nicht wiederholen. Die Beweisaufnahme hat nichts ergeben, was der Glaubwürdigkeit dieser Schachtschen Darstellung entgegenstände. Im Gegenteil. Ich verweise nur beispielsweise auf das Affidavit des Staatssekretärs Schmid, Exhibit Nummer 41 meines Dokumentenbuches, das sich mit der Darstellung Schachts durchaus deckt, insbesondere die eingehende Ausführung auf Seite 2. Die Gesamtbetrachtung der übrigen Zeugenbekundungen und Affidavits führt zu dem gleichen Ergebnis. Um die Handlungsweise Schachts damals, sowohl unmittelbar nach der Machtergreifung als auch später, als er Hitler und sein unheilvolles Wirken erkannt hatte, zu verstehen, ist es unbedingt notwendig, ein klares Bild über die unheilvolle Zauberwirkung Adolf Hitlers und über das Wesen seines Regimes zu gewinnen. Denn beides ist der Boden, auf welchem die Handlungen Schachts wuchsen und aus dem heraus allein sie erklärt werden können. Ich bin mir klar darüber, daß man hierüber tagelang reden und Bände schreiben könnte, wollte man erschöpfend sein. Ich bin mir aber auch darüber klar, daß vor diesem Gericht schon kurze Hinweise und Schlaglichter genügen werden, um das Verständnis des Gerichts zu gewinnen.

Der marasmische Zusammenbruch des kaiserlichen Deutschlands im Jahre 1918 bescherte dem deutschen Volke, unorganisch aufgepflanzt, nicht organisch geworden, eine parlamentarisch-demokratische Verfassungsform. Ich wage die Behauptung, daß jedes nicht eigensüchtig orientierte politische Denken die Demokratie erstreben muß, wenn man unter ihr auch den Schutz der Gerechtigkeit, Toleranz gegen Andersdenkende, Gedankenfreiheit, sowie die politische Gestaltung der Humanität versteht. Dies sind höchste überzeitliche Ideale, welche aber in entsprechenden Verfassungsformen gerade Gefahren für sich selbst in sich tragen. Wenn bei dem Einzug der Demokratie auf dem europäischen Kontinent reaktionäre politische Denker wie Fürst Metternich und Genossen sich jeder demokratischen Regung entgegenstemmten, so taten sie es, weil sie nur die Gefahren einer Demokratie und nicht deren menschheitsfördernde Eigenschaften und ihre Zeitnotwendigkeit sahen. Mit dem Hinweis auf diese Gefahren hatten sie leider recht. Das klügste Volk, das wohl jemals gelebt hat, die Griechen der Antike, hatten schon auf die Entwicklungsgefahr der Demokratie über die Demagogie zur Tyrannei hingewiesen und wohl alle philosophisch-politischen Denker von Aristoteles über Thomas von Aquino haben bis in die Neuzeit auf die Gefahr dieser Entwicklung hingewiesen. Diese Gefahr wird um so größer, wenn die demokratische Freiheit im formal-staatsrechtlichen Sinn nicht organisch wächst und entsteht, sondern für ein Volk mehr oder minder ein Zufallsgeschenk wird. »En fait d'histoire il vaut mieux continuer que recommencer« hat ein großer französischer Denker gesagt. Leider ist damit Deutschland das jüngste und hoffentlich letzte Beispiel einer mit Mitteln einer teuflischen Demagogie errichteten Tyrannei eines einzelnen Despoten geworden. Denn es ist kein Zweifel: Das Hitler- Regime ist die Despotie eines einzelnen, welche Vergleiche überhaupt nur in dem Asien einer längst hinter uns liegenden Zeit findet. Zum Verständnis der Haltung eines jeden diesem Regime gegenüber, nicht nur Schachts, nicht nur jedes Deutschen, sondern überhaupt eines jeden Menschen oder einer jeden Regierung in der Welt, welche mit Hitler zusammengearbeitet hat – und eine solche auf Vertrauen beruhende Zusammenarbeit seitens des Auslandes war gegenüber Hitler viel stärker als gegenüber jeder Regierung des sogenannten Zwischenreiches oder des sogenannten Staates der Weimarer Verfassung –, es ist daher notwendig, sich mit der Persönlichkeit dieses Despoten, dieses politischen Rattenfängers, dieses genialen Demagogen auseinanderzusetzen, der, wie Schacht hier in seiner Vernehmung mit verständlicher Erregung bekundete, nicht nur ihn, sondern auch das deutsche Volk und die ganze Welt betrogen hat. Um diesen Betrug zu vollenden, mußte Adolf Hitler außer Schacht unendlich viele kluge und politisch geschulte Persönlichkeiten auch außerhalb der deutschen Grenzen in den Bann seiner Persönlichkeit ziehen. Dies ist ihm sogar bei prominenten Ausländern, auch solchen in politisch führender Stellung gelungen. Ich sehe davon ab, Namen aufzuzählen und zum Beweis dessen Zitate zu bringen. Diese Tatsache ist generell dem Tribunal bekannt.

