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[Das Gericht vertagt sich bis 14.00 Uhr.]

Nachmittagssitzung.

DR. DIX: Ich hatte abgeschlossen mit der Würdigung der Beweiswerte der Aussage der Zeugen Severing und Gisevius.

Wenn ich jetzt die Würdigung des Verhaltens Schachts bis etwa 1935 abschließe und nunmehr in die Zeitperiode von 1935 bis 1937 eintrete, darf ich nochmals hervorheben, daß ich absichtlich der Zeitverkürzung halber nicht Argumente wiederhole, welche eingehend im Verhör zur Kenntnis des Gerichts gekommen sind, so zum Beispiel die Nichtbeteiligung Schachts an der Gesetzgebung, die zur Entmachtung der Volksrechte führte, weil diese vor seinem Eintritt in das Kabinett lag. Das entscheidende Ereignis für die Machtbefestigung Hitlers, die Vereinigung der Ämter des Reichspräsidenten und des Reichskanzlers auf Hitlers Person, lag ebenfalls außerhalb seiner Mitwirkung und Verantwortung. Mit diesem Gesetz wurde das Heer auf die Person Hitlers vereidigt. Der Reichskanzler hatte nicht nur wie bisher die Polizeimacht, sondern auch die Heeresmacht. Es ist nicht meine Aufgabe zu untersuchen, wen für dieses Gesetz die politische Verantwortung und damit historische Schuld trifft; Schacht jedenfalls nicht. Auch alle grundlegenden Antijudengesetze sind vor der Ministerzeit Schachts entstanden. Von den späteren Nürnberger Gesetzen wurde er völlig überrascht. Die Verordnung über die Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben vom 12. November 1938 und die Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens vom 3. Dezember 1938 ergingen nach seinem Ausscheiden als Wirtschaftsminister und damit ohne seine aktive Mitwirkung; ebenso das die Juden übrigens wohl kaum bedrückende Gesetz über ihren Ausschluß vom Reichsarbeitsdienst. Das Gesetz über die Todesstrafe für verheimlichte Devisenbestände, das sogenannte Volksverratsgesetz, richtete sich nicht speziell gegen die Juden, sondern ganz allein gegen die Großindustrie und Großfinanz; es entstand auch nicht unter Schachts Federführung, sondern derjenigen des Finanzministers. Schacht wollte wegen solcher Gesetze keinen Bruch herbeiführen, weil er glaubte, eine größere Aufgabe lösen zu müssen. Es dürfte auch hierauf nicht ankommen, denn Schacht hat sich in der Judenfrage durch seine öffentlichen Reden und seine Exposés an Hitler für die Juden so exponiert, daß es ungerecht wäre, ihn dieserhalb politisch und moralisch, geschweige denn strafrechtlich zu disqualifizieren. Ich erinnere hier nur beispielsweise an die Reichsbankrede nach den antijüdischen Ausschreitungen im November 1938, an die Königsberger Rede, an die Exposés vom Jahre 1935 und so fort. Schacht galt im Dritten Reich als der mutigste und aktivste Schützer der Juden. Ich erinnere nur an den dem Gericht überreichten Brief des Frankfurter Kaufmanns Merton und an die illustrative Bekundung des Zeugen Hayler. Nach dieser hat Himmler, als Hayler ihm wegen der Vorgänge im November 1938 Vorhaltungen machte, diesem erwidert, daß schließlich die Wirtschaftsführung daran schuld sei, daß es so weit gekommen sei. Von einem Herrn Schacht könne man ja nichts anderes verlangen, als daß er in der Judenfrage immer bremste und sich dem Wollen der Partei entgegenstellte.

Justice Jackson hat auf meine Rückfrage diesen spezifischen Vorwurf der Anklage präzisiert: Schacht sei nicht angeklagt wegen Antisemitismus, sondern wegen Handlungen, welche in ursächlichem Zusammenhang ständen mit den Grausamkeiten gegen die Juden im Rahmen des geplanten Angriffskrieges. Hieraus folgt, daß eine Verneinung der Schuld am Angriffskrieg zur zwingenden logischen Folge hat auch die Verneinung jeder Schuld an Grausamkeiten, welche im Kriege gegenüber den Juden verübt worden sind.

Justice Jackson hat einige Phasen der gesetzgeberischen Behandlung der Juden während der Ministerzeit Schachts zum Gegenstand seines Kreuzverhörs gemacht. Ich sehe davon ab, diese Teile des Kreuzverhörs zu würdigen. Die an ihn gestellten und beantworteten Fragen sind nach dem Statut und der vorhin erwähnten authentischen Interpretation dieses Falles der Anklage durch Justice Jackson unerheblich. Die antisemitische Gesetzgebung des Dritten Reiches und die individuelle Einstellung eines einzelnen Angeklagten zu ihr sind nach dem Statut in diesem Verfahren nur insoweit erheblich, als sie mit anderen Verbrechen, welche durch das Statut unter Strafe gestellt sind, zusammenhängen, also zum Beispiel der Conspiracy auf Krieg, der Ausrottung und so fort. Sie können nach dem Statut kein selbständiges Delikt sein, auch nicht ein solches gegen die Menschlichkeit.

Strafbare Täter sind nur solche Angeklagte, denen die Beteiligung an der Planung eines Angriffskrieges mit den stattgehabten unmenschlichen Folgen gegen die Juden nachgewiesen werden kann. Voraussetzung dieser ihrer Verurteilung ist aber ihr Erkennen und Wollen dieses Zieles und Erfolges. Eine rein objektive Erfolgshaftung gilbt es im Strafrecht nicht. Nach dem Statut ist derjenige strafbar, welcher den Krieg und damit auch die mit diesem Krieg verbundenen Unmenschlichkeiten gewollt hat; immer aber muß das zu inkriminierende Handeln im Rahmen der Ausführung eines solchen Planes geschehen sein. Schon diese rein rechtliche Betrachtun schließt eine Verurteilung Schachts wegen der Grausamkeiten gegen die Juden aus.