Ich überspringe jetzt die nächsten Zeilen und trage sie nicht vor, und fahre auf der Zeile 10 fort; auf derselben Seite: Wie war diese Wirkung Adolf Hitlers auf In- und Ausland möglich? Nun, auch Faust unterlag dem Mephisto. In Deutschland kamen dieser Wirkung entgegen alle die Umstände, welche hier in der Beweisaufnahme über die damaligen Zustände in Deutschland vorgetragen worden sind, so auch von Schacht. Der völlige Zusammenbruch des parlamentarischen Parteiapparates und die hierdurch bedingte Notwendigkeit auch schon für die damalige Regierung, durch ohne parlamentarische Mitwirkung zustandegekommene Notverordnungen regieren zu müssen und dadurch schon als Vorgängerin der Hitler- Diktatur eine Diktatur der Ministerialbürokratie zu errichten, erzeugte in fast allen Kreisen den Ruf nach starker Führung. Die Wirtschaftskrise und die Arbeitslosigkeit öffneten, wie immer das Elend, den Massen das Ohr für demagogische Einflüsterungen. Die völlige Lethargie und Inaktivität der damaligen Mittel- und Linksparteien erzeugten auch bei kritischen und klugen Betrachtern, wie es sicherlich Schacht war, die innere Bereitschaft und die Sehnsucht, einer schwungvollen politischen Dynamik und Aktivität sich zu erschließen. Soweit man, scharf und klug beobachtend wie Schacht, bereits damals Fehler und Schattenseiten entdeckte, glaubte man – dies glaubte auch Schacht – gerade durch aktives Hineingehen in die Bewegung, durch Mitarbeit in leitenden Staatsämtern, wie es Schacht tat, diese im übrigen mit jeder revolutionären Bewegung verbundenen Schattenseiten bald und leicht bekämpfen zu können. »Wenn der Adler sich erhebt, setzt sich Ungeziefer auf seine Flügel«, antwortete mir, aus dem Pescara Conrad Ferdinand Meyers zitierend, der verstorbene Justizminister Gürtner, als ich ihn nach der Machtergreifung auf diese Schattenseiten hinwies. Diese Erwägungen sind an sich verständig und in sich glaubhaft. Daß sie einen politischen Irrtum auch in der Person Schachts enthielten, nimmt ihnen nicht ihren guten Glauben und ihre anständige Gesinnung. Wir wollen doch nicht vergessen, daß wir hier in der Verhandlung einen Bericht des amerikanischen Generalkonsuls Messersmith aus dem Jahre 1933 kennengelernt haben, in welchem dieser es freudig begrüßt, daß, wie er höre, nunmehr auch anständige und besonnene Leute in die Partei einträten, weil hieraus zu hoffen sei, daß dies die Radikalismen beseitigen würde. Ich verweise auf das hier von der Anklagebehörde eingeführte Dokument L-198, nämlich den Bericht Nummer 1184 des amerikanischen Generalkonsuls Messersmith an den Staatssekretär in Washington:

»Since the election on March 5 th, some of the more important thinking people in various parts of Germany have allied themselves with the Nationalsocialist movement in the hope of tempering its radicalism by their action within rather than without the party.«

»Seit der Wahl am 5. März haben sich einige der bedeutenderen, denkenden Menschen in verschiedenen Teilen Deutschlands der nationalsozialistischen Bewegung in der Hoffnung angeschlossen, durch ihr Wirken innerhalb, anstatt außerhalb der Partei einen mäßigenden Einfluß auf den Radikalismus ausüben zu können.«

Was aber hier Messersmith von dem gewöhnlichen Parteigenossen durchaus verständlich aus der damaligen Zeit sagt, gilt mutatis mutandis natürlich auch für den, der seine Mitarbeit in einem leitenden Staatsamt zur Verfügung stellte. Die Begründung, welche Schacht seinem damaligen Entschluß gibt, das Amt des Reichsbankpräsidenten und später das Amt des Reichswirtschaftsministers anzunehmen, ist deshalb in sich durchaus glaubhaft und trägt nichts, aber auch nichts Unmoralisches oder gar Kriminelles in sich. Schacht hat sich eben zur Aktivität bekannt. Ihm hat nur im Anfang die Intuition der richtigen Erkenntnis der Persönlichkeit Hitlers und gewisser seiner Trabanten gefehlt. Dies ist aber keine strafbare Handlung und auch kein Indiz für einen verbrecherischen Dolus. Diese Intuition hat den meisten gefehlt, innerhalb und außerhalb der deutschen Grenzen. Intuition ist Glückssache und eine irrationale Gnadengabe. Jeder Mensch hat seine Grenzen, auch der klügste. Gewiß ist Schacht sehr klug, aber hier hat eben die Ratio auf Kosten der Intuition gesiegt. Letztendlich wird man aber diesem Vorgang nur dann volles Verständnis entgegenbringen, wenn man die geheimnisvollen Kräfte würdigt, welche im Weltgeschehen wirksam sind und von denen Wallenstein sagt: »Dem bösen Geist gehört die Erde, nicht dem guten«; wo er von den »finsteren Mächten« spricht, »die unterm Tage schlimm geartet hausen«. Adolf Hitler war ein prominenter Repräsentant dieser finsteren Mächte mit um so schlimmeren Wirkungen, weil ihm jede satanische Größe fehlte. Er blieb ein halbgebildeter, völlig ungeistiger Kleinbürger, dem noch dazu jedes Rechtsgefühl mangelte. Mit Recht hat der Angeklagte Frank von ihm gesagt, daß er die Juristen haßte, weil ihm der Jurist als Mann des Rechts als Störungsfaktor seiner Macht erschien. Deshalb konnte er allen alles versprechen, ohne es zu halten, weil ein Versprechen für ihn nur ein technisches Machtmittel und keine rechtliche oder moralische Bindung bedeutete. Auch die unheilvolle Wirkung Himmlers und Bormanns war für Schacht damals nicht erkennbar und wohl für niemand. In diesem Trifolium reiften aber alle jene Verbrechen, welche hier zur Anklage stehen, weil für Himmler die Politik identisch mit Mord war und weil seine rein biologische Betrachtung der menschlichen Gesellschaft in ihr nur einen Zuchtstall, aber niemals eine sozial-ethische Gemeinschaft sehen konnte. Man wird aber eine Persönlichkeit wie Adolf Hitler und ihre Wirkungen auf Menschen, und auch auf kluge Menschen wie Schacht, nur dann richtig beurteilen, wenn man, wie ich eben schon versucht habe, der Seherkraft des Dichters folgt und in Erkenntnisbereiche eindringt, welche der Ratio des Menschen im allgemeinen verschlossen sind. Zweifellos hat sich das Dämonische in Adolf Hitler zum Unheil Deutschlands und der Welt verkörperlicht und ich kann hier, um abzukürzen – es ist dies aber zum Verständnis der Handlungsweise Schachts und damit im übrigen aller anderen, die Hitler freiwillig ihre Mitarbeit reinen Herzens zur Verfügung stellten, unbedingt notwendig – eine Stelle unseres Goethe zitieren, welche mit wenigen Worten alles sagt und das Geheimnisvolle offenbart. Hier liegt der Schlüsselpunkt des Verstehens für all diese Gefolgschaft Adolf Hitlers. Ich darf aus »Dichtung und Wahrheit«, 4. Teil, 20. Buch, wie folgt zitieren:

»Obgleich jenes Dämonische sich in allem Körperlichen und Unkörperlichen manifestieren kann, ja bei den Tieren aufs merkwürdigste anspricht, so steht es vorzüglich mit dem Menschen im wunderbarsten Zusammenhang und bildet eine der moralischen Weltordnung, wo nicht entgegengesetzte, so doch sie durchkreuzende Macht. Für die Phänomene, welche hierdurch hervorgebracht werden, gibt es unzählige Namen. Denn alle Philosophien und Religionen haben prosaisch und poetisch dieses Rätsel zu lösen und die Sache schließlich abzutun gesucht, welches ihnen auch fernerhin unbenommen bleibe. Am furchtbarsten aber erscheint dieses Dämonische, wenn es in irgendeinem Menschen überwiegend hervortritt. Während meines Lebensganges habe ich mehrere teils in der Nähe, teils in der Ferne beobachten können. Es sind nicht immer die vorzüglichsten Menschen, weder an Geist noch an Talenten; selten sich durch Herzensgüte empfehlend; aber eine ungeheure Kraft geht von ihnen aus und sie üben eine unglaubliche Gewalt über alle Geschöpfe, ja sogar über die Elemente, und wer kann sagen, wie weit sich eine solche Wirkung erstrecken wird. Alle vereinten sittlichen Kräfte vermögen nichts gegen sie; vergebens, daß der hellere Teil der Menschen sie als Betrogene oder als Betrüger verdächtig machen will. Die Masse wird von ihnen angezogen. Selten oder nie finden sich Gleichzeitige ihresgleichen und sie sind durch nichts zu überwinden als durch das Universum selbst, mit dem sie den Kampf begonnen; und aus solchen Bemerkungen mag wohl jener sonderbare, aber ungeheure Spruch entstanden sein: ›Nemo contra deum, nisi deus ipse.‹«

Ich glaube dargetan zu haben, daß die Tatsache, daß Schacht Hitler seine Dienste leistete, ihn kriminell in keiner Weise belastet, daß aus dieser Tatsache in keiner Weise geschlossen werden kann, daß er damals die kriminellen Taten Hitlers und seines Regimes in seinen Willen aufnahm. Er hielt sie auch nicht für möglich. Er hatte deshalb auch keinen Dolus eventualis, im Gegenteil: Soweit ihn das Gewaltsame an diesem Regime störte, glaubte er durch seine Einschaltung an wichtiger Stelle zur Beseitigung und Verhinderung dieser auch von ihm mißbilligten Nebenerscheinungen beitragen und in seinem Wirkungsbereich zum Aufstieg Deutschlands in anständiger, friedlicher Weise wirken zu können.