Eine Diskrepanz zwischen der Anklage, insbesondere den Ausführungen von Justice Jackson und mir, muß an dieser Stelle ebenfalls klargestellt werden; sonst reden wir aneinander vorbei. Im Verhör hat Justice Jackson wiederholt darauf hingewiesen, daß dem Angeklagten nicht zur Last gelegt wird Antisemitismus als solcher, nicht zur Last gelegt wird seine Gegnerschaft gegenüber dem Vertrag von Versailles, nicht zur Last gelegt werden seine Gedanken und Äußerungen zu dem sogenannten Lebensraumproblem, also dem Ernährungsproblem der mitteleuropäischen Völker, nicht zur Last gelegt werden seine kolonialen Aspirationen, sondern daß er angeklagt ist, nur soweit dies alles mit seinem Wissen und Willen der Vorbereitung eines Angriffskrieges gedient hat. Mit diesem Einwand wollte Justice Jackson gewisse Fragen und Erörterungen abschneiden. Dies wäre gerechtfertigt gewesen, und auch ich könnte solche Erörterungen jetzt unterlassen, wenn hier nicht von der Anklage mit der anderen Hand wieder genommen würde, was mit der einen Hand gegeben wird; denn mit der anderen Hand wird im Zuge der Argumentation all dies, nämlich sein angeblicher Antisemitismus und so weiter als ein indirektes Beweismittel, also ein Indiz dafür verwandt, daß Schacht den Angriffskrieg vorbereitet und gewollt hat. All dies wird von der Anklage zwar nicht als selbständiger Verbrechenstatbestand gewertet, aber als indirektes Beweismittel, als Indiz. Deshalb muß ich in der Beweiswürdigung auch auf diese Probleme eingehen. Die Judenfrage glaube ich erledigt zu haben. Zu dem sogenannten Lebensraumproblem kann ich wohl der Zeitersparnis halber auf das verweisen, was hier Schacht in seinem Verhör zur Rechtfertigung seiner diesbezüglichen Äußerungen und Handlungen gesagt hat. Das Kolonialproblem war Gegenstand des Kreuzverhörs durch Justice Jackson insofern, als er durch seine Fragen und Vorhalte nachzuweisen suchte, daß ohne Weltherrschaft oder zumindest kriegerisch vorbereitete Seeherrschaft eine koloniale Betätigung Deutschlands nicht möglich sei. Hieraus würde sich in Fortsetzung dieses Gedankenganges zu Lasten des Angeklagten Schacht ergeben, daß sein Streben nach Kolonien durch die Planung eines Angriffskrieges logisch bedingt war. Solches ist ein Fehlschluß. Ich glaube, daß Justice Jackson Kolonialpolitik hier zu imperialistisch auffaßt. Wer Kolonien für sein Land wünscht, ohne die Welt oder wenigstens die See zu beherrschen, geht von einer kolonialen Betätigung unter der Voraussetzung eines dauernden Friedenszustandes gegenüber den stärkeren Seemächten aus. Er muß an den Frieden mit diesen Mächten glauben. Deutschland hat von 1884 bis zum ersten Weltkrieg auch Kolonien besessen. Seine Handelsschiffstonnage vermittelte den notwendigen Verkehr mit diesen Kolonien. Seine Handelsschiffstonnage vor diesem Krieg hätte ebenfalls genügt; des »Fliegens«, wie Justice Jackson sagte, hätte es hierzu nicht bedurft. Nichts ist dafür dargetan, daß Schacht mit diesem Wunsch auf Kolonien die kriegerische Beseitigung fremder Seeherrschaft erstrebt hätte. Man kann ihn auch wirklich kaum für so töricht nach seinem Gesamtverhalten hinstellen.

Auch Frankreich und Holland besitzen Kolonien, deren Seewege sie bestimmt nicht beherrschen. Dieser Vorhalt der Anklage ist also unschlüssig. Im übrigen ist dem Tribunal bekannt, daß in den Jahren vor dem Kriege fast alle Staatsmänner der Siegermächte diesen kolonialen Aspirationen Deutschlands wohlwollend gegenübergestanden haben, wie sich aus zahlreichen öffentlichen Reden derselben ergibt.

Ich komme nunmehr zu dem Thema der Aufrüstung, also zur Tätigkeit Schachts als Reichsbankpräsident und Reichswirtschaftsminister bis 1937, das heißt also bis zu dem Zeitpunkt, wo aus dem loyalen Staatsdiener Adolf Hitlers ein Verschwörer gegen ihn wurde, der sich auf die dunklen Pfade der List und der Verstellung mit Attentatsvorbereitung begab.

Die Anklage wertet die Verletzung des Vertrags von Versailles, des Vertrags von Locarno und anderer Verträge als indirektes Beweismittel, also als Indiz für den kriegerischen Angriffsdolus. Dies involviert zunächst die Frage, ob objektive Vertragsverletzungen überhaupt vorgelegen haben, und bejahendenfalls, ob diese Vertragsverletzungen subjektiv in der Person von Mitgliedern der Reichsregierung, also auch Schachts als Indizien für einen Angriffskriegdolus gewertet werden müssen. Es ist unmöglich, aber auch nicht notwendig, im Rahmen dieses Plädoyers die Problematik zu erschöpfen, ob und inwieweit objektive Vertragsbrüche vorliegen. Auch Herr Kollege Horn hat diese Frage schon gestreift. Nur eine kurze Bemerkung hierzu soll dazu dienen, zum mindesten die Problematik dieser Frage aufzuzeigen. Diese ist wiederum erheblich für die subjektive Würdigung. Ewige Verträge gibt es überhaupt nicht, nicht auf dem Gebiete des Privatrechts und noch weniger auf dem Gebiete des Völkerrechts. Die Clausula rebus sic stantibus spielt im Gebiete des Völkerrechts, also im politischen Verkehr der Völker eine oft viel größere Rolle als im privaten Verkehr der Einzelmenschen. Man muß sich überhaupt davor hüten, die in den Niederungen des Privatrechts geltenden Grundsätze ohne weiteres in die Weiten und Höhen des Völkerrechts zu übertragen. Das Völkerrecht hat seine eigene Dynamik. Der hochpolitische Verkehr der Nationen steht unter anderen rechtlichen Aspekten als der geschäftliche und private Verkehr des Einzelmenschen. Der schlagendste Beweis für die Richtigkeit dieser These ist die rechtliche Begründung der Anklageschrift, insbesondere soweit sie sich mit dem Satze »nulla poena sine lege poenale« beschäftigt und statt Sanktionen die individuelle Bestrafung der leitenden Staatsmänner eines angreifenden Staates fordert. Gerade derjenige, welcher die diesbezügliche Auffassung der Anklage bejaht, erkennt damit die Dynamik des Völkerrechts und die Tatsache an, daß das Völkerrecht sich nach seinen eigenen Gesetzen entwickelt.

Die Geschichte lehrt, daß völkerrechtliche Verträge ihr Ende meist nicht dadurch erreichen, daß sie formell aufgehoben werden, sondern daß sie an der Entwicklung der Tatsachen sterben. Sie löschen zwangsläufig aus. Man kann im Einzelfall verschiedener Ansicht sein, ob dies der Fall ist. Dies ändert nichts an der grundsätzlichen Richtigkeit dieser Feststellung. Sicherlich verstößt die Militarisierung des Rheinlandes und auch die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht das auch von Schacht gebilligte und erstrebte Ausmaß der Wiederaufrüstung, der auch von Schacht grundsätzlich gewünschte freiwillige Anschluß Österreichs an Deutschland dem Sinn und Wortlaut der genannten Verträge, insbesondere des Versailler Vertrags. Wenn aber derartige Verletzungen nur mit formalen Protesten beantwortet werden und sonst alles bei äußerst freundschaftlichen Beziehungen, ja Ehrungen gegenüber dem verletzenden Staate verbleibt und wenn Verträge abgeschlossen werden, welche grundlegende Bestimmungen eines solchen Vertrags ändern, wie zum Beispiel der Flottenvertrag mit Großbritannien, kann man sehr wohl die Meinung vertreten, daß durch diese Tatsachen ein solcher Vertrag langsam in den Prozeß des Obsoletwerdens und des Ausgelöschtwerdens eintritt, daß zum mindesten eine solche subjektive Anschauung ihre Berechtigung findet. Ich bitte zu bedenken, daß Voraussetzung für den Abschluß eines Rüstungsvertrags, wie zum Beispiel des Flottenabkommens mit Großbritannien, die militärische Souveränität beider Staaten ist. Die Verneinung der letzteren in der Person Deutschlands war aber eine der tragenden Gesichtspunkte des Versailler Vertrags. Ich will hier nicht über die Gerechtigkeit oder Nichtgerechtigkeit des Vertrags sprechen. Ich kenne den diesbezüglichen Wunsch oder das diesbezügliche Verbot des Tribunals und beachte es selbstverständlich. Ich muß aber sprechen und darf sprechen über die rechtliche Möglichkeit und damit die kriminelle Harmlosigkeit subjektiver Anschauungen Schachts zur Frage der Vertragsverletzung. Selbst wenn man also den Standpunkt noch vertreten wollte, daß die genannten Verträge nicht obsolet geworden wären, kann man die subjektive Berechtigung einer gegenteiligen Ansicht zum mindesten in ihrer Ehrlichkeit nicht bezweifeln. Wird diese aber bejaht, so sind diese Vertragsverletzungen keine Indizien für den Dolus eines Angriffskrieges mehr. Allein hierauf kommt es aber an. Denn der Vertragsbruch als solcher wird nach dem Statut noch nicht als strafbare Handlung gewertet. Auch hier kann sich Schacht für seinen guten Glauben auf eine gleiche oder ähnliche Betrachtungsweise führender ausländischer Staatsmänner berufen, bei denen demgemäß der Verdacht eines deutschen Angriffswillens von vornherein logisch zwingend ausgeschlossen ist. Auch hier muß ich mich wieder auf einige Beispiele beschränken, da eine erschöpfende Aufzählung den zeitlichen Rahmen des Plädoyers überschreiten würde. Der erste der Brüche des Versailler Vertrags wäre die Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht gewesen. Der englische Außenminister, Sir John Simon, beantwortet diese Maßnahme staatsmännisch weitblickend und objektiv, wie in den Zeitungen veröffentlicht und im Rundfunk und damit allgemein bekannt, damit aber gerichtsnotorisch wie folgt:

»Es bestehen keine Zweifel, daß auf die erzwungene Abrüstung Deutschlands eine nachfolgende vereinbarte Herabsetzung in den Rüstungen anderer großer Staaten in Aussicht genommen war.«

Diese Bemerkung enthielt trotz des dann ihr folgenden Tadels des Hitlerschen Vorgehens eine Bestätigung meiner vorhin entwickelten Ansicht. Das gleiche gilt von der Tatsache, daß der Besuch Sir John Simons und Anthony Edens in Berlin acht Tage nach diesem Vertragsbruch, nämlich am 24. März 1935, erfolgte. Er wäre nicht erfolgt, hätte man im Ausland diese Hitlersche Maßnahme als eine aggressive militärische beurteilt. Auf die Geschichte der Behandlung dieser Frage im Völkerbundsrat darf ich ebenfalls als bekannt nur kurz verweisen. Sollte sie Schacht als Deutscher und deutscher Minister anders beurteilen als die ausländischen Regierungen?

Ein zweiter Vertragsbruch Hitlers war die Besetzung des Rheinlandes, ebenfalls im März 1935. Diese Handlung verletzte nicht nur den Vertrag von Versailles...

VORSITZENDER: Das Datum der Rheinland-Besetzung war nicht März 1935, sondern März 1936.

DR. DIX: Ich kann das im Moment nicht feststellen.

Also es kommt ja nur auf die Tatsache dieser Handlung an, nämlich der Besetzung des Rheinlandes. Diese Handlung verletzte nicht nur den Vertrag von Versailles, sondern auch den Locarno-Pakt, also einen zweifellos freiwillig abgeschlossenen Vertrag. Zwei Tage später erklärte Mister Baldwin im Unterhaus in einer öffentlich bekanntgemachten und damit gerichtsnotorischen Rede, man könne zwar die Handlungsweise Deutschlands nicht entschuldigen, es läge aber kein Grund zu der Annahme vor, daß diese Aktion eine Drohung mit Feindseligkeiten beinhalte. Sollte der Deutsche und deutsche Minister Schacht eine andere skeptischere Einstellung hinsichtlich der aggressiven Bedeutung dieses Aktes haben als das Ausland? Namentlich wenn er feststellen mußte, was ebenfalls der Geschichte angehört und allgemein bekannt ist, daß zehn Tage nach diesem Vertragsbruch die Locarno-Mächte außer Deutschland dem Völkerbundsrat ein Memorandum vorlegten, welches die Beschränkung der deutschen Truppen im Rheinland auf 36 500 Mann vorschlug und nur die Verstärkung der SA und SS im Rheinland vermieden wissen wollte, ebenso die Errichtung von Festungen und Flugplätzen. Muß man dieses Memorandum nicht als eine Ratifizierung eines etwaigen Vertragsbruchs auffassen?

Ein dritter Vertragsbruch war die Befestigung von Helgoland, welcher durch die Vertragspartner kaum beachtet wurde und Eden am 29. Juli 1936 im Unterhaus in einer öffentlichen, der Geschichte angehörenden Rede nur zu der Bemerkung veranlaßte, daß es nicht für günstig erachtet werde, die Verhandlungen durch Einzelfragen wie die vorliegende zu erschweren. Sollte der deutsche Minister Schacht eine andere und schärfere Einstellung einnehmen?

Und wie steht es mit der terroristischen Anschließung Österreichs im März 1938, wo überdies Schacht gar nicht mehr Reichswirtschaftsminister war? Hätte das Ausland aus dieser Handlung die Gewißheit geschöpft, daß Hitler sich auf einen Angriffskrieg vorbereitet, so hätte es nicht auf Gewaltandrohung verzichtet. Sollte der deutsche Minister Schacht eine andere Auffassung haben und bestätigen? Er hatte sie damals und war schon eifrig mit Witzleben und anderen am Werke, Adolf Hitler und das Regime durch einen Putsch zu beseitigen, ein Bestreben, das diesen patriotischen Verschwörern aus der Hand geschlagen wurde, wie hier der Zeuge Gisevius eindeutig bekundet hat, weil Hitler von einem außenpolitischen Erfolg zum anderen schreiten konnte.