War dem aber so, so könnte ihm auch nicht der geringste Vorwurf daraus gemacht werden, wenn er nicht nur nach der Machtergreifung mitarbeitete, sondern auch Hitler zur Machtergreifung mitverholfen hätte.

Dieser letztere Vorwurf ist deshalb für die Begründung einer verbrecherischen Handlung oder eines verbrecherischen Dolus völlig gegenstandslos. Es bedarf aber gar nicht dieser Argumentation; denn Schacht hat tatsächlich Hitler nicht zur Macht verholfen. Hitler war an der Macht, als Schacht für ihn zu arbeiten anfing. Hitler hatte seinen Sieg in der Tasche, als ihm die Juli-Reichstagswahl 1932 nicht weniger als 230 Mandate brachte. Das waren rund 40 Prozent aller Stimmen. Ein solches Wahlergebnis für eine Partei war seit Jahrzehnten nicht dagewesen. Damit war aber die nächste politische Zukunft gerade nach den Spielregeln der deutschen demokratischen Verfassung und jeder demokratischen Verfassung mit einer durch Hitler geführten Regierung festgelegt. Jeder andere Weg brachte die Gefahr eines Bürgerkrieges mit sich. Daß Schacht, der an die politische Mission Hitlers damals ehrlich glaubte, diesen Weg nicht gehen wollte, war selbstverständlich. Ebenso selbstverständlich war, daß er sich aktiv einschaltete, wenn er glaubte, hierdurch schädliche Radikalismen auf wirtschaftspolitischem Gebiet verhindern zu können. Ein weiser französischer Staatsmann sagt: Jede Zeit stellt uns irgendwie vor die Aufgabe, Nutzen zu stiften oder Schaden zu verhüten; aus diesem Grunde kann und muß nach meiner Auffassung ein vaterlandsliebender Mann jeder Regierung dienen, die sein Land sich einsetzt.

Schacht diente nach seiner Meinung, wenn er Hitler damals diente, seinem Lande und nicht Hitler. Diese Meinung mag so irrtümlich gewesen sein, wie nur möglich, und sie hat sich, was die Person Hitlers anlangt, ex post als völlig irrig erwiesen; keinesfalls kann Schacht diese seine damalige Handlungsweise strafrechtlich belasten, weder unmittelbar noch indiziell. Wir dürfen ja auch nicht vergessen, daß der Hitler von 1933 nicht nur ein anderer schien als der Hitler von 1938 oder gar von 1941, sondern ein anderer war. Schacht hat in seinem Verhör auf diese Wandlung, bedingt durch das Gift der Vergottung durch die Masse, bereits hingewiesen. Diese Wandlung solcher Persönlichkeiten ist im übrigen ein psychologisches Gesetz. Die Geschichte erweist dies in Nero, in Konstantin dem Großen und in vielen anderen. Im Falle Hitler existieren viele für die Wahrheit dieser Tatsache unverdächtige Zeugen, nämlich unverdächtig in dem Sinn, daß ihnen nie eine Gesinnung oder eine Absicht unterstellt werden kann, das Recht zu vergewaltigen, den Terror zum Prinzip zu erheben oder gar die Menschheit mit einem Angriffskrieg zu überfallen. Ich will nur einige wenige anführen. Ich könnte die Zitate verhundertfachen. Lord Rothermere schrieb 1934 in der »Daily Mail« einen Artikel mit der Überschrift: »Adolf Hitler aus der Nähe«. Ich zitiere nur einige wenige Sätze.

»Die hervorragendste Gestalt in der heutigen Welt ist Adolf Hitler... Hitler steht in der direkten Reihe jener großen Menschheitsführer, die selten mehr als einmal in zwei oder drei Jahrhunderten auftauchen... Es ist erfreulich zu sehen, daß Hitlers Rede seine Volkstümlichkeit in England stark erhellt hat.«

VORSITZENDER: Dr. Dix! Der Gerichtshof hat, glaube ich, die Schriften von Lord Rothermere nicht zugelassen.