Ich erinnere nur an die eindeutige Bekundung von Gisevius über die Wirkungen des Münchener Abkommens auf die Schlagkraft der mit von Schacht geführten Oppositionsgruppen; ich erinnere an die Bekundungen von Gisevius über die Warnungen und die Fingerzeige, welche diesbezüglich über die deutsche Grenze hinweg an verantwortliche Persönlichkeiten des Auslandes gegeben waren. Ist es billig, von dem deutschen Minister Schacht eine schärfere Einstellung gegenüber dieser politischen Entwicklung zu verlangen, als das in seinen Interessen verletzte Ausland einnahm? Er hatte, wie wir von Gisevius wissen und auch von Vocke und durch alle eingereichten Affidavits, eine solche viel schärfere Einstellung schon seit 1937, in welchem Jahre er die dunklen Wege des Verschwörers betrat. Ich erinnere an seine erste Fühlungnahme mit dem damaligen General von Kluge. Die soeben erwähnten Beispiele könnte ich häufen. Ich übe keine Kritik an diesem Verhalten des Auslandes. Diese kommt mir nicht zu, ganz abgesehen davon, daß ich volles Verständnis für die sich aus ihm ergebende verantwortungsbewußte pazifistische Einstellung habe. Es ist aber meine Pflicht, darauf hinzuweisen, daß man Schacht keine kriegerischen Absichten aus einer Einstellung und einem Verhalten unterstellen darf, wenn man die gleiche Einstellung und das gleiche Verhalten bei dem verletzten Ausland feststellen muß. Wenn das Ausland hoffen konnte, mit Hitler friedliche Beziehungen weiter zu unterhalten, so muß man das gleiche Recht auch Schacht zugestehen, solange er dieses Recht für sich in Anspruch nimmt. Er nimmt es nicht für sich in Anspruch, spätestens von der Fritsch-Krise 1933 ab. Von hier an hat er, und zwar im Gegensatz zum Ausland, die Gefahr klar erkannt und hat – dies kann wohl nach den Bekundungen von Gisevius niemand bestreiten – unter höchstem Risiko für Freiheit und Leben als einzelner alles getan, um den Frieden durch den Sturz Hitlers zu erhalten. Daß alle diese Putsche vor dem Krieg und nach Ausbruch des Krieges erfolglos blieben, kann ihm nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht zur Schuld angerechnet werden. Die Verantwortung für den Mißerfolg dieser deutschen Widerstandsbewegung liegt nicht bei dieser, sondern anderswo, innerhalb und außerhalb der deutschen Grenzen. Ich komme später hierauf zurück. Bleibt also die Tatsache der Rüstung als solche. Auch hier kann ich mich im wesentlichen auf das berufen, was Schacht zu seiner Rechtfertigung in seinem Verhör ausgesagt hat. Dies war erschöpfend und eine Wiederholung wäre überflüssig. Es ist deshalb auch völlig überflüssig, in eine akademische Diskussion darüber einzutreten, ob die Schachtsche Ansicht richtig war, das heißt, ob es richtig ist, daß eine gewisse, für die Zwecke der Verteidigung ausreichende militärische Kraft für jeden Staat notwendig ist, insbesondere für Deutschland notwendig war, ob seine Ansicht richtig ist, daß die Nichterfüllung der Abrüstungspflicht durch die Vertragspartner von Versailles für Deutschland das Recht der Wiederaufrüstung begründete. Es kommt nur darauf an, ob diese Ansichten und Motive Schachts ehrlich waren oder ob er mit dieser Verteidigungsaufrüstung geheime Angriffsziele verfolgte. Gegen die Ehrlichkeit dieser Ansichten und Motive ist hier aber rein gar nichts festgestellt worden. Gewiß kann man streiten, ob der Satz »Si vis pacem, para bellum« unbedingt Gültigkeit hat oder ob nicht Objektiv jede stärkere Aufrüstung eine gewisse Kriegsgefahr mit sich bringt, weil gute Armeen mit tüchtigen Offizieren naturnotwendig nach ernster Betätigungsmöglichkeit streben. Gewiß kann man die These verfechten, daß moralische Macht stärker ist als jede Waffenmacht. Der Zusammenhalt des britischen Empire und die Weltgeltung der Außenpolitik des Vatikans könnten hierfür vielleicht als Beweismittel verwandt werden. Alle diese Fragen tragen eine gewisse Relativität in sich. Jedenfalls steht das eine fest, daß auch heute noch in allen großen Staaten der Welt immer und immer wieder offiziell die Mahnung erfolgt, militärisch stark sein zu müssen, um den Frieden zu erhalten.

Völker, deren Individualismus und Freiheitsliebe die allgemeine Wehrpflicht und ein ständiges starkes Heer ablehnten, tun jetzt das Gegenteil und glauben, damit ehrlich dem Frieden zu dienen. Denken wir zum Beispiel auch an eine Nation, deren Friedensliebe schlechterdings niemand in der Welt, auch nicht der Mißtrauischste wird bezweifeln können, nämlich die Schweiz. Auch diese friedliebende Nation hat immer ihren Ehrgeiz darein gesetzt, ihr Volk wehrhaft zu erhalten, gerade um ihre Freiheit und Unabhängigkeit auf friedliche Weise zu schützen. Man mag diesen Gedanken der Abschreckung fremder Angriffe durch Unterhalt eines zur Verteidigung ausreichenden Heeres akademisch imperialistisch nennen. Er wird jedenfalls von friedliebenden und freiheitsliebenden Völkern ehrlich vertreten und damit der Sache des Friedens vielleicht mehr dienen als manche sogenannte antimilitaristische und pazifistische Doktrin. Diese anständige Auffassung hat mit Militarismus überhaupt nichts zu tun. Wer sie auch heute noch bei den großen und kleinen Völkern als berechtigt anerkennt, darf die Ehrlichkeit ihrer Vertretung durch Schacht in den Jahren 1935 bis 1938 nicht bestreiten. Mehr habe ich hierzu nicht zu sagen.

Ich brauche wohl auch nicht ein ermüdendes Ziffernwerk zu geben und fachtechnische Ausführungen zu machen, daß der Teil der Rüstung, den Schacht erst mit neun Milliarden und dann widerstrebend mit noch drei Milliarden finanzierte, in gar keiner Weise für einen Angriffskrieg, ja nicht einmal für eine wirksame Verteidigung der deutschen Grenzen ausreichte. Die Antworten, welche die Zeugen Keitel, Bodenschatz, Milch, General Thomas, Kesselring und so fort in ihren Bekundungen und Affidavits hierauf gegeben haben, liegen vor, sind vorgetragen oder zur amtlichen Kenntnis des Gerichts gebracht. Sie sprechen eine eindeutige Sprache dahingehend, daß Deutschland nicht einmal bei Kriegsbeginn, also anderthalb Jahre später, für einen Offensivkrieg gerüstet genug war und daß es deshalb nicht nur ein Verbrechen gegenüber der Menschheit war, sondern auch gegenüber dem eigenen Volk, dem seiner Führung anvertrauten Volk, wenn Hitler dieses Volk August 1939 in einen Angriffskrieg führte.

Ich halte es deshalb auch für überflüssig, längere Ausführungen darüber zu machen, ob die Darstellung Blombergs richtig ist, daß Schacht über den Fortgang der Rüstung informiert wurde, oder die Darstellung Schachts und Vockes, daß dies nicht der Fall war. Ich unterstelle bei Blomberg ohne weiteres die bona fides seiner Aussage. Da er aber mit der technischen Seite der Rüstung mehr zu tun hatte als die Reichsbank, spricht die Lebenserfahrung dafür, daß das Gedächtnis Schachts und Vockes zu diesem Punkt zuverlässiger ist als dasjenige Blombergs, für welchen diese Berichterstattung an die Reichsbank eine Nebensächlichkeit seines Ressorts war. Für die Reichsbank war der Wunsch, auch über den technischen Fortgang der Rüstung und nicht nur über deren finanzielle Ausgaben unterrichtet zu werden, eine sehr wichtige Angelegenheit. An solche erinnert man sich zuverlässiger als an unwichtige Nebensachen. Jedenfalls ist festgestellt, daß bis zum Etatsjahr 1937/1938 nur 21 Milliarden für die Rüstung verausgabt wurden, von denen zwölf Milliarden die Reichsbank im Kreditwege finanziert hatte, und daß nach der Aussage von Generaloberst Jodl am 5. Juni, am 1. April 1938 nur 27 bis 28 Divisionen fertig waren, 1939 aber immerhin schon 73 bis 75 Divisionen.

Es bedarf keines Sachverständigen, um dieses Ausgaben- und Rüstungsvolumen am 1. April 1938 als völlig unzureichend für einen Angriffskrieg zu bezeichnen. Der gleichen Auffassung war ja auch Hitler, wenn er in seiner, dem Gericht überreichten, 1944 Speer ausgehändigten Denkschrift vom August 1936 neben vielen abfälligen Bemerkungen über Schachts Wirtschaftsführung bemerkt, daß vier kostbare Jahre vergangen seien, daß man Zeit genug gehabt habe, in diesen vier Jahren festzustellen, was wir nicht können, und daß er hiermit anordnet, daß die deutsche Armee in vier Jahren, also im Laufe des Jahres 1940 einsatzfähig sein müßte.