DR. DIX: Ich habe den Beschluß des Gerichts, daß es mir im Dokumentenbuch Zitate über Rothermere ablehnte, dahin aufgefaßt – und so ist es auch in der Objektion der Prosekution begründet worden –, daß das eine Sache der Argumentation wäre, die nicht als Tatsache in die Beweisaufnahme gehöre; es wäre unwesentlich für die Beweisaufnahme, daß Rothermere und andere die Ansicht vertreten haben; und ich habe daraus den Schluß gezogen – und ich bin heute noch der Auffassung, daß dieser Schluß richtig ist –, daß ich im Zuge der Argumentation, das heißt im Zuge der Würdigung, Stellen aus der Gesamtliteratur der Welt, soweit diese bekannt ist, zur Stützung einer Gedankenführung zitieren kann. Es ist nicht eine Tatsache, die ich dem Gericht zur Beweisführung unterbreiten will, daß Rothermere das gesagt hat, sondern für meine Behauptung im Zuge meiner Darstellung, daß nicht nur Schacht, sondern auch andere kluge und prominente Leute, auch außerhalb Deutschlands, zunächst die gleiche Auffassung über Hitlers Persönlichkeit hatten...

VORSITZENDER: Dr. Dix! Der Gerichtshof hat schon darauf hingewiesen, daß er diese Schriften als Beweisstück nicht zuläßt, denn er beachtet die von dem Verfasser ausgedrückte Meinung nicht. Daher glauben wir, es wäre besser, wenn Sie sich einem anderen Teil Ihrer Argumentation zuwenden.

DR. DIX: Ich bitte dann – das Gericht hat ja die Übersetzung meines Plädoyers vor sich –, daß ich eine kurze Stelle aus Sumner Welles zitiere und dann eine Stelle, die mir sehr wichtig erscheint, aus dem Buch des letzten Botschafters. Ich wäre sehr dankbar, wenn ich diese beiden Stellen zitieren könnte, denn ich weiß ja nicht, wenn man nachweisen will, daß auch ein kluger Mensch eine bestimmte Ansicht haben kann, und er ist berechtigt dazu, daß dann der nächstliegende und zwingendste Beweis dafür die Tatsache ist, daß auch andere kluge und völlig objektive Menschen gleiche Ansichten gehabt haben. Ich verliere einen wesentlichen Teil meiner Argumentation, wenn ich die beiden kleinen Zitate nicht zitieren dürfte. Ich bitte aber, das kurz zu hören, es ist nur das Zitat von Sumner Welles und Henderson.

VORSITZENDER: Ich habe über Sumner Welles nichts gesagt. Da wir die diesbezüglichen Schreiben von Lord Rothermere ausdrücklich ausgeschlossen hatten, hielten wir es nicht für richtig, daß Sie ihn zitieren. Meines Wissens haben wir diese anderen Bücher, auf die Sie sich in Ihrer Rede beziehen, nicht ausgeschlossen, weshalb wir es für das beste hielten, wenn Sie dazu übergehen.

DR. DIX: Ich zitiere aus dem Buch von Sumner Welles »Zeit zur Entscheidung«, 1944 in Neuyork erschienen:

»Wirtschaftskreise in jeder einzelnen der westeuropäischen Demokratien und der neuen Welt bewillkommnen das Hitlertum.«

Es ist nur gerecht, wenn der letzte Botschafter Großbritanniens in Berlin noch im Kriege auf Seite 25 seines Buches folgendes ausführt:

»Es wäre in einem hohen Grade ungerecht, nicht zu erkennen, daß eine große Anzahl von denen, die sich Hitler anschlossen und für ihn und das Naziregime arbeiteten, ehrliche Idealisten waren.«

Und weiter unten sehr interessant:

»Es ist möglich, daß Hitler am Anfang selbst ein Idealist gewesen ist.«

Und die Regierung Großbritanniens hätte doch niemals noch im April 1935 den Flottenvertrag mit Hitler-Deutschland abgeschlossen und damit gerechterweise zu einer Modifikation des Vertrags von Versailles beigetragen, wenn sie nicht volles Vertrauen in Hitler und seine Regierung gesetzt hätte. Das gleiche gilt schließlich für alle von Hitler abgeschlossenen internationalen Verträge, einschließlich des Vertrags mit Rußland noch im August 1939. Und es hat heute noch etwas Erschütterndes, wenn ein so kluger und ethisch hochstehender Mann wie der verstorbene britische Premier Chamberlain noch im Januar 1939, also zu einer Zeit, wo Schacht schon längst gegen Hitler die dunklen Pfade des Verschwörers beschritten hatte, und zwar trotz der Erfahrungen des Jahres 1938, in einer Rede erklärte, er halbe aus der vorangegangenen Hitler-Rede den endgültigen Eindruck gewonnen, daß das nicht die Rede eines Mannes sei, der Vorbereitungen treffe, Europa in einen neuen Krieg zu stürzen; und ich habe keinen Zweifel, daß diese Worte nicht taktisch gesprochen waren, sondern die wahre Ansicht des Sprechers wiedergaben. Solche Beispiele ließen sich häufen. Will man nun einem Deutschen für die Jahre 1933 und folgende das Recht abstreiten, gutgläubig zu dem gleichen Urteil über Adolf Hitler zu kommen? Dem steht auch nicht entgegen, daß Schacht das Amt als Wirtschaftsminister erst nach dem 30. Juni 1934 angenommen hat.

Die ganze Ungeheuerlichkeit dieser Vorgänge wird erst retrospektiv klar. Im Juni 1934 stand man noch inmitten einer revolutionären Bewegung, und die Geschichte wird bei jeder solchen Revolution ähnliche Vorgänge feststellen können. Ich brauche dies nicht im einzelnen zu beweisen und möchte dies auch nicht tun. Die Ereignisse des 30. Juni 1934 brauchen deshalb für Schacht genau so wenig und noch weniger ein Grund zu sein, sich mit Abscheu von Hitler abzuwenden, wie diese die Regierungen der Welt nicht gehindert haben, nicht nur vertrauensvoll diplomatische Verbindungen mit Hitler weiter zu pflegen, sondern ihm insbesondere noch nach 1934 große Ehrungen zu erweisen und erhebliche außenpolitische Erfolge zu gestatten. Kann man es aber strafrechtlich nicht zu Lasten Schachts buchen, daß er sich der Hitler-Regierung zur Verfügung stellte, ist es völlig überflüssig, ja es wäre subaltern, Einzelakte, wie zum Beispiel die Eingabe an den Reichspräsidenten aus dem Jahre 1932 oder seinen Brief an Hitler aus dem gleichen Jahre, hier mit langen Erklärungen entschuldigen zu wollen. Sie erklären sich für den Kenner des Lebens durchaus natürlich aus dieser grundsätzlichen Einstellung Schachts. Erweist sich diese strafrechtlich und beweistechnisch bedenkenfrei, kann man auch nicht mit solchen Dokumenten gegen Schacht argumentieren. Es kommt nur auf das Grundsätzliche an. Das gleiche gilt für die Teilnahme Schachts an der sogenannten Industriellenversammlung. Zu ihr möchte ich nur richtigstellend bemerken – vergleiche Affidavit Schnitzler –, daß Schacht weder diese Versammlung geleitet noch diesen Fonds ausschließlich für die Nationalsozialistische Partei verwaltet hat.

Nun hat hier ein Zeuge gerade über diese Periode der Schachtschen Einstellung zur Machtergreifung und Befestigung ein Leumundsurteil abgegeben: Schacht sei ein unzuverlässiger Kantonist gewesen; Schacht habe die Sache der Demokratie damals verraten; er – der Zeuge – habe deshalb 1943 es abgelehnt, einer Regierung beizutreten, die unter Schachts Beteiligung Hitler stürzen sollte.

Es war dies der frühere Minister Severing, der nach seiner eigenen Bekundung den Ministersessel und das Ministerzimmer räumte, als am 20. Juli 1932 der Polizeipräsident von Berlin und zwei Polizeibeamte bei ihm erschienen, seine Absetzung verlangend mit der Behauptung, sie seien hierzu vom Reichspräsidenten ermächtigt.

Severing räumte, wie er selbst sagte, das Feld, um Blutvergießen zu vermeiden. Trotz der großen Achtung, welche ich dem sauberen politischen Charakter Severings entgegenbringe, bin ich zu meinem Bedauern gezwungen, gerade ihm jede Legitimation abzusprechen, über Staatsmänner ein kompetentes Leumundszeugnis abzugeben, die nicht gleich ihm und seiner Regierungskoalition in lethargischer Passivität verharrten. Severing und seine politischen Freunde tragen zwar nicht vor dem Strafrichter, aber vor der Geschichte durch ihre Unentschlossenheit und letztendliche politische Ideenlosigkeit für die Machtergreifung Adolf Hitlers eine ungleich größere Verantwortung als Hjalmar Schacht. Und diese Verantwortung wird eine um so größere, da der Zeuge ja für sich in Anspruch nimmt, bereits damals erkannt zu haben, daß der Machtantritt Hitlers den Krieg bedeutet. Gerade wenn man ihm diese richtige politische Intuition glaubt, wird seine und seiner politischen Freunde Verantwortung angesichts ihrer damaligen und späteren Passivität um so größer, wiederum ungleich größer, als diejenige von Hjalmar Schacht.

Unsere deutschen Arbeiter sind doch wahrlich nicht feiger als die holländischen. Es hat unser Herz erfreut, hier von einem Zeugen den Mannesmut der holländischen Arbeiter bekundet zu hören, die unter den Bajonetten der Invasionsarmee zu streiken wagten. Severing und seiner politischen Freunde berechtigter Anhang in der deutschen Arbeiterschaft hätte diese vielleicht doch veranlassen können, die Auflösung der Gewerkschaften nicht mit solch stumpfer Passivität über sich ergehen zu lassen, wie es 1933 der Fall war, wenn ihre geborenen Führer wie Severing und Genossen etwas gewagt und sich exponiert hätten. Schließlich ist ja auch der Kapp-Putsch des Jahres 1923 durch den Generalstreik der Arbeiter besiegt worden. Das Hitler-Regime war 1933 nicht so stark, daß es die Wahrheit des an die Arbeiter adressierten Dichterwortes nicht zu fürchten brauchte: »Alle Räder stehen still, wenn Dein starker Arm es will.« Die damalige nationalsozialistische Regierung war sich hierüber auch ganz im klaren und hatte entsprechende Befürchtungen. Dies ergibt sich auch aus dem Verhör Görings vom 13. Oktober 1945, dessen Protokoll Professor Kempner am 16. Januar 1946 zitierte und überreichte. Göring sagt da:

»Sie müssen berücksichtigen, daß zur damaligen Zeit die Tätigkeit der Kommunisten außergewöhnlich stark war und daß unsere neue Regierung als solche nicht sehr gesichert war.«

Aber auch dieser soeben erörterte starke Arm brauchte eine Führung, welche der Arbeiterschaft versagt blieb, und zu ihr wären Männer wie Severing berufen gewesen. Sie werden ihre Passivität mit Recht nicht vor dem Strafrichter, aber vor der Geschichte zu verantworten haben. Ich maße mir kein abschließendes Urteil an. Ich beschränke mich darauf, diese Problematik offenzulegen und dem Zeugen Severing unter voller menschlicher Achtung ein starkes und peinliches Maß von Selbstgerechtigkeit zu attestieren, wenn er sich berufen fühlt, andere zu belasten bei Untersuchung der Frage, wen die Schuld an der Machtergreifung und Machtbefestigung des Nazitums historisch trifft, namentlich wenn er, im Gegensatz zu Schacht, die spätere Entwicklung Hitlers intuitiv vorausgesehen hat, statt sich in Demut unter Berufung auf seine sicherlich anständige Gesinnung und sein sicherlich reines Wollen dem Urteil der Geschichte zu stellen. Wir wollen uns immer zur Reinhaltung der historischen Wahrheit vor Augen halten, daß namentlich im Anfang der Nazi-Herrschaft, mit Ausnahme einer Intervention des Auslands, nur zwei Machtgruppen Deutschland vielleicht hätten befreien können: die Armee und die Arbeiterschaft, beide selbstverständlich unter entsprechender Führung. Ich mußte zu diesem Punkt ausführlicher werden, weil eine derartige herabsetzende Bemerkung eines so untadeligen und vornehmen Mannes wie Severing die Gefahr ungerechter Folgerungen für meinen Klienten mit sich bringt. Es wäre mir angenehm gewesen, wenn mir diese Auseinandersetzung mit Severings belastender Aussage erspart geblieben wäre. Severing hatte des weiteren den Vorwurf des politischen Opportunismus gegen Schacht erhoben. Ja, in der Politik ist die Grenze zwischen Opportunismus und staatsmännischem zweckbedingten Handeln sehr flüssig. Ehe man das Verhalten Schachts 1932 und 1933 opportunistisch wertet, hätte man ja auch seine Vergangenheit sich ansehen müssen. Diese Vergangenheit hat sich von 1923 ab in voller Öffentlichkeit vollzogen. Sie ist Gegenstand dieser Verhandlung teilweise gewesen, teilweise ist sie gerichtsnotorisch. Diese Vergangenheit spricht viel mehr dafür, daß Schacht das, was er für richtig hält, nicht nur mit großer Rücksichtslosigkeit, sondern auch mit großem Mute durchsetzt. Diesen Mut hat er ja dann auch als Verschwörer gegen Hitler bewiesen, wie sich zwangsläufig bei Betrachtung dieser Verschwörertätigkeit ergibt und wie ihn ja ausdrücklich Gisevius hier bekundet hat.

Kehren wir aber mit Schacht auf das Jahr 1923 zurück. Damals stabilisierte er die Mark gegen alle Inflationsinteressenten; 1924 sperrte er die Kredite gegen alle Devisenhamsterer, 1927 entzog er den Börsenspekulanten die Kreditbasis für ihr Börsenspiel. Von 1925 bis 1929 kämpfte er gegen die Schulden- und Ausgabenpolitik der Kommunen und zog sich dadurch die Feindschaft aller Bürgermeister zu. 1929 unterschrieb er den Young-Plan und trotzte damit der Gegnerschaft der schwerindustriellen Kreise, und im Verfolg dieser Natur kämpfte er von 1934 offen gegen die Verkehrtheiten und Auswüchse der Nazi-Ideologie und hat für seine Person niemals einen Wunsch oder einen Befehl ausgeführt, der seinem Gewissen oder seinem Rechtsbewußtsein widersprochen hätte. Gewisse Konzessionen muß in einer fanatischen Zeit jeder Staatsmann machen. Gewisse Moralprediger, deren es heute, wie immer, viele gibt, welche Stahlhärte für die Wahrung von Grundsätzen verlangen, sollten nicht vergessen, daß der Stahl zwei Eigenschaften hat, nämlich nicht nur die Festigkeit, sondern auch die Biegsamkeit.