Ich darf in die Erinnerung des Gerichts zurückrufen, daß nach dem Ausscheiden Schachts auch als Reichsbankpräsident in den beiden Etatsjahren 1938/1939 und 1939/1940 311/2 Milliarden für die Rüstung ausgegeben wurden. Das Geldmachen und Geldausgeben für die Rüstung ging also auch ohne Schacht, und zwar erheblich kräftiger. Schacht hatte an Blomberg seinerzeit geschrieben, daß er kein Dukatenmännchen sei.

Er hat in dieser Richtung einen dauernden Druck auf Blomberg ausgeübt. Ich verweise nur auf seinen dem Gericht überreichten Brief an Blomberg vom 21. Dezember 1935. Er hat bremsend durch aufklärende Vorträge vor Offizieren des Kriegsministeriums und der Wehrmachtsakademie gewirkt. Er hat die von dem Verkehrsminister im indirekten Interesse der Rüstung liegende Eisenbahnanleihe 1936 abgelehnt und stoppte die Reichsbankkredite schon Anfang 1937, abschließend mit einem Kompromiß über letztmalige drei Milliarden. Er lehnte dem Reichsfinanzminister den von ihm begehrten Kredit im Dezember 1938 ab.

Er schuf für die Rüstungsausgaben eine automatische Bremse durch die finanztechnisch etwas kühnen, aber juristisch haltbaren Mefo-Wechsel. Diese dienten zwar zunächst einer Finanzierung der Rüstungsausgaben, bremsten aber weitere Rüstungsausgaben nach ihrer Fälligkeit ab 1. April 1939, weil das Reich zu ihrer Einlösung verpflichtet war. Schachts Voraussicht bewährte sich. Die erhöhte Beschäftigung brachte eine solche Steigerung der Staatseinnahmen, daß die Einlösung der Mefo-Wechsel bei ihrer Fälligkeit nach fünf Jahren nicht schwer geworden wäre.

Die Aussage Keitels hat erwiesen, daß im Etatsjahr ab 1. April 1938 fünf Milliarden Reichsmark mehr für die Rüstung ausgegeben worden sind als im Vorjahre, obwohl mit dem 1. April 1938 die Reichsbankkredite völlig aufgehört hatten. Die Hälfte dieser fünf Milliarden hätte genügt, um die im Etatsjahr ab 1. April 1939 fällig werdenden Mefo-Wechsel einzulösen. Dieses Geld wäre der weiteren Aufrüstung entgangen. Aber das war ja gerade das, was Schacht beabsichtigte. Er hatte die Laufzeit der Mefo-Wechsel von vornherein auf fünf Jahre begrenzt; er hörte mit der Kredithilfe der Reichsbank am 1. April 1938 auf, um die Rüstung zu beschränken. Daß Hitler ein striktes Wechselversprechen einfach brechen und die Wechsel nicht bezahlen würde, das konnte Schacht unmöglich voraussehen. Schon diese Tatsachen ergeben, daß seine Entlassungsgesuche gar keinen anderen Grund haben können als die Opposition gegen eine weitere Rüstung und die Ablehnung der Verantwortung für diese. In diesem Sinne ist die Behauptung der Anklage, er habe sich der Verantwortung entziehen wollen, durchaus richtig.

Nichts ist dafür dargetan, daß andere Beweggründe als diejenigen, welche sich aus diesen soeben erwähnten Tatsachen zwangsläufig ergeben, ihn zu diesem Streben, aus seinen Ämtern herauszukommen, veranlaßt haben. Wenn die Anklage behauptet, daß das Motiv seine Gegnerschaft zu Göring war, so ist dies auch richtig, insofern Schacht ein Gegner des Vierjahresplanes und Göring dessen Chef war. Der Beweggrund der Machtrivalität ist eine reine Unterstellung, eine Interpretation der tatsächlichen Vorgänge, welche zu dem Zitat berechtigt: »Interpretiert nur immer munter, legt ihr nicht aus, so legt ihr unter.«

Die Denkschrift der Reichsbank vom November 1938, welche zu der Entlassung Schachts und der meisten seiner Mitarbeiter, darunter Vocke, führte, liegt auch eindeutig im Sinne energischer Rüstungsopposition. Sie mußte selbstverständlich eine Begründung enthalten, welche dem Ressortbereich der Reichsbank entnommen war. Ihr Ziel war offenkundig. Daher ja auch die Bemerkung Hitlers: »Das ist Meuterei«. Die Denkschrift endet mit der Forderung der Beherrschung des Kapital- und Anleihemarktes sowie der Steuerhandhabung durch die Reichsbank. Die Erfüllung dieser Forderung hätte Hitler jede Möglichkeit genommen, Geld für weitere Rüstung aufzutreiben, und deshalb war diese Forderung für Hitler unannehmbar. Das wußten Schacht und seine Kollegen, und damit suchten sie bewußt mit diesem Schritt den Bruch. Schacht trug nun keine Verantwortung mehr. Schacht konnte sich von nun an ausschließlich den Umsturzplänen der Verschwörergruppe widmen, welcher er angehörte. Er wurde zum Verräter an Hitler. Dadurch, daß er Minister ohne Portefeuille blieb, hoffte er, für die Ziele seiner Verschwörergruppe von den Vorgängen, welche diese wissen mußte, mehr zu erfahren, als wenn er ganz ausschied. Auf diesen Punkt komme ich später noch einmal zurück.

Die Tatsache der Rüstung als solche beweist also rein gar nichts für die Anklagebehauptung, daß Schacht bewußt an der Vorbereitung eines Angriffskrieges mitgearbeitet habe. Zu einer Rüstung im modernen Sinne gehört aber zwangsläufig die gleichzeitige wirtschaftliche Rüstung. Auf deutscher Seite ist dies das erstemal schon zu Beginn des ersten Weltkrieges erkannt worden, und zwar von zwei sehr bedeutenden jüdischen Deutschen, nämlich dem Gründer der Hamburg-Amerika-Linie, Albert Ballin, und dem deutschen Großindustriellen Rathenau. Es ist dies der gleiche Rathenau, der während der Konferenz in Genua jene wundervolle Rede auf den Frieden gehalten hat, umbraust von dem Applaus der Vertreter derjenigen Mächte, die seinem Lande noch vier Jahre vorher als Feinde gegenüberstanden, und der als deutscher Außenminister Anfang der zwanziger Jahre einem antisemitischen Attentat zum Opfer fiel. Die Persönlichkeit Albert Ballins darf ich wohl als gerichtsbekannt voraussetzen. Beide Männer erkannten bereits zu Beginn des ersten Weltkrieges den Fehler einer unterlassenen wirtschaftlichen Mobilmachung. Rathenau organisierte dann die sogenannte Kriegsrohstoffabteilung des Kriegsministeriums. Der erste Generalbevollmächtigte für die Kriegswirtschaft, denn nichts anderes war er damit, war also weltanschaulich ein Pazifist, und zum mindesten seit dieser Zeit wird es keinen Mobilmachungsplan irgendeiner Nation geben, der die rein militärische Rüstung nicht von der entsprechenden wirtschaftlichen Kriegsvorbereitung begleiten läßt. Deshalb bedeutet die Schaffung eines Generalbevollmächtigten für die Kriegswirtschaft, selbst wenn er aktiv geworden wäre, was er, wie die Beweisaufnahme überzeugend ergab, nicht wurde, sondern eine Attrappe blieb, gar nichts im Sinne eines Beweises für die Absicht, einen Angriffskrieg zu führen; dieses Amt ist auch für jede Defensivrüstung notwendig. Das gleiche gilt für die Institution des Reichsverteidigungsrates, des Reichsverteidigungsausschusses und so fort. Sie sind als solche die gleichen harmlosen Selbstverständlichkeiten. Sie bedeuten gar nichts Belastendes. Nur ihr Mißbrauch zum Zwecke eines Angriffskrieges würde belasten. Für diesen aber ist der Dolus Schachts und überhaupt sonst nichts festgestellt. Ich unterlasse daher die Würdigung der Einzelheiten auf diesem Gebiet.

Schließlich und endlich sieht die Anklage etwas Belastendes in der sogenannten Geheimhaltung gewisser Mobilmachungsmaßnahmen und Mobilmachungseinrichtungen, wie zum Beispiel der Geheimhaltung des zweiten Reichsverteidigungsgesetzes. Auch hier nimmt eine natürliche, weltkundige Betrachtungsweise diesen Feststellungen jeden belastenden Charakter. Sämtliche Nationen pflegen Mobilmachungs- und Rüstungsmaßnahmen unter »geheim« laufen zu lassen. Bei näherem Nachdenken und näherer Beobachtung erkennt man allerdings diese Gewohnheit als eine höchst überflüssige Routineangelegenheit. Geheimhalten lassen sich überhaupt nur Pläne und technische Einzelheiten. Die Tatsache einer Aufrüstung als solche läßt sich niemals geheimhalten. Das gleiche gilt für die Existenz eines größeren Gremiums, welches dieser Aufrüstung dienen soll. Entweder wird dieses bekannt, weil es in Aktion tritt oder es bleibt wie der ominöse Verteidigungsrat nur deshalb verborgen und geheim, weil er nicht in Aktion tritt. Was ist überhaupt geheim? In einem Memoirenwerk eines zaristischen Offiziers über seine Erlebnisse im russisch-japanischen Krieg fand ich folgende witzige Aperçu: »Wenn ich im Generalstab wünschte, daß ein Vorgang bekannt wurde, ließ ich ihn unter ›geheim‹ laufen und mein Wunsch wurde erfüllt. Wenn ich den schwer erfüllbaren Wunsch hatte, daß etwas geheim bliebe, ließ ich es unauffällig offen laufen, und mein Wunsch wurde mir bisweilen erfüllt.«

Man darf nicht im luftleeren Raum argumentieren, sondern muß, wenn man die Wahrheit suchen will, die Erfahrungssätze des harten Bodens der Tatsachen berücksichtigen. So war die Tatsache der militärischen Aktivierung Deutschlands nach dem Machtantritt Hitlers und die bald folgende Wiederaufrüstung der Welt niemals geheim. Die Hauptverhandlung hat zahllose Beweise hierfür erbracht. Wir kennen den Bericht Generalkonsuls Messersmith, wir kennen seine eidliche Aussage vom 30. August 1945, von der Staatsanwaltschaft vorgelegt als 2385-PS, nach welcher das Rüstungsprogramm – er spricht von einem ungeheueren Rüstungsprogramm sofort nach dem Machtantritt – und die rapide Entwicklung des Luftprogramms für jeden offensichtlich gewesen seien; man hätte sich auf den Straßen Berlins oder irgendeiner anderen bedeutenden Stadt Deutschlands nicht bewegen können, ohne daß Piloten oder auszubildende Flieger in Erscheinung traten; und auf Seite 8 seiner Aussage erklärt er ausdrücklich, daß dieses ungeheuere deutsche Aufrüstungsprogramm niemals ein Geheimnis war und ganz öffentlich im Frühjahr 1935 bekanntgegeben wurde.

Ich erinnere unter vielen anderen Beweismitteln an die Bemerkung des Botschafters Dodd, wo er Schacht darauf hingewiesen haben will, daß die Deutsche Regierung allein von amerikanischen Flugzeugfabrikanten hochwertige Kriegsflugzeuge für eine Million Dollar gekauft und in Gold bezahlt habe. Wenn in dieser Einzelheit der Botschafter Dodd vielleicht auch geirrt hat, so beweist doch dies alles, daß die deutsche Aufrüstung in einem sicher damals im Ausland sogar überschätzten Ausmaß bestenfalls ein öffentliches Geheimnis war.

Es bedarf deshalb gar nicht des Hinweises auf die von Milch und Bodenschatz bekundeten gegenseitigen Besuche der Generalstabschefs, des Besuches des Chefs des Britischen Intelligence Dienstes Courtney, der dauernden Anwesenheit von Militärattachés fast aller Staaten in Berlin, um zu erkennen, daß diese sogenannte geheime Aufrüstung eine öffentliche war, die nur einzelne technische Geheimnisse bewahrte wie jede Aufrüstung eines jeden Staates.

Das Ausland hat die Tatsache dieser Wiederaufrüstung gekannt und sie jedenfalls länger für die Erhaltung des Weltfriedens als tragbar erachtet, als dies Schacht getan hat. Es kommt mir nicht zu und liegt mir vollkommen fern, an der Haltung des Auslandes Kritik zu üben. Jede Rolle im Leben hat ihre eigenen Gesetze des Taktes, auch die Rolle des Angeklagten und seines Verteidigers. Ihre Aufgabe ist die Verteidigung und nicht der Vorwurf und der damit verbundene Angriff. Ich verwahre mich ausdrücklich gegen ein Mißverständnis, auch irgendwie als Ankläger, Kritiker oder Besserwisser auftreten zu wollen. Ich trage dies alles nur unter dem Gesichtspunkt vor, daß die von der Anklagebehörde vorgetragenen indirekten Indizien nicht schlüssig sind.

Weiterhin argumentiert die Anklage mit der Tatsache, daß Schacht Mitglied der Reichsregierung war, und zwar von seinem Ausscheiden im Januar 1938 als Wirtschaftsminister, zum mindesten als Minister ohne Portefeuille, bis Januar 1943. Die Anklage macht die Reichsregierung für die kriegerischen Überfälle Hitlers verantwortlich, und zwar kriminell verantwortlich. Diese Argumentation hat für jemand, der von dem normalen Begriff einer Reichsregierung ausgeht, eine bestechend überzeugende Kraft. Diese Wirkung entfällt mit der Feststellung, daß die sogenannte Reichsregierung keine solche im üblichen Sinne eines Verfassungsstaates war.