Euer Lordschaft! Ich bin jetzt an einem bestimmten Abschnitt; der nächste würde länger dauern. Ich werde mit ihm bestimmt erst nach 1.00 Uhr fertig. Ich wäre dankbar, wenn Euer Lordschaft jetzt die Mittagspause einlegten. Es kommt jetzt die Einfügung I...

VORSITZENDER: Herr Dr. Dix! Es wäre vielleicht besser, wenn Sie bis 1.00 Uhr fortfahren würden.

DR. DIX: Meine Herren Richter! Sie haben in dem übersetzten Exemplar, das vor Ihnen liegt, am Schluß zwei Einfügungen, zwei Annexe. Ich mußte so verfahren, weil das, was ich in diesem Annex behandle, passiert ist, nachdem ich mein Plädoyer zur Übersetzung eingereicht hatte. Ich mußte also diese Stellungnahme hineinarbeiten und das konnte ich nur durch einen Annex. Ich komme also jetzt zu dem Vortrag des Annexes I, der hinten ist, und zwar, da ich einmal bei der Würdigung von Zeugenaussagen halte, zu der Würdigung der Zeugenaussage Gisevius durch meinen Kollegen Dr. Nelte.

Soweit Herr Kollege Nelte die objektive Zuverlässigkeit der Aussage des Gisevius hinsichtlich seiner, die Angeklagten Keitel, Göring und so fort belastenden Aussagen bemängelt, enthalte ich mich jeder Ausführung. Möge die Prosekution hierzu Stellung nehmen, wenn sie will. Meine Aufgabe ist dies nicht.

Nun aber hat Dr. Nelte auch die subjektive Glaubwürdigkeit von Gisevius in der persönlichen Moral dieses Zeugen angegriffen und damit indirekt auch die Zuverlässigkeit seiner Dr. Schacht betreffenden Bekundungen. Dies erfordert meine Stellungnahme, und zwar ganz grundsätzlicher Natur.

Meine Herren Richter! Hier scheiden sich die Geister. Eine unüberbrückbare Kluft tut sich auf zwischen dem Standpunkt Schachts und dem Standpunkt aller derjenigen, welche sich die Gedankengänge zu eigen machen, mit denen Dr. Nelte Gisevius, die Toten Canaris, Oster, Nebe und so fort moralisch zu disqualifizieren versucht. Ich bin es schlechterdings meinem Klienten Dr. Schacht schuldig, hier ganz klar und eindeutig folgendes grundsätzlich zu erklären:

Patriotismus bedeutet Treue gegen Vaterland und Volk und Feindschaft bis aufs Messer gegen jeden, welcher verbrecherisch das Vaterland und das eigene Volk ins Elend und Verderben führt. Ein solcher Führer ist ein Feind des Vaterlandes, in seiner Wirkung vielfach gefährlicher als der Kriegsgegner. Gegen eine solche verbrecherische Staatsführung ist jedes, aber auch jedes Mittel recht, und zwar: a corsaire, corsaire et demi.

Hochverrat gegen eine solche Staatsführung ist wahrer und echter Patriotismus und als solcher höchst moralisch, auch im Kriege. Wer könnte nun nach den Feststellungen dieses Prozesses und zuletzt noch nach der Aussage Speers über die zynischen Äußerungen Hitlers hinsichtlich des Unterganges des deutschen Volkes den geringsten Zweifel hegen, daß Adolf Hitler der größte Feind seines Volkes, kurz ein Verbrecher an diesem Volke war, den zu beseitigen jedes Mittel recht und jede, aber auch jede Tat patriotisch war. Welten trennen Schacht von jedem auf der Anklagebank, der dies nicht anerkennt.

Zur Reinigung der Atmosphäre mußte dies gesagt werden. Einzelheiten der Angriffe des Herrn Dr. Nelte auf Dr. Gisevius zu widerlegen, kann ich mir nach dieser grundsätzlichen Klarstellung ersparen. Soweit Dr. Nelte Einsatzfreudigkeit bei diesen Widerstandsgruppen, denen Schacht angehörte, vermißt, nun, so verweise ich nur auf die vielen Hunderte gehängter Toten des 20. Juli allein, wo Schacht zu den ganz wenigen Überlebenden gehört, und auch er sollte ja noch in Flossenbürg liquidiert werden. Ich verweise auf die nach Tausenden zählenden Todesopfer der politischen Gerichtsbarkeit im Staate Hitlers. Wahrlich, gegen Hitler den Krieg der Verschwörung und damit notwendigerweise auch der List und der Heuchelei zu führen, stand an Einsatzgefahr für Leib und Leben der Exponiertheit an der Front nicht nach.

Seinen durch das Veröffentlichungsverbot entstandenen Irrtum in Sachen Rücktritt Papen hat Gisevius dem ihn loyalerweise kreuzverhörenden Kollegen Dr. Kubuschok sofort zugegeben. Mehr habe ich hierzu nicht zu sagen.

VORSITZENDER: Wir vertagen uns nunmehr.