Strafrichterliche Feststellungen dürfen sich aber nicht auf eine äußere Erscheinung oder Form, auf eine Fiktion, stützen, sondern nur auf tatsächlich festgestellte Verhältnisse. Dies macht es notwendig, soziologisch das Wesen des Hitler-Regimes zu ergründen und zu untersuchen, ob ein Mitglied des Reichskabinetts, also der Reichsregierung, als solches in dieser seiner Eigenschaft die gleiche kriminelle Verantwortlichkeit treffen kann, wie in einem sonstigen normalen staatlichen Gebilde, sei dies nun eine demokratische Republik oder eine demokratische Monarchie, oder konstitutionelle Monarchie, oder eine absolutistische, aber immerhin eine rechtsstaatliche Monarchie oder sonst ein staatsrechtliches Gebilde, welches den Charakter eines irgendwie rechtsstaatlichen Verfassungsstaates trägt. Wir können also nicht umhin, die tatsächliche soziologische Struktur des Hitler-Regimes zu erforschen; Ausführungen über den Führerbefehl haben wir aus dem Munde des Herrn Professors Jahrreiss hierzu gehört. Auch hier will ich Wiederholungen vermeiden und nur schlaglichtartig folgendes ausführen:

Vorausschicken will ich zunächst, um wiederum der Gefahr eines Mißverständnisses vorzubeugen, daß, wenn ich hier von dem Hitler-Regime spreche, ich dies ohne jede Beziehung auf die auf der Anklagebank sitzenden Personen tue, selbstverständlich mit Ausnahme Schachts. Bei letzterem tue ich es im negativen Sinne, daß er zu dem Regime als solchem nicht gehört hat, obgleich er Mitglied der Reichsregierung und Präsident der Reichsbank war. Ich lasse die Frage vollkommen offen, ob irgendeiner der sonstigen Angeklagten als Mitglied oder Träger dieses Regimes anzusehen ist. Diese Frage untersteht allein dem Urteil des Gerichts und der Würdigung des jeweils zuständigen Verteidigers.

Schon zu Beginn meiner Ausführungen deutete ich an, daß es schon für jemand, der in Deutschland während des Hitler-Regimes gelebt hat, schwierig ist und eine starke politische Intuition verlangt, den Unterschied zwischen der scheinbaren und äußeren Machtverteilung und den tatsächlichen Machteinflüssen zu erkennen; daß dies aber die Urteilsfähigkeit außerhalb Deutschlands gelebt habender Menschen übersteigen muß und erst durch die Feststellungen der Beweisaufnahme vor diesem Gericht ermöglicht wird. Wir haben hier festgestellt, daß das Reichskabinett, welches Hitler einen Defaitistenklub nannte, das letztemal, und dies auch nur zur Empfangnahme einer Mitteilung Hitlers, im Jahre 1938 zusammengetreten war, zu einer sachlichen Beratung und Beschlußfassung das letztemal 1937, und daß Hitler bewußt alle politisch bedeutsamen Angelegenheiten dem Reichskabinett vorenthielt, wie sich dies aus dem sogenannten Hoßbach-Protokoll vom 10. November ganz eindeutig ergibt. In dieser Sitzung wies Hitler die anwesenden Chefs der Wehrmachtsteile und den anwesenden Reichsaußenminister – Schacht war selbstverständlich nicht anwesend und hat von diesem Hoßbach-Protokoll erst hier erfahren – darauf hin, daß der Gegenstand der Beratung von solch großer Bedeutung wäre, daß in anderen Staaten hierüber eine Vollsitzung des Kabinetts stattfinden würde; er jedoch habe sich entschieden, gerade wegen ihrer großen Bedeutung diese Angelegenheit nicht im Zirkel des Reichskabinetts zu diskutieren.

Danach aber sind die Mitglieder des Reichskabinetts, zum mindesten nach 1937, nicht mehr als Bildner und Träger der politischen Willensbildung des Reiches anzusehen. Das gleiche gilt von den Mitgliedern des Reichsverteidigungsrates, der als solcher nichts anderes als eine bürokratische Routineangelegenheit war. Demgemäß hat ja auch Hitler im Frühjahr 1939 den Reichsverteidigungsrat ausdrücklich von den weiteren Kriegsvorbereitungen ausgeschlossen, und zwar mit den Worten: »Vorbereitung erfolgt auf Grund der Friedensgesetzgebung.«

Die Despotie, die Tyrannis war ab 1938 in ihrer reinsten Form erreicht. Es ist eben die spezifische Eigenart des faschistischen wie des nationalsozialistischen Regims, daß sich die politische Willensbildung auf den Chef der Partei konzentrierte, welcher mit Hilfe dieser Partei Staat und Volk sich unterwirft und beherrscht. Dies erkennt auch Justice Jackson an, indem er am 28. Februar 1946 vortrug, daß die Pyramide der Macht bei einer Machtgruppe außerhalb des Staates und der Verfassung lag.

Bei diesem Regime von einer verantwortlichen Reichsregierung und überhaupt von freien Staatsbürgern zu sprechen, welche durch irgendwelche Körperschaften auf die politische Willensbildung Einfluß nehmen, hieße von grundsätzlich falschen Voraussetzungen ausgehen. Bei solchen Regimen gewinnen immer nur unfaßbare Größen auf den Staats- und Parteichef unverantwortliche Einflüsse. Die politische Willensbildung ist nur in ihrer Kristallisation bei dem Staatschef selbst erkennbar, neben ihm und hinter ihm undurchsichtig.

Es ist eine weitere Eigentümlichkeit eines solchen Regimes – was wiederum in das Kapitel der inneren Verlogenheit desselben gehört –, daß sich hinter der angeblichen Fassade einer unbedingten Einigkeit und Einheit mehrere Machtgruppen bekämpfen. Hitler hat diese Gegensätze nicht nur geduldet, sondern gefördert und einen Teil seiner Macht auf sie gegründet. Wenn hier von einem Angeklagten von der Einigkeit des deutschen Volkes während des Krieges im Gegensatz zum ersten Weltkrieg gesprochen worden ist, muß ich demgegenüber hervorheben, daß kaum je in seiner Geschichte das deutsche Volk innerlich so gespalten gewesen ist wie während des Dritten Reiches. Die scheinbare Einigkeit war nur die durch Terror erzwungene Ruhe eines Kirchhofs. Dieser inneren Zerrissenheit des deutschen Volkes, nur künstlich verborgen gehalten durch den Terror der Gestapo, entsprachen die Gegensätze innerhalb der einzelnen hohen Funktionäre, welche wir hier festgestellt haben. Um nur einige Beispiele zu nennen, traten uns hier entgegen die Gegensätze zwischen Himmler und Frank, zwischen Himmler und Keitel, zwischen Sauckel und Seldte, zwischen Schellenberg und Canaris, zwischen Bormann und Lammers, zwischen SA und SS, zwischen Wehrmacht und SS, zwischen SD und Justiz, zwischen Ribbentrop und Neurath und so fort und so fort. Die Liste ließe sich beliebig lang fortsetzen.

Sogar weltanschaulich war die Partei selbst untereinander stark gegensätzlich gegliedert, wie sich zu Beginn der Beweisaufnahme schon aus der Aussage Görings ergab. Diese Gegensätze waren grundsätzliche und wurden von Hitler nicht etwa überbrückt, sondern vertieft. Sie waren die Klaviatur seiner Machtquelle, auf der er spielte. Die Minister waren nicht verantwortlich leitende Personen wie in jedem anderen rechtlich fundierten Staat; sie waren nichts anderes als fachlich geschulte Angestellte, welche Weisungen zu gehorchen hatten. Und wenn ein Fachminister wie Schacht sich dem nicht fügte, kam es, wie bei ihm, zum Konflikt und zum Ausscheiden aus seinem Ressort.

Die Minister konnten schon deswegen die Verantwortung für ihr Ressort auf die Dauer nicht übernehmen, weil sie für ihr Ressort nicht ausschließlich zuständig waren. Ein Minister in verfassungsrechtlichem Sinn muß vor allen Dingen auch Zugang zum Staatschef und das Recht des Immediatvortrages haben. Er muß in der Lage sein, Einmischungen und Einflüsse von dritter, unverantwortlicher Seite zurückzuweisen. Keines dieser für einen Minister begriffsbildenden Merkmale finden wir bei den sogenannten Ministern Adolf Hitlers.

Schacht mußte sich vom Vierjahresplan überraschen lassen. Gleich ihm wurde der Justizminister sogar von so hochbedeutsamen Gesetzen, wie die Nürnberger Gesetze sind, überrascht. Der Minister konnte seine Beamten nicht selbständig ernennen. Die Ernennung jedes Beamten bedurfte der Zustimmung der Parteikanzlei. Einmischungen und Einflüsse aller möglichen Stellen und Personen der verschiedenen Kanzleien, Kanzlei des Führers, Parteikanzlei und so fort, machten sich geltend. Dies waren aber unkontrollierbare, überministerielle Instanzen. Sonderbeauftragte regierten durch die Ressorts hindurch. Minister, ja sogar, wie wir hier von Lammers gehört haben, der Chef der Reichskanzlei, konnten monatelang auf eine Audienz warten, während die Herren Bormann und Himmler bei Hitler aus- und eingingen.

Die Antikamera und Kamarilla, eine notwendige Begleiterscheinung jedes Absolutismus, ist in der persönlichen Verantwortlichkeit der einzelnen und auch in dem Kreise ihrer Zusammensetzung in der Geschichte immer schwer faßbar gewesen. Die auf Hitler ausgeübten und in ihm wirkenden Einnüsse von unverantwortlicher Seite sind es gleich gar nicht.

Der Generaloberst Jodl hat uns ja hier bekundet, wie gerade folgenschwerste Affekthandlungen Hitlers auf solche Einflüsse gänzlich unbekannter Dritter, also auf reine Zufälligkeiten, auf Teegespräche oder ähnliches, zurückzuführen waren. Hieraus folgt aber für den objektiven Tatbestand das, was ich schon eingangs andeutete.

Für eine Planung eines Verbrechens, wie dasjenige eines Angriffskrieges, innerhalb eines festumrissenen Personenkreises oder gar innerhalb der sogenannten Reichsregierung besteht schon objektiv auf Grund dieser Zustände keine Möglichkeit. Wo aber keine Planung möglich ist, ist auch keine Verschwörung, keine Conspiracy möglich, deren wesentliches Begriffsmerkmal die gemeinsame Planung, wenn auch in verschiedenen Rollen ist. Unterstellen Sie die weiteste Auslegungsmöglichkeit auf der äußeren Tatseite der Conspiracy. Ich will Justice Jackson folgen: Wer sich an einer Falschmünzerverschwörung beteiligt, ist der Conspiracy schuldig, auch wenn er nur einen Brief geschrieben oder als Briefbote gedient hat; wer sich an einer Bankraubverschwörung beteiligt, ist des Mordes schuldig, wenn im Zuge dieser Planung nicht von ihm, sondern von einem dritten Planbeteiligten ein Mord verübt wurde. Immer aber muß es sich um eine Gemeinschaft handeln, welche eines gemeinsamen Planens fähig ist. Und solches war bei den Ministern Adolf Hitlers nicht möglich; es war überhaupt unter Hitler nicht möglich. An dem Verbrechen Hitlers, seinem eigenen Volke und der Menschheit einen Angriffskrieg aufgezwungen zu haben, konnte deshalb kein Verschwörer teilnehmen, sondern nur Hitler dienende Gehilfen.

Die geschilderten Machtzustände des Dritten Reiches lassen also schon in thesi nur die Annahme einer strafbaren Mittäterschaft oder eines strafbaren Gehilfentums zu, nicht dagegen ein strafbares Gruppendelikt wie die Verschwörung. Ob eine solche Mittäterschaft oder eine solche strafbare Beihilfe an dem von Hitler verübten Verbrechen eines Angriffskrieges in der Person der einzelnen Angeklagten vorliegt, kann nur in jedem einzelnen Fall individuell untersucht und entschieden werden. Dies zu untersuchen ist meine Aufgabe nur in der Person Schachts.

Ein kollektives Delikt wie die Verschwörung, die Conspiracy, scheidet aber auf Grund der festgestellten tatsächlichen Verhältnisse als in ihnen undenkbar und unrealisierbar aus. Selbst wenn dies aber nicht der Fall wäre, würde bei Schacht die subjektive Tatseite völlig fehlen. Selbst bei Vorhandensein des objektiven Tatbestandes einer Verschwörung in irgendeinem Kreis der Anklage und selbst bei weitester Auslegung des Conspiracy-Begriffes muß der Verschwörer den Verschwörungsplan und das Verschwörungsziel in seinem Willen aufnehmen, zum mindesten in der Gestalt des Dolus eventualis.

Die Strenge des Verschwörungstatbestandes wird am sinnfälligsten in dem Vergleich mit dem Piratenschiff. An sich ist jedes Besatzungsmitglied des Piratenschiffes, selbst in untergeordneter Stellung, schuldig und outlaw. Wer aber gar nicht wußte, daß er sich auf einem Piratenschiff befand, sondern glaubte, auf einem friedlichen Kauffahrteifahrer zu sein, ist der Piraterie nicht schuldig. Er ist im übrigen auch dann unschuldig, wenn er nach Erkenntnis des Piratencharakters des Schiffes alles getan hat, um sowohl die Durchführung der Piraterie zu verhindern, als auch das Piratenschiff zu verlassen. Beides hat Schacht getan.

Was das letztere anbetrifft, so erkennt auch die wissenschaftliche Lehre über die Conspiracy an, daß derjenige nicht schuldig ist, der vor Verwirklichung des Verschwörungszieles sich durch einen affirmativen Akt von der Verschwörung losgesagt hat, und zwar selbst dann, wenn er vorher an der Vorbereitung des Verschwörungsplanes mitgearbeitet hat, was Schacht nicht tat.

In diesem Zusammenhang werte ich auch die Antwort Justice Jacksons an mich, als ich im Rahmen der Vernehmung Schachts zur Diskussion stellte, ob auch die Judenverfolgung Schacht zur Last gelegt werde. Justice Jackson bejahte dies für den Fall, daß Schacht den Angriffskrieg mit vorbereiten half, bevor er sich von diesem Angriffsplan und seiner Verschwörergruppe lossagte und rückhaltlos zur Oppositionsgruppe, also zur Verschwörung gegen Hitler, überging. Dieser Übergang wäre dann der eben erwähnte affirmative Akt, durch den sich ein zunächst an einer Verschwörung Beteiligter von dieser trennen würde. Es kommt aber auf dieses rechtliche Problem in der Person Schachts gar nicht an, weil die Beweisaufnahme ergeben hat, daß er sich niemals an der Vorbereitung eines Angriffskrieges beteiligen wollte.

Wie bereits ausgeführt, ist dieser Vorwurf des subjektiven Tatbestandes der Conspiracy weder durch direkte noch durch indirekte Beweismittel bewiesen worden. Ich kann hier für die Vorgänge bis zum Jahre 1938 auf früher Gesagtes verweisen. Spätestens von 1938 an ist erwiesen, daß von dieser Zeit an Schacht den denkbar schärfsten Kampf gegen jede Kriegsmöglichkeit dergestalt geführt hat, daß er den Träger dieser Kriegsgefahr, den Träger dieses Angriffswillens und damit das Regime zu stürzen versuchte.

Euer Lordschaft! Ich bin jetzt an einem Abschnitt angelangt, wenn Euer Lordschaft jetzt die Pause machen wollten?

VORSITZENDER: Wir vertagen uns jetzt